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Umgang mit Lesben und Schwulen in Russland und anderswo

Dirk Siegfried - Foto: privatMein Großvater hat sich einmal über den Chorleiter seines Männergesangvereins geärgert. Und bei der nächsten Aufführung nur die Lippen bewegt. Der Protest blieb vermutlich unbemerkt, jedenfalls aber wirkungslos. Der Bundespräsident fährt nicht zu den Olympischen Spielen. Er begründet das nicht. Der Deutschlandfunk beeilt sich, uns zu erklären, ein Zusammenhang mit den Menschenrechtsverletzungen in Russland sei nicht gesichert. Außerdem habe er nicht abgesagt, sondern nur nicht zugesagt. Der Bundespräsident lässt nicht dementieren. Die Bundeskanzlerin hält das für falsch. Der Unterschied besteht offenbar darin, dass beide nichts tun.

Von den Menschenrechtsverletzungen in Russland sind unter anderem Lesben und Schwule betroffen. Nach Jahren der Öffnung, CSD-Paraden und lesbisch-schwulen Filmfestivals auch in Städten, die hier allenfalls aus dem Erdkundeunterricht bekannt sind, gibt es seit Juni 2013 ein landesweites Gesetz, das Propaganda für Homosexualität in Anwesenheit von Minderjährigen unter Strafe stellt. 436 von 437 Abgeordneten sollen für dieses Gesetz gestimmt, einer sich der Stimme enthalten haben. Begründet wird das Gesetz mit dem Jugendschutz. Putin sagt, er habe nichts gegen Homosexuelle. Er arbeite mit diesen Leuten, er zeichne sie manchmal mit staatlichen Orden oder Preisen für ihre Verdienste in vielen verschiedenen Bereichen aus. Schlimm an diesem Gesetz ist vieles, u.a. die unklare Begrifflichkeit. Schon ein Händehalten von zwei Frauen oder zwei Männern kann danach strafbar sein, wenn es zufällig ein Kind oder ein Jugendlicher sieht. Das Gesetz schürt also Angst und Unsicherheit weit über die konkrete Anwendung hinaus. Die lesbische und schwule Infrastruktur wird zerstört. Jegliches Wirken nach außen kann als Propaganda in diesem Sinne verstanden werden. Der unmittelbare staatliche Eingriff wird zudem als Signal an die Bevölkerung verstanden, dass eine bestimmte Bevölkerungsgruppe nun quasi vogelfrei ist und mit staatlichem Schutz vor Gewalt, Erpressung und Ausgrenzung nicht zu rechnen hat. Dementsprechend ist die Gewalt gegen Lesben und Schwule stark gestiegen. Das Auswärtige Amt hat deswegen bereits eine Reisewarnung erlassen. Besonders  betroffen sind Lesben und Schwule mit Kindern. Sie leben in ständiger Gefahr, dass die Kinder aus ihren Familien entfernt werden mit der Begründung, dass bereits die Realität dieser Familie eine Propaganda für Homosexualität darstellt. Eine Verschärfung der Gesetze für die Zeit nach den Olympischen Spielen ist zu befürchten.

Es gibt bereits jetzt einen starken Druck auf Lesben und Schwule, Russland zu verlassen. Vermehrt auch mit Asylanträgen. In zwei Fällen hat das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge immerhin den Flüchtlingsstatus zuerkannt. Der Weg dorthin ist entbehrungsreich und unsicher. Während des Verfahrens gibt es die sog. Residenzpflicht, d.h. die Verpflichtung, an einem bestimmten, nicht frei gewählten Ort, zunächst in einem Heim zu leben. Die Möglichkeiten, zu arbeiten oder sich fortzubilden, sind äußerst beschränkt. Der Ausgang der Asylverfahren ist äußerst ungewiss. Gerade bei einer Gefährdung, die so wenig konkret daherkommt. Wenn noch nichts passiert ist, heißt es, es ist doch nichts passiert. Wenn etwas passiert ist, z.B. Kinder weggenommen sind, ist es meist zu spät.

Die Bundesrepublik könnte nach §§ 22 und 23 Aufenthaltsgesetz Lesben und Schwule aus Russland auch ohne Asylverfahren aufnehmen und ihnen eine Aufenthaltserlaubnis erteilen. Sie könnte damit nicht nur Menschen in Not eine unbürokratische und menschenwürdige Hilfe gewähren, sondern auch ein Signal nach außen setzen. Das wird nicht einmal ernsthaft in Erwägung gezogen. Was kann aber auch von einem Staat erwartet werden, dessen Kanzlerin sich „schwertut“ mit einem Adoptionsrecht für Lesben und Schwule, in Frage stellt, ob das im „Kindeswohl“ liegt? Auch sie soll ja persönlich nichts gegen Homosexuelle haben. Was es nicht besser macht. Seitdem niemand mehr weiß, was eigentlich konservativ ist, gilt es offenbar als einer der wenigen verbliebenen Nachweise für eine konservative Gesinnung, unter dem Vorwand des Jugendschutzes homosexuellenfeindliche Ressentiments zu schüren.

Dirk Siegfried,
Rechtsanwalt und Notar aus Berlin 
mit Schwerpunkt Eingetragene Lebenspartnerschaft,Kindschaftsrecht,
binationale Partnerschaften und Asyl



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