Die gegenwärtige Situation an Schulen und Jugendeinrichtungen ist für junge Lesben, Schwule, Bisexuelle, Transgender und Intersexuelle (LGBTI) oft nahezu unerträglich. „Schwul“ ist nach wie vor die beliebteste Beschimpfung. Oft sind diese abwertenden Äußerungen unüberlegt oder das Resultat eigener Unsicherheiten und Ängste, dennoch sind sie ein deutliches Zeichen für einen unangemessenen Umgang mit sexueller Orientierung und Geschlechtsidentität. Homosexualität ist ein permanenter Subtext an Schulen und in Jugendeinrichtungen, aber Homophobie wird kaum aufgegriffen und auch über Transsexualität wird geschwiegen. Dabei zwingt uns nicht zuletzt die Tatsache, dass die Suizidrate von LGBTI-Jugendlichen signifikant höher ist als bei heterosexuellen Jugendlichen, zum Handeln.
Eine wertschätzende Schulatmosphäre
Der LSVD Baden-Württemberg hat im März 2012 zusammen mit dem Bundesverband der Eltern, Freunde und Angehörigen von Homosexuellen (BEFAH), Lambda Baden-Württemberg und der Psychologischen Lesben- und Schwulenberatung Rhein-Neckar (PLUS) das Aktionsbündnis „Diversity und Toleranz in Schulen“ ins Leben gerufen, an dem auch weitere Organisationen beratend mitwirken. Unser Ziel ist eine wertschätzende und freie Atmosphäre an Schulen, so dass sich Jugendliche dem Thema öffnen und ihre sexuelle Identität angstfrei entfalten können.
Unser vorrangiges Ziel ist es, Materialien wie Plakate, Flyer und Broschüren zu erarbeiten, mit denen Homo- und Transsexualität im Schulunterricht angesprochen werden können. Mittel- bis längerfristig wollen wir darüber hinaus für Lehrkräfte, Jugendliche und Eltern Aufklärungsworkshops mit speziell qualifizierten Fachleuten anbieten. Beispielhafte Projekte für diese Arbeit gibt es bereits in Mannheim und Freiburg. Dabei wird etwa in Rollenspielen der Umgang mit Anderssein und Verschiedenheit reflektiert und diskutiert.Besonderes Augenmerk gilt zukünftig auch den Eltern. Denn diese haben oft größere Probleme mit der Akzeptanz oder auch eigene Schuldgefühle und Sorgen, wenn sich das eigene Kind outet.
Brief an die Kultusministerin
In einem Brief bittet der LSVD die baden-württembergische Kultusministerin Gabriele Warminsky-Leitheusser, die Lehrkräfte aktiv zu ermutigen, in ihren Unterrichtstunden über LGBTI zu sprechen. Ihre schriftliche Empfehlung an alle Schulen wäre eine Übergangslösung bis zur 2015 geplanten Neufassung der Bildungspläne. In dem Brief fordern wir zudem, dass nach dieser Neufassung eine vorurteilsfreie Thematisierung verbindlich festgesetzt ist. Noch warten wir auf eine Antwort.
Baden-Württemberg hat Einfluss auf Schulbuchverlage
Im Koalitionsvertrag hat die grün-rote Regierung zudem einen Aktionsplan für Gleichstellung und Toleranz versprochen. An den Inhalten des Aktionsplans und seiner Umsetzung wird nun gearbeitet. Zu einer ersten Anhörung war auch der LSVD Baden-Württemberg eingeladen und machte zusammen mit der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft, dem Verband schwullesbischer Polizeibediensteter (VelsPol) und dem schwullesbischen Zentrum Weissenburg auf die fehlende Vielfalt an Rollen- und Familienbildern in Bildungsplan und Schulbüchern aufmerksam. Baden-Württemberg kommt hier eine besonders wichtige Rolle zu. Die Schulbuchverlage richten sich bei der Erstellung von Schulmaterial vor allem an die Vorgaben der Kultusministerien aus den bevölkerungsreichen Bundesländern. Schließlich sind diese die größten Kunden. Wünschenswert ist zudem eine pädagogische, psychotherapeutische und medizinische Ausbildung, die zu einer feinfühligen und angemessenen Beratung von LGBTI-Jugendlichen befähigt. Öffentlichkeitswirksam und schnell realisierbar wäre zudem eine von der Landesregierung und anderen prominenten Menschen unterstützte Kampagne, die zu Respekt für die Vielfalt an Menschen aufruft.
Nicht zuletzt erwarten wir von der Landesregierung auch weitere Unterstützung für unser Aktionsbündnis „Diversity und Toleranz an Schulen“. Denn gemeinsam können wir was schaffen.
Brigitte Aichele-Frölich, LSVD Baden-Württemberg