Positiver Auftakt in St. Petersburg
Rund 100 Personen fanden bei sonnigem und eiskaltem Wetter den Weg zu unserem Konferenzhotel in St. Petersburg, um eineinhalb Tage über die „Bedeutung, Herausforderungen und Perspektiven der Antidiskriminierungspolitik in der Russischen Föderation“ zu diskutieren.
Einen guten Einstieg lieferte der Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung Markus Löning, der in einem sehr engagierten Impulsreferat klar stellte, dass für Deutschland und die EU homophobe Gesetze wie das St. Petersburger Verbot der Propagierung von Homosexualität nicht hinnehmbar sind. Die Diplomatie könne zwar Druck ausüben, der eigentliche Widerstand müsse aber aus Russland selbst kommen.
Zum einen stelle ein solches Gesetz eine Behinderung der Arbeit von LGBT Menschenrechtsbeauftragten dar, andererseits sei es in eher konservativen Gesellschaften wie der russischen ein besonders gefährliches Signal. Er forderte die russische Regierung auf, ihre Verpflichtungen als Mitgliedsstaat des Europarates einzuhalten und die Grundrechte auf Meinungs- und Versammlungsfreiheit zu achten und zu schützen.
Igor Kochetkov vom Russian LGBT Network und Annette Hecker (LSVD) lieferten einen Überblick über die Verfolgungsgeschichte von LGBT in Russland und Deutschland, stellten die verschiedenen Wege und Ansätze einer Wiedergutmachung für Opfer dar und betonten, dass es auch darum gehen müsse, die entsprechenden Lehren aus der jeweiligen Verfolgungsgeschichte zu ziehen.
Die schwulen Parlamentsabgeordneten Volker Beck und Robert Biedron aus Polen gingen in ihren Beiträgen auf die Bedeutung von Antidiskriminierungsgesetzen für Lesben und Schwule in ihren Ländern ein, zeigten die Widerstände auf, die es noch immer gegen eine umfassende Antidiskriminierungsgesetzgebung gibt. Zudem erläuterten sie die Zusammenarbeit mit ihren russischen Kolleginnen und Kollegen, etwa auf Delegationsreisen des Menschenrechtsausschusses oder, wie im Fall von Robert Biedron, als Mitglied der Parlamentarischen Versammlung des Europarates.
Ksenia Kirichenko und Valery Sozaev vom Russian LGBT Network lieferten eindrucksvolle Schilderungen nicht nur über Diskriminierungserfahrungen, die LGBT in Russland machen. Sie präsentierten auch Ergebnisse ihrer beeindruckenden Arbeit im Bereich der Opferberatung, der Aufklärungs- und Sensibilisierungsarbeit sowie des Monitoring, der Beobachtung und Dokumentation von Diskriminierungsfällen. Gerade dieser Arbeit kommt eine große Bedeutung zu, da aus ihr gesetzgeberische Notwendigkeiten und konkrete Forderungen an die Politik abgeleitet werden können.
Enttäuschend, wenn auch nicht unbedingt überraschend, waren einige Statements des Vertreters des Ombudsmans für Menschenrechte von St. Petersburg. Er hob Unterschiede zwischen Westeuropa und Russland in Geschichte und kulturellen Traditionen hervor und sagte, die Gewährung von Rechten an eine bestimmte Gruppe dürfe keinesfalls zur Beschneidung der Rechte von anderen Gruppen führen. Zudem erging er sich in längeren Auslassungen zum angeblichen Antagonismus zwischen LGBT-Rechten einerseits und der Religions- und Glaubensfreiheit andererseits.
Markus Löning entgegnete in Russland gebe es auch einen Missbrauch von Menschenrechtsthemen zwecks Beschneidung von Bürgerrechten. Der Unterschied zu westlichen Demokratien bestehe darin, dass es den Regierenden in Russland meist um Machterhalt gehe, während in der EU ein Konsens in Bezug auf die Menschenrechte vorherrsche, auch wenn es in Bezug auf Gesetzesinitiativen, Umsetzung und Zeitschiene zu heftigen Debatten und Kontroversen komme.
Zurzeit finden drei parallele Workshops zu den Themen Wiedergutmachung für Opfer politischer Repression und Antidiskriminierungsgesetzgebung, Zusammenarbeit mit Menschenrechtsbeauftragten und rechtliche und psychologische Unterstützung für Opfer von Hassverbrechen statt. Hier werden heute und morgen entsprechende Empfehlungen und Forderungen an die russische Politik erarbeitet.
Klaus Jetz, LSVD, St. Petersburg