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Hirschfeld-Eddy-Stiftung

Zwischen bitteren Pillen und großen Hoffnungen

Bärbel Kofler, Menschenrechtsbeauftragte der BundesregierungEU-Integrationsprozess als Chance für sozialen Wandel nutzen!

Im Mittelpunkt des zweiten Konferenztages stand das Thema Chancen des EU-Integrationsprozesses für die Länder des Westlichen Balkans und die Türkei. Zunächst aber hielt Dr. Bärbel Kofler, die Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung, eine engagierte Rede zum Thema LSBTI und Menschenrechte. Am 21. September ist Deutschland der informellen United Nations LGBT Core Group beigetreten. Bei einem Treffen der Staatengruppe in der Generalversammlung trat auch der Aktivist Caleb Orozco aus Belize auf und schilderte, wie es ihm in jahrelanger Arbeit gelungen ist, das oberste Gericht des Landes davon zu überzeugen, dass das homophobe Strafrecht des mittelamerikanischen Landes mit dessen Verfassung unvereinbar ist. Dr. Kofler nannte Orozcos Fall ein gutes Beispiel dafür, was auf der rechtlichen und dann auf der gesellschaftlichen Ebene für LSBTI getan werden kann. Sie beglückwünschte ERA zu den jährlich stattfindenden Konferenzen, sagte die Unterstützung des Auswärtigen Amtes für die kommenden Jahre zu und verwies auf die von der Hirschfeld-Eddy-Stiftung für das kommende Jahr geplante Besuchsreise von AktivistInnen aus der Region nach Berlin. 

Hilmi Jashari, Ombudsmann des Kosovo, wies auf den Fortschritt hin, den das Land im Bereich Nichtdiskriminierungsgesetzgebung gemacht hat. Er habe dem Parlament empfohlen, den Menschenrechtsbericht des Ombudsmannes nicht nur formal  entgegenzunehmen, sondern auch im Plenum ausführlich zu diskutieren, um sicherzustellen, dass er die Aufmerksamkeit erfährt, die er verdient. Auch Igli Totozani, albanischer Ombudsmann für Menschenrechte, wies auf die Fortschritte der letzten fünf Jahre hin und sprach sich für die Ehe für alle aus. Die öffentliche Debatte über die Gleichberechtigung von LSBTI sei unerlässlich und die beste Methode zur Aufklärung der Bevölkerung. Fortschritt und Wandel erziele man am ehesten durch mutiges Auftreten und öffentliche Statements engagierter Menschen.

Von Gesetzestexten und Alltag

DiskussionspanelDas von Helmut Metzner, LSVD-Bundesvorstand und Stiftungsrat der Hirschfeld-Eddy-Stiftung, moderierte Panel zum Thema Nutzung des EU-Integrationsprozesses für weiteren rechtlichen und gesellschaftlichen Fortschritt für LSBTI thematisierte den Widerspruch zwischen den Gesetzestexten und der Wirklichkeit.

Thomas Gnocchi, Leiter der politischen Abteilung des EU-Büros in Kosovo, wies auf die Werkzeuge hin, die ihm zur Verfügung stehen, um die Belange von LSBTI voranzubringen. Die Vereinbarung mit der Regierung des Kosovo zwecks Stabilisierung des Landes und Verhandlungen über Visaerleichterungen schließen immer auch das Thema Menschenrechte und mithin LSBTI-Rechte mit ein. Länderberichte zu Fortschritt und Entwicklung beinhalten LSBTI-Kapitel. Zur finanziellen Unterstützung von Menschenrechts- und LSBTI-Organisationen standen im vergangenen Jahr insgesamt drei Millionen Euro zur Verfügung, auch ERA und lokale Mitgliedsorganisationen werden unterstützt. Es gelte die Einstellungen der Bevölkerung zu verändern. In Serbien habe man ihn gefragt, wie viele Pride-Veranstaltungen denn noch stattfinden müssten, bevor das Land der EU beitreten könne. Natürlich gehe es nicht allein darum, die Frage zeige, dass in der Region noch große Anstrengungen unternommen werden müssen. Die Gesetzgebung ist eine eher einfache Sache, die Gesetze auch umzusetzen und anzuwenden sei weitaus schwieriger. Zudem sei klar, dass bei den hochpolitischen Gesprächen mit der Regierung des Kosovo klare Prioritäten gesetzt würden. Doch LSBTI-Themen könnten immer auch bei Fragen der Schulerziehung, Gesundheit, Arbeitslosigkeit oder Rechtsentwicklung mitlaufen und in den verschiedenen Ministerien auch angesprochen werden.

Volker Beck bietet seine Unterstützung im Bundestag an und weist zugleich auf die Notwendigkeit hin, für Parlamentarier brauchbare Berichte zu erstellen, die auf den Widerspruch zwischen Gesetz und Wirklichkeit hinweisen. Es brauche konkrete Daten über homophobe und transphobe Übergriffe, die nicht zur Anzeige gebracht werden und welche die Gründe dafür sind. Zudem brauche es konkrete Empfehlungen, etwa zur Schulaufklärung oder Polizeitrainings. Diese müssten dem EU-Parlament, Abgeordneten in den nationalen Parlamenten und entsprechenden Ausschüssen zur Verfügung gestellt werden, um sie in der politischen Arbeit zu nutzen. Dies müsse jetzt geschehen, denn ist ein Land Mitglied der EU, dann stehen weitaus weniger Druckmittel zur Verfügung. Zudem empfiehlt er die Bildung von Allianzen. Denn auch andere soziale Gruppen wie Roma oder Behinderte brauchen Schutz vor Diskriminierung. Je breiter die Zivilgesellschaft sich aufstelle, umso größer seien die Erfolgsaussichten. Deutschland selbst arbeite noch an einem nationalen Aktionsplan gegen Homophobie und Transphobie, sei also vielleicht nicht der beste Ratgeber für die Region. Denn es sei noch nicht klar, was dabei rauskomme, ein umfassendes und nachhaltiges Programm zur Bekämpfung von Gewalt und minderheitenfeindlichen Einstellungen oder nur schöne Worte.

Erschreckende Einstellungen, die sich nur langsam ändern

Koen Slootmaeckers von der Queen Mary University in London weist auf die haarsträubenden Ergebnisse von Befragungen zu homosexuellen- und transfeindlichen Einstellungen in der Region hin. Es müsse mehr geschehen, um die Herzen und Hirne der Menschen zu erreichen, mehr als nur Gesetzgebung oder Polizeitrainings. Es brauche umfassende Aktionspläne zur Bekämpfung von Homophobie und Transphobie. Zudem müsse es mehr Kooperation zwischen Wissenschaft und LSBTI-Bewegung sowie mehr Studien zu Minderheitenfeindlichkeit in der Region geben. Vorbild könne etwa die 2012 von der EU-Grundrechteagentur beauftragte online-Befragung in den EU-Mitgliedstaaten und Kroatien sein.

Große Hoffnungen oder bittere Pille?

PublikumsdiskussionERA-Generalsekretärin Dragana Todorovic betont, dass in der Region der Großteil der Menschen und Aktivist*innen noch immer große Hoffnungen mit einer EU-Mitgliedschaft verbinden. Man sehe die Fortschritte, die in Slowenien, Kroatien oder Rumänien gemacht wurden. Der Aufnahmeprozess biete einmalige Gelegenheiten für rechtlichen und gesellschaftlichen Wandel, wie er nur einmal in einer Generation vorkomme. Die Regierungen öffneten sich immer mehr für LSBTI-Belange, LSBTI-Aktivist*innen gewinnen an Bedeutung und werden für sie zu politischen Dialogpartner*innen. Diesen Einfluss gelte es für die LSBTI-Community zu nutzen. Andererseits werde die LSBTI- und Menschenrechtsagenda wahrgenommen als etwas, das von außen komme, eine bittere Medizin, die geschluckt werden müsse, und das so schnell wie möglich. Hier sind die Regierungen gefragt, sie müssen klarstellen, dass dieser Prozess zum Wohl des Landes stattfindet und großen Nutzen bringt. Denn davon hänge es sehr ab, ob es einen Rückschlag in der Gesellschaft gebe oder eben nicht.

ERA werde in den kommenden Jahren Berichte zu Situation von LSBTI in den Staaten der Mitgliedsorganisationen vorlegen und die Einstellungen in der Bevölkerung, Gewalt und Sichtbarkeit von LSBTI thematisieren. Dazu braucht es Indikatoren, um den Widerspruch zwischen Gesetzen und Wirklichkeit zu messen. Der EU-Integrationsprozess wird ERAs wichtigstes Aufgabengebiet in den kommenden Jahren sein. Sie bittet darum, dass der Deutsche Bundestag ERAs Empfehlungen in bilateralen Dialogen anspreche und die Länderberichte nutze. Der internationale Druck sei wichtig trotz der Gefahr eines Rückschlages. Doch Deutschlands Rolle in der Region sei wichtig, die Stimme werde gehört. Unterstützung sei weiterhin wichtig, auch seitens der EU. Es brauche aber einen Evaluierungsprozess. Denn die Regierungen erhielten viel Geld für Vorhaben, die die Bevölkerung betreffen. Doch eine Einbindung und Befragung der Zivilgesellschaft finde meist nicht statt. Das leiste der Korruption Vorschub und bringe die Gefahr mit sich, dass große Summen in den Sand gesetzt werden.

Klaus Jetz
Hirschfeld-Eddy-Stiftung

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