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Keine Benachteiligung oder Bevorzugung aufgrund der sexuellen Identität

Ergänzung und NLSVD_manfred_bruns_01eufassung des Diskriminierungsverbots der Niedersächsischen Verfassung

Der Ausschuss für Rechts- und Verfassungsfragen des Niedersächsischen Landtages führt am 04.03.2015 eine ganztägige Anhörung zur Frage der Aufnahme des Merkmals „sexuelle Identität“ in den Katalog der Diskriminierungsverbote in Art. 3 Abs. 3 der Niedersächsischen Verfassung durch. Wir dokumentieren das Konzept für das Statement, das LSVD-Bundesvorstand Manfred Bruns für den LSVD vortragen wird.

 

Sehr geehrter Herr Vorsitzender,
meine Damen und Herren Abgeordnete,

vielen Dank, dass Sie dem Lesben- und Schwulenverband Niedersachsen Gelegenheit geben, zu der geplanten Änderung des Katalogs der Diskriminierungsverbote in Art. 3 Abs. 3 der Niedersächsischen Verfassung Stellung zu nehmen. Wir haben uns dazu schon schriftlich ausführlich geäußert. Darauf möchte ich Bezug nehmen.

Die Diskriminierung von Minderheiten beruht immer auf einem entsprechenden Konsens der Mehrheitsgesellschaft. Gegen diese gesellschaftlichen Ordnungsvorstellungen können auch Gesetze nichts ausrichten. Die Emanzipation von Minderheiten kann nicht von oben her befohlen werden. Sie ist nur durchsetzbar, wenn die gesellschaftlichen Ordnungsvorstellungen in Bewegung geraten. Erst dann lassen sich entsprechende Gesetze durchsetzen.

Diese Gesetze können dann ihrerseits den Prozess der Emanzipation von diskriminierten Minderheiten absichern und beschleunigen. Denn sie verbessern die Möglichkeiten der Minderheit, sich zu wehren, und machen ihnen Mut, gegen diskriminierende Maßnahmen von Behörden und Privatpersonen die Gerichte anzurufen. Zugleich binden sie alle Richter/innen, auch wenn diese als Privatpersonen noch an den gesellschaftlichen Vorurteilen gegenüber den Minderheiten teilhaben.

Für solche positiven Auswirkungen eines Gesetzes auf die Emanzipation der Homosexuellen ist die Liberalisierung des § 175 StGB Ende der sechziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts ein gutes Beispiel. Diese Gesetzesänderung wäre zwar ohne die 68-Bewegung nicht möglich gewesen, die eine entsprechende Änderung des gesellschaftlichen Klimas bewirkt hat. Die Änderung der Strafvorschrift hat dann aber den Emanzipationsbestrebungen der Homosexuellen zusätzlich Gewicht gegeben. Als Folge der Entkriminalisierung konnten Homosexuelle ihre Konflikte und Probleme, die sich allgemein aus ihrem Leben ergeben und die sie vorher aus Angst vor Strafverfolgung nicht geäußert hatten, eher offenlegen und verarbeiten. Das hat der Gesellschaft andere Zugänge zu homosexuellen Menschen eröffnet, die zu einer neuen Sicht auf Homosexualität geführt haben.

Als Folge dieses Prozesses sind Lesben, Schwule, Bisexuelle, Transgender und Intersexuelle heute in Deutschland durch das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz geschützt und die Lebenspartnerschaften von gleichgeschlechtlichen Menschen sind im niedersächsischen Landesrecht mit Ehen gleichgestellt. Außerdem gilt das in der Europäischen Verfassung enthaltene Verbot der Diskriminierung wegen der sexuellen Ausrichtung unmittelbar für das deutsche Arbeits- und Beamtenrecht sowie das Ausländer- und Asylrecht. Deshalb wird gegen die Einfügung des Verbots der Benachteiligung wegen der sexuellen Identität in Art. 3 Abs. 3 der Niedersächsischen Verfassung eingewandt, dass sei reine Symbolpolitik. Die Homosexuellen seien durch die geltenden Gesetze und die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts bereits ausreichend geschützt. Außerdem bedeute die Ablehnung der Verfassungsänderung nicht, dass man sich die Tür offen halten wolle, um die Homosexuellen doch noch benachteiligen zu können.

Letzteres stimmt nicht. Das möchte ich nicht am Beispiel der niedersächsischen Landtagsfraktionen erläutern, sondern am Beispiel der Bundestagsfraktion der CDU/CSU. Sie ist die einzige Bundestagsfraktion, die die Ergänzung des Art. 3 Abs. 3 GG um das Merkmal der sexuellen Identität noch immer ablehnt und zwar mit der geschilderten Begründung. Tatsächlich hat diese Fraktion in der Vergangenheit jegliche Gleichstellung der Lebenspartner mit Ehegatten abgelehnt und jeweils solange verhindert, bis das Bundesverfassungsgericht den Gesetzgeber zu den Gleichstellungen verurteilt hat. Das ist inzwischen sechs Mal geschehen. Trotzdem sind Lebenspartner im Bundesrecht — anders als in Niedersachsen — noch nicht vollständig mit Ehegatten gleichgestellt. Die CDU/CSU pflegt nach wie vor alle Gesetzentwürfe abzulehnen, in denen das Wort „Lebenspartner“ vorkommt.

Aber bei der geplanten Änderung der Niedersächsischen Landesverfassung geht es nicht um diese aktuelle Rechtspolitik, sondern um die Grundsatzfrage, ob Niedersachsen damit in angemessener Weise auf den gesellschaftlichen Wandel reagiert, der in den letzten Jahrzehnten in Deutschland stattgefunden hat.

Die Bundesrepublik hat sich zunächst nicht als pluralistische Demokratie verstanden, sondern als Staat, der sich den Wertvorstellungen der beiden großen Kirchen verpflichtet fühlte. Es galt das sogenannte Böckenförde-Diktum des früheren Bundesverfassungsrichters Böckenförde, dass der freiheitliche, säkularisierte Staat von Voraussetzungen lebt, die er selbst nicht garantieren kann. Demgemäß hat sich das Bundesverfassungsgericht 1957 in dem Urteil, durch das es die Strafverfolgung homosexueller Männer gebilligt hat, zur Begründung seiner Entscheidung darauf berufen, dass „die öffentlichen Religionsgesellschaften, insbesondere die beiden großen christlichen Konfessionen, aus deren Lehren große Teile des Volkes die Maßstäbe für ihr sittliches Verhalten entnehmen, die gleichgeschlechtliche Unzucht als unsittlich verurteilen“.

Eine solche Begründung ist heute nicht mehr möglich. Inzwischen ist der Teil der Bevölkerung, der keiner Kirche angehört, größer als der jeweilige Anteil der Katholiken und Protestanten an der Bevölkerung. Außerdem haben sich inzwischen weitere Religionsgemeinschaften in Deutschland etabliert, die teilweise eine Sexual‑, Ehe- und Familienethik vertreten und durchzusetzen versuchen, die erheblich vom staatlichen Recht abweicht.

Ich denke, wir sind uns alle einig, dass ein deutsches Gericht die Scheidungsklage einer muslimischen Frau, die von ihrem Mann verprügelt worden ist, nicht mit der Begründung ablehnen darf, der Koran erlaube es den Männern, ihre Frauen zu züchtigen. Wir sind uns sicher auch einig, dass kein Strafgericht einem in Deutschland lebenden muslimischen Mann, der einen Ehrenmord begangen hat, freisprechen oder zumindest eine Strafmilderung mit der Begründung zubilligen darf, der Mann habe sich aufgrund seines Herkommens und seiner Religion verpflichtet gefühlt, die Ehre seiner Familie auf diese Weise wiederherzustellen.

Diese Überzeugung beruht auf unserem Grundgesetz, dass von den verschiedenen Bevölkerungsgruppen, Religionen und Menschen unterschiedlicher Herkunft, die bei uns leben, als Grundordnung unserer pluralistischen Gesellschaft respektiert werden muss, damit das Zusammenleben gelingt. Eine andere Ordnung, auf die sich alle verständigen könnten, gibt es nicht.

Man betont zwar in der Auseinandersetzung mit nicht-christlichen Bevölkerungsteilen gerne, dass wir ein Land sind, das von der christlich-abendländischen Tradition geprägt ist. Aber damit ist sicher nicht die christlich-abendländische Tradition der Juden- und Homosexuellenverfolgung gemeint. Was mit „christlich-abendländisch“ gemeint ist, kann man in unserem Grundgesetz nachlesen. Es garantiert im Geiste der Aufklärung nicht nur die Freiheit der Kirchen und Religionsgesellschaften, sondern auch das Menschrecht der Minderheiten auf gleichberechtigte Teilhabe am staatlichen Leben und auf gleiche Bürgerrechte.

Wir meinen, dass gerade in unserer heutigen pluralistischen Gesellschaft die Festlegung im Grundgesetz und in den Landesverfassungen besonders wichtig ist, dass Minderheiten die gleichen Rechte haben und von der Mehrheitsgesellschaft nicht diskriminiert und benachteiligt werden dürfen. Denn bedroht und gefährdet ist nicht die Mehrheitsgesellschaft, bedroht und gefährdet sind die Minderheiten, darunter auch die Lesben, Schwule, Bisexuellen, Transgender und Intersexuellen.

Das versuchen Ewig-Gestrige gerade jetzt wieder auf den Kopf zu stellen. Ihnen passt es nicht, dass die Homosexuellen als gleichberechtigte Bürger/innen anerkannt und behandelt werden. Sie behaupten, die Homosexuellen hätten inzwischen ihren Einfluss in unserer Gesellschaft so ausgebaut, dass die Verfechter der guten alten Werte Verfolgung und Diskriminierung befürchten müssten. Die Homosexuellen dürften nicht nur Toleranz fordern, sie müssten auch selbst Toleranz üben.

Mit dieser Begründung hat jetzt der US-Staat Arkansas ein Gesetz verabschiedet, das Städten und Bezirken die Einführung von Antidiskriminierungsrichtlinien aufgrund der sexuellen Orientierung und der Geschlechtsidentität untersagt. Anlass für dieses Gesetz waren Urteile gegen eine strenggläubige Floristin und eine christliche Bäckerei, die Schwule wegen ihrer sexuellen Orientierung nicht hatten bedienen wollen. Zur Begründung des Gesetzes wurde deshalb gesagt, der Schutz von Homosexuellen verstoße gegen die Religionsfreiheit.

Damit wird der Minderheitenschutz auf den Kopf gestellt. Nicht die Homosexuellen, Bisexuellen, Transgender und Intersexuelle müssen tolerieren, dass die Mehrheit und die Religionsgesellschaften sie ablehnen und sie wieder an den Rand der Gesellschaft zurückdrängen wollen, sondern die Mehrheit und die Religionsgesellschaften müssen tolerieren, dass Menschen, die anders sind als sie, gleiche Bürgerrechte haben und z.B. genauso wie alle anderen Bürger/innen in Geschäften einkaufen dürfen, die die Allgemeinheit als Kund/innen ansprechen. Christliche oder muslimische Geschäftsleute, die das nicht wollen, müssen sich ausdrücklich auf Katholik/innen oder Muslim/innen als Kund/innen beschränken.

Die Gruppen, die den Minderheitenschutz so verdrehen, sind ein Sammelbecken für all diejenigen, die unterschiedliche Lebensentwürfe nicht ertragen. Sie nehmen Vielfalt nur als Angriff auf alte Werte, aber nie als Bereicherung wahr. Sie erheben verbissen und wütend das eigene Weltbild zum Maßstab und ziehen im Namen von Ehe und Familie, Religion und Abendland gegen all jene zu Felde ziehen, die den eigenen rassistischen und homophoben Vorstellungen widersprechen.

Diese neue Bewegung ist eine ernste Gefahr für unsere offene Gesellschaft. Die Homosexuellen, Bisexuellen, Transgender und Intersexuellen sind über die Zustimmung, die sie auch aus der allgemeinen Bürgerschaft erfährt, tief beunruhigt.

Wir meinen deshalb, es wäre ein wichtiges Zeichen, wenn der Niedersächsische Landtag den Schutz der sexuellen Identität in Art. 3 Abs. 3 der Niedersächsischen Verfassung aufnehmen würde. Eine Ablehnung würde dagegen von den Gegner/innen unserer offenen Gesellschaft als „Sieg“ und Ermunterung gewertet werden.

Zum Schluss noch ein kurzes Wort zu dem weiteren Vorschlag, das Wort „Rasse“ in Art. 3 Abs. 3 der niedersächsischen Verfassung ersatzlos zu streichen oder durch das Wort „rassistisch“ zu ersetzen.

Das ist kein Thema, mit dem sich der LSVD als Verband auseinandersetzt. Ich möchte aber als Jurist dazu auf Folgendes hinweisen:

Die Verwendung des Wortes „Rasse“ in den allgemein üblichen Katalogen von Diskriminierungsverboten knüpft an den Sprachgebrauch der Nationalsozialist/innen an. Da es keine menschlichen Rassen gibt, erscheint mir die Ersetzung dieses Begriffes durch das Wort „rassistisch“ vernünftig. Dagegen würde die ersatzlose Streichung des Wortes „Rasse“ zu einer Schutzlücke führen. Wenn z.B. Antisemit/innen einem in Deutschland geborenen Juden katholischer Konfession den Besuch von Gastwirtschaften verbieten, fiele das nicht mehr unter Art. 3 Abs. 3 der Niedersächsischen Verfassung, wenn dort das Wort „Rasse” ersatzlos gestrichen würde.

Es gilt das gesprochene Wort.

 

Hintergrund

Pressemeldung von LSVD Niedersachsen-Bremen

Gesetzesentwurf der Fraktionen SPD und Bündnis 90 / Die Grünen

Gesetzesentwurf der FDP Fraktion



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