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Democracy for All: Politische Teilhabe von LGBTI in der Region westlicher Balkan

Vorkonferenz als Auftaktveranstaltung

Klaus Jetz (Hirschfeld-Eddy-Stifung) - Foto: Hirschfeld-Eddy-StiftungRund 80 LGBT-Aktivist_innen und Parlamentarier_innen aus Serbien, Montenegro, Bosnien-Herzegowina, Mazedonien, Albnien, Kosovo, Kroatien sowie Westeuropa und der Türkei kamen heute zu einer Vorkonferenz im serbischen Parlament zusammen. Dies war der Auftakt einer dreitägigen Konferenz, die die Hirschfeld-Eddy-Stiftung zusammen mit Labris und dem Gay and Lesbian Victory Institute sowie mit Unterstützung des Auswärtigen Amtes durchführen.

Ljiljna Malusic, Mitglied im Ausschuss für Gleichberechtigung im serbischen Parlament, hob den Wandel und Fortschritt hervor, der für LGBTI in der Region mit Unterstützung einiger Regierungen erzielt werden konnte. So finden Sensibilisierungsmaßnahmen in staatlichen Behörden, Polizeipräsidien und anderen Institutionen statt, LGBTI-Fragen finden Eingang in Aktionspläne, und der serbische Staat sei bemüht, auch homophobe und transphobe Gewalt zurückzudrängen.

Jovan Kojcic, Berater des montenegrinischen Präsidenten für LGBTI-Fragen, lobte das Konzept der Konferenz, die die Zusammenarbeit von NGOs, Politik und Regierungen in den Mittelpunkt stelle. Die montenegrinische Regierung werde eine ähnliche Veranstaltung auf nationaler Ebene durchführen. Besonders hob er die Schulbildung hervor, um langfristig Vorurteile und Stereotypen zu bekämpfen. Allgemein könne auf dem westlichen Balkan bei LGBTI-Themen ein Übergang von Tabuisierung hin zu einer offenen Debatte festgestellt werden. Auch habe Montenegro den Gesetzgebungsprozess für die Einführung einer eingetragenen Partnerschaft für gleichgeschlechtliche Paare eingeleitet.

Jerry Buttimer, offen schwuler Abgeordneter der konservativen irischen Regierungspartei stellte in seinem Statement das Thema Sichtbarkeit von LGBTI in den Mittelpunkt. Der Arbeit von LGBTI-Organisationen als Impulsgeber und den Biografien von Prominenten komme eine zentrale Bedeutung im Kampf gegen Minderheitenfeindlichkeit zu. „Wir müssen unsere Geschichten erzählen. Ich bin mir meiner Rolle als schwuler Abgeordneter und meiner Stimme für die LGBTI-Community in Irland bewusst. Es ist mir eine Ehre und Pflicht, auch ins Ausland zu gehen und von meinen Erfahrungen zu berichten.“

Der irische Premierminister Kenny habe ähnlich wie Cameron oder Obama schnell erkannt, dass es bei dem Thema Ehe für gleichgeschlechtliche Paare um die Gleichheit aller Menschen gehe. Dazu brauche es Führungsstärke, Mut und Visionen. Buttimer sagte, er könne anderen Regierungschefs in Europa nur raten, es den anglophonen Kollegen gleichzutun. Irland habe einen langen und richtigen Weg zurückgelegt von der Entkriminalisierung homosexueller Handlungen in 1993, über die Einführung einer eingetragenen Partnerschaft in 2010 bis zum gemeinsamen Adoptionsrecht für homosexuelle Paare, der Einführung eines zeitgemäßen Transsexuellenrechtes und dem Referendum über die Eheöffnung in diesem Jahr. Es gebe weitere Baustellen: Als Lehrer in einer katholischen Schule wisse er, dass er jederzeit entlassen werden kann. Die Regierung habe angekündigt, bis zum Jahresende dies per Gesetz ändern zu wollen.

Das Land habe den langsamen Wandel (incremental change) gewählt und dabei immer die Bevölkerung mitgenommen. Homophobe und transphobe Massenproteste konnten in Irland vermieden werden.

Der ehemalige FDP-Abgeordnete Michael Kauch gab zu Bedenken, dass Sichtbarkeit zwar wichtig und gut ist. Als offen homosexueller Abgeordneter, der zudem Vater wird, habe man sich aber auch zu wappnen gegen Anfeindungen aus der Gesellschaft. Zudem bemängelte er, dass es in Europa zwar viele Netzwerke gebe. Allerdings fehle es an einem LGBTI-Netzwerk in der Politik. Allianzenbildung und straight allies seien zwar sehr wichtig, doch habe er auch die Erfahrung gemacht, dass man eigene Dinge auch in die eigene Hand nehmen müsse. Zudem hob er die Bedeutung der Vielfalt und des diversity management auch für die Gesellschaft hervor, die sich fragen müsse, wie alle Talente zum Wohl der Gesellschaft eingebunden werden könnten.

Robert Benjamin vom National Democratic Institute stellte erste Ergebnisse einer Meinungsumfrage zu LGBTI vor, die im Juni 2015 in der Region westlicher Balkan durchgeführt wurde. Befragt wurden mehrere Tausend Bürger_innen, darunter auch per online-Befragung mehrere Hundert LGBTI. Gezielt wurde die Bevölkerung zu verschiedenen Themen befragt, um deren Einstellungen zu LGBTI in Erfahrung zu bringen. Die Ergebnisse formulieren eine Roadmap für die kommenden Jahre, zeigen auf, welche Probleme Parlamente, Politik und NGOs gemeinsam angehen müssen. So erfahren LGBTI Diskriminierung in erster Linie im Beruf, durch die Polizei und beim Militär. Fast die Hälfte der Befragten sprach sich dafür aus, ein homosexuelles Kind „heilen“ zu wollen, 30 Prozent würden den Kontakt zu einem schwulen Freund abbrechen. Nur ein Viertel der befragten LGBTI erfahren Unterstützung durch die Familie, was wiederum ein Coming out fast unmöglich mache.

Nur ein Zehntel der Bevölkerung kenne LGBTI persönlich, diese seien also in der Region nicht sehr sichtbar. Andererseits aber baue der persönliche Kontakt zu LGBTI Vorurteile und Stereotypen ab. In Serbien habe eine Vergleichsstudie aus 2014 gezeigt, dass binnen eines Jahres sich die Zahl derer, die Kontakt zu LGBTI haben, auf rund eine Million verdoppelt hat, was eine relevante Reduzierung feindlicher Einstellungen zur Folge hatte. Je mehr Serbinnen und Serben LGBTI kennen, desto weniger homophob oder transphob ist die serbische Gesellschaft, Kontakte reduzieren also Konflikte.

Ein weiteres Ergebnis: Setzt sich eine Regierungspartei für LGBTI-Belange ein, so hat das keinen Stimmenverlust bei kommenden Wahlen zur Folge. Das Thema habe in dem Sinne für die Wähler_innen keine Priorität. Fragen der Bekämpfung von Korruption oder Armut komme bei Wahlen wirkliche Bedeutung.

Die heutige Vorkonferenz diente auch dazu, Parlamentarier_innen Gelegenheit zu geben, mit LGBTI aus ihren jeweiligen Ländern ins Gespräch zu kommen über Möglichkeiten, die gesellschaftliche, politische und rechtliche Situation von LGBTI zu verbessern. NGOs formulierten Forderungen an ihre Politiker_innen. Gemeinsam überlegten sie auch, wie das Engagement von LGBTI in politischen Parteien homophobe und transphobe Einstellungen in positiver Weise verändern kann.

Klaus Jetz, Hirschfeld-Eddy-Stiftung



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