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Artivism — von der Überzeugungskraft künstlerischer Produktionen für den Aktivismus in Tunesien, Äquatorialguinea und Kolumbien

Konferenzprogramm
Konferenzdokumentation hier

Forum 2 Artivism © Hirschfeld-Eddy-Stiftung

Drei Aktivist*innen aus Tunesien, Äquatorialguinea und Kolumbien stellten ihre Arbeit und unterschiedliche künstlerische Produktionen vor. Hierbei handelt es sich um eine Kombination aus Aktivismus und Kunst, kurz Artivism. Allen ist gemein, dass sie auf positive Einstellungsveränderungen in Bezug auf LSBTI in ihren Gesellschaften sowie auf die Stärkung des Selbstwertgefühls von LSBTI abzielen. Wir fassen die Ergebnisse des Forums 2 der Konferenz “Do no harm – but do something: Internationale Projektarbeit für LSBTI stärken!” hier zusammen.

Tunesien

Karam Aouini © Hirschfeld-Eddy-Stiftung

Karam Aouini von Mawjoudin aus Tunis arbeitet seit 2016 artivistisch. Das Queer Film Festival, das seit einigen Jahren von Mawjoudin ausgerichtet wird, ist das einzige seiner Art in der MENA-Region und von besonderer Bedeutung für die tunesische LSBTI-Community und die Gesellschaft überhaupt. Es fand gerade zum dritten Mal statt, erfreute sich von Jahr zu Jahr wachsender Beliebtheit, in 2022 nahmen rund 2000 Menschen teil. Und auch die Zahl der Filme nahm von Jahr zu Jahr zu. Ebenso wichtig ist für Karam das Queer Play „Inflagranti“, ein Theaterstück, das er und die Kolleg*innen auf die Beine gestellt haben und das einen nationalen Preis gewonnen hat. Es kann im ganzen Land aufgeführt werden. Beide Veranstaltungen eignen sich in besonderer Weise, um Künstler*innen eine sichere Plattfom für den so wichtigen Austausch untereinander und mit dem Publikum und der Gesellschaft zu ermöglichen. Zudem ermöglichen sie es Mawjoudin, die Geschichte der Queer-Community aus deren Sicht dazustellen.

Äquatorialguinea

Trifonia Melibea Obono © Hirschfeld-Eddy-Stiftung

Trifonia Melibea Obono aus Äquatorialguinea hebt den Advocacy-Aspekt der artivistischen Arbeit hervor. Sie schreibt Romane zu LSBTI-Themen, die als wirkmächtiges Instrument darauf abzielen, die Gesellschaft zu verändern. Dazu zählt sie auch Berichte zur Situation von LSBTI im Land, die ihre Organisation „Somos Parte del Mundo“ veröffentlicht. Auch Kurzgeschichten lesbischer Frauen, die in Anthologien erschienen sind. Zielgruppe sind die jungen Menschen im Land, die zwar nicht über die Macht und Mittel wie die Alten verfügen, die aber offener und weniger LSBTI-feindlich sind. Melibea geht es darum, dass LSBTI nicht nur als LSBTI im Land akzeptiert werden, sondern auch als das, was sie sind, Autor*innen, Künstler*innen, Lehrer*innen etc. Und dass sie Teil der Gesellschaft ihres Landes sind, dass sie von dort kommen, dass es ihr Land ist, dass sie über sich selbst bestimmen.

Kolumbien

Mauri Balanta Jaramillo © Hirschfeld-Eddy-Stiftung

Mauri Balanta Jaramillo aus Kolumbien lebt und arbeitet in einem Stadtteil von Cali, einer der größten Afrocommunities Lateinamerikas. Ihre Organisation Casa Cultural El Chontaduro trägt den Artivismus bereits im Namen. Sie wurde vor 36 Jahren gegründet und setzt sich seither ein für soziale Gerechtigkeit, Gleichheit, politische Partizipation und eben auch für die Belange von LSBTI. Mauri und ihre Kolleg*innen arbeiten meist mit Jugendlichen, organisieren Trainings, kulturelle Events wie Tanz, Bildhauerei oder Theater. Auch für sie ist Kund ein Instrument für politische Transformation. Aktuell produziert sie ein Video für die Schwangerschaft in einer Trans*-Partnerschaft, der erste Film, der zum Thema in Kolumbien produziert werde. Der Casa Cultural El Chontaduro geht es darum, mit ihren Produktionen die Menschen im Osten Calis, wo viele Vertriebene von der Pazifikküste Zuflucht gefunden haben, zu erreichen. Denn andere Produktionen in der Stadt, Theater, Filmveranstaltungen, Tanzaufführungen, Lesungen, sind oftmals nicht zugänglich für ihre Nachbarschaft, weil sie zu teuer und für eine andere Bevölkerungsschicht bestimmt sind.

Gefahren vermeiden

Forum 2 Artivism © Hirschfeld-Eddy-Stiftung

Den drei Panelist*innen geht es immer um die Bekämpfung struktureller Gewalt, um Gleichheit und soziale Gerechtigkeit. Alle leben und wirken in einem zutiefst LSBTI-feindlichen Umfeld und Gesellschaften, die sich im Umbruch befinden. Sie achten darauf, die Künstler*innen und Besucher*innen keinen Gefahren auszusetzen. So werden die Termine und Orte des Mawjoudin Queer Filmfestivals nicht lang im Voraus kommuniziert. Auch im Internet lauern Gefahren, deren sich die Veranstalter*innen bewusst sind. In Äquatorialguinea gehen Gewalttaten gegen die LSBTI-Community oftmals von Polizeikräften und Soldaten aus, was bedeutet, dass Events der LSBTI-Community durch sie keinen Schutz erwarten können. Eine Situation, die in den letzten Jahren in Cali und anderen Städten Kolumbiens nicht anders war. Doch hier herrscht nach dem Regierungswechsel die Hoffnung, dass staatliche Repression und strukturelle Gewalt mittelfristig abgebaut werden können.

Ganz wichtig ist eine Risikoabwägung für eine Veranstaltung. Physische und auch digitale Sicherheit gehen immer vor. Im digitalen Raum lauern Gefahren; das berücksichtigen wir, wenn wir Veranstaltungen, Orte und Namen kommunizieren.“ (Karam Aouini)

Do no harm

Wir haben gelernt, wie wichtig es ist, unser Selbstwertgefühl zu stärken, gerade für marginalisierte Gruppen. Und die Gesellschaft muss lernen, wie kontraproduktiv es ist, Menschen und ihre Talente auszuschließen. Wenn einer Gruppe Rechte vorenthalten werden, dann wird vielen brillanten Menschen auch das Talent genommen.“ (Trifonia Melibea Obono)

Do no harm bedeutet immer auch, den Kontext anzuerkennen. Es geht um Respekt und Bewusstsein, um die Kenntnis einer Gesellschaft und deren Bedarfe. Kolumbien erhält so viel Unterstützung in den verschiedensten Bereichen. Unsere Aufgabe ist es, kreativ zu sein und Projekte zu entwickeln, die den Bedürfnissen von uns jungen Menschen in unserer Umgebung gerecht werden.“ (Mauri Balanta Jaramillo)

Klaus Jetz
Hirschfeld-Eddy-Stiftung

Ein Beitrag im Rahmen des ProjektsDo no harm – Risiken für LSBTI in der internationalen Projektarbeit minimieren“ der Hirschfeld-Eddy-Stiftung. Alle Beiträge im Rahmen des Projekts sind im Blog unter dem Tag „DNH-2022“ zu finden.

Konferenzdokumentation hier

BMJ
HES


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