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Hirschfeld-Eddy-Stiftung

Wir können die Welt nicht neu erschaffen, aber verändern.“

Panel mit Politiker*innen aus der RegionERA-Konferenz in Pristina – Politik und Community beraten über Fortschritte bei den Menschenrechten für LSBTI

Das politische Interesse an der Tagung in Pristina war groß: Hochrangige Politiker*innen der Westlichen Balkanregion nahmen an der Eröffnungssitzung im polizeigeschützten Hotel Sirius Pristina teil. Sie alle berichteten den mehr als 170 Aktivist*innen von der fleißigen Arbeit an Gesetzen und Berichten zur Arbeit gegen Diskriminierung und für Gleichberechtigung.

Kosovos Justizministerin Hoxha auf dem Podium

Im Kosovo habe sich der Staatspräsident sogar an die Spitze der Demonstration zum Internationalen Tag gegen Homo- und Transphobie gesetzt, berichtete die kosovarische Justizministerin Dhurata Hoxha als höchstrangige Regierungsvertreterin auf der Konferenz. Einzig Sedef Cakmak, offen lesbisches Mitglied des Kommunalparlaments im Istanbuler Stadtteil Besikstas, konnte keine positiven Initiativen der türkischen Politik melden. Ihre Beschreibung der Situation insbesondere von Trans- und Interpersonen am Bosporus war deprimierend. Das Verbot der Pride Parade im Sommer sei ein Signal für den Rückfall in längst überwunden geglaubte Zeiten gewesen.

Auf die besorgniserregende Menschenrechtssituation in der Türkei hatten zuvor schon Alan Jones von der EU-Kommission und der deutsche Bundestagsabgeordnete Karl-Heinz Brunner in ihren Impulsreferaten hingewiesen. Der deutsche Sozialdemokrat konnte sich gerade bei einem Besuch bei der deutschen Luftwaffe in Incirlik ein Bild der politischen Situation nach dem gescheiterten Putsch machen. Er forderte alle Anwesenden auf über ethnische, religiöse und weltanschauliche Grenzen hinweg für Solidarität mit LSBTI zu werben und dabei auch diejenigen nicht zu vergessen, die unter Mehrfachdiskriminierung zu leiden hätten, weil sie zum Beispiel Frau und lesbisch oder schwul und Roma seien. Brunner teilte mit Alan Jones auch die Überzeugung, dass bei Hassgewalt und Diskriminierung besonders politische Führung gefragt sei. Die Community müsse die Politiker*innen beim Wort und in die Pflicht nehmen.

Dhurata Hoxha verwies auf dem Podium zur besseren Zusammenarbeit zwischen Politik und Community darauf, dass die Verfassung des Kosovo die Diskriminierung von LSBTI ausdrücklich verbiete. Ihre Regierung bekenne sich ausdrücklich zu den Rechten von Menschen unterschiedlicher sexueller Identität und geschlechtlicher Orientierung (SOGI).

Montenegro, Albanien, Makedonien — Papier ist geduldig

Der montenegrinische Regierungsberater Goran Kojicic sieht es als eine Herausforderung an, die Vertrauenslücke zwischen Community und Regierungen zu schließen. Solange Kriegsverbrecher in seinem Land höheres soziales Ansehen genießen als Schwule und Lesben, sei es noch ein langer Weg zum gesellschaftlichen Wandel. Es genüge nicht auf vorhandene Gesetze zu verweisen. Sie müssten auch ernsthaft umgesetzt und die Strafverfolgung vorangebracht werden. Zum Erfolg könne aber nur die Kooperation mit der Zivilgesellschaft führen.

Die albanische Bildungsstaatssekretärin Nora Malaj würdigte die Leistungen der Community. Sie leiste im Einsatz für Diversität und der Betreuung von Gewaltopfern aber auch im Bereich der Prävention von HIV/AIDS wertvolle Dienste, die der Staat weder finanziell noch personell leisten könne. Für den Bildungsbereich sieht sie wichtige Trainings- und Sensibilisierungsmaßnahmen gefragt, die auch von der überregionalen und internationalen Zusammenarbeit profitieren können.

Die grüne Parlamentsabgeordnete aus Makedonien Lijljana Popovska brachte die Kritik an der Politik auf den Punkt: Im Annäherungsprozess an die EU mache sich der politische Einsatz für LSBTI gut. Die parlamentarische Schweigen zu Diversität und das Ausbleiben glaubwürdiger Aktivitäten zum Schutz von LSBTI spiegele die gesellschaftliche Ablehnung oder bestenfalls Gleichgültigkeit wieder.

Dieses Bild zeichnete auch das Podiumsgespräch von sechs Vertreter*innen der ERA-Mitgliedsorganisationen. Die Lücke zwischen kodifiziertem gelebtem Recht ist eklatant. Das betonte auch Rajmonda Sylbije vom Center for Equality and Liberty im Kosovo. Die Ausgrenzung von Minderheiten durch die Gesellschaft schwinde zu langsam. Die Selbstorganisation von LSBTI verbessere sich aber zusehends.

Danijel Kalezic, Queer Montenegro, bescheinigte der LSBTI-Community seines Landes eine noch zu gering ausgeprägte Bereitschaft zur Zusammenarbeit, die für die Überwindung der ethnischen, sozialen und religiösen Spaltung in der Region unabdingbar sei. Die Belange von Lesben und Transgender brauchten aber noch mehr Aufmerksamkeit. Die Beratung und Betreuung zu sexuell übertragbaren Krankheiten könne von der Community allein nicht erbracht werden. Sie fordere auch mehr staatliches Engagement. Dazu müssten die Regierungen der Regierung auch unter Vermittlung der Union stärker mit der Community ins Gespräch werden.

Harken Özkan warnte vor dem Vormarsch autoritärer Kräfte, denen die organisierte Öffentlichkeit klar entgegentreten müsse. Xjeni Karaj, Aleanca LGBT Albanien, forderte die Aktiven der LSBTI-Bewegung auf, mit ihren politischen Ansprechpartner*innen zu sprechen, aber nicht zu kuscheln: „Wir müssen der Alptraum unserer Gegner sein, bis die Trennung in heteronormative Mehrheits- und der LSBTI-Minderheitsgesellschaft aufgehoben ist.“ Es müsse gelingen, geltendes Recht für das Alltagsleben zu übersetzen, um ihren Worten Wert und Wirkung zu verschaffen. Papier ist geduldig. Das ist die gemeinsame Erfahrung. Die Community auf dem Balkan bleibt aber ungeduldig.

Ihre Leidenschaft und Ihr Engagement sind Inspiration für einen Bürokraten aus Brüssel.“

Die internationalen Geldgeber für die Regierungen und NGO müssten fördern, was die Lebenssituation von LSBTI wirklich verbessert, statt sich mit Fortschrittsberichten auf dem richtigen Weg zu wähnen. Es sei viel Geld in die Förderung der Rechtsstaatlichkeit geflossen, freute sich Dragoslava Barzut aus Serbien. Jetzt müsse weiter und stärker daran gearbeitet werden, dass die Gesetze gelebt und verstanden werden. Die Menschenrechtsaktivistin Marija Savic aus Bosnien-Herzegowina forderte die Community auf, die Stützpfeiler homo- und transphober Kräfte ins Visier zu nehmen: die Erziehung und die Ökonomie. Statt konservative Strukturen zu füttern, sollten internationale Geber Menschenrechtsaktivist*innen trainieren und ermuntern, ihren Forderungen Aufmerksamkeit zu verschaffen, damit sie zu ihrem Recht kommen.

Die Konferenz trägt sicher dazu bei. Das zeigten auch die zahlreichen Workshops im Begleitprogramm der Tagung. Die Aktivist*innen zeigten sich trotz dieser ernüchternden Einblicke in den Alltag von LSBTI-Aktivisten angriffslustig und optimistisch. Sie teilten offenbar die Einschätzung aus der Rede Karl-Heinz Brunner: „Wir können die Welt nicht neu erschaffen, aber verändern.“

Die Begeisterung der Aktivist*innen für ihren selbstgestellten Auftrag wirkte auf jeden Fall ansteckend. Alan Jones ließ sich anstecken: „Ihre Leidenschaft und Ihr Engagement sind Inspiration für einen Bürokraten aus Brüssel.“

Wer Brüsseler Bürokrat*innen begeistern kann, sollte auch Politiker*innenr am Westlichen Balkan und irgendwann auch wieder in der Türkei bewegen können. Den Menschen und ihren Rechten ist das zu wünschen.

Helmut Metzner
Stiftungsrat der Hirschfeld-Eddy-Stiftung

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