Am dritten Tag des Jugendaustausches „#ForOurRainbowFuture“ stand erneut ein Besuch bei einer lokalen LSBTI-Organisation auf dem Programm. Die Teilnehmerinnen des Austausches besuchten in der Hauptstadt Tirana die erste und bisher einzige Schutzwohnung für LSBTI* in Albanien. Am Tag zuvor waren die Jungaktivist*innen bereits bei der aktivsten albanischen LSBTI-Organisation „Aleanca“ zu Gast gewesen.
Schutz und Versorgung für acht Personen
Seit 2014 besteht mit der Schutzwohnung „Streha“ (albanisch für „Schutz“) in Tirana ein Zufluchtsort für LSBTI* in Notsituationen. Acht Personen im Alter von 18 bis 30 Jahren finden dort gleichzeitig Schutz. Es gibt eine Gemeinschaftsküche, ein Wohnzimmer, eine kleine Terrasse und zwei Schlafräume. Insgesamt zehn Personen, darunter vier Sozialarbeiter*innen stehen den jungen Erwachsenen rund um die Uhr zur Seite. Der maximale Aufenthalt in der Wohngemeinschaft beträgt eigentlich 6 Monate, viele müssen aber auch länger bleiben — manchmal bis zu einem Jahr.
Die Schutzsuchenden erhalten bei „Streha“ kostenlose psychologische sowie medizinische Versorgung und Zugang zu sozialen Angeboten wie z. B. Berufsvorbereitung. Die psychosoziale Betreuung wird von „Streha“ in Eigenregie und in Zusammenarbeit mit einzelnen Therapeut*innen gestemmt, da es in diesem Bereich keine konsolidierte staatliche Versorgung in Albanien gibt.
Psychologische Betreuung ist stigmatisiert
Personen, die psychologische Betreuung in Anspruch nehmen (möchten), werden in den Ländern des Westbalkans ohnehin stigmatisiert und gelten als „krank“. Besonders LSBTI* sind im Coming-out und danach aber auf solche Angebote angewiesen. Deshalb arbeitet eine der drei Arbeitsgruppen des Jugendaustausches an der Planung eines transregionalen LSBTI* Summer Camps zum Thema psychische Gesundheit. Man merkt, dass dieses Thema den Jungaktivist*innen aus den sechs Ländern des Westbalkans ganz besonders am Herzen liegt.
Gefährdet durch die eigene Familie
Wie jede*r Besucher*in müssen auch die Teilnehmer*innen von „#ForOurRainbowFuture“ nach ihrem Besuch eine Verschwiegenheitserklärung unterschreiben. Denn der genaue Standort der Schutzwohnung muss unbedingt geheim bleiben. Zwar kam es bis auf verbale Drohungen von Familien einzelner Schutzsuchender bisher nicht zu konkreten Übergriffen auf die Schutzwohnung, aber die gesellschaftliche Akzeptanz von LSBTI ist in der albanischen Gesellschaft nach wie vor sehr gering und die Gefahr deshalb hoch. Besonders in den ländlichen Gebieten sind junge LSBTI* von häuslicher Gewalt bedroht oder werden von ihren Familien verstoßen.
„Junge Lesben, die in ländlichen Gebieten außerhalb des etwas liberaleren Klimas von Tirana leben, sind massiv von Zwangsverheiratung bedroht. Ihre Situation ist besonders prekär“, erklärt der Leiter der Schutzwohnung. Hinzu kommt, dass Minderjährige aufgrund der albanischen Gesetzgebung nicht in die Schutzwohnung aufgenommen werden dürfen. Wie die Aktivist*innen von „Aleanca“ hebt allerdings auch der Leiter der Schutzwohnung die positive Zusammenarbeit mit der Polizei hervor. Diese sei sensibilisert und stehe ihm und seinem Team beim Schutz der Wohnung zur Seite.
Keine stabile Finanzierung
Die finanzielle Lage ist schwierig, vor allem weil es keine stabile Finanzierung durch einen Hauptförderer gibt. Nur 20% der jährlichen Unterhaltskosten der Schutzwohnung werden von staatlicher Seite gedeckt. Finanzielle Unterstützung kommt vorwiegend aus dem Ausland, z.B. von USAID oder dem niederländischen Außenministerium, das wie das deutsche Auswärtige Amt viele LSBTI-Projekte in der Region finanziell unterstützt.
In der Zukunft möchte „Streha“ durch mehr Sichtbarkeit in staatlichen Strukturen mit seinem Angebot noch mehr junge LSBTI erreichen; besonders jene, die in ländlichen Gebieten wohnen. Die Verantwortlichen versuchen deshalb Kooperationen mit Kommunalverwaltungen, Schulpsycholog*innen und Sozialarbeiter*innen aufzubauen, auch wenn in diesem Prozess noch sehr viel Sensibilisierungsarbeit bei den Behörden geleistet werden muss.
Christopher Schreiber
LSVD Berlin-Brandenburg
Teilnehmer des Jugendaustauschprogrammes „#ForOurRainbowFuture“