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25 Jahre UN Resolution 1325 zu Frauen, Frieden und Sicherheit – eine Chance für LSBTIQ*?

CEDAW - UN Women Deutschland, UN-Resolution 1325

Am 31. Oktober 2000 verabschiedete der UN-Sicherheitsrat einstimmig die UN-Resolution zu Frauen, Frieden und Sicherheit, das war unter dem temporären Vorsitz Namibias – einer früheren deutschen Kolonie. Friedensaktivist*innen — vor allem zivilgesellschaftlich organisierte Afrikaner*innenaus Kriegs- und Postkonfliktländern hatten jahrelang auf diese Resolution hingearbeitet. Denn sexualisierte Kriegsgewalt, insbesondere gegen Frauen, blieb auch nach dem Ende des Kalten Krieges ein Kampfmittel. 

In Friedensverhandlungen führten männliche Militär- und Guerillakommandanten, die alle für Grausamkeit verantwortlich waren, das große Wort. Viele einigten sich nur unter starkem Druck außenstehender männlicher Vermittler auf Friedensverträge. Folglich wurden viele Nachkriegsgesellschaften nach offiziellen Friedensschlüssen von martialischer Männlichkeit, Misogynie und homo-/transphober Gewalt-(bereitschaft) geprägt. Oft eskalierten dann brutale Übergriffe auf Frauen und sexuelle Minderheiten sogar, zumal patriarchale Hierarchien aus Vorkriegsgesellschaften zur Wiederherstellung von Nachkriegsordnungen dienten und neue männliche Machthaber politisierte Homo-/Transphobie zur Absicherung der eigenen Herrschaft schürten. Konnte die UN-Resolution 1325 dem ein Ende bereiten und was bedeutet sie für LSBTIQ*Menschenrechtsverteidiger*innen? Dieser Blogbeitrag wirft einen Blick auf wesentliche Details, Kontexte und Debatten.

UN Resolutionen 1325 und Folgeresolutionen

UN-Resolution 1325 zu Frauen, Frieden und Sicherheit sowie darauf aufbauende Folgeresolutionen (auch bezeichnet als Women Peace Security (WPS) Agenda) akzentuieren die Unterstützung von Frauen als Opfer sexualisierter Kriegsgewalt und ihre Partizipation in Friedensprozessen. UN Resolution 1325 ist normativ und programmatisch ausgerichtet und bezieht sich auf die völkerrechtlich verbindliche UN-Frauenrechtskonvention CEDAW. Die Resolutionstexte — mit Kernbereichen („Säulen“) wie Prävention, Partizipation, Schutz, Soforthilfe/Wiederaufbau — konzentrieren sich auf die Situation von Frauen. Dem stimmten die im UN-Sicherheitsrat vertretenden Weltmächte zu. Allerdings war der Hinweis auf reproduktive Rechte bei der 2019 verabschiedeten Folgeresolution 2467 nicht konsensfähig und wurde auf Druck der damaligen US-Regierung gestrichen.

Deshalb analysieren und bewerten zivilgesellschaftlich verankerte, feministische Friedensaktivist*innen und Forscher*innen die UN-Resolution 1325 und deren Folgeresolutionen hinsichtlich der Inhalte und Umsetzung durchaus kritisch. So monieren sie Defizite beispielsweise wegen technokratischer Top-Down Planungen in nationalen Aktionsplänen. Zudem kritisieren sie die Einbindung von Frauen in militaristische Sicherheitsstrukturen und mangelnde Intersektionalität, welche Mehrfachdiskriminerungen ignoriert.

Gleichzeitig gibt es Gegenargumente, dazu zählen Hinweise auf die Nutzung der Resolution durch zivilgesellschaftliche Organisationen, etwa im Rahmen periodischer UN-Menschenrechtsberichterstattung (UPR Überprüfverfahren). Zudem kann die Resolution nützlich sein für Akteur*innen, die sich für umfassende Entwaffnung, Stopp von Waffenhandel, Strafverfolgung von Kriegsverbrechern, wirtschaftlichen Wiederaufbau und Gerechtigkeit einsetzen.

Dieser Blog-Beitrag fragt anlässlich „25 Jahre UN-Resolution 1325“ nach deren menschenrechtlicher und friedenspolitischer Bedeutung für queere Menschen und LSBTIQ*Menschenrechtsverteidiger*innen. Dazu bezieht er sich auf offizielle Dokumente von UN-Gremien, nationale Aktionspläne sowie Einschätzungen von LSBTIQ*Organisationen und feministischen Friedensforscher*innen. Vernetzte Forscher*innen und Aktivist*innen, etwa aus den Postkonfliktländern Nordirland und Kolumbien, argumentieren, dass die Resolutionstexte Gender-Ungleichheiten als Problem thematisieren und deshalb für LSBTIQ*Menschenrechte friedenspolitisch relevant sind und für queere Interessenvertretungen genutzt werden können.

Diese Auseinandersetzung ist wichtig, da autoritäre Regime – oft unter dem Einfluss reaktionärer/ultrakonservativer und religiös-fundamentalistischer Interessengruppen – inzwischen alles daran setzen, solche internationalen Vereinbarungen zu untergraben. Sie nutzen Gender und reproduktive Rechte als Kampfbegriffe, hetzen gegen LSBTIQ*Menschenrechte und Menschenrechtsverteidiger*innen, verbreiten Haß gegen queere Menschen, schüren Konflikte mit Frauenfeindlichkeit/-verachtung und treiben mit einem verengten Sicherheitsbegriff neuen Militarismus voran, der nachhaltigen und inklusiven Frieden sowie gerechte Nachkriegsordnungen blockiert.

UN-Bericht — Nachhaltiger Friede erfordert Schutz von LSBTIQ*

Im UN-Bericht „From wars against diversity to an inclusive peace: Conflict related violence based on sexual orientation & gender identity“ vom 27. Juli 2022 (A/75/235) bezeichnet der damalige unabhängige UN-Experte zum Schutz vor Gewalt und Diskriminierung basierend auf sexueller Orientierung und Geschlechtsidentität, Victor Madrigal-Borloz, die UN-Resolution 1325 als Meilenstein und Referenzrahmen zur Identifikation sexualisierter und gender-basierter Kriegsgewalt, ihrer Gründe und Folgen sowie entsprechender Prävention. Er stellt klar, dass alle Formen der geschlechterbasierten Gewalt, die LSBTIQ* in bewaffneten Konflikten betreffen, beachtet werden müssen, denn fortwährende Angriffe auf LSBTIQ*Aktivist*innen und Menschenrechtsverteidiger*innen stehen einem nachhaltigen Frieden entgegen. Gender-Konzepte und intersektionale Ansätze würden Analysekonzepte bieten, um multiple Machtasymmetrien zu erfassen, die u.a. vor Kriegen zu Diskriminierung und Gewalt basierend auf der Geschlechtsidentität und –orientierung führen. Staatliche Friedens- und Sicherheitspolitik und die UN sollten auf nachhaltigen Frieden, basierend auf Menschenrechten und Nicht-Diskriminierung sowie Inklusion sexueller Minderheiten, ausgerichtet sein.

Sie sind in Kriegen von sexualisierter Gewalt bei Vertreibungen und Gebietseroberungen durch die Konfliktparteien besonders betroffen. Ihre wirtschaftlichen Existenzgrundlagen, ihre Zugänge zu Bildungs- und Gesundheitseinrichtungen werden zerstört, ihre gesellschaftliche und politische Partizipation als Individuen und zivilgesellschaftliche Zusammenschlüsse angegriffen. Dennoch bleiben homo-/transphobe Kriegsverbrechen zumeist straffrei, vor allem wenn LSBTIQ*Aktivist*innen nicht in Friedensverhandlungen einbezogen werden. Gemeinsam mit feministischen Frauenorganisationen müssen sie verhindern, dass ihre Interessen und reproduktiven Rechte nach Kriegen drastisch beschränkt werden. Um so wichtiger sei es für Regierungen, zivilgesellschaftliche Handlungsräume nicht zu beschränken und LSBTIQ-Aktivist*innen vor Gewalt zu schützen.

Der unabhängige UN-Experte zum Schutz vor Gewalt und Diskriminierung basierend auf sexueller Orientierung und Geschlechtsidentität fordert zudem, Staaten sollten Straflosigkeit beenden, LSBTIQ*-Kriegs-/Gewaltopfern alle Rechte als Opfer und Bürger*innen gewähren, z.B. in Wahrheits- und Versöhnungskommissionen, Reparations- und Wiederaufbauprogrammen. Zudem sollten Regierungen Strukturreformen vornehmen, um Exklusion und Diskriminierung zu überwinden, die Gewalt gegen LSBTIQ* in Kriegen schürte. Zusätzlich seien Reformen von Polizei und Justiz notwendig, um dort bereits vor Kriegen institutionell verankerte Homo-/Transphobie zu überwinden. Für UN-Blauhelmeinsätze und andere friedensstiftende Aufgaben nach Friedensschlüssen seien Reformen ebenfalls erforderlich.

Nationaler Aktionsplan der Bundesregierung zur Umsetzung der UN-Resolution 1325

Aktionsplan der Bundesregierung zu Agenda Frauen, Frieden und Sicherheit

Der Dritte Aktionsplan der Bundesregierung zur Agenda Frauen, Frieden und Sicherheit 2021–2024, der am 4. Februar 2021 vom Bundeskabinett beschlossen und anschließend als Bundestagsdrucksache veröffentlicht wurde, thematisierte die Tatsache, dass LSBTIQ* in Kriegen und Konflikten wegen ihrer Geschlechtsidentität oder –orientierung von Gewalt betroffen sind oder verfolgt werden. Deshalb sei Hilfe für Gewaltüberlebende und Strafverfolgung der Täter wichtig. Da Krisen zuvor bestehende Diskriminierung verstärken, sollten Präventionsmaßnahmen alle Geschlechter berücksichtigen. LSBTIQ* Menschenrechte sollten in fragilen und Post-Konfliktgesellschaften systematisch gestärkt werden. Die Bundesregierung setzte sich mit Blick auf Geschlechtergerechtigkeit das Ziel, lokale Frauen- und Menschenrechtsorganisationen sowie LSBTIQ*Aktivist*innen politisch und finanziell zu unterstützen und zu schützen, damit sie ihre Arbeit wirkungsvoll leisten können.

Die Bundesregierung thematisierte das Erstarken rechtspopulistischer, ‑radikaler und nationalistischer Interessengruppen, die Repressionen gegen Menschenrechtsverteidiger*innen intensivieren und Rechte von LSBTIQ* untergraben wollen und dazu insbesondere reproduktive und sexuelle Rechte politisieren. Solchen Rückschritten wollte sich die Bundesregierung entschieden entgegenstellen, indem sie sich bi- und multinational sowie regional für Menschenrechte von LSBTIQ* einsetzte. Auch Friedens‑, Klima-/Umweltaktivist*innen und Behinderte sollten unterstützt werden.

Die Inhalte des Vierten Nationalen Aktionsplan zur WPS Agenda waren während der Erstellung dieses Blog-Beitrags noch nicht bekannt, der Dritte war bis 2024 terminiert. Die Nationalen Aktionspläne und entsprechende Umsetzungsberichte wurden über Jahre von Nichtregierungsorganisationen aus der feministischen Zivilgesellschaft mit Stellungnahmen begleitet, vorrangig vom Bündnis 1325, das u.a. die Einbeziehung von LSBTIQ* im 3. Nationalen Aktionsplan der Bundesregierung zur Umsetzung der UN-Resolution 1325 anerkennt.

CFFP - Towrds a meaningful inclusion

Gezielte Einbeziehung von LSBTIQ – Praktische Vorschläge

Die Erstellung Nationaler Aktionspläne (NAP) zur Umsetzung der UN-Resolution 1325 thematisiert ein themenrelevantes Praxishandbuch der Berghof Foundation in Kooperation mit dem Centre for Feminist Foreign Policy (CFFP) – beide mit Sitz in Berlin. NAPs sollen in Kooperation mit LSBTIQ*Aktivist*innen konzipiert werden, diese sollten auch während der Implementierung von NAPs konsultiert werden. Das Praxishandbuch fordert zudem: Nationale Aktionspläne sollten klare Indikatoren, Zeitvorgaben zur Zielerreichung, regelmäßige Berichtmechanismen und präventive Maßnahmen gegen Rückschläge enthalten. Ausgangspunkt für eine sinnvolle Einbeziehung von LSBTIQ* in die Women Peace and Security Agenda muss die Lebensrealität von LSBTIQ* Menschen sein. Ebenso wichtig ist es demnach, über binäre und heteronormative Vorstellungen hinauszugehen, wozu ein intersektionales Verständnis von Gender notwendig sei.

CFFP - Peace,and Security Architecture

Es darf also laut Berghof Foundation / CFFP nicht nur um Auseinandersetzungen mit Gewaltsymptomen gehen, sondern Ziel sollte das Aufdecken von Ursachen, Ideologien und Kräften sein, die Gewalt vorantreiben – auch vor Kriegen und nach offiziellen Friedensschlüssen. Um LSBTIQ* in Prävention, Partizipation, Schutz und Maßnahmen nach Kriegsende sinnvoll zu integrieren, sind folglich Gender-Konfliktanalysen notwendig, die Normen und Machtstrukturen erfassen, welche zu Diskriminierung und Gewalt gegen LSBTIQ* führen.

Postkonfliktsituationen bieten gelegentlich und mancherorts die Möglichkeit, Normen zu ändern und Gesetze zu reformieren. Dazu ist die gezielte Lobbyarbeit von LSBTIQ*Organisationen notwendig, wofür sie finanzielle Ressourcen brauchen. Auch für Partizipation, Prävention und Schutz ist flexibles Funding eine Grundvoraussetzung. Für inklusive Frühwarnsysteme und Entscheidungsprozesse müssen LSBTIQ*Aktivist*innen und Gruppen die Möglichkeit haben, Allianzen untereinander und mit anderen zivilgesellschaftlichen Organisationen und Netzwerken aufzubauen und diese zu verstetigen. Dreh- und Angelpunkt sind somit tragfähige Allianzen, um mit systematischen Gegenstrategien international gut vernetzte
Anti-Gender-Agitatoren Einhalt bei deren Angriffen auf eine unabhängige Zivilgesellschaft und reproduktive Rechte
zu bieten. Auch dafür benötigen feministische und queere Organisationen verlässliche finanzielle Förderungen. Für den Zugang zu Justiz und Gerechtigkeit für (Kriegs-)Gewaltüberlebende ist zu beachten, dass LSBTIQ*Menschen in etlichen Ländern vor Kriegen kriminalisiert werden. Entsprechend wichtig sind Gesetzes- und Justizreformen unter systematischer Einbeziehung von LSBTIQ* in Postkonfliktländern.

Toolkit für die Praxis

Die queere Friedensforscher*in Jamie Hagen hat mit Kolleg*innen aus Irland und Kolumbien ein Toolkit für die Praxis erarbeitet. Darin benennen sie Gefährdungen von LSBTIQ* Menschenrechtsaktivist*innen durch Anti-Gender Netzwerke, Bedrohungen durch Cyber-Angriffe, Homo-/Transphobie, Homonationalismus, Rassismus, Polizeigewalt und staatliche Einschränkungen zivilgesellschaftlicher Handlungsspielräume. Der gemeinsame Einsatz für Geschlechtergerechtigkeit sei ganz entscheidend angesichts der steigenden Bedrohungen von LSBTIQ* im Zuge des Aufstiegs autoritärer Regierungen, von Anti-Gender- und Anti-Menschenrechtsbewegungen. Strategisch wichtig es somit, Gegennarrative gegen Anti-Gender-Organisationen zu schaffen. Zudem sollte die Arbeit lokalisiert und dekolonial ausgerichtet sein.

Mariquiando la Agenda de Mujeres

Um so notwendiger sind Vernetzungen und Kooperationen zwischen unterschiedlichen Organisationen und Bewegungen, insbesondere zwischen Frauenbewegungen, Friedensinitiativen und LSBTIQ*Organisationen. Geber könnten diese stärken, indem sie verläßliche und langfristige Finanzierungen für die Zusammenarbeit zur Verfügung stellen, solche Förderung sollte auch
informellen Gruppen zu Gute kommen. Denn zu oft würden lesbische, bi‑, trans- und queere Frauen aus der „Women Peace and Security Agenda“ ausgeschlossen, anstatt die Verbindungen zwischen Frauenrechten und queeren Menschenrechten zu erkennen.

Insgesamt soll mit lokalen LSBTIQ*Organisationen kooperiert werden. LBTQ sollen als Führungspersonen in der Friedensarbeit sichtbar werden, das erfordert Kommunikationsräume zum Austausch zwischen Frauen- und LSBTIQ*Bewegungen. Heteronormative Friedensengagierte können als Allianzpartnerinnen und –partner wirken, um gesellschaftliche Normen bezüglich sexueller Minderheiten zu ändern.

Konkret schlägt das Toolkit vor, Lesben als Redner*innen in Friedensverhandlungen aktiv einzubeziehen und alle Friedens- und Sicherheitsaktivitäten, alle Risikoanalysen, mit intersektionaler Perspektive auf Geschlechtergerechtigkeit auszurichten. Queere Friedensarbeit umfasst demnach feministische Standpunkte und Anti-Militarismus. Auch die gemeinsame Auseinandersetzung mit dem oft problematischen Zusammenwirken und den wechselseitigen Verstärkungen von gender, race und class Ungleichheiten gilt als notwendig.

Queering the Women

Für geschlechtergerechte Postkonfliktgesellschaften ist es wichtig zu verstehen, wie Männlichkeit und patriarchale Gewaltmuster zusammenwirken und wie Alltagsgewalt die Sicherheit queerer Menschen bedroht. Queerer Friede bedeutet folglich nicht nur ein Ende der bewaffneten Konflikte, sondern auch Veränderungen der Gender-Normen, die LSBTIQ*Menschenrechte einschränken.

Queere Friedensforscher*innen aus Nordirland und Kolumbien stellen in ihrem Toolkit – einem Ergebnis kooperativen und translokalen Lernens — klare Forderungen: Schutz von LSBTIQ*, Menschenrechtsverletzungen thematisieren und dokumentieren sowie Bestrafung der Täter. Notwendig sind: Hilfe nach Kriegen, etwa für Gewaltopfer/Überlebende, Zugang zu Reparationen und Wiederaufbauprogrammen.


Queere Agenda für Frieden, Sicherheit und Rechenschaftspflicht

Outright International beauftragte die queeren Friedensexpert*innen Jamie Hagen und Chitra Nagarajan 2022 mit einer Studie, um herauszufinden, wie LSBTIQ*Menschenrechtsaktivist*innen die UN-Resolution 1325 nutzen können und welchen Einfluss queere Interessen auf Institutionen zu Frieden und Sicherheit haben könnten. Ihre Inklusion in nationale Aktionspläne einzelner Staaten gibt es nur partiell, etwa in Südafrika, Deutschland, Irland und in den Niederlanden. Sie ist in einzelnen Ländern, wie in den USA, im Rahmen ultrakonservativ politisch motivierter Anti-Gender-Agitationen sogar wieder rückläufig.

Anhand vieler empirischer Beispiele stellten die Forscher*innen fest: Globale Bedrohungen von Frauen und sexuellen Minderheiten steigen vielerorts wegen der koordinierten ultrakonservativen Bewegungen, die aus rechtslastigen/religiös fundamentalistischen Gründen Gender-Diversität ablehnen und autoritäre Regime verbreiten wollen. Diese forcieren Homo- und Transphobie.

Zudem nennen die Forschenden ein anderes Phänomen, das auf religiösen Fundamentalismus in Kriegen/militärischen Konflikten hinweist: Die Massengewalt und Morde an queeren Menschen im Irak und Syrien durch Islamisten (IS, „Islamischer Staat in Irak und Syrien“), wurde am 24. August 2015 auf Initiative von IGLHRC/Outright International — in Kooperation mit MADRE und Organization for Women’s Freedom in Iraq — im UN-Sicherheitsrat thematisiert – ein informelles Meeting (Arria Formula) in Anwesenheit von Überlebenden. Sie waren von diesen (IS) wegen ihrer Geschlechtsidentität/-Orientierung gequält worden. Erstmals setzte sich der UN-Sicherheitsrat damit auseinander.

Outright International moniert: In Krisen und Konfliktsituationen schützen internationale Friedenskräfte queere Menschen nur unzureichend. Internationale Organisationen sollten aber treibende Kräfte für die Inklusion von sexuellen Minderheiten in die WPS Agenda sein. Eine derartige inklusive Sicherheits- und Friedensorientierung, die umfangreiches Training des UN-Personals erfordert, sei wichtig, um die Ausbreitung von Hassgewalt in Nachkriegsstaaten zu verhindern.

Der Internationale Strafgerichtshof sollte die Strafverfolgung von Kriegsverbrechen gemäß einem umfassenden Gender-Verständnis nicht auf die Binarität von Frauen und Männern beschränken, sondern auch Gewalt gegen queere Menschen berücksichtigen. Bedeutend wäre die Entkriminalisierung von gleichgeschlechtlicher Sexualität und Gender-Nonkonformität, denn wenn Homosexualität strafbar ist, werden queere Menschen in Krisenzeiten willkürlich verhaftet, in Kriegen und militärischen Konflikten gefoltert oder umgebracht, wobei die Täter straffrei bleiben. In Kriegen und gewaltsamen Konflikten werden soziale Unterstützungsnetzwerke zerstört, deshalb ist es für Anti-Gender-Organisationen nach Abschluss offizieller Friedensverträge einfach, gegen sexuelle Minderheiten zu hetzen und die weiterhin vielerorts institutionalisierte Homo-/Transphobie zu schüren, was das Leben queerer Menschen gefährdet und ihnen Gerechtigkeit für erlittenes Leid, Trauma und Unrecht verwehrt.

Um so wichtiger ist die zuverlässige und mittelfristig angelegte finanzielle Förderung queerer Organisationen und feministischer Frauenorganisationen, damit sie effektiv kooperieren können und nicht um spärliche Finanzen konkurrieren müssen, was ihre wichtige intersektionale Anti-Gewalt-Arbeit lähmt. 

Fallbeispiel: Queerer Post-Konflikt-Aktivismus

Logo Colombia Diversa

Outright International skizziert exemplarisch queeren Post-Konflikt-Aktivismus – in Kooperation mit feministischer Lobbyarbeit — in Kolumbien: Dort beteiligte sich Colombia Diversa am nationalen Aktionsplan zur UN Resolution 1325, indem das erste LBT Forum organisiert wurde, um spezifische Forderungen von Trans und queeren Frauen vorzustellen und deren Einbeziehung in den Plan zu fordern und zwar mit Bezug auf das Friedensabkommen. Kolumbianische Frauen- und LSBTIQ*Organisationen arbeiteten gemeinschaftlich auf unterschiedlichen Ebenen daran, patriarchale Strukturen zu überwinden. Dazu entwickelten sie Strategien zur wechselseitigen Unterstützung auch zwischen Basisgruppen, die beispielsweise indigene Akteur*innen einbezogen, und formalisierten Organisationen, die verbindende Allianzen stärkten.

Der UN-Independent Expert Victor Madrigal-Borloz nennt als Allianzen die Grupo Género en la Paz und die Cinco Claves Alliance. Die queere Friedensforscher*in Jamie Hagen erwähnt die Organisation Caribe Afirmativo, die Gewalt der FARC-EP gegen queere Menschen publik machte, wobei schwarze Kolumbianer*innen sowohl homo-/transphobe als auch rassistische Demütigungen ertragen mußten. Allerdings erwies sich die Dokumentation von mehrfach diskriminierten Opfern in offiziellen Registern wegen der Trans-/Homophobie des staatlichen Verwaltungspersonals als schwierig. Das offizielle Register von Kriegsopfern dokumentierte 4.000 LGBTIQ*Opfer. Die Diskriminierung betraf vor alle schwarze und indigene, veramte queere Menschen in ländlichen Regionen.

Gewaltkontinuitäten dokumentierten auch Studien des nationalen Zentrum für historische Erinnerung (CNMH), wofür sich LGBTIQ* und feministische Bewegungen engagiert hatten. Es bildete einen institutionellen Rahmen, in dem queere Forscher*innen ein umfassendes Gender-Verständnis in der Auseinandersetzung mit der gewaltgeprägten Vergangenheit in Kolumbien etablieren und vermitteln konnten. Denn sexualisierte Kriegsgewalt war Teil eines Gewaltkontinuums – verankert in strukturellen Ungleichheiten und patriarchalen Normen.

Comision de la Verdad, Colombia

Im institutionellen Kontext der Übergangsjustiz setzte sich die Gender-Arbeitsgruppe der Wahrheitskommission dafür ein, Gender-Kriegsgewalt differenziert zu dokumentieren. Ein Teil des mehrteiligen BerichtsMi Cuerpo dice la Verdad“ (My body is the truth) thematisiert Gewalt gegen LSBTIQ* unter Berücksichtigung dekolonialer Konzepte.

Jahrelang hatten sich feministische und LSBTIQ*Aktivist*innen vernetzt und Frieden gefordert, so die Initiative Planeta Paz und Mujeres por la Paz. Ihrer Lobbyarbeit war es zu verdanken, dass die Regierung eine Gender-Subkommission im Verhandlungsteam einrichtete und mit zwei Frauen besetzte, um am Friedensvertrag mitzuwirken.

Etliche Forschende thematisieren die politisierten Kontroversen über die Einbeziehung queerer Menschenrechte in den Friedensvertrag, der in der 1. Fassung vom 24.8.2016, nur zeitweilig erfolgreich war und in einem knapp entschiedenen Referendum am 2. Oktober 2016 von Anti-Gender-Agitateuren verhindert wurde – sie propagierten den Schutz traditioneller Familienwerte. In der überarbeiteten und am 24.11.2016 unterzeichneten Endfassung war das Wort Gender gestrichen oder durch andere Formulierungen ersetzt worden; aus der Wortwahl „Gender-Identität und sexuelle Orientierung“ wurde „vulnerable Gruppen“, wobei LGBTI (ohne q*) als diskriminierte Gruppe in einer Aufreihung mit Indigenen, Behinderten und religiösen Minderheiten genannt wurden.

Demgegenüber enthält der Abschlussbericht der Wahrheitskommission als erster weltweit — so Outright International — ein intersektional konzipiertes Kapitel zu Kriegsgewalt gegen LSBTIQ*, dafür hatten sich Forscher*innen und Feminist*innen eingesetzt.

Fazit:

Notwendig sind inklusive Kriegs-/Konfliktanalysen und friedenspolitische Lobbyarbeit durch LSBTIQ* und feministische/solidarische Friedensaktivist*innen. Diese können mit ihren queeren, intersektionalen, dekolonialen und lokal verankerten Ansätzen Gender-Machtstrukturen, die zu Kriegen und militanter Gewalt geführt haben, so analysieren und ändern, dass martialische Männlichkeitsvorstellungen gebrochen, sexualisierte/trans-/homophobe Gewalt benannt/verurteilt/reduziert wird. Dann können gerechte Gesellschaften aufgebaut werden, die tragfähig sind für nachhaltigen Frieden. Das ist wichtig angesichts weltweit einflußreicher und gut vernetzter Anti-Gender Agitatoren/-innen, die auf Autoritarismus, Rassismus, Ungleichheit und Diskriminierung bauen und diese international verbreiten wollen, wobei diese Ziele frauenverachtend und queerfeindlich sind und Konflikte insgesamt schüren.

Queere Friedensakteur*innen (u. deren feministische, anti-militaristischen, inklusiv arbeitende Allianzpartner*innen) zeigen auf, dass misogyne und homo-/transphobe Einstellungen vor Kriegen von Kriegstreibern und deren Handlangern (Medien, fundamentalistischen Religionsvertretern etc.) gezielt geschürt wurden, um staatliche Sicherheitskräfte als Gewaltakteure zu legitimieren, Gesellschaften zu spalten und Hass/Gewaltbereitschaft insgesamt zu mobilisieren. Durch das systematische Offenlegen und Überwinden struktureller Gewaltmuster wird nachhaltiger Friede überhaupt erst möglich.

Aufgaben für Regierende, damit queere Friedensarbeit eine Chance hat:

  • Präventive Maßnahmen gegen die starke Bedrohung von LSBTIQ* auch nach Friedensverträgen wegen hoher martialischer/homo-/transphober kriegerischer Maskulinität. 
  • Strafverfolgung misogyner/homo-/transphober Gewalt, systematische Strafverfolgung von Tätern. Nur so kann verhindert werden, dass diese aus Kriegen in „Friedenszeiten“ ungebrochen übernommen und fortgesetzt wird.
  • Aufbau von Rechtsstaatlichkeit, Umsetzung von Menschenrechten.
  • Nachhaltige Finanzierung der zivilgesellschaftlichen Friedensarbeit, auch der institutionellen Strukturen und gezielten Vernetzungen zwischen LSBTIQ*Organisationen/Grassroot-Gruppen und feministischen Frauen/Friedensorganisationen, da diese oft zwischen lokaler/Provinz/nationaler Ebene verbindend und gesellschaftlich transformierend agieren.
  • Sicherstellung der freien, unzensierten und nicht bedrohten Arbeit zivilgesellschaftlicher Organisationen, einschließlich LSBTIQ*Organisationen, durch die UN und durch Regierungen, Berücksichtigung ihrer Vorschläge auf UN-Ebene und auf nationaler Regierungsebene. (Shrinking spaces für die Zivilgesellschaft verhindern).

Blog-Beitrag von Dr. Rita Schäfer, freiberufliche Afrikawissenschaftlerin.


Literaturliste als PDF

BMJV
HES

Ein Beitrag im Rahmen des Projekts: „Der pinke Faktor. Die Rolle von LSBTIQ* im globalen Streit um Werte, Ressourcen und Vorherrschaft“.

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