Schule ist kein Ort für Fundamentalisten
Stellungnahme des LSVD Baden-Württemberg zur Petition „Kein Lehrplan unter der Ideologie des Regenbogens“
Update (13. Januar 2013): LSVD stellt Strafanzeige gegen openPetition
Update (10. Januar 2013): Inzwischen gibt es zwei Gegenpetitionen, eine bei openPetition, und eine von Campact und der GEW, die wir unterstützen.
Die Petition behauptet, sie unterstütze „das Anliegen, Homosexuelle, Bisexuelle, Transgender, Transsexuelle und Intersexuelle nicht zu diskriminieren. Bestehende Diskriminierung soll im Unterricht thematisiert werden“.
DAZU SAGEN WIR: Dieser Abschnitt findet sich nicht in der ursprünglichen Version der Petition. Der Inhalt der Petition macht in keiner Weise deutlich, wie sie ihre behauptete Unterstützung gegen Ausgrenzung und Mobbing von LSBTTI zum Ausdruck bringen will. Vielmehr richtet sie sich dagegen, dass geplant ist die „Akzeptanz sexueller Vielfalt“, d.h. die Nichtdiskriminierung von LSBTTI in den vorgesehenen Leitprinzipien umzusetzen. Sie skandalisiert, dass „Schülerinnen und Schüler die verschiedenen Formen des Zusammenlebens von/mit LSBTI kennen und reflektieren sollen, wie schwule, lesbische, transgender Kultur und deren Begegnungsstätten“. Kurzum sie zielt unmissverständlich darauf, dass LSBTTI-Lebensweisen nicht im Unterricht thematisiert werden. Diese Tabuisierung ist gerade eine Diskriminierung.
Es wird behauptet, dass es Pläne gibt, die „auf eine pädagogische, moralische und ideologische Umerziehung an allgemeinbildenden Schulen“ zielen.
DAZU SAGEN WIR: Dass Kinder und Jugendliche in der Schule auch etwas über den Alltag, die Geschichte und die rechtliche Situation erfahren, bestärkt werden gegen Mobbing und Gewalt einzuschreiten und ermutigt werden, Vorurteile und Stereotype zu erkennen und zu reflektieren hat in keiner Weise mit einer Umerziehung zu tun.
Mit dem Vorwurf der Umerziehung wird suggeriert, dass Kinder und Jugendliche LSBTTI werden könnten, sollten sie im Unterricht davon erfahren, dass es LSBTTI gibt. Das ist absurd. Es kann nicht verhindert werden, dass jemand LSBTTI ist und lebt. Es kann lediglich dafür gesorgt werden, dass es der Person leichter fällt sich zu outen und offen zu leben, da auch Familie, Freundinnen und Mitschüler sowie die Gesellschaft ohne Ausgrenzung, sondern mit Akzeptanz reagiert.
Die Petition behauptet, die Bildungsplanreform 2015 entspräche „einer propagierenden neuen Sexualmoral“
DAZU SAGEN WIR: Der Vorschlag der GEW und des LSBTTIQ-Netzwerkes zielt gerade darauf, dass auch der Alltag, die rechtliche Situation und die Geschichte von LSBTTI zur Sprache kommen und LSBTTI nicht auf ihre Sexualität reduziert werden.
Die Gleichsetzung von Thematisierung von LSBTTI-Lebensweisen im Unterricht mit Propaganda einer neuen Sexualmoral ist schäbig und verrät den Geist dieser Petition. In Russland gilt seit diesem Frühjahr ein Gesetz, was die Propaganda von Homosexualität unter Strafe stellt. Propaganda sind dabei alle Äußerungen, die sich nicht negativ und diffamierend über Lesben und Schwule äußert.
Es wird behauptet, dass die Pläne eine verantwortungslose Sexualpädagogik festschreiben und einzelne Gruppen überbetonen.
DAZU SAGEN WIR: In dem Vorschlag von GEW und LSBTTIQ-Netzwerk heißt es, dass Schülerinnen und Schüler befähigt werden sollen, „ihre eigenen Bedürfnisse, ihr Körperbild, ihre sexuelle Orientierung und ihr Verhalten auf die von der Umwelt geprägten Vorstellungen (zu reflektieren) und treffen selbstbestimmte Entscheidungen“. Ihnen soll vermittelt werden, dass sie ein Recht auf eine selbstbestimmte Sexualität haben, sich ihrer Bedürfnisse bewusst sind und sich nicht gegen ihren Willen auf etwas einlassen. Das ist eine verantwortungsbewusste Sexualpädagogik, die auch präventiv gegen sexuellen Missbrauch und Gewalt dient. Der Vorschlag richtet sich damit gegen eine Tabuisierung von LSBTTI-Lebensweisen und einer ausschließlichen Behandlung von Heterosexualität.
Ferner sollen laut dem Vorschlag, Kinder und Jugendliche von den verschiedensten Familienformen und Möglichkeiten des Zusammenlebens erfahren, d.h. neben der Vater-Mutter-Kind-Familie auch “Regenbogenfamilien, Single, Paarbeziehung, Patchworkfamilien, Ein-Eltern-Familien, Großfamilien, Wahlfamilien ohne verwandtschaftliche Bande”. Damit sollen gerade nicht einzelne Gruppen überbetont werden.
Laut Petition wollen LSBTTIQ-Gruppen angeblich erreichen, dass verschiedene Sexualpraktiken im Unterricht behandelt werden.
DAZU SAGEN WIR: Das ist falsch. Sexualpraktiken werden im Vorschlag von GEW und LSBTTIQ-Netzwerk an keiner Stelle erwähnt.
Die ursprüngliche Petition musste zurückgezogen werden, weil sie den Nutzungsbedingungen widersprach [sic]. Sie war zu unsachlich und enthielt noch diskriminierendere Aussagen. Diese Formulierungen verraten damit jedoch die ursprüngliche Intention und Denkweisen des Petitionsurhebers. Darin heißt es u.a.: Die Arbeitsfassung läge „in den Klauen von Lobbyisten“, das vorliegende Papier zu den Leitprinzipien „fördert (…) strukturelle Gewalt“ und ziele auf eine „Kampagne zur Umerziehung von Schülerinnen und Schülern“. Die Petition fordert ein „Nein zu den LSBTTIQ-Indoktrinierungs- und Missionierungsversuchen“ und behauptet, dass „(…) Lehrkräfte die nächste Generation mit dem Anspruch des LSBTTIQ-Lebensstils an eine fragwürdige Sexualpolitik heranführen sollen.“ Der Bildungsplan ist „ein Kampfinstrument einer Lobbygruppe geworden“.
Der LSVD Baden-Württemberg ist Teil des LSBTTIQ-Netzwerkes und im Beirat für die Erstellung des Aktionsplans vertreten. Hiermit nehmen wir Stellung zu den Behauptungen einer Petition, die sich gegen einen von GEW und dem LSBTTIQ-Netzwerk Baden-Württemberg erarbeiteten Vorschlag richtet. Mit diesem Vorschlag wird aufgezeigt, wie die „Akzeptanz sexueller Vielfalt“ in den vorgesehenen fünf Leitprinzipien Prävention und Gesundheitsförderung, berufliche Orientierung, nachhaltige Entwicklung, Verbraucherbildung und Medienbildung umgesetzt werden kann und welche Kompetenzen mit Bezug auf LSBTTI-Lebensweisen in den baden-württembergischen Schulen vermittelt werden sollten. Eine Petition richtet sich gegen diesen Vorschlag.
Die Bildungsplanreform wird von einem Beirat begleitet. Dieser setzt sich zusammen aus Vertreterinnen und Vertretern aus Wissenschaft, Wirtschaft, Gesellschaft und Politik. Im Beirat wirken beispielsweise auch Vertreterinnen und Vertreter aller Beratungsgremien des Kultusministeriums (Landeselternbeirat, Landeschülerbeirat, Landesschulbeirat) und der Lehrerverbände mit. Von Seiten dieses Beirats gibt es konkrete Stellungnahmen, die eine verbindliche Verankerung der Thematik „sexuelle Vielfalt“ befürworten. Gegen solch eine Verankerung liegen dem Kultusministerium keine Stellungnahmen aus dem Beirat vor.
Holger Henzler-Hübner
Landesvorstand LSVD Baden-Württemberg