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Das LSBTI-Inklusionskonzept unter der Lupe — Einschätzungen unter Bezug auf den 13-Punkte Forderungskatalog der Yogyakarta-Allianz

Wie kann das im März 2021 veröffentlichte LSBTI-Inklusionskonzept der Bundesregierung für die Auswärtige Politik und Entwicklungszusammenarbeit umgesetzt werden? Aus zivilgesellschaftlicher Perspektive bietet der 13-Punkte Forderungskatalog der Yogyakarta-Allianz einen wichtigen Maßstab.

Schauen wir uns zunächst das übergreifende Ziel und die Unterziele des LSBTI-Inklusionskonzeptes an. Demnach wollen das Auswärtige Amt (AA) und das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) die zivilgesellschaftliche Menschenrechtsarbeit für LSBTI-Personen strukturell nachhaltig unterstützen und zwar unter besonderer „Berücksichtigung spezifischer Vulnerabilitäten und Mehrfachdiskriminierungen“.

Folgende Unterziele sollen helfen, dieses Ziel zu konkretisieren: Die Bundesregierung will im Rahmen der auswärtigen Beziehungen und der Entwicklungszusammenarbeit vermehrt zivilgesellschaftliche Organisationen stärken, die sich lokal, regional, überregional oder international für die Menschenrechte von LSBTI-Personen und gegen die Diskriminierung aufgrund von sexueller Orientierung und Geschlechtsidentität oder –merkmalen einsetzen. Zudem will sie im internationalen menschenrechtlichen Dialog eine Vorreiterrolle für die Achtung, den Schutz und die Gewährleistung der Menschenrechte von LSBTI-Personen einnehmen. Damit hängt die Bundesregierung die Meßlatten hoch. Internationale normative und menschenrechtliche Bezugspunkte sind die Yogyakarta-Prinzipien und die Agenda 2030 der Vereinten Nationen mit dem Prinzip (niemanden zurücklassen/leave no one behind) und den VN-Nachhaltigkeitszielen.

Weil die Bundesregierung auf die Zusammenarbeit mit der Zivilgesellschaft Wert legt, ist es sinnvoll, aus zivilgesellschaftlicher Sicht – konkret unter Bezug auf den 13-Punkte Forderungskatalog der Yogyakarta-Allianz — das LSBTI-Inklusionskonzept genauer zu betrachten. Denn er summiert jahrelange Vorüberlegungen zu einem solchen Konzept. Und er bildete eine Basis für Fragen zur Implementierung, die von der Yogyakarta-Allianz erarbeitet und anläßlich des internationalen Menschenrechtstags, dem 10. Dezember 2021, veröffentlicht wurden. Sie liegen dem AA und BMZ vor. Zu den Implementierungsforderungen von Hirschfeld-Eddy-Stiftung, filia.die frauenstiftung und Dreilinden zählt auch die Einrichtung einer koordinierenden Projektgruppe im BMZ. Da Implementierung und Monitoring des LSBTI-Inklusionskonzeptes fast ein Jahr nach dessen Veröffentlichung noch immer unklar sind, bleibt der 13-Punkte Forderungskatalog weiterhin eine tragende Säule für die zivilgesellschaftliche Advocacy-Arbeit. Die Wichtigkeit der Yogyakarta-Prinzipien zu Menschenrechten für sexuelle Minderheiten und Menschen unterschiedlicher Geschlechtsidentitäten als Basis für die Diplomatie und Entwicklungszusammenarbeit unterstreicht der OutRight Guide zur LGBTI-inklusiven Außen- und Entwicklungspolitik vom November 2021.

1. Kooperation mit der Zivilgesellschaft

Das LSBTI-Inklusionskonzept der Bundesregierung vom März 2021 beachtet die zentrale Forderung der Yogyakarta-Allianz nach einer umfassenden Zusammenarbeit im Inland und in den Partnerländern sowie einem kontinuierlichen Dialog zwischen dem BMZ und der Zivilgesellschaft. Das ist begrüßenswert. Allerdings fehlen bislang konkrete Zeit- und Finanzpläne. Diese sind aber wichtig, um tragfähige Partnerschaften mit LSBTI-Organisationen insbesondere im globalen Süden weiterzuentwickeln und den Schutz der Menschenrechte unabhängig von sexueller Orientierung, geschlechtlicher Identität, Geschlechtsausdruck und Geschlechtsmerkmalen (SOGIESC) systematisch und nachhaltig zu verbessern. Auch für eine transparente Überprüfung durch die Zivilgesellschaft sind klare und verbindliche Planungen notwendig. Zivilgesellschaftliche Interessenvertretung und vertrauensvolle Kooperation brauchen Transparenz von staatlicher Seite. Schließlich soll Menschenrechtsarbeit zur Demokratieförderung und Rechtsstaatlichkeit beitragen.

2. Finanzielle Unterstützung

Die Yogyakarta-Allianz hatte verlangt, dass X Prozent der Mittel in den Themenbereichen Armut, Gesundheit, Bildung und Ausbildung, Good Governance, Konfliktlösung und Polizeifortbildung sowie Y Prozent der Mittel im Bereich der Menschenrechtsarbeit für die Unterstützung von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Trans* und Inter*Personen (LSBTI) verwendet werden. Diese ausdrücklichen Forderungen nach Mittelzusagen werden im LSBTI-Inklusionskonzept der Bundesregierung nicht beachtet. Es gibt überhaupt keine Angaben zu Finanzen, damit fehlen quantitative Grundlagen zur Überprüfbarkeit der Umsetzung.

So werden der Zivilgesellschaft wesentliche Elemente für transparente Monitoring- und Evaluierungsprozesse vorenthalten, obwohl diese für die aktive zivilgesellschaftliche Mitwirkung an der Umsetzung des Konzeptes notwendig wären. Dieses Problem steht im Widerspruch zur Aussage der Bundesregierung, die Zivilgesellschaft soll an der Umsetzung des LSBTI-Inklusionskonzeptes beteiligt werden. Darüber hinaus ist fraglich, wie die Bundesregierung ihrer angestrebten internationalen Vorreiterrolle gerecht werden will, wenn sie die Finanzen zur Förderung von SOGIE-Menschenrechtsarbeit nicht budgetiert und offenlegt, zumal dies in Kanada und in einigen europäischen Nachbarländern längst Praxis ist und international als vorbildlich gilt.

3. Bilateral als Rückfallebene

Auf die Forderung der Yogyakarta-Allianz, nicht-staatlichen Organisationen die Förderung der Menschenrechte von LSBTI zu übertragen, falls dies in bestehenden Fördermechanismen oder wegen rechtlicher bzw. politischer Rahmenbedingungen nicht möglich ist, wird im LSBTI-Inklusionskonzept der Bundesregierung nur partiell Bezug genommen. Zur konkreten Umsetzung ist es neben der klaren Mittelzuweisung wichtig, im Austausch insbesondere mit Schweden und den Niederlanden zu arbeiten, die bereits seit vielen Jahren ein solches Vorgehen systematisch praktizieren und über entsprechende Erfahrungen verfügen, weil sie eng mit wichtigen zivilgesellschaftlichen Organisationen im globalen Süden kooperieren. Im Sinne von Effektivität und Nachhaltigkeit sollte auf Synergieeffekte gesetzt werden. Deutsche Alleingänge sind deshalb zu vermeiden. Unnötige Dopplungen und diplomatische Irritationen auf EU-Ebene durch einen dennoch erhobenen Führungsanspruch Deutschlands wären kontraproduktiv.

Das Delegieren der konkreten SOGIE-Menschenrechtsförderung entbindet die Bundesregierung nicht von ihrer Pflicht bzw. Selbstverpflichtung, die Rechte von sexuellen Minderheiten bei Regierungsverhandlungen in homophoben Ländern diplomatisch im Sinne jeweiligen LSBTI-Organisationen vor Ort einzufordern. Probleme zu verschweigen und sie der bedrohten und unterfinanzierten Zivilgesellschaft aufzuschultern oder gar in einzelnen Problemländern aus politischem Kalkül von deren Förderung abzusehen, würde den Vorbildanspruch des AA und BMZ konterkarieren. LSBTI-Menschenrechtsförderung braucht politische Standhaftigkeit, denn bekanntlich wird mancherorts mit Homophobie Politik gemacht, etwa vor Wahlen oder während Wirtschaftskrisen.

4. Wissen, was los ist

Die Yogyakarta-Allianz hatte gefordert, dass die Bundesregierung pro Legislaturperiode einen Bericht über die Lebenssituation von LSBTI-Personen und –Organisationen in den Partnerländern der deutschen Entwicklungszusammenarbeit erstellt. Diese Forderung wurde vom LSBTI-Inklusionskonzept aufgenommen und den deutschen Auslandsvertretungen (Botschaften) im jeweiligen Gastland zugewiesen. Wichtig wäre es, dass ortsansässige LSBTI-Organisationen an der Berichterstattung aktiv und systematisch mitwirken. Für ernstgemeinte Inklusion ist ein solches Vorgehen notwendig. Es sollte nicht über sie oder gar ohne ihr Wissen etwas geschrieben werden. Das betrifft auch länderspezifische Strategien der Bundesregierung sowie die Planung und Umsetzung konkreter LSBTI-Maßnahmen.

5. Aktive Kontaktaufnahme und Stimmen vor Ort hören

Transparenz von Seiten der deutschen Regierung beginnt bereits bei Studien, die diese projekt-/programmvorbereitend ausschreibt oder durch die Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH in Auftrag gibt. So ist es grundsätzlich und in jedem Fall zu vermeiden, lokale LSBTI-Aktivist*innen/Expert*innen nur als Stichwortgeberinnen zu nutzen, Interviews nicht zu honorieren und die Interviewten anschließend nicht über die Verwendung ihrer Aussagen für Studienergebnisse und darauf basierende Planungsprozessen zu informieren. Ein solches Vorgehen wäre intransparent und neokolonial.

Ausschreibungen für Studien und Evaluierungen sollten immer in den wichtigsten Landessprachen erfolgen, in relevanten Netzwerken verbreitet werden und nicht nur auf Deutsch in hiesigen Portalen erscheinen. Sonst haben lokale LSBTI-Aktivist*innen/Expert*innen gegenüber etablierten deutschen Consulting-Firmen keine Chance, von einer Ausschreibung zu erfahren und sich in einem fairen Wettbewerb als Bieter*innen zu beteiligen.

Das LSBTI-Inklusionskonzept kündigt an, LSBTI-Organisationen und –Aktivist*innen für die Planung und Durchführung von konkreten LSBTI-Maßnahmen zu konsultieren, äußert sich aber nicht über deren systematische Beteiligung an der Verankerung von SOGIE-Rechten in Sicherheitssektorreformen, Friedensförderung, Konfliktprävention und Übergangsjustiz, in Berufsförderungsprogramme, Klimaschutz, erneuerbaren Energieprojekten, Infrastrukturausbau und Stadtentwicklung. Die Integration von LSBTI-Menschen und ‑Themen in diese Bereiche ist notwendig, um dem Anspruch der Bundesregierung auf Kohärenz in der Entwicklungszusammenarbeit gerecht zu werden. Zudem sind grundlegende Verbesserungen der alltäglichen Sicherheit und Mobilität, der Gesundheit, des Gewaltschutz und Einkommens von LSBTI-Menschen vielerorts existentiell, wie die vielerorts während der COVID-19 Pandemie gestiegenen homophoben Bedrohungen zeigen.

Das LSBTI-Inklusionskonzept hat die Forderung der Yogyakarta-Allianz nach einer Berücksichtigung von Stimmen vor Ort also nur punktuell aufgegriffen. Immerhin wurde der Vorschlag übernommen, je nach länderspezifischer Situation mit überregionalen Organisationen wie PanAfrican ILGA, ILGA Asien, CAL usw. zu kooperieren.

6. Diversity in der Personalpolitik

Die Forderung der Yogyakarta-Allianz nach inklusiven Stellenausschreibungen und einer entsprechenden Personalpolitik beachtet das LSBTI-Inklusionskonzept der Bundesregierung ansatzweise. Seitdem und zukünftig kommt es auf die Umsetzung an, denn wirtschaftliche und berufliche Existenzsorgen wegen homophober Diskriminierung belasten zahlreiche LSBTI-Menschen insbesondere im globalen Süden – verstärkt durch die COVID-19 Pandemie.

Positiv hervorzuheben ist die geplante Einbeziehung lokaler LSBTI-Organisationen in Aus- und Fortbildungen für Mitarbeitende in der deutschen Außen- und Entwicklungspolitik; diese Leistungen sollten systematisch honoriert werden. So wäre die 2020 veröffentlichte Publikation des AA über Geschlechtergerechtigkeit in der deutschen Außenpolitik und im Auswärtigen Amt zu überarbeiten. Denn sie reproduziert heteronormative Dichotomien; LSBTI-Menschen kommen nicht vor und LSBTI-Inklusion wird ignoriert. Diversität wird nur als beabsichtigtes Trainingsthema genannt, Intersektionalität scheint unbekannt zu sein. Auf einer Abbildung zum Grundgesetz (Artikel 3) steht nur ein weißes, blondes Paar; sowohl die Männer- als auch die Frauenfigur reproduziert Stereotype. Ob die Verantwortlichen für diese Publikation Absprachen mit denjenigen getroffen wurden, die zeitgleich im Auswärtigen Amt für das LSBTI-Inklusionskonzept zuständig waren, ist zweifelhaft. So werfen wichtige neuere Gender-/LSBTI-Veröffentlichungen des AA Fragen nach dessen hausinterner Kohärenz auf.

7. Kohärenz

Deutsche Organisationen und Unternehmen, die mit BMZ-Geldern Entwicklungsprojekte und –programme durchführen, sollen ganz eindeutig der Verfolgung und Stigmatisierung von LSBTI Einhalt bieten und sich nicht daran beteiligen. Folglich sollten nicht-staatliche und staatliche Entwicklungszusammenarbeit kohärent sein. Diese Forderung der Yogyakarta-Allianz wurde vom LSBTI-Inklusionskonzept aufgenommen. Allerdings mangelt es an der systematischen Beachtung, so berücksichtigt dieses Konzept beispielsweise nicht den aktuellen 3. Aktionsplan der Bundesregierung zur Umsetzung der UN-Resolution 1325 zu Frauen, Frieden und Sicherheit, der in seiner detaillierten Indikatorenliste mehrfach LSBTI-Anliegen auflistet, etwa den Schutz und die Unterstützung von LSBTI-Aktivist*innen.

Dieser bis 2024 gültige 3. Aktionsplan thematisiert auch die Überwindung militarisierter Männlichkeit als Friedensbeitrag. Demgegenüber ignoriert das LSBTI-Inklusionskonzept die Herausforderungen für einen nachhaltigen Frieden in Nachkriegsgesellschaften und die Notwendigkeit gendertransformativer Ansätze zur Vermeidung von Rückschlägen. Hier klafft eine konzeptionelle Lücke, zumal LSBTI-Menschen in Post-Konfliktsituationen besonders von Gewalt betroffen sind. Auch im 2020 veröffentlichten, ressortgemeinsamen Konzept der Bundesregierung zur Sicherheitssektorreform (SSR) werden Gefährdungen und Bedrohungen von LSBTI nicht thematisiert, was Friedens-/Sicherheitsexpert*innen monieren. Um Kohärenz zwischen SSR und LSBTI-Inklusion herzustellen und auf dem Wege zu mehr Rechtsstaatlichkeit und der Einhaltung von Menschenrechten beizutragen, wäre es notwendig, LSBTI-Organisationen an Länder‑, Konflikt- und Akteursanalysen aktiv zu beteiligen, denn sie wissen am besten, wie ihre Sicherheitslage konkret verbessert werden kann.

Die Kohärenz zwischen LSBTI-Inklusionskonzept/Menschenrechtsförderung und deutscher Friedens‑, Sicherheits- und Außenpolitik muss verbessert werden. Diesbezüglich ist auch der Stellenwert der feministischen Außenpolitik zu klären, die im Koalitionsvertrag der neuen Bundesregierung vom November 2021 kurz erwähnt wird. Bedeutet sie eine klare Abkehr von militarisierter Maskulinität in Sicherheitsbelangen und intendiert sie die systematische LSBTI-Inklusion? Zivilgesellschaftlich organisierte Friedensaktivistinnen haben bereits in einem gut strukturierten Toolkit aufgezeigt, wie eine feministische Außenpolitik unter Einbeziehung von LSBTI konkret gestaltet werden kann. Es wäre wünschenswert, wenn das AA solche Vorschläge berücksichtigen würde.

Wie relevant sind Flucht und Vertreibung von LSBTI-Menschen in Gewaltkonflikten und Kriegen für die Umsetzung des LSBTI-Inklusionskonzeptes? Denn dieses Konzept thematisiert nicht die Vermeidung bzw. Überwindung ihrer Diskriminierung beim Zugang zu humanitärer Hilfe, obwohl das AA für humanitäre Aufgaben zuständig ist und wie alle anderen Ministerien im Rahmen der deutschen Nachhaltigkeitsstrategie zur Umsetzung der menschenrechtsbasierten Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung und den nachhaltigen Entwicklungszielen (SDG) unter dem Motto „niemanden zurücklassen/leave no one behind“ beitragen sollte. Das praktizieren bereits Regierungen in europäischen Nachbarländern – beispielsweise Schweden – unter Bezug auf internationale LGBTI-Menschenrechtsförderung. Im internationalen Kontext haben LSBTI-Aktivist*innen und Gender-Expert*innen bereits politisch-konzeptionelle Studien und praxisorientierte Tools zur Umsetzung der SDGs erstellt, beispielsweise zu SDG5 Gender-Gleichheit mit LSBTI-Inklusion.

Die Bundesregierung beansprucht zwar eine führende Rolle in der LSBTI-Menschenrechtsarbeit, äußert sich aber nicht zu dem Dilemma, wie verhindert werden kann, dass staatliche Sicherheitskräfte, die von deutschen Sicherheitsexperten ertüchtigt werden, weiterhin homophob agieren. Zu vermeiden sind isolierte Polizeitrainings, die nur Eventcharakter haben und nicht systematisch in gut strukturierte Personalentwicklung integriert sind. Notwendig ist die strategische Verankerung von verbindlichen Anti-Homophobie-Kursen in Aus- und Fortbildungen des staatlichen Sicherheitspersonals unter Mitwirkung lokaler LSBTI-Organisationen, nur so sind umfassende und nachhaltige Einstellungs- und Verhaltensänderungen zu erreichen.

Wie will die Bundesregierung handeln, falls außen-/sicherheits-/geopolitische Interessen der LSBTI-Menschenrechtsförderung diametral entgegenstehen? Wenn beispielsweise eine Regierung geostrategisch als stabilisierender Partner gilt, gleichzeitig aber LSBTI-Menschen kriminalisiert und mit Homophobie Politik macht? Hier wären Abstimmungen mit anderen EU-Ländern wie Schweden und den Niederlanden sinnvoll und notwendig, zumal diese über langjährige Erfahrungen mit der LSBTI-Menschenrechtsarbeit in ganz unterschiedlichen Kontexten verfügen.

8. Konditionalität und Parteilichkeit für Zivilgesellschaft

Die Yogyakarta-Allianz forderte im Kontext der Konditionalität und Parteilichkeit für Zivilgesellschaft, dass Regierungen in Staaten, die sexuelle Minderheiten strafrechtlich verfolgen, weniger Mittel erhalten und diese stattdessen an Nichtregierungsorganisationen umgeleitet werden. Dies soll nach Rücksprache und in enger Abstimmung mit lokalen LSBTI-Organisationen geschehen, um Rückschläge weitere Risiken und Nachteile zu vermeiden. Hier sind – bezogen auf die Berücksichtigung dieses Punktes im LSBTI-Inklusionskonzept der Bundesregierung — auch die unter Punkt 5 erläuterten Aspekte zu beachten.

9. Öffentlicher Ausschuss SOGIESC

Die Yogyakarta-Allianz hatte die Einführung eines öffentlichen Ausschusses „SOGIESC“ verlangt, um Konfliktfälle zu lösen. Diese Forderung griff das LSBTI-Inklusionskonzept der Bundesregierung jedoch nicht auf.

10. Kulturen und Kolonialismus

Die von der Yogyakarta-Allianz geforderte differenzierte Auseinandersetzung mit dem problematischen Erbe von (deutschem) Kolonialismus und Missionierung plant das LSBTI-Inklusionskonzept nur bedingt, denn die diesbezüglichen Absichtserklärungen bleiben vage und werden nicht konzeptionell verbunden. So werden keine Organisationen oder Forschungsinstitute als förderungswürdig aufgeführt, die beispielsweise historische Berichte über „regionale Homosexualitäten, Geschlechtlichkeiten und Gendergeschichten“ sammeln und dokumentieren, wie im 13-Punkte-Paper gefordert.

Kritisch einzuschätzen ist die pauschale Behauptung im LSBTI-Inklusionskonzept, Homophobie existiere in allen Gesellschaften. Damit wird eine weltweite anthropologische Grundkonstante suggeriert, ohne die heute anzutreffende Ablehnung sexueller Minderheiten zu historisieren und die landesspezifischen Auswirkungen von Kolonialismus und Missionierung auf Homofeindlichkeit zu beachten. Und das, obwohl in vielen Staaten homophobe Gesetze nachweislich kolonialen Ursprungs sind. Die koloniale Kriminalisierung und die missionarisch-moralische Ablehnung vorkolonialer Toleranz gegenüber gleichgeschlechtlicher Liebe wirken bis heute nach und werden von lokalen LSBTI-Organisationen kritisch aufgearbeitet.

11. Monitoring

Die Forderung der Yogyakarta-Allianz nach einer Einbeziehung der Zivilgesellschaft in das Monitoring der Umsetzung des LSBTI-Inklusionskonzeptes wurde übernommen. Allerdings gibt es keine verbindlichen, präzisen und nachprüfbaren Indikatoren, kein strukturiertes Wirkungsmonitoring und keine Aussagen über Konsequenzen bei Nichterreichung oder Fehlentwicklungen. Falls die Bundesregierung Indikatoren festlegt, wäre es sinnvoll, LSBTI-Aktivist*innen daran zu beteiligen. Fraglich bleibt, wie LSBTI-Organisationen im globalen Süden in Monitoring und Evaluierungsprozesse eingebunden werden sollen und ihre begründete Kritik Gehör finden soll, auch um neo-kolonialen Tendenzen entgegenzuwirken.

Es fehlen Bezüge zu den Indikatoren im 3. Aktionsplan der Bundesregierung zur Umsetzung der UN-Resolution 1325, obwohl darin LSBTI mehrfach genannt werden und Querverweise mit Blick auf Kohärenz notwendig wären. Zudem werden UNDP/Weltbank-LGBTI-Indikatoren, OECD-DAC Indikatoren, ILGA Index zu State-Sponsored Homophobia und vergleichbare Indizes nicht erwähnt. Wie will die Bundesregierung eine Vorreiterrolle in der LSBTI-Menschenrechtsförderung einnehmen, wenn sie relevante internationale Indikatoren nicht beachtet? Das betrifft auch die Frage, welche Bedeutung sie den Berichten des UN-Independent Expert zum Schutz vor Gewalt und Diskriminierung basierend auf SOGIE beimißt, denn auch diese werden nicht genannt.

12. Die Forderung der Yogyakarta-Allianz, Aufgaben und Gelder an zivilgesellschaftliche Organisationen zu übertragen, wenn Vorhaben und Ziele nicht mit der bestehenden BMZ-Struktur bzw. deren Durchführungsorganisationen umgesetzt werden können, wurde partiell aufgenommen – in Form von Kooperationsangeboten an die Zivilgesellschaft.

13. Dialogisches Zuwendungsrecht

Die Forderung der Yogyakarta-Allianz an das BMZ, eine Arbeitsgruppe zur Flexibilisierung des Zuwendungsrechts — bzw. entsprechender Verordnungen und Maßnahmen — einzurichten, wurde bislang nicht erfüllt. Sie sollte dazu beitragen, dass auch kleinere NGOs eine realistische Chance erhalten, erfolgreich Fördergelder für ihre Entwicklungsvorhaben zu beantragen. Somit bleiben kleinere Organisationen, die basisnah aber ganz wichtige Arbeit leisten, von finanziellen Mitteln zur Verstetigung ihrer Projekte und Programme ausgeschlossen. Dies monieren manche seit Jahren. Im internationalen Vergleich extrem hohe oder unüberwindbare bürokratische Hürden beeinträchtigen auch zivilgesellschaftlich organisierte Friedensaktivistinnen, was sie im Rahmen der Umsetzung der UN-Resolution 1325 zu Frauen, Frieden und Sicherheit kritisiert wird – denn eigentlich will die Bundesregierung deren Arbeit in dem Rahmen fördern. Vertrauensvolle Partnerschaft würde sich darin zeigen, dass die zuständigen Stellen im BMZ lösungsorientiert diese Hindernisse aus dem Weg räumen.

Rita Schäfer
freiberufliche Afrikawissenschaftlerin.

Ein Beitrag im Rahmen des Projekts “LGBTIQ-Menschenrechtsverteidiger*innen” der Hirschfeld-Eddy-Stiftung. Alle Blog-Artikel zum Projekt unter dem Tag MRV-2021.

BMJV

Literatur/Links:

Yogyakarta-Allianz:
https://www.hirschfeld-eddy-stiftung.de/vernetzung/yogyakarta-allianz

Hirschfeld-Eddy-Stiftung:
https://www.hirschfeld-eddy-stiftung.de

Alle Artikel, Berichte und Informationen zum LSBTI-Inklusionskonzept:
https://blog.lsvd.de/?tag=inklusionskonzept

13-Punkte Forderungskatalog der Yogyakarta-Allianz und LSBTI-Inklusionskonzept der Bundesregierung:
https://blog.lsvd.de/forderungen-an-einen-lsbti-aktionsplan-des-bmz-aus-zivilgesellschaftlicher-sicht

Yogyakarta-Allianz zur Umsetzung des LSBTI-Inklusionskonzepts (10.12.2021)
https://blog.lsvd.de/yogyakarta-allianz-zur-umsetzung-des-lsbti-inklusionskonzeptes/

LSBTI*Inklusionskonzept umsetzen! Projektgruppe im BMZ muss eingerichtet werden (Pressemitteilung vom 19.11.2021)
https://www.lsvd.de/de/ct/6277-Aufbruch-fuer-LSBTI-in-der-Entwicklungszusammenarbeit-LSBTI-Inklusionskonzept-umsetzen

Die Chronologie zum LSBTIQ*-Inklusionskonzept für die Auswärtige Politik und Entwicklungszusammenarbeit
https://blog.lsvd.de/lsbtiq-inklusionskonzept-fuer-die-auswaertige-politik-und-entwicklungszusammenarbeit/

Inklusionskonzepte in anderen Ländern: LGBTI inclusion plan in development cooperation — Action plans from Sweden and Canada as models for Germany
https://blog.lsvd.de/lgbti-inclusion-plan-in-development-cooperation-action-plans-from-sweden-and-canada-as-models-for-germany/#more-19595

Webtalk Assisting Human Rights Defenders on the Ground: LGBTI Inclusion in Foreign Policy and international development (best practices)
https://blog.lsvd.de/assisting-human-rights-defenders-on-the-ground‑2/

Activism to promote LBTIQ human rights in Namibia. Online talk with Liz Frank, Windhoek, Namibia
https://blog.lsvd.de/activism-to-promote-lbtiq-human-rights-in-namibia-online-talk-with-liz-frank-windhoek-namibia/

Auswärtiges Amt:

Strategie des Auswärtigen Amts zur humanitären Hilfe im Ausland, 2019 – 2023, Berlin 2019.
https://www.auswaertiges-amt.de/blob/2213660/883ab41fbbcf2bb5cc2d0d499bcae736/strategie-huhi-data.pdf

Geschlechtergerechtigkeit in der deutschen Außenpolitik und im Auswärtigen Amt, Berlin 2020.
https://www.auswaertiges-amt.de/blob/2313954/1f7bca6cf71da71a12a22baf781413ba/geschlechtergerechtigkeit-data.pdf

Ressortgemeinsame Strategie zur Unterstützung der Sicherheitssektorreform (SSR) im Kontext von Krisenprävention, Konfliktbewältigung und Friedensförderung, Berlin 2020.
https://www.auswaertiges-amt.de/blob/2298360/222c695ee476e6ec1eaa350989c08f41/sicherheitssektorreform-data.pdf

Die Bundesregierung / Auswärtiges Amt / Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung:

LSBTI-Inklusionskonzept der Bundesregierung für die Auswärtige Politik und Entwicklungszusammenarbeit, Berlin 2021.
https://www.auswaertiges-amt.de/blob/2444682/1f19e1ba21d80879c81f77baa6824062/210226-inklusionskonzept-pdf-data.pdf

Deutsche Nachhaltigkeitsstrategie, Weiterentwicklung 2021, Berlin 2021.
https://www.bundesregierung.de/resource/blob/998006/1873516/7c0614aff0f2c847f51c4d8e9646e610/2021–03-10-dns-2021-finale-langfassung-barrierefrei-data.pdf?download=1

Centre for Feminist Foreign Policy, medica mondiale e.V., Gunda-Werner-Institut in der Heinrich-Böll-Stiftung:

Frauen, Frieden und Sicherheit. 3. NAP, Zivilgesellschaftliche Stellungnahme, Berlin 2021.
https://www.medicamondiale.org/fileadmin/redaktion/5_Service/Mediathek/Dokumente/Deutsch/Positionspapiere_offene-Briefe/Stellungnahme_3_Nationaler_Aktionsplan_Frauen-Frieden-Sicherheit_Deutschland_04_2021.pdf

Cheung, Jessica / Kirchner, Marie Jelenka / Scheyer, Victoria:

Practicing feminist foreign policy in the everyday, A toolkit, WILPF, Berlin 2021.
https://www.wilpf.de/practicing-feminist-foreign-policy-in-the-everyday-a-toolkit/

Hessische Stiftung für Friedens- und Konfliktforschung (HSFK):

Sicherheitssektorreform und Gender, Von der Strategie zur ressortgemeinsamen und wertebasierten Umsetzung, Frankfurt a.M. 2021.
https://www.hsfk.de/fileadmin/HSFK/hsfk_publikationen/Spotlight0421.pdf

Interministerielle Arbeitsgruppe zur Agenda Frauen, Frieden und Sicherheit / Auswärtiges Amt:

Dritter Aktionsplan der Bundesregierung zur Umsetzung der Resolution 1325, Berlin 2021
https://www.auswaertiges-amt.de/blob/2443848/3596859eebe39f90fa327e81ede416a3/aktionsplan-zu-wps-iii-data.pdf

Madrigal-Borloz, Victor, UN OHCHR:

Report of the Independent Expert on protection against violence and discrimination based on sexual orientation and gender identity, Violence and discrimination based on sexual orientation and gender identity during the coronavirus disease (COVID-19) pandemic, United Nations General Assembly, seventy-fifth session, Report A/75/258, New York, 28 July 2020.
https://www.ohchr.org/EN/Issues/SexualOrientationGender/Pages/COVID19Report.aspx
https://www.ohchr.org/EN/Issues/SexualOrientationGender/Pages/AnnualReports.aspx

Majeedullah, Aimen / Wied, Kimberley / Mills, Elizabeth:

Gender, sexuality and the Sustainable Development Goals, A meta-analysis of mechanisms of exclusion and avenues for inclusive development, IDS Evidence Report 206, Institute of Development Studies IDS, Brighton 2016.
https://opendocs.ids.ac.uk/opendocs/handle/20.500.12413/12636

OutRight International:

Guide to inclusion of LGBTI people in development and foreign policy, OutRight International, New York 2021.
https://outrightinternational.org/sites/default/files/GuideToInclusion.pdf

OutRight International/Bishop, Amie:

Vulnerability amplified, The impact of the COVID-19 pandemic on LGBTIQ people, OutRight International, New York 2020.
https://outrightinternational.org/sites/default/files/COVIDsReportDesign_FINAL_LR_0.pdf

Park, Andrew / Menso, Lucas Ramon:

For all, The Sustainable Development Goals and LGBTI people, RFSL, Stockholm 2019.

https://www.rfsl.se/wp-content/uploads/2019/04/FINAL_FORALL_RFSL_2019.pdf

Park, Andrew / Menso, Lucas Ramon:

Guiding Principles on the Inclusion of Lesbians, Gay, Bisexual, Transgender, and Intersex (LGBTI) people in development policy and programs, RFSL, Stockholm 2018.
https://www.rfsl.se/wp-content/uploads/2018/11/RFSL_Guiding-Principles_final_digital.pdf

Reid, Graeme:

Homophobia as a political strategy, Human Rights Watch, New York 2015.
https://www.hrw.org/news/2015/06/29/homophobia-political-strategy

Reid, Graeme:

Political homophobia ramps up, Human Rights Watch, New York 2021.

https://www.hrw.org/news/2021/08/13/political-homophobia-ramps

Schäfer, Rita / Range, Eva:

The political use of homophobia, Human Rights and the persecution of LSBTI-activists in Africa, International Policy Analysis, FES, Berlin 2014.
https://library.fes.de/pdf-files/iez/10610.pdf

The International Lesbian Gay Bisexual and Trans und Intersex Association (ILGA) / Botha, Kellyn:

Our identities under arrest, A global overview on the enforcement of laws criminalising consensual same-sex acts between adults and diverse gender expressions, ILGA, Geneva 2021.
https://ilga.org/downloads/Our_Identities_Under_Arrest_2021.pdf

UNHCR:

LGBTIQ+ refugees integration handbook, Geneva
https://www.unhcr.org/handbooks/ih/age-gender-diversity/lgbtiq-refugees

Urban, Anne-Marie / Ortiz, Diana / Crehan, Phil:

Bringing LGBTIQ+ people to the centre of COVID-19 economic recovery, IADB, Washington D.C, 2021.
https://blogs.iadb.org/igualdad/en/inclusive-economic-recovery/

42 Degrees – Library on SOGIES inclusion, Edge Effect, SDG 5 Gender Equality
https://www.42d.org/category/development/sdgs/goal-5-gender-equality/



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