Rede von Günter Dworek, LSVD-Bundesvorstand, zum neuen Film im Denkmal für die im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen
26.1.2012
Als das Denkmal im Mai 2008 der Öffentlichkeit übergeben wurde, dachten wir, es gebe keine Überlebenden mehr aus dem Kreis der homosexuellen Verfolgten des Nationalsozialismus. Aber durch die Berichterstattung über das Denkmal ist Rudolf Brazda, Rosa-Winkel-Häftling in Buchenwald, an die Öffentlichkeit getreten, nach über sechs Jahrzehnten des Schweigens. Er hat das Denkmal mehrfach besucht, er erhielt späte Ehrungen in Deutschland wie in Frankreich. Im letzten Jahr, am 3. August 2011, ist Rudolf Brazda im Alter von 98 Jahren verstorben. Wir trauern um ihn.
Das Denkmal ist ein belebter Ort geworden. Es gibt Veranstaltungen. Es kommen Menschen, die es bewusst aufsuchen, oder auch Passanten die beim Flanieren neugierig nachschauen, was es mit dieser einzelnen Stele auf sich hat.
Das Denkmal wirkt dann schon mal verstörend – auf diejenigen, die den Anblick eines gleichgeschlechtlichen Kusses nicht aushalten können. Dreimal hat es Anschläge auf das Denkmal gegeben. Auffällig dabei: Jedes Mal war das Fenster der Angriffspunkt, der Blick auf den Film, auf den Kuss.
Ein Kuss im öffentlichen Raum kann heute noch Gefahr bedeuten, auch in Berlin. Daher ist es so spannend, dass der neue Film auch Reaktionen auf einen Kuss zweier Frauen, auf eine Intimität zweier Männer einfängt und zum Thema macht.
Herzliche Gratulation an die Wettbewerbsgewinner und einen ebenso herzlichen Dank an allen anderen Künstlerinnen und Künstlern, die ihre Ideen in den Wettbewerb eingebracht haben!
Ein weiteres herzliches Dankeschön geht an Kulturstaatsminister Bernd Neumann, der die Finanzen bereit gestellt hat. Ich darf das gleich mit der Hoffnung verbinden, dass auch für einen weiteren Filmwettbewerb Mittel zur Verfügung stehen werden.
Der Filmwechsel hat etwas länger gedauert als geplant. Aber jetzt ist er da. Ich danke der Jury und der Stiftung für ihr Engagement. Sie hatten einen schwierigen Job. Mein besonderer Dank gilt Michael Elmgreen und Ingar Dragset. Sie haben es ermöglicht, dass sich nun Andere in ihrem Werk kreativ versuchen können. Das ist wahrlich keine kleine Sache. Diese Großzügigkeit eröffnet die Chance auf etwas eigentlich Unmögliches – auf ein dynamisches Denkmal.
Und genau das brauchen wir. Das Denkmal soll die verfolgten und ermordeten Opfer ehren, die Erinnerung an das Unrecht wachhalten und ein beständiges Zeichen gegen Intoleranz, Feindseligkeit und Ausgrenzung gegenüber Schwulen und Lesben setzen.
Diese Aufgabenstell- ung erzeugt Spann- ung. Sie stellt uns vor die Heraus- forderung, dass die Erinnerung an die NS-Opfer nicht irgendwann in den Hintergrund ge- drängt wird. Das wäre fatal. Aber sie baut auch einer anderen Gefahr vor, nämlich dass Ge- denken museal erstarrt. Es muss immer wieder neu diskutiert werden, wie uns dieses Aufgabenpaket am besten gelingen kann.
Wir erinnern an das Unrecht, dass die Nazis die homosexuelle Bürgerrechtsbewegung und jede Selbstorganisation von Schwulen und Lesben zerschlagen haben. Heute sind wir in der Pflicht, Lesben, Schwulen, Transgender zu unterstützen, die in vielen Ländern – auch in Europa – darum kämpfen müssen, dass elementare Grundrechte auf Meinungs‑, Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit auch für sie gelten.
Wir gedenken der Opfer der Verfolgung durch den schändlichen § 175 StGB. Aber ich bin sicher, unsere Gedanken sind auch bei den Menschen, die in dieser Stunde irgendwo auf der Welt eingekerkert sind, nur weil sie anders lieben, als es politische und religiöse Führer wollen.
Wir ehren die Menschen, die von den NS-Schergen gefoltert, die in den KZs geschunden und ermordet wurden. Und gleichzeitig kommen mir Bilder der jungen Männer in den Kopf, die im Iran öffentlich hingerichtet werden, indem man sie an Baukränen aufhängt. Ja, es gibt Staaten, die heute noch Menschen wegen ihrer Homosexualität ermorden.
Und es gibt darüber hinaus viele Staaten, die Lesben, Schwulen und Transgender jeden Schutz verweigern und damit brutalster Gewalt aussetzen. Ich erinnere an die mutige Menschenrechtsaktivistin Fannyann Eddy, die in Sierra Leone im Büro des von ihr gegründeten Lesben- und Schwulenverbandes ermordet wurde. Ich erinnere an den Bürgerrechtskämpfer David Kato aus Uganda, der genau heute vor einem Jahr nach einer widerwärtigen Hetzkampagne gewissenloser Politiker und Medienmacher einem Mord zum Opfer fiel.
Damit wir uns nicht missverstehen: Solche Bezüge herzustellen, heißt nicht Gleichsetzung. Es bedeutet erst recht nicht irgendeine Relativierung deutscher Schuld, weil es anderswo auch schlimm war oder ist. Im Gegenteil, Deutschland hat eine besondere Verantwortung. Denn in Deutschland fand eine Homosexuellenverfolgung statt, die in ihrem Ausmaß und in ihrer mörderischen staatlichen Effizienz ohne gleichen in der Geschichte ist. Deshalb steht dieses Denkmal hier.
Es gemahnt auch daran, dass bei all den großen Fortschritten, die wir in Deutschland erkämpft haben, noch Kapitel offen sind.
Manche im Saal haben das schon öfters von mir gehört. Sie mögen es mir bitte nachsehen, aber es ist mein ceterum censeo:
Dass der Nazi-§175 in der Bundesrepublik Deutschland 20 Jahre lange unverändert in Kraft blieb, beibehalten vom Deutschen Bundestag, gebilligt vom Bundesverfassungsgericht, dass zehntausende schwuler Männer eingesperrt und um ihr Lebensglück betrogen wurden, das ist ein monströser Schandfleck unserer Demokratie, unseres Rechtsstaates.
Alle Opfer des § 175 müssen endlich rehabilitiert und entschädigt werden. In dieser Frage ist ein Schlussstrich lange überfällig!
Günter Dworek, LSVD-Bundesvorstand
- Weitere Informationen zur Veranstaltung
- Rede von Prof. Dr. Susanne Baer zum neuen Film im Denkmal für die im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen
- Rede von Dr. Klaus Müller zum neuen Film im Denkmal für die im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen
- Mehr Informationen zur Verfolgung von Homosexuellen in Deutschland auf der LSVD-Homepage.