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Hirschfeld-Eddy-Stiftung Projekte

Wie Kultur die Kultur verändert

Ein Bericht über das erste Queer Film Festival in Tunesien

In einem Land, in dem Homosexualität noch mit Gefängnisstrafen von bis zu drei Jahren bestraft wird und zu einem Zeitpunkt, in der Menschen wegen ihrer schwierigen wirtschaftlichen Situation und neu beschlossenen finanziellen Belastungen im ganzen Land auf die Straße gehen, ein queeres Film Festival zu veranstalten, ist schon sehr mutig. Die Leute von Mawjoudin sind mutig!

Mawjoudin – We Exist (wir existieren) ist eine tunesische LSBTI-Organisation, die sich Anfang 2015 gegründet hat, um für die Rechte von queeren Menschen in Tunesien zu kämpfen. Seit geraumer Zeit findet in den geschützten Räumlichkeiten von Mawjoudin regelmäßig „cinExist“ statt, eine Veranstaltung, bei der Filme mit queeren Themen aus aller Welt gezeigt werden. So entstand auch die Idee für das erste Mawjoudin Queer Film Festival. Mit Kunst und Kultur für Akzeptanz und gesellschaftliche Veränderungen einzutreten ist das Ziel und die Idee hinter dem Festival.

Das Konzept und ein Plan für die Finanzierung wurden im Sommer 2017 innerhalb weniger Wochen mit unserer Hirschfeld-Eddy-Stiftung entwickelt. Das Auswärtige Amt sagte seine finanzielle Unterstützung zu, und so konnte es Ende September losgehen: Innerhalb von knapp vier Monaten wurde das Festival organisiert. Mit großem ehrenamtlichen Einsatz wurde ein tolles Programm zusammengestellt.

Und am 15. Januar 2018 war es soweit: Das erste Queer Film Festival in Tunesien und in der ganzen Maghreb-Region begann. Vier Tage queere Kultur.

Mehr als 250 Besucher*innen strömten zur Eröffnungsveranstaltung ins Institut Français in Tunis. Nicht alle fanden Platz. Die Freude und Aufregung waren den Gesichtern abzulesen. „Wir dürsten nach Veranstaltungen wie diesen, wo wir frei und ungezwungen zusammen sein können“, sagt mir ein Teilnehmer. Es gibt nur wenige Gelegenheiten, bei denen sich solch eine Möglichkeit bietet. Queere Schutzräume sind kaum vorhanden, und selbst im Privaten wacht häufig die Familie. In der tunesischen Gesellschaft ist Homophobie weit verbreitet. Nicht wenige werden nach einem freiwilligen oder unfreiwilligen Coming-out verstoßen oder sind erheblichen Repressalien ausgesetzt.

Darum geht es auch in dem beim Carthage Film Festival 2017 ausgezeichnete Dokumentarfilm „Upon the Shadow“ von Nada Mezni Hafaiedh , der, nach verschiedenen Grußworten, bei der Eröffnungsfeier gezeigt wurde. Der Film illustriert das Leben von Amina Sboui, die in ihrem Haus im pittoresken Sidi Bou Said ihren von Familie und Gesellschaft verstoßenen schwulen und transgeschlechtlichen Freund*innen Schutz bietet. Der Film hält nicht nur der tunesischen Gesellschaft in beeindruckender und erschütternder Weise den Spiegel vor. Dass dieser Film für das in der Region angesehene Karthago Film Festival überhaupt nominiert und dann sogar noch ausgezeichnet wurde, war ein großer Erfolg für die tunesische Community und dokumentiert den langsamen aber positiven Veränderungsprozess im Land.

Wir sind hier, wir existieren. Wir brauchen die Kultur, und wir benötigen Solidarität“, sagt Ali Bousselmi von Mawjoudin. Das Mawjoudin Queer Film Festival ist ein wichtiger Beitrag. An den vier Tagen des Festivals wurden insgesamt zwölf kurze und mittellange Filme aus dem Mittleren Osten und Nordafrika gezeigt. Es ging darum, genderbasierte Diskriminierung und Unterdrückung in der Region zu thematisieren und zu diskutieren, aber auch, neue Ansichten zu entdecken und zur Reflektion zu animieren und damit das eigene Selbstbewusstsein zu stärken.

Am Rande der Filmvorführungen wurde in zwei öffentlichen Veranstaltungen über die Zusammenhänge von Queersein und Kunst („Queer as Art“) und über die Bedeutung der queeren Community für den Widerstand („Queer and Resistance“) gesprochen.

Insgesamt kamen zum ersten Mawjoudin Queer Film Festival über 500 Besucher*innen. Ein überwältigender Erfolg, mit dem wir alle nicht gerechnet hatten. Die Abschlussveranstaltung besuchte auch der deutsche Botschafter in Tunis, Dr. Andreas Reinicke. Die mit diesem Besuch zum Ausdruck gebrachte politische Unterstützung hat auch für die Organisatoren eine große Bedeutung, und sie motiviert ungemein.

Über das Festival wurde in tunesischen Medien, aber auch international in sehr positiver Weise berichtet. Das Interesse war riesig. Aus Gründen der Sicherheit für die Besucher*innen musste manch ein Ersuchen, z.B. zu Filmberichten vom Festival vor Ort, abgelehnt werden.

Gab es negative Erfahrungen? Ja. Ein Drucker weigerte sich, Flyer und Programmhefte zu drucken, weil es sich um eine Veranstaltung von einer LSBTI-Organisation handelte. Und ein Online-Nachrichtenportal veröffentlichte private Bilder von Besucher*innen und beschrieb das Festival als konspirative Veranstaltung, was zu Dutzenden von homophoben Hasskommentaren führte. Dies zeigt nicht nur, dass es noch ein langer Weg ist, sondern es motiviert auch, diesen Weg fortzusetzen: Das nächste Mawjoudin Queer Film Festival darf nicht lange auf sich warten lassen.

Guido Schäfer
Hirschfeld-Eddy-Stiftung

 



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