Kategorien
Verband

Trotz Landesverfassung gegen Gleichstellung?

Annegret Kramp-KarrenbauerOffener Brief des LSVD Saar an die Ministerin Kramp-Karrenbauer

Sehr geehrte Frau Kramp-Karrenbauer,

am 22. März berät der Bundesrat über eine Gleichstellungsinitiative von Rheinland-Pfalz und Hamburg. Laut Saarbrücker Zeitung vom 6. März  ist zu befürchten, dass das Saarland diesen Antrag nicht unterstützt. Darüber sind wir sehr bestürzt, dachten wir doch spätestens seit der einstimmigen und dankenswerterweise auch mit Ihrer persönlichen Stimme angenommenen Verfassungserweiterung des Artikels 12 (3) vom 13. April 2011, dass Diskriminierungen wegen sexueller Identität der Vergangenheit angehören.

Es ist aber diskriminierend, wenn Eingetragene LebenspartnerInnen die gleichen Voraussetzungen und Verpflichtungen eingehen wie Ehepaare, aber beispielsweise bei der Einkommenssteuer vom Finanzamt übergriffig „geschieden“ werden. Eingetragene LebenspartnerInnen werden wie Ledige behandelt. Nun aber gibt es keine Ledigen, die gesetzlich zum gegenseitigen Unterhalt verpflichtet sind. Von den Betroffenen in den EPs wird die aktuelle Regelung für jedermann nachvollziehbar als persönliche Kränkung, als Beleidigung empfunden, zwar vor dem Standesbeamten verpartnert worden zu sein, dann aber von den Finanzbeamten als ledig eingestuft zu werden.

Anlässlich unseres freundlichen Gesprächs in der Staatskanzlei am 6. September 2012 habe ich Ihnen das Formularblatt zur Steuererklärung des Jahres 2001 gegeben, auf dem neben Ehe auch ausdrücklich nach Verpartnerung gefragt wird. Jede® ging damals davon aus, dass sich eine Verpartnerung bei all den Verpflichtungen auch steuerlich auswirkt. Im Bundestag und im Bundesrat ist es bisher immer noch nicht zu einer zeitgemäßen Lösung gekommen.

Arbeitszeitverschwendung von Finanz- und Justizbeamten

In Deutschland gibt es mindestens 27.000 Lebenspartnerschaften. Wenn diese vom ausstehenden Urteil des Bundesverfassungsgerichts Berücksichtigung finden wollen, bleibt ihnen allein der Einspruch zur Steuererklärung – und zwar Jahr für Jahr —  der Antrag auf Ruhen des Verfahrens  oder gegebenenfalls die Einreichung einer Klage. Das nun bedeutet 54.000 Verwaltungsvorgänge pro Jahr.

Sollte das Urteil wie allgemein erwartet im Sinne der steuerlichen Gleichbehandlung von EPs mit kinderlosen Ehen ausgehen, müssen alle seit 2001 bearbeiteten Steuerbescheide korrigiert werden — hunderttausendfach. Eine sicherlich auch in Ihren Augen unsinnige Mehrbelastung der Finanzverwaltung. Schon jetzt wird über „Aussetzung der Vollziehung“ auf die diskriminierende Steuererhebung auch im Saarland verzichtet. Das zeigt, dass im Saarland mit einem entsprechenden Urteil aus Karlsruhe gerechnet wird. Aus welchem Grund aber warten Sie  noch länger? Die Frage der Adoption hat das Bundesverfassungsgericht zwischenzeitlich entschieden.

Saarländische Staatsanleihe mit 6%

Zusätzlich werden die von den Eingetragenen PartnerInnen zu viel erhobenen Steuern nicht nur erstattet, sondern mit 6% p.A. verzinst. Seit zwölf Jahren. Wenn das Saarland sparen will, wären hier Arbeitszeitvergeudung von  Beamtinnen und Beamten sowie unnötige Zinsen vermeidbar.

Die Ehe findet in ca. 1.500 Gesetzen, Bestimmungen mit Sonderreglungen, Ausnahmen, Förderungen Berücksichtigung. Seit 2001 wird in unzähligen Eingaben, Diskussionen, Parlamentsdebatten  und Prozessen Gesetz für Gesetz neu geprüft. Diese unnötigen Verfahren würden durch die Zustimmung zur Initiative von Rheinland-Pfalz und Hamburg auf einen Schlag erledigt. Muss auch die Gleichberechtigung der EPs gegenüber der Ehe bei Schornsteinfegern, im Mietrecht etc. Bestimmung für Bestimmung eingeklagt werden?

Wir stimmen Peter Altmaier ausdrücklich zu, wenn er gestern im Interview mit der Süddeutschen Zeitung erklärt,  Positionen wie „Gleichberechtigung“ „ zwischen Mann und Frau, … gleichgeschlechtlichen Lebenspartnerschaften“ seien seit der Französischen Revolution geklärt. „Konservative Politik hat oft einen Kampf gegen Windmühlen geführt“ und Bundesminister Altmaier sieht „Chance…, wenn wir keine rückwärtsgewandten Schlachten mehr führen, die längst entschieden sind“. Leider hat Herr Bundesminister Altmaier im Bundestag gestern nicht gesprochen, aber  Herr Geis hat seinen Kampf gegen Windmühlen fortgeführt.

Saarland Schlusslicht in Großregion: Belgien, Luxemburg, Lothringen, Rheinland-Pfalz , Saarland

Belgien hat die Ehe bereits 2003 für gleichgeschlechtliche Paare geöffnet, Luxemburg und Frankreich haben die Eheöffnung gerade beschlossen, Rheinland-Pfalz beantragt dies im Bundesrat – nur das Saarland hat sich trotz Diskriminierungsverbots in der Landesverfassung  noch nicht durchgerungen. Alle Parteien im Landtag wären dafür, nur die CDU kann sich scheinbar (noch?) nicht entschließen und schließt damit die Augen vor der Landesverfassung. Es wäre wünschenswert, das Saarland käme aus seiner Rolle des Schlusslichts in der Großregion heraus. Der LSVD Saar war stolz auf die einstimmige Verabschiedung der Landesverfassung. Wir Saarländer leben traditionell nach dem Motto „leben und leben lassen“.

Die Einführung des Wahlrechts für Frauen mag Männern seinerzeit Bauchschmerzen bereitet haben. Die Gleichstellung Schwarzer mag Weißen Unbehagen beschert haben oder gar ein Schwarzer als Präsident…

Aber: Tägliches Erleben ist der Schlüssel für Gleichberechtigung, anfänglich Ungewohntes wird zur Selbstverständlichkeit, wir nennen es Integration und bitten Sie eindringlich, sich diesem Prozess nicht zu verweigern, sondern ihn aktiv zu unterstützen.
Hat die Einführung der Eingetragenen Partnerschaft noch für Schlagzeilen gesorgt, ist sie längst zur Normalität geworden. Zumindest in den Köpfen der meisten Bürgerinnen und Bürger. 83,6% der SaarländerInnen haben sich bei einer Umfrage des Wochenspiegels diese Woche  für „steuerrechtliche Gleichstellung der Homo-Ehe“ ausgesprochen.

Wir sollten, sehr geehrte Frau Ministerpräsidentin, nochmals den Dialog suchen und die Chance auf eine moderne Gesetzgebung in einer modernen Gesellschaft nicht auslassen. Wir sollten gemeinsam die Landesverfassung des Saarlandes, die sich klar gegen Diskriminierung von Lesben und Schwulen positioniert, stärken, indem wir sie auch wirklich leben.

Gerne stehen wir für Gespräche zur Verfügung.
Wir laden Sie gerne zu einer Diskussionsveranstaltung ein.

Mit freundlichen Grüßen

Hasso Müller-Kittnau
Vorstand LSVD Saar, Bundesvorstand

LSVD Checkpoint
Mainzer Strasse 44
66121 Saarbrücken
Telefon: 06 81 — 39 88 33
Fax: 06 81 — 39 88 66
www.saar.lsvd.de



Teile diesen Beitrag: