Kategorien
Hirschfeld-Eddy-Stiftung Projekte Veranstaltungen Verband

Do no harm – Schadensbegrenzung in der Entwicklungszusammenarbeit mit LGBTIQ-Organisationen

Hintergründe und Umsetzung in der zivilen Friedens- und Konfliktarbeit

Literaturliste: hier (PDF)

Do no harm“ lautet ein Prinzip in der Entwicklungszusammenarbeit. Es wurde aus der humanitären Hilfe in Kriegs- und Krisengebieten übernommen und u.a. in das LSBTI-Inklusionskonzept der Bundesregierung 2021 integriert.
Dieser Blog-Beitrag zeichnet die Entstehung des Prinzips nach und skizziert seine Nutzung in der internationalen LSBTIQ-Förderung. Der Fokus liegt auf der Friedens- und Konfliktarbeit, zumal viele LSBTIQ-Menschen in (Post)Konfliktländern leben und aufgrund von homo-/transphober Mehrfachdiskriminierung besonders von Gewalt bedroht sind und benachteiligt werden.

Deshalb ist hier von Interesse, ob „Do no harm“ in der zivilen Krisenprävention und Konfliktbearbeitung LSBTIQ ignoriert oder integriert. Im Folgenden wird unter Bezug auf aktuelle entwicklungspolitische Vorgaben der Bundesregierung diskutiert, wie eine LSBTIQ-inklusive Friedens- und Konfliktarbeit mit postkolonialen Perspektiven aussehen kann. Im Zentrum sollten LSBTIQ-Organisationen als steuernde und gestaltende Akteur*innen stehen, denn sie wissen aus Erfahrung am besten, was situationsspezifisch in Planung bzw. Umsetzung von Projekten und Programmen getan werden muss, um Gefährdungen zu vermeiden und strukturelle Änderungen zu erreichen.

Ausführliche Literaturliste: hier (PDF)

Zur Wortwahl: LSBTI, LSBT, LSBTIQ oder LSBTIQ+ werden hier je nach Handhabung einer Organisation/eines Gebers verwendet.

Beim Praxisworkshop der Hirschfeld-Eddy-Stiftung e.V. zu „Do no harm – Was heißt das für LSBTI-Projekte“ am 10. Mai 2022 in Berlin erläuterte Sarah Kohrt, Hirschfeld-Eddy-Stiftung e.V., Kernelemente des „Do no harm“-Prinzips und seiner Entstehungsgeschichte.

Sie zog einen zeitlichen Längsschnitt und wies auf die Advocacy-Arbeit der Yogyakarta-Allianz hin, die schon 2012 von der Bundesregierung ein LSBTI-Inklusionskonzept forderte, der Arbeitstitel lautete: „Do no harm, but do something“.

Sarah Kohrt stellte Bezüge zur LSBTI-Förderung her und thematisierte Spannungsfelder, die LSBTIQ-Aktivist*innen aus verschiedenen (Postkonflikt)Ländern, u.a. Nicaragua, Uganda und Ägypten, anschließend unter Bezug auf ihre Erfahrungskontexte vertiefend erklärten. Mit Vertreter*innen von Entwicklungs- und Geberorganisationen diskutierten sie „Do no harm“ in unterschiedlichen Zusammenhängen. Das Spektrum reichte von Polizeitrainings über die Stärkung von Netzwerken bis hin zur humanitären Hilfe für Geflohene.

Fehler vermeiden – jahrelange internationale Lernprozesse

Das „Do no harm“-Prinzip – auch als „Do no harm“-Ansatz, Grundsatz oder Instrument bezeichnet – wurde in Folge gravierender Fehler in der humanitären Hilfe ab Anfang der 1990 Jahre entwickelt. Wegweisend war die Ökonomin Dr. Mary B. Anderson, eine Gender- und Entwicklungsexpertin und überzeugte Pazifistin und Gründerin der praxisorientierten Beratungsagentur Collaborative for Development Action (CDA), heute als Nichtregierungsorganisation CDA Collaborative Learning Projects (CDA) tätig.

Sie kooperierte mit zahlreichen Nichtregierungsorganisationen und Gebern im Rahmen des Local Capacities for Peace Project in Afrika, Asien und Lateinamerika. In einem mehrjährigen Austausch erarbeiteten und erprobten sie gemeinsam mit humanitären Teams in unterschiedlichen Ländern und Krisenkontexten den „Do no harm“-Ansatz, der anschließend zu einem CDA-Programm wurde.

Als Lernprozeß verstanden, umfaßte er alle Projektphasen, also die Konzeption, Implementierung und Evaluierung sowie Reevaluierungen/Projektumstrukturierungen, weltweite Trainings und Beratungen für Organisationen. 2006 veröffentlichte CDA ihre Erfahrungen aus Implementierungen und Trainings und 2015 integrierte sie „Do no harm“ in das Praxisfeld Konfliktsensibilität. 2018 brachte CDA einen praxisorientierten Gender-Leitfaden heraus, der sexuelle Minderheiten systematisch integriert.

Nur Gender oder auch LSBTIQ – konzeptionelle Ausgangspunkte

Dem gingen verschiedene Arbeitsschritte voraus: Seit Jahrzehnten kritisiert CDA die bis heute in der Friedensförderung vorherrschende Unterscheidung zwischen grundsätzlich friedfertigen Frauen und latent gewaltbereiten Männern. Diese verbreitete Dichotomisierung von mütterlichen Friedensstifterinnen und todesmutigen Militaristen reproduzierte heteronormative Machtstrukturen und wurde der gesellschaftlichen Komplexität in (Post)Konfliktgesellschaften nicht gerecht. Demgegenüber stellten CDA-Publikationen zu „Do no harm“ klar: Die oftmals von Kriegsparteien politisch forcierte Zuschreibung militanter Maskulinität marginalisierte Deserteure und männliche Pazifisten in der Friedensarbeit. „Do no harm verlangt von Friedensorganisationen auch, den eigenen Blick auf Frauen zu überdenken, indem deren Mitwirkung an Kriegen und Kampfbereitschaft bzw. Militanz Beachtung findet.

Ein weiteres Problem kommt hinzu: Organisationen und Projekte bzw. Programme zur Friedensförderung ignorieren LSBTIQ-Menschen, die in Kriegen, gewaltsamen Konflikten und Flüchtlingslagern mehrfach diskriminiert werden und mit Gewalt konfrontiert sind. Hier besteht also großer Reformbedarf, um „Do no harm“ wirklich inklusiv zu handhaben und nicht durch Ignoranz gegenüber den Gefährdungen von LSBTIQ deren Bedrohungslage zu verschlimmern. Denn Nachkriegsphasen sind Wendepunkte: Einerseits können dann Gewaltstrukturen, Ungleichheiten und Homo-/Transphobie, die schon vor Kriegsbeginn verbreitet waren und von Kriegsparteien oftmals geschürt wurden, weiter verbreitet werden — fehlgesteuerte Projekte und Programme tragen dazu bei. Andererseits bieten Nachkriegsgesellschaften Möglichkeiten zu Veränderungen, die LSBTIQ vielerorts gezielt nutzen, um grundlegende Situationsverbesserungen als Beitrag für mehr soziale Gerechtigkeit und nachhaltigen Frieden zu erreichen. Deshalb sollten alle Fördermaßnahmen im Nexus von humanitärer Hilfe, Entwicklungszusammenarbeit und Frieden so gestaltet sein, dass sie diese couragierte Arbeit nicht unterminieren.

Vorgaben der Bundesregierung

In den Leitlinien der Bundesregierung zu „Krisen verhindern, Konflikte bewältigen, Frieden fördern“ (2017) wird „Do no harm“ als Prinzip genannt. Ein darauf aufbauender Praxisleitfaden (2019) zur systematischen Anwendung hat für alle Ressorts Gültigkeit. Die Leitlinien verweisen unter Bezugnahme auf die UN-Resolution 1325 zu Frauen, Frieden und Sicherheit auf die Arbeit von Friedensaktivistinnen und der Umsetzungsbericht (2021) beschreibt diese ausführlich.

In all diesen Dokumenten kommen sexuelle Minderheiten nicht vor. Nur eine Broschüre zur BMZ-Initiative „Selbstbestimmte Familienplanung und Müttergesundheit“ (2022) nennt im Kontext reproduktiver Gesundheit und Rechte ein Gesundheitspilotprojekt mit LSBTI-Inklusion in Kamerun – einem u.a. vom deutschen Kolonialismus und vielen Konflikten erschütterten Land mit gewaltsamer Verfolgung von Homosexuellen.

Dort wurde Gesundheitspersonal unter Bezug auf „Do no harm“ für die Überwindung der Diskriminierung von LSBTI trainiert. Bereits eine handlungsleitende Detailstudie vom Deutschen Institut für Menschenrechte und Dreilinden (2015) hatte aus der Sicht kamerunischer LSBTI den Reformbedarf im Gesundheitssektor erläutert und daraus abgeleitete Forderungen vorgestellt.

Der 3. Aktionsplan der Bundesregierung zur Agenda Frauen, Frieden und Sicherheit 2021–2024 (Umsetzung der UN Resolution 1325 Women Peace and Security) nennt mehrfach die Förderung von LSBTI-Organisationen, beispielsweise im Kontext des Schutzes von reproduktiver Gesundheit und Rechten, Menschenrechten und Geschlechtergleichheit.

Das entspricht den Forderungen und Empfehlungen von Outright International, LSBTIQ-Interessen systematisch in die Women Peace and Security Agenda zu integrieren. Einige queere Friedensforscher*innen verweisen diesbezüglich auf die Vielfalt sexueller Minderheiten und deren spezifischen Interessen, zudem unterstreichen sie die Bedeutung von Intersektionalität für eine nachhaltige Konfliktbearbeitung. Wichtig wäre es, dabei auch postkoloniale Perspektiven zu beachten.

Eine aktuelle DEVAL-Evaluierung von Gender-Projekten in Nachkriegsgesellschaften (bezogen auf bi-laterale staatliche Projekte im Auftrag der Bundesregierung und mit Referenz auf deren friedenspolitischen Leitlinien, die UN Resolution 1325 und das „Do no harm“-Prinzip) benennt strukturelle Defizite, dazu zählt die systematische Vernachlässigung von LSBTI. Diese Evaluierung nutzte das „Do no harm“-Prinzip methodisch und analytisch.

Zivilgesellschaftliche Friedensorganisationen – Trainingstools

Demgegenüber bleiben LSBTIQ für etliche deutsche Friedensforschungseinrichtungen eine Leerstelle, auch bezogen auf „Do no harm“. Dies betrifft ebenfalls zivilgesellschaftliche Friedensorganisationen und Trainingseinrichtungen. In deren detaillierten Handreichungen zu „Do no harm“ kommen LSBTI nicht vor, die sporadische Nennung von Gender ist schablonenhaft auf Frauen und binäre Geschlechterverhältnisse beschränkt. Das verstellt schon in Konfliktanalysen, einem wesentlichen Element zur praktischen Nutzung von „Do no harm“, den Blick auf die Komplexität von Konflikten, deren Ursachen und Beteiligte.

Und das, obwohl das „Do no harm“-Prinzip darauf abzielt, die von humanitären Organisationen bzw. Gebern verursachten Probleme in Folge der nicht-intendierten Ungleichbehandlung verschiedener und konkurrierender oder gar verfeindeter Konfliktparteien bzw. Interessengruppen vor Ort zu vermeiden. Ursprünglich genannt wurde die Vereinnahmung und Zweckentfremdung von Hilfsgütern für politische oder militärische Interessen. Deshalb sollte die Anwendung des „Do no harm“-Prinzips maßgeblich zur Fehlervermeidung und Verbesserung der humanitären Arbeit beitragen. Es sieht sich gegenüber dem Internationalen humanitären Völkerrecht und den Menschenrechten verpflichtet, versteht sich aber nicht als Instrument zur Menschenrechtsförderung. Es ist völkerrechtlich nicht verbindlichindlich, was juristische Reaktionen auf Verstöße stark einschränkt. Folglich sind Projektverantwortliche aufgefordert, systematisch über Antworten auf konkrete Menschenrechtsverletzungen und Möglichkeiten zur Rechenschaftspflicht nachzudenken.

Do no harm“ fordert schon bei Programmkonzeptionen dazu auf, genau zu überlegen, mit wem unter welchen Bedingungen zusammengearbeitet werden soll, wobei Personalfragen, Arbeitsabläufe und die Kooperation mit lokalen Autoritäten berücksichtigt werden. Auf Fehler, die lokale Gruppierungen negativ betrafen, soll reagiert werden, um auf programmatischer Ebene die Hilfe zu verbessern. Humanitäre Arbeit bzw. Projekt-/Programminterventionen werden also im Spannungsfeld zwischen Konfliktverschärfung und gewaltfreien Konfliktlösungen selbstkritisch beleuchtet.

Zur praktischen Handhabung von „Do no harm“ werden häufig sieben Schritte genannt: Verstehen des Konfliktkontextes, Analyse trennender und verbindender Faktoren — Spannungsursachen/Konfliktverstärkung versus Friedenskapazitäten (connectors/dividers), Projektanalyse, Analyse der Projektauswirkungen auf den Konflikt, Suche nach Alternativen (bei Problemen), Testen anderer Möglichkeiten und Re-Design von Projektmaßnahmen.

Trainingstools stellen Projekt-Matrix-Übersichten vor, die im jeweiligen Konfliktkontext eine Auseinandersetzung mit Institutionen, Einstellungen/Handeln, Werten/Interessen, Erfahrungen und Symbolen umfassen.

Zur Einschätzung der Projektfolgen (bei erforderlichen Evaluierungen) werden konkrete Hinweise auf negative bzw. positive Effekte abgefragt. All dies geschieht in den meisten „Do no harm“-Trainings(tools) ohne LSBTIQ und erfordert daher viele Verbesserungen in der Praxis!

LSBTIQ-inklusive „Do no harm“-Projektpraxis

Damit „Do no harm“ LSBTIQ inklusiv genutzt wird, müssen die Perspektiven aller Geschlechter in Konfliktanalysen einbezogen werden. Das setzt ein detailliertes Verständnis von Gender-Machtverhältnissen und –dynamiken voraus. Die aktive Mitwirkung von LSBTIQ-Akteur*innen ist dafür unerläßlich. Unterschiedliche sexuelle Minderheiten sollten eine Stimme erhalten. Nur so können die konkreten Ausmaße und Folgen von Homo-/Transphobie und Mehrfachdiskriminierungen, etwa beim Zugang zu Bildungs- und Gesundheitseinrichtungen, differenziert erfaßt werden. Um zu verstehen, wie gewaltsame Konflikte/Kriegshandlungen sich auf verschiedene Gender-Gruppen bzw. sexuelle Minderheiten auswirken und wie LSBTIQ schon vor Kriegen von politischer, wirtschaftlicher und sozialer Macht ausgeschlossen wurden, sind zeitliche Längsschnitte einschließlich postkolonialer Reflexionen notwendig. Es geht um die Interdependenzen von oftmals kolonial geprägten Gender-Normen, Gewaltverhältnissen und Militanz.

Do no harm“ fordert eine Auseinandersetzung mit „Dividers“ und „Connectors“. Wie gehen „Dividers“ gegen LSBTIQ konkret vor und wie stellen sich „Connectors“ dem entgegen? Wie nimmt ein Projekt/Programm Einfluß darauf? Diese Fragen bewegen Planer*innen, die zudem Intersektionalität (also Differenzen aufgrund von Klasse, Ethnizität, Religion etc.) mitdenken, wenn sie im Idealfall gemeinsam mit LSBTIQ-Interessenvertreter*innen nach Lösungen suchen.

Eine weitere praxisrelevante Frage lautet: Wie wirken sich Projektinterventionen direkt und indirekt auf Gender-Dynamiken und verschiedene Gender-Gruppen und sexuelle Minderheiten aus und wie werden Veränderungen von diesen beurteilt? Welche Diskussionen bzw. Kontroversen erfolgen und wie reagieren Projektverantwortliche darauf? Wie beeinflußt das Geschlecht der Mitarbeitenden deren Vorgehen und Entscheidungen?Ändern sie Projektdetails – in Absprache mit LSBTIQ-Interessenvertreter*innen?
Grundsätzlich sollten alle Projektverantwortlichen in der Kommunikation auf eine inklusive Sprache achten und transparent die Projektbelange kommunizieren. Höchste Priorität haben persönliche Sicherheit von LSBTIQ-Menschen sowie Datenschutz/-sicherheit in jeder Hinsicht. Der Schutz von Namen und Fotos sollte auf allen digitalen Kommunikationskanälen sichergestellt werden. „Do no harm“ heißt hier: Gefährdungen und Verfolgung vermeiden.

LSBTIQ-Organisationen nutzen „Do no harm“

Do no harm“ soll nicht nur in Projekten zur zivilen Friedens-/Konfliktarbeit Fehler verhindern, sondern auch in der Zusammenarbeit von Gebern und LSBTIQ-Organisationen im globalen Süden und Osten. Seit 2013 wird „Do no harm“ bezugnehmend auf das von verschiedenen LSBTIQ-/Nichtregierungsorganisationen gegründete Amsterdam Advocacy Network und dessen ethische Grundlagen genutzt und zwischenzeitlich aktualisiert; zentral ist das local ownership in der LSBTIQ-Advocacy Kooperation. Mit der Aufforderung „Do no harm, but do something“ – also nicht tatenlos bleiben in der LSBTIQ-Förderung -, wird eine Verbindung zu den Sustainable Development Goals (SDG) der UN-Nachhaltigkeitsagenda 2030 hergestellt, um auch so zur Risikominimierung beizutragen.

Darauf bezieht sich u.a. Outright International mit seinem Guide zur LSBTIQ-Inklusion in der Entwicklungs- und Außenpolitik (2021), der auch auf die Yogyakarta+10 Prinzipien zu LSBTIQ-Menschenrechten Bezug nimmt.

Dieser Guide verlangt, dass LSBTIQ-Organisationen im Mittelpunkt von Entscheidungsprozessen stehen und aktiv an Projektdesign und ‑implementierung mitwirken. Zudem empfiehlt er mit ausdrücklichem Verweis auf „Do no harm“ praktische Programmflexibilität, flexibles Funding und – auch durch die Kooperation von Gebern — ausreichende Mittel für kurz‑, mittel- und langfristig angelegte Projekte einschließlich Gelder für akutes Krisenmanagement. Datenschutz sollte höchsten Stellenwert haben, zumal Datendiebstahl/–mißbrauch LSBTIQ gefährden.

Umfassender Schutz – Vorausschauende Planungen

Datenschutz und Finanzen sowie Monitoring zählten zu den Untersuchungspunkten in einer 2017 veröffentlichten Evaluierung der Swedish Federation for Lesbian, Gay, Bisexual, Transgender and Queer Rights (RFSL), die Programme und Projekte der staatlichen Entwicklungsorganisation SIDA in Kooperation mit LSBTIQ in Ländern des Globalen Südens und Ostens durchführt. SIDA/RFSL gilt wegen ihres innovativen partizipativen Ansatzes und damit verbundener (Selbst-)Reflexionen international als vorbildlich und auch aus diesem Grund ist die Evaluierung aufschlußreich.

Sie belegt: LSBT-Aktivist*innen wertschätzten ihre grundsätzlich verbesserten Advocacy-Kompetenzen und Vernetzungen ihrer Organisationen als Erfolge. Nennenswert war auch der gemeinsame Einsatz für die erfolgreiche Verabschiedung einer Resolution im UN-Menschenrechtsrat zur dortigen Etablierung eines Independent Expert on SOGIE. Neben einigen praktischen bzw. verwaltungstechnischen Verbesserungsvorschlägen wurde die konzeptionelle Perspektiverweiterung auf wirtschaftliche Entwicklung empfohlen – also nicht nur auf Menschenrechte im engsten Sinn -, da prekäre Lebensbedingungen viele LSBT beeinträchtigen.

Auf dieses Problem gehen auch die 2018 veröffentlichten RFSL-Leitprinzipien für die Zusammenarbeit mit LSBTIQ in fragilen Kontexten ein. Sie erläutern, dass sexuelle Minderheiten in Krisenzeiten zu Sündenböcken gemacht werden und in den Fokus geopolitischer (Kultur)kämpfe geraten. Dabei beachten sie unter Bezug auf intersektionale Mehrfachdiskriminierungen (also Ethnizität, Religion, Klasse, Herkunft, Alter etc.), dass Lesben, Bi‑, und Trans-Frauen ganz besonders von Gewalt und Marginalisierung in allen Lebensbereichen betroffen sind.

Um so wichtiger ist eine vorausschauende Entwicklungsplanung, die mögliche negative Folgewirkungen von Projekten/Programmen durch frühzeitige und regelmäßige Absprachen zwischen LSBTIQ-Organisationen und Gebern verlangt. Denn auch Interventionen in Bereichen, die auf den ersten Blick nichts mit LSBTIQ zu tun haben, können negative Folgewirkungen für diese haben und sie zusätzlich gefährden; ihre Ausbildung, Jobs und Einkommen, ihr Wohnen, ihren Zugang zu Gesundheitsdiensten beeinträchtigen.

Um so bedeutender sind sichere Orte, Büros, technische Ausstattung und Kommunikationsmittel. (Un)sichtbarkeit in der Öffentlichkeit sollte sehr genau und orts-/situationsspezifisch zwischen Gebern und LSBTIQ-Organisationen abgesprochen werden. LSBTIQ-Organisationen haben die Entscheidungsmacht, geplante Veranstaltungen durchzuführen oder krisenbedingt aus Sicherheitsgründen abzusagen. Die dafür bewilligten Mittel werden entsprechend flexibel gehandhabt. RFSL unterstreicht, dass die Förderung verläßlich ist. RFSL hat also einen holistischen Ansatz in der Sorge um Sicherheit – einschließlich entsprechender finanzieller und personeller Ausstattung; dazu zählen fortwährende Risikoanalysen und der Schutz des persönlichen Wohlergehens von Mitarbeitenden bzw. Aktivist*innen. Nur so könnten Resilienz und Nachhaltigkeit in sehr herausfordernden Arbeitssituationen gewährleistet werden. RFSL versteht sich als Dialogpartner gegenüber anderen (Geber)Organisationen; schließlich geht es um stetig verbesserte Methoden und Strategien für eine verantwortungsvolle Entwicklungszusammenarbeit.

Verschiedene Geber, eigene Schutzkonzepte und neue Impulse

Auch niederländische, britische, kanadische und US-amerikanische staatliche Geber, die LSBTIQ-Organisationen unterstützen, weisen auf „Do no harm“ hin, wenn sie ihre Förderungen vorstellen. Ähnlich handhaben das die OECD und die Weltbank; zudem gemeinnützige (philanthropische) Stiftungen. Während in den meisten Veröffentlichungen ein allgemeiner Hinweis auf „Do no harm“ gegeben wird, skizzieren manche Projektinformationen inhaltliche Details. Dazu zählt die Wertschätzung von Sicherheitsplänen und –strategien, die LSBTIQ-Aktivist*innen bereits orts-/situationsspezifisch konzipiert haben – etliche im Austausch mit Allianzpartner*innen. In der Risikoabwägung beraten sie sich untereinander. Projektverantwortliche müssen beachten, dass ihre Aktivitäten lokale Dynamiken – und somit auch mögliche Risiken — beeinflussen. Damit Interventionen für LSBTIQ sinnvoll, nützlich und nicht schädlich sind, bedarf es systematischer und kontinuierlicher Absprachen in geschützten Räumen.

Diese Forderung stellt „What works to prevent violence“, ein vom britischen Außen- und Entwicklungsministerium gefördertes, internationales Netzwerk bezogen auf die reale und digitale Kommunikation. Im aktuellen Programm (2021−2027), das vom International Rescue Committee koordiniert wird, empfehlen Gender- und LSBTIQ+-Organisationen, neue Wege zu beschreiten. Konkret heißt das: Sie nutzen Impulse aus Programmen/Projekten, die erfolgreich zur Überwindung von Gewalt gegen heterosexuelle Frauen und von männlicher Militanz in (Post)Konfliktländern waren und dabei auf soziale Gerechtigkeit abzielten. Darauf aufbauend geht es nun – unter Beachtung von „Do no harm“ — um die Situationsverbesserung von LSBTIQ+.

Ein intersektionales Verständnis hilft, besonders Benachteiligte, vor allem verarmte und mehrfach diskriminierte Lesben und Trans, zu unterstützen. Dass heißt zum Beispiel: konkrete Wirtschaftsförderung und Kleinkredite zur Armutsüberwindung. Dadurch soll auch familiäre homophobe Gewalt reduziert werden, die während der Corona-Pandemie und den daraus resultierenden ökonomischen Problemen stieg.

Projekte zur Reduzierung von sexalisierter Gewalt an Schulen (safer schools), die bislang durch multidimensionale Arbeit mit Lehrkräften und Schülern auf den verbesserten Schutz von Mädchen ausgerichtet waren, sollen diesen Schutz auf junge LSBTIQ+ ausweiten. Ohne Gewalt und Diskriminierung sollen sie erfolgreich ihre Schulausbildung abschließen können und berufliche Chancen erhalten. Für LSBTIQ+Jugendliche in Nachkriegsländern ist das besonders wichtig.

Die Veränderung von martialischen Männlichkeitsbildern nach Kriegen (in etlichen Ländern als Programm H bekannt) wird zum Programm D – Toleranz für Diversität und Abbau von Homophobie erweitert. Junge Männer und Jugendliche in prekären Situationen erarbeiten hier Wege aus der Gewalt und neue Perspektiven – auch in Peer-Gruppen.

Diversity and Dignity (Diversität und Würde) sind Trainingsziele zur Professionalisierung der Polizeiarbeit, die Menschenrechte von Sex-Arbeiter*innen in Postkonfliktländern achtet. Vor allem viele Trans-Menschen, denen andere Jobs verweigert werden, sind existentiell auf Sex-Arbeit angewiesen. LSBTIQ+ ist klar, dass es mit einzelnen, eventartig durchgeführten Trainings nicht getan ist. „Do no harm“ erfordert mehr. Notwendig sind die systematische Institutionalisierung von Trainings und damit verbundene strukturelle institutionelle Änderungen; dazu zählen Polizeiausbildungen, um sexistische und homo-/transphobe und gewalttätige Verhaltensmuster von Polizisten zu überwinden.

Do no harm“ im Mediensektor und in religiösen Kontexten

Im Mediensektor sind die von Gebern geförderten Trainings – zumeist einzelne Workshops — zur Vermeidung von Sexismus und Homo-/Transphobie unter Berücksichtigung von „Do no harm“ nur erste Schritte zur Überwindung von Haßgewalt nach Kriegen. Voyeuristische Berichterstattung war vielerorts schon vor Kriegen gängig, deshalb sind auch hier umfassende und langfristig ausgerichtete Ansätze wichtig. Wenn Medien würdevoll über LSBTIQ+ und unter Bezug auf SOGIE-Menschenrechte berichten, können sie mit sachlichen Informationen gegen Stereotype vorgehen und zu mehr Respekt beitragen. Dies erfordert die systematische Berücksichtigung von LSBTIQ-Themen in der journalistischen Aus- und Fortbildung.

Auch in religiösen Kontexten kann viel getan werden: Das Global Interfaith Network for People of All Sexes, Sexual Orientations, Gender Identities and Expression (GIN-SSOGIE) verbindet Religion mit SOGIE-Rechten.

Es bietet sichere Orte und setzt sich für mehr Toleranz und gegen Diskriminierung ein. Es argumentiert gegen die von Homo- und Transphobie geprägten religiösen Bewegungen zu „Familienwerten und Tradition“, die weltweit und insbesondere in Krisen-/Nachkriegsländern agitieren. Dieses Netzwerk entwickelt im Sinne von „Do no harm“ kulturell sowie länder-/regionalspezifisch angepaßte Strategien, teilt sie und dokumentiert best practices.

Fazit

Kriege, Klimakrise, weltweite Epidemien, bewaffnete Konflikte und Militanz in Postkonfliktländern bedeuten neue Belastungen für LSBTIQ-Menschen und deren Organisationen. Diese Erschütterungen fordern auch Entwicklungsorganisationen und Geber heraus, „Do no harm“ situationsspezifisch anzupassen und LSBTIQ-Organsationen dabei als Steuernde anzuerkennen. Nur dann können postkoloniale Versprechen eingehalten werden.

Neokoloniale Grundmuster und starre bürokratische Praktiken gehören vor allem in der Finanzierung von LSBTIQ-Projekten und –Programmen abgeschafft. Auch in allen Planungsphasen – von vorbereitenden Studien, über Konfliktanalysen und Konzeptentwicklungen bis zu Monitoring und Evaluierungen sind patronisierende Praktiken zu beenden, da LSBTIQ diese als Gängelei und Ausdruck von latent rassistischem Mißtrauen wahrnehmen. Während der Corona-Krise war es für LSBTIQ offensichtlich, welche Geber sie als Partner*innen in Existenznot ernst nahmen und entsprechend flexibel unterstützten, während andere sich hinter bürokratischen Rastern und Fristen verschanzten. Letzteres ist neokolonial und nicht mit dem Anspruch einer menschenrechtsbasierten und feministischen Entwicklungspolitik vereinbar.

Strukturelle Änderungen sind auch in der zivilen Friedens- und Konfliktarbeit notwendig. Dazu zählt die Änderung der binären Grundannahmen und daraus abgeleiteter Prämissen, denn sie beeinträchtigen die reflektierte und selbstkritische Mittelvergabe und Kooperation im Sinne von „Do no harm“. Projekte und Programme zur Krisenprävention, Konfliktbearbeitung und Friedensförderung sollten LSBTIQ-Organisationen und Interessen verschiedener sexueller Minderheiten in alle Konzeptionen, Projektphasen und Trainings (auch des eigenen Personals) systematisch einbeziehen. Nur so kann die weit verbreitete und in Konfliktsituationen verstärkte Homo-/Transphobie reduziert werden und der Aufbau inklusiver, gerechter und friedlicher Nachkriegsgesellschaften gelingen.

Dr. Rita Schäfer, freiberuflich tätige Afrika-Wissenschaftlerin

Links:

Ein Beitrag im Rahmen des ProjektsDo no harm – Risiken für LSBTI in der internationalen Projektarbeit minimieren“ der Hirschfeld-Eddy-Stiftung. Alle Beiträge im Rahmen des Projekts sind im Blog unter dem Tag „DNH-2022“ zu finden.

BMJ
HES


Teile diesen Beitrag: