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Auffällige Kontinuitäten

Foto: Florian HansenChristoph Safferling zum Forschungsprojekt über „Die Rosenburg“

respekt!:  Herr Prof. Dr. Safferling, Sie gehören zur Unabhängigen Wissenschaftlichen Kommission, die den Umgang des Bundesjustizministeriums (BMJ) mit der NS-Vergangenheit untersucht. Können Sie uns Näheres zu den Fragestellungen und Ihrer Arbeit sagen?

Die Unabhängige Wissenschaftliche Kommission beim Bundesministerium der Justiz zur Aufarbeitung der NS-Vergangenheit beschäftigt sich mit dem BMJ in den 1950er und 1960er Jahren, in den Jahren, in denen das Ministerium in der Rosenburg in Bonn untergebracht war. Es geht also nicht primär um die Tätigkeit von Juristen während der NS-Herrschaft, sondern um den Umgang mit belasteten Juristen und nationalsozialistischer Gesetzgebung in den Gründungsjahren der Bundesrepublik Deutschland. Über die Weiterbeschäftigung belasteter Juristen in der Justiz ist bereits viel geforscht worden; weniger intensiv hat sich die Wissenschaft hingegen mit dem Justizministerium selbst beschäftigt. Aber auch hier sind einige auffällige personelle Kontinuitäten bekannt. Die Kommission wird durch den erstmaligen Zugang zu den Personalakten diese Personalsituation umfassend erforschen können. Daneben sind aber auch Sachthemen relevant. So wird zu fragen sein, inwieweit die Beschäftigung von belastetem Personal Auswirkungen auf die Gesetzgebung hatte, etwa im Bereich der Amnestierung, der Verjährung und des politischen Strafrechts, aber auch im Familienrecht, Gesellschafts- und Verfassungsrecht.

§ 175 StGB blieb in der NS-Fassung bis 1969 in der Bundesrepublik unverändert in Kraft. Erst 1994 wurde die Vorschrift endgültig aus dem Strafgesetzbuch getilgt. In welcher Weise beabsichtigen Sie, die strafrechtliche Verfolgung Homosexueller in Ihre Forschungen einzubeziehen?

Die Strafbarkeit der Homosexualität ist bekanntermaßen keine nationalsozialistische Erfindung. Allerdings fanden unter dem NS-Regime eine Verschärfung des Rechts und eine Systematisierung der Verfolgung und Unterdrückung statt. Im Rahmen der Tätigkeit der Kommission wird zu fragen sein, warum diese Verschärfungen von der jungen Bundesrepublik nicht wenigstens rückgängig gemacht wurden bzw. warum keine, in Anbetracht der massiven Diskriminierung durch Ausgrenzung, Verfolgung und Internierung Homosexueller während der NS-Herrschaft angezeigte Liberalisierung erfolgte. Hier werden natürlich auch die perfiden Auswirkungen der Kriminalisierung einer gesamten gesellschaftlichen Gruppierung deutlich. Während sich jüdische Verfolgte oder auch kirchliche Stellen im gesellschaftlichen Prozess der Vergangenheitsaufarbeitung im Nachkriegsdeutschland äußern konnten, liefen Homosexuelle stets Gefahr, strafrechtlich verfolgt zu werden, wenn sie öffentlich für ihre Rechte eintraten.

Können Zeitzeugen der strafrechtlichen Verfolgung Homosexueller Sie in Ihrer Arbeit unterstützen? Wie könnte das am besten geschehen?

Gerade wegen des zuletzt erwähnten Punktes, der Kriminalisierung der Homosexualität, könnten Zeitzeugen für unsere Kommissionsarbeit sehr nützlich sein. Jeglicher Versuch der Einflussnahme auf Politik und Gesetzgebung war wegen der drohenden Strafverfolgung auf den nichtöffentlichen Bereich angewiesen. Das wiederum hat zur Folge, dass sich in den Akten hierzu kaum verwertbare Hinweise finden lassen. Sollte es also Zeitzeugen geben, die bis in die 1970er Jahre hinein strafjustizielle Verfolgung erlitten haben oder die versucht haben, durch politisches Engagement auf die Diskriminierung Homosexueller hinzuweisen, wäre das für die Kommission besonders wertvoll. Wir wären sehr dankbar für jede betroffene Person, die uns ihre Erfahrungen mitteilen möchte.

Die Kommission ist zu erreichen unter der Adresse: www.uwk-bmj.de

Prof. Dr. Christoph J. M. Safferling, LL.M. (LSE) hat eine Professur für
Strafrecht, Strafprozessrecht, Internationales Strafrecht und Völkerrecht an der Philipps-Universität Marburg
Foto: Florian Hansen

Die Fragen stellte Günter Dworek, LSVD-Bundesvorstand

 



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