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Geschlecht und Rechtsordnung

Interview mit Dr. Laura AdamietzDr. Laura Adamietz - Foto: privat

respekt!: Frau Adamietz, zum 1. November 2013 trat eine Änderung von § 22 des Personenstandsgesetzes in Kraft, nach der bei der Geburt eines intersexuellen Kindes auf die Geschlechtsangabe im Geburtenregister verzichtet werden kann. Was ist das Neue an dieser Regelung? Sind damit konkrete Verbesserungen für die Betroffenen verbunden?

Der neue § 22 PStG weicht von der Grundregel des § 21 Abs. 1 PStG ab, nach dem bei Geburt eines Kindes neben dem Namen, Geburtszeit und ‑ort auch das Geschlecht im Geburtenregister zu beurkunden ist. Was unter „Geschlecht“ zu verstehen ist, gibt das Gesetz zwar nicht vor. Absolut einheitliche Verwaltungspraxis war aber bisher, entweder „männlich“ oder „weiblich“ einzutragen, im Jahr 2010 wurde dies noch einmal von einer Verwaltungsvorschrift festgeschrieben. Seit 2009 war es aber möglich, sich eine Geburtsurkunde (die ja ein Auszug aus dem Geburtenregister ist) ausstellen zu lassen, auf der das Geschlecht nicht vermerkt war. Neu ist jetzt, dass im Geburtenregister selbst der Eintrag entfallen soll, das Geschlecht also tatsächlich nirgendwo vermerkt sein wird. Ob damit konkrete Verbesserungen verbunden sind, kann ich noch gar nicht sagen. Zu hoffen ist, dass die Neuregelung auch den Erwartungsdruck reduziert, ein Geschlecht einzutragen. Aber da das Gesetz so formuliert ist, dass kein Geschlecht eingetragen werden darf, wenn das Geschlecht nicht eindeutig zu bestimmen ist, könnte das auch den Druck erhöhen, schnell eine Eindeutigkeit herzustellen

 

respekt!: Ist das ein Schritt zur rechtlichen Anerkennung intersexueller Menschen?

Ja und nein. Ja, weil das Recht erstmals seit Geltung des Preußischen Allgemeinen Landrechts (das den „Zwitter“ noch kannte) anerkennt, dass das Geschlecht eines Menschen nicht zwingend weiblich oder männlich sein muss. Nein, weil die Neuregelung völlig an der Realität von Inter* vorbeigeschrieben ist. Nicht jeder Mensch, dessen körperliche Merkmale nicht eindeutig auf eine der zwei herkömmlichen Geschlechtsgruppen verweisen, wünscht sich „kein“ Geschlecht zu haben. Einige würden ein „drittes Geschlecht“ vorziehen. Andere fühlen sich beiden Geschlechtern zugehörig. Wieder andere sind zwar „uneindeutig“ geboren, empfinden aber eine ganz eindeutige Geschlechtszugehörigkeit als Mann oder Frau.

 

respekt!: Im Koalitionsvertrag heißt es, die durch die „Änderung des Personenstandsrechts für intersexuelle Menschen erzielten Verbesserungen sollen evaluiert und gegebenenfalls ausgebaut werden“. Was wäre eine rechtliche Regelung, die die Situation von Intersexuellen wirklich verbessert?

Wenn der Geschlechtseintrag nicht nur in Ausnahmefällen, sondern für alle entfallen würde. Wenn die rechtliche Regulierung genitalverändernder Eingriffe an nicht einwilligungsfähigen Kindern endlich durchgesetzt würde, inkl. der Androhung strafrechtlicher Sanktionen.

Und wenn die Vermittlung von Wissen über geschlechtliche Vielfalt im Allgemeinen und Inter* im Besonderen gefördert würde, Eingang in schulische Lehrpläne und in die Ausbildungsordnungen der Akteure fände, die mit Inter* oder auch Trans*Menschen und deren Familien zu tun haben, sei es im medizinischen, pädagogischen oder behördlichen Bereich. Die könnten dann – wenn z.B. ein Kind geboren wird oder ein junger Mensch mit einem andern Vornamen angesprochen werden möchte – Verunsicherungen auffangen statt schüren und wären im besten Fall Multiplikatoren für eine diskriminierungsfreiere Gesellschaft.

 

respekt!: „Geschlecht als Erwartung“ haben Sie Ihre Analyse der Rechtsprechungen zu „Homosexualität“ und „Transsexualität“ überschrieben. Inwiefern ist das Geschlecht eine Erwartung des Rechts?

Das Recht erwartet eine eindeutige und dauerhafte Verortung in einem System der Zweigeschlechtlichkeit, in dem Heterosexualität die Norm ist und auch nach wie vor sein soll.

Unser Rechtssystem ist noch stark von dem geprägt, was die Geschlechterforschung „Alltagswissen“ über Geschlecht nennt: Die Annahme, es gäbe zwei und nur zwei Geschlechter, die biologisch unterschiedlich, ja gegensätzlich, und normalerweise auch aufeinander bezogen sind, geht einher mit der Vorstellung, dass jeder Mensch aufgrund seiner körperlichen Ausstattung eindeutig und dauerhaft einem dieser beiden Geschlechter zuzuordnen ist. In den letzten Jahren hat das Recht sich an einigen Stellen von diesen Annahmen gelöst.

Mit dem Verfahren nach dem „Transsexuellengesetz“ (TSG) gibt es bereits seit 1980 die Möglichkeit den Geschlechtseintrag, der anlässlich der Geburt vorgenommen wurde, zu ändern. Das Recht erkennt hier an, dass das individuelle Geschlechtszugehörigkeitsempfinden höher zu bewerten ist als die (fremde) Deutung von Körpern. Bis vor kurzem erwartete das Recht aber körperliche (auch chirurgische) Angleichungsmaßnahmen, damit der Körper auch dem Geschlecht entspreche, dem die betroffene Person aufgrund ihrer Geschlechtsidentität rechtlich angehören möchte. Dieser „OP-Zwang“ ist vom Bundesverfassungsgericht zwar aufgehoben worden. Die Hürden, die das TSG für die Änderung des Geschlechtseintrags oder auch nur des Vornamens immer noch aufstellt (ein zeit–  und kostenintensives Gerichts- und Begutachtungsverfahren), zeigen aber, dass hier eine Ausnahme die Regel die bestätigen soll.

Neben dieser Verortung entweder als Mann oder als Frau stellt das Recht auch heute noch Erwartungen an geschlechtsrollenkonformes Verhalten: Das „andere“ Geschlecht zu begehren und sich dauerhaft rechtlich mit ihm zu verbinden, ist eine Erwartung, die das Recht stellt, wenn und solange sie die Ehe gegenüber anderen Lebensformen privilegiert.  Das Ehegattensplitting privilegiert steuerlich die „klassische“ Rollenverteilung. Die Diskriminierung der eingetragenen Lebenspartnerschaft wird zwar zurzeit schrittweise beseitigt, nach wie vor wird aber der Unterscheidung dieser beiden Rechtsinstitute große Bedeutung beigemessen. Diese Unterscheidung um der Unterscheidung willen beinhaltet per se eine Abwertung.

 

respekt!: In unserer Rechtsordnung gehen viele Vorschriften davon aus, dass die Menschen entweder weiblich oder männlich sind. Ist das Geschlecht eine notwendige Größe in der Rechtsordnung? 

Nein. Wozu soll die rechtliche Erfassung von Geschlecht noch nötig sein? Eine rechtliche Unterscheidung von Männern und Frauen brauchten wir früher etwa für die Wehrpflicht. Inzwischen brauchen wir es nur noch für die Beantwortung der Frage, ob zwei Menschen die Ehe oder die Lebenspartnerschaft eingehen sollen, und dies ist, wie gesagt, eine Unterscheidung um der Unterscheidung, also letztlich der Diskriminierung willen.

Spannend wird es übrigens, wenn die heute geborenen Kinder, die unter den § 22 Personenstandsgesetz fallen, ins heiratsfähige Alter kommen. Ohne Geschlechtseintrag kann man dann gar nicht beurteilen, ob sie heiraten oder sich verpartnern sollen. Wenn dann wie heute noch das „Reinheitsgebot“ der Ehe gilt, werden sie wahrscheinlich alle auf die Lebenspartnerschaft verwiesen. Das könnte aber auch endlich der Anlass sein, das ganze System komplett zum Einsturz zu bringen. Wenn es nicht schon vorher soweit ist.

Wir haben ja jetzt schon das Problem, dass unklar ist, welche Elternrollen die Geburtsurkunden von Kindern aufweisen sollen, deren Eltern dasselbe Geschlecht (Stiefkindadoption im Rahmen einer Lebenspartnerschaft) haben, oder bei denen ein Elternteil eine Reproduktionsaufgabe übernommen hat, die scheinbar im Widerspruch zu ihrem rechtlichen Geschlecht steht. Das BGB regelt, dass Mutter eines Kindes die Frau ist, die es geboren hat. Was ist aber, wenn die Person, die das Kind geboren hat, rechtlich ein Mann ist? Diese Fragen sind heute schon virulent. Es würde vieles entkomplizieren, wenn das Recht nur noch von Personen spräche und Geschlecht nicht mehr erfassen würde.

 

Dr. Laura Adamietz, Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Zentrum für Europäische Rechtspolitik, Universität Bremen, Promotion (2010) „Geschlecht als Erwartung. Das Geschlechtsdiskriminierungsverbot als Recht gegen Diskriminierung wegen der sexuellen Orientierung und der Geschlechtsidentität

Die Fragen stellte Renate Rampf, LSVD-Pressesprecherin



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