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Erfolgreiche Projekte von und für LSBTIQ+ in Lateinamerika

Do no harm – Aktivist*innen über gute Strategien in der Entwicklungszusammenarbeit

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Speziell in der Zusammenarbeit mit LSBTIQ+-Projekten in vielen Ländern des Globalen Südens sind Fingerspitzengefühl und verlässliche Absprachen gefragt, um die Projektpartner*innen nicht zu gefährden. Wie eine zielführende Projektarbeit aussehen kann, berichteten zwei Kooperationspartner*innen der Hirschfeld-Eddy-Stiftung aus Nicaragua und Kolumbien

Sarah, Klaus, Mauri, Aktivist-Nicaragua

Manches ist gut gemeint und geht doch fundamental nach hinten los. So auch in der Entwicklungszusammenarbeit (EZ) oder der humanitären Hilfe in Kriegs- und Konfliktgebieten, wo Aktivitäten der Hilfsorganisationen verschiedentlich die Gewalt noch verstärken, statt sie zu mindern, etwa weil bestimmte Ethnien zu Partnern gewählt werden und andere nicht und so Hilfsgüter ungleich verteilt werden. Mitte der 1990er Jahre entwickelte die US-amerikanische Wissenschaftlerin Mary B. Anderson deshalb den Do No Harm-Ansatz, der mögliche negative Auswirkungen eines Projektes auf einen bestehenden Konflikt von vornherein mitbedenkt.

Wichtig ist dies auch in der Zusammenarbeit mit LSBTIQ+-Projekten, zumal in Ländern, wo es um die Demokratie schlecht bestellt ist und die Rechte von LSBTIQ+ nicht oder nur sehr unzureichend gewahrt werden. „Diskriminierung und Gewalt stellen für LSBTIQ+- Personen ein Alltagsphänomen dar“, erläutert ein Vertreter des Netzwerks für Nachhaltige Entwicklung (RDS) in Nicaragua. Dies sei jedoch in der EZ noch nicht ausreichend angekommen. So werden Menschen dieses Kollektivs in der knapp 200 Seiten umfassenden Agenda 2030 für Nachhaltige Entwicklung, die Regierungsvertreter*innen 2015 beim UN-Nachhaltigkeitsgipfel verabschiedeten, nicht einmal erwähnt.

Aktivist - Nicaragua

Nicht allen Organisationen sei bewusst, welches Risiko die Sichtbarkeit für ihre Projektpartner*innen oder auch die Menschen, für die sie eintreten, darstellt. „Je sichtbarer wir sind, desto größer ist auch die Ablehnung und Diskriminierung, die wir erfahren“, erklärt der Menschenrechts- und LSBTIQ+-Aktivist, der bereits seit 2010 mit der Hirschfeld-Eddy-Stiftung zusammenarbeitet. Das reiche bis hin zu physischer Gewalt oder gar Mord. Für eine gute Zusammenarbeit mit den Geldgeber*innen sei es zentral, ein vertrauensvolles Verhältnis aufzubauen. „Es muss genau beschrieben werden, was in dem Projekt geplant ist.“ Sollte es dennoch zu Problemen kommen, müsse – anders als etwa in einem Projekt mit EU-Förderung in der Vergangenheit — sehr schnell gehandelt werden, um die Mitarbeiter*innen oder die Projekte zu schützen.

Mauri

Auch für die kolumbianische Soziologin und Mitarbeiterin der Casa Cultural El Chontaduro im Osten Calis, Mauri Balanta Jaramillo, gehört der Do no harm-Ansatz zu den Prämissen ihrer politischen Arbeit. Die Casa Cultural El Chontaduro ist Bildungsstätte, Treffpunkt und Ort des Empowerments für mehrfach diskriminierte Menschen aus dem Viertel Aguablanca: Dort leben viele Afrokolumbianer*innen. Viele von ihnen sind arm und marginalisiert. Besonders Frauen und LSBTIQ+-Personen sind struktureller und körperlicher Gewalt ausgesetzt. „Dieser Kontext ist wichtig, damit wir im Hinterkopf haben, vor welchem Hintergrund die Kooperation stattfindet“, erklärt Balanta. In ihrer Arbeit geht es ihr um politische Teilhabe und Gleichberechtigung, aber auch um politische Solidarität und Autonomie.

In Aguablanca hätten viele Interventionen stattgefunden – Workshops, Menschenrechtsprojekte – mit dem hehren Ziel, Gewalt zu reduzieren. „Aber viele dieser Initiativen entstammen der Logik von Interventionen, die von oben nach unten ausgerichtet sind und die nicht anerkennen, dass es einen Erfahrungsschatz sozialer Strategien gibt, die Menschen aus der LSBTIQ+-Gemeinschaft entwickelt haben oder Jugendliche oder andere Gruppen vor Ort“, so die Aktivistin. Tatsächlich wissen die Menschen vor Ort aber in der Regel am besten, wie Probleme angegangen werden sollten. In diesem Sinne plädiert Balanta für mehr Horizontalität in der internationalen Kooperation.

Bewährt hat sich, so der Aktivist aus Nicaragua, die Zusammenarbeit mit Organisationen aus anderen sozialen Bereichen, etwa solche, die sich im Bildungs- und Gesundheitssektor engagieren. So sei es möglich, mehr Bewusstsein über die Realität von LSBTIQ+-Personen zu schaffen.

Klaus, Mauri, Aktivist Nicaragua

Sehr positiv erlebte Mauri Balanta eine Initiative in der Zeit nach der Pandemie, die in Kolumbien durch große Arbeitslosigkeit und Gewalt seitens des Staates geprägt war: Ziel der Initiative war es, Frauen in Kontexten, wo sie aufgrund ihrer Hautfarbe oder als Transfrauen diskriminiert werden, in ihren Projekten oder ihrer politischen Arbeit zu stärken. Führend sind dabei zwei Organisationen, die von Transfrauen geleitet werden. „Sie behandeln das Thema intersektional, unter dem Blickwinkel mehrerer gleichzeitig erfahrener Diskriminierungen. Ihr Ziel ist es, sich als Netzwerk lokal zu organisieren, um politischen Einfluss zu nehmen und politische Teilhabe zu erlangen“, so Balanta.

Der nicaraguanische Menschenrechtsverteidiger hebt seinerseits ein Projekt hervor, das die Hirschfeld-Eddy-Stiftung unterstützt hat: Nachdem sich gezeigt habe, dass in Nicaragua die Medien die Sicht der Menschen auf das LSBTIQ+-Kollektiv maßgeblich beeinflussen, entstand die Idee, ein Handbuch mit entsprechenden Guidelines für Journalist*innen und Medien zu erstellen. Dieses ist auf der Homepage der Hirschfeld-Eddy-Stiftung zu finden. „In diesem Zusammenhang boten wir an fünf Universitäten Kurse an für Student*innen der Kommunikationswissenschaft“, so der Aktivist. Die Student*innen aus dem letzten Studienjahr konnten Artikel und Filme einreichen und damit an einem Wettbewerb teilnehmen. „Es war ein großer Erfolg. Es wurde viel darüber berichtet, und es gab im Nachgang einen intensiven interuniversitären Austausch zwischen Student*innen, Medienprofis und LSBTIQ+-Personen darüber, wie sie den Prozess erlebt haben.“ Das habe das Panorama verändert, betont der Aktivist: „Es hat unsere Themen auf nationaler Ebene sichtbarer gemacht und das in nur drei Monaten!“

Balanta zeigt sich insgesamt optimistisch, dass der Do No Harm-Ansatz die Horizontalität innerhalb der EZ stärken und so den Zugang der Kollektive zur Teilhabe verbessern werde, was also all denjenigen zu Gute komme, die in historischer Hinsicht von politischer Partizipation ausgeschlossen waren. Wunden aus Vergangenheit und Gegenwart, Machtfragen und Fragen der Gerechtigkeit müssten in der Kooperation zwischen Globalem Norden und Süden Berücksichtigung finden. Dabei sei es wichtig, die bestehenden Privilegien aufzubrechen oder zumindest offen in Frage zu stellen.

Der Online Talk fand am 21. April 2022 statt. Moderation: Klaus Jetz, Hirschfeld-Eddy-Stiftung.

Ingrid Wenzl

Am 10. Mai 2022 findet in Berlin für Interessierte aus der EZ ein Praxisworkshop zum Thema „Do no harm – was heißt das für LSBTI-Projekte?“ statt.

BMJ
HES

Ein Beitrag im Rahmen des Projekts: „Do no harm – Risiken für LSBTI in der internationalen Projektarbeit minimieren“ der Hirschfeld-Eddy-Stiftung. Alle Beiträge im Rahmen des Projekts sind im Blog unter dem Tag „DNH-2022″ zu finden. 



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