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Du bist doch normal – warum holst du diese Personen aus ihren Löchern?

Melibea Obono aus Äquatorialguinea zu Gast in Köln, copyright Hirschfeld-Eddy-Stiftung

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Die Autorin und Aktivistin Melibea Obono aus Äquatorialguinea zu Gast in Köln

Aktuell gilt sie als angesagteste Autorin des Landes: Melibea Obono. Im Jahr 2016 hat sie die Organisation „Somos Parte del Mundo“ (Wir sind Teil der Welt) mitgegründet, die über die Situation von LSBTIQ+ in dem Land am Golf von Guinea aufklärt. 

Die feministische Schriftstellerin und Streiterin für Menschenrechte war am 16. Dezember 2022 auf Einladung der Hirschfeld-Eddy-Stiftung zu Besuch in der Kölner Alten Feuerwache. Im Rahmen des Projekts „Do no harm“ berichtete sie von der politischen Situation in ihrem Land sowie von schockierenden Erlebnissen beim Schreiben ihrer Bücher.

Äquatorialguinea liegt zwischen Kamerun und Gabun und hat knapp 1,5 Millionen Einwohner*innen. Das Land verfügt über hohe Erdölvorkommen, von deren Einnahmen nur eine kleine Elite profitiert. Seit der Unabhängigkeit von Spanien im Jahr 1968 regiert eine einzige Familie das Land: Macías Nguema wurde 1979 von seinem Neffen Teodoro Obiang Nguema aus dem Amt geputscht. Obiang Nguema regiert bis heute. Aktuell findet ein Krieg um die Nachfolge statt. Die Bevölkerung fühlt sich von den politischen Institutionen nicht repräsentiert. Vor allem junge Leute können nichts mit den traditionellen Machtstrukturen anfangen. „Das Regime ist autoritär und faschistisch. Wir haben die politische Kultur des Nationalkatholizismus geerbt, der unter Franco in Spanien tonangebend war“, erklärt Melibea Obono.

Die Lebenserwartung beträgt 45 bis 50 Jahre, die Bevölkerung ist durchschnittlich sehr jung. Doch regiert wird das Land von den Alten: Äquatorialguinea ist eine Gerontokratie. Junge Leute identifizieren sich weder mit der Katholischen Kirche noch mit den traditionellen Religionsgemeinschaften, genauso wenig mit den Clans oder Dorfgemeinschaften. Sie orientieren sich eher an Europa oder Südafrika. „Auch ich bin Teil dieser Generation, die sich mit nichts identifiziert“, erklärt die 40jährige Autorin Obono. Sie erläutert, welche Gesetze die Gewalt gegen LSBTIQ+ in Äquatorialguinea zementieren. Das „Landstreicher und Ganovengesetz“ stammt aus der Zeit der Zweiten Spanischen Republik (1931−1939) und wurde unter Franco 1954 verschärft. Darin werden alle, deren Verhalten als „abweichend“ angesehen wird, als soziale Gefahr definiert. Dem Gesetz zufolge gelten LSBTIQ+ als „faul“, „asozial“, als „Kranke“, die mit „wissenschaftlichen“ Methoden „geheilt“ werden müssen. Das Ordnungsrecht legt zudem fest, dass sich eine LSBTIQ+ Person nicht als solche öffentlich zeigen darf, und sieht dafür bis zu sechs Jahre Gefängnisstrafe vor.

Ein führender Oppositionspolitiker schlug mir einmal vor, für ihre Liste zu kandidieren“, erzählt Melibea Obono. „Ich fragte: Hast du meine Bücher gelesen? — Nein. — Das solltest du aber. Dann wüsstest du, dass ich keinen öffentlichen Posten bekleiden kann. Außerdem solltet ihr in euer Wahlprogramm Forderungen von LSBTIQ+ und Feminist*innen aufnehmen. Darauf erwiderte er: Aber Melibea, du bist doch normal. Du bist eine Intellektuelle. Warum holst du diese Personen aus ihren Löchern hervor?! Ich antworte ihm: Auch ich stecke in diesen Löchern!“.

Somos Parte del Mundo

Die Organisation „Somos Parte del Mundo“ agierte anfangs eher zurückhaltend. „Doch schon bald bekamen wir Probleme“, berichtet die Aktivistin. „Als wir 2019 einen Alternativbericht zur Menschenrechtssituation von LSBTIQ+ in Äquatorialguinea veröffentlichten, reagierte die Politik erzürnt: Es gibt keine Homosexuellen bei uns! Falls hier ein Homosexueller entdeckt wird, ist das ein Import der Weißen“. Homophobe und frauenfeindliche Strukturen wurzeln nicht nur in den Gesetzen aus der Franco-Zeit, auch die lokalen Traditionen spielen eine Rolle. „Wir drehten einen Dokumentarfilm, in dem wir alle Bezeichnungen nennen, die jede Ethnie für LSBTIQ+ benutzt, die Grundlage für den Ausschluss dieser Personen aus der Gemeinschaft. In Sachen Homophobie stehen nicht die Institutionen, sondern die Familien, die sich auf vorkoloniale Traditionen berufen, an erster Stelle“, erläutert Melibea Obono.

Sie selbst gehört der Ethnie der Fang an: „Die Fang sind eine Kriegervolk“. Ein deutscher Ethnologe, Günther Tessmann, hat 1913 die bisher umfangreichste Forschung zu den Fang vorgelegt. „Wer die Fang verstehen will, muss Tessmann lesen“, meint Melibea Obono. Als Deutschland gegen Ende des Ersten Weltkriegs seine Kolonie Kamerun verliert, flüchteten die dort stationierten Deutschen nach Äquatorialguinea, wo sie eine Zeit lang blieben, bevor sie nach Deutschland zurückkehrten.

In vorkolonialen Zeiten war das Reich der Fang wie ein föderaler Staat: In jedem Einzelstaat herrschte ein Clan, der über eine eigene Armee verfügte. Je mehr Mitglieder ein Clan hatte, desto mehr Soldaten standen bereit. Polygamie war gängig, die Männer mussten viele Kinder in die Welt setzen. Frauen wurden zwischen den Clans gehandelt, sie sind bis heute eine Ware.

Die spanische Kolonialverwaltung traute sich zunächst nicht, das Gebiet der kriegerischen Fang zu besiedeln. Erst mit dem Franco-Regime ab 1939 und steigendem Arbeitskräftebedarf wurden diese Gebiete kolonisiert. „Die Spanier nahmen den Fang ihre Waffen ab. Mental wurden sie allerdings nicht bezwungen. Bis heute sehen sich die Fang als Krieger“, erzählt Melibea Obono. „Auch ich ziehe in den Krieg, und zwar mit Worten. Und der Feminismus will auch gewinnen, ebenso die LSBTIQ+. Wir dürfen nicht verlieren, sonst verlieren wir unser Leben und sind nicht mehr Teil der Welt“.

Wir Frauen und LSBTIQ+ sind schon immer resilient gewesen

Melibea Obono hat mehrere Bücher veröffentlicht, eines liegt auf Deutsch vor: „Wem gehören die Bindendee“. Wie ist es möglich, in einer so patriarchalischen und despotisch regierten Gesellschaft als Lesbe, als Schwuler, als trans Person aktivistisch zu sein und Bücher zu schreiben? „Eine Diktatur tötet als erstes dein Selbstwertgefühl und setzt an dessen Stelle die Angst. Aber wir Frauen und LSBTIQ+ sind schon immer resilient gewesen“, sagt Melibea Obono selbstbewusst. „Im Patriarchat können es sich Diktaturen richtig gemütlich machen. Aber gegen repressive Regimes hat es schon immer Widerstand gegeben“.

Die Autorin erklärt das Cover ihres Romans „Herencia de bindendee“, das der äquatorialguineische Zeichner Nse Ramón entworfen hat. „Zu sehen ist das ‘Haus des Wortes’. Hier treffen sich die Alten, die unser Land regieren. Das Bild steht für das Patriarchat und die Gerontokratie. Im inneren Kreis sitzen die Männer. Draußen sind die Frauen, sie tragen die Kinder, bringen Stühle herbei. Sie befinden sich auf der gleichen Stufe wie die Kinder — oder die Ziegen“.

Melibea Obonos Buch „Yo no quería ser madre“ („Ich wollte nicht Mutter sein“), porträtiert 16 Frauen. „Wenn ich eine Lesbe oder einen trans Mann besuchte, sah ich verdreckte, unterernährte Kinder“, erzählt die Autorin. „Auf die Frage, wessen Kinder das seien, hörte ich: Das sind meine. Die Art und Weise, wie sie über ihre Kinder sprachen, weckte meine Neugier. Wenn diese Frauen schwanger sind, gehen sie nicht ins Krankenhaus, verstecken sich zuhause. Wenn sie im Gefängnis landen und besucht werden, erkundigen sie sich nicht nach ihren Kindern. Ich fragte mich: Was läuft hier?“. Bei den Recherchen stieß Melibea Obono auf schockierende Schicksale. „Diese Geschichten haben mir das Herz gebrochen“. Mutterschaft wird für lesbische Frauen und trans Männer als „Medizin“ eingesetzt, um sie von ihrer „Andersartigkeit“ zu „heilen“. Sie erleiden sexualisierte Gewalt — weil sie nicht Mutter sein wollen. „Diese Interviews sind sehr hart. Mein Verlag fragte drei Mal nach, ob die Geschichten nicht erfunden seien“. Vergewaltigungen fungieren als Konversionstherapie, und durch das „Landstreicher- und Ganoven-Gesetz“, aber auch durch die Traditionen, wird diese Gewalt normalisiert.

Wenn Du fällst, musst Du wieder aufstehen

Als der spanische Verlag „Egales“ das Buch veröffentlichte, stürzten sich die Medien auf die Autorin. „Die großen spanischen Sender interviewten mich. Zwei Tage später gingen die Videos in Äquatorialguinea viral. Doch die Machthaber stritten den Inhalt meines Buches ab. Sie sagten: Melibea Obono lügt“. In dem Moment wurde ihr bewusst, wie wichtig die Organisationen sind, die Menschenrechtsverteidiger*innen unterstützen: „Das erste Mal im Leben fühlte ich mich verletzbar. Alle verbreiteten Infos über mich, dass ich Lesbe sei, dass ich bisexuell, dass ich queer sei. Permanent wurde über mein Privatleben gesprochen. Um vom Inhalt meines Buchs abzulenken, sprachen sie über mich als Frau, über meine Kinder, meine Ehen, meine Liebhaber*innen. Wenn du ein Mann bist, würde das anders ablaufen. Irgendwann ging es mir richtig schlecht. Da kam mein damals fünfjähriger Sohn zu mir und setzte sich auf meinen Drehstuhl. Er rief: Mama, guck mal, wie ich mich drehe! Ich sagte: Pass auf, sonst fällst du runter. Daraufhin meinte er: Ist doch egal, Mama. Wenn ich hinfalle, stehe ich wieder auf. Ein Fünfjähriger erteilte mir eine Lektion: Wenn du fällst, musst du wieder aufstehen“.

Britt Weyde

Eine Veranstaltung der Hirschfeld-Eddy-Stiftung im Rahmen des Projekts: „Do no harm – Risiken für LSBTI in der internationalen Projektarbeit minimieren“. Alle Beiträge im Rahmen des Projekts sind im Blog unter dem Tag „DNH-2022“ zu finden.

BMJ
HES



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