Am 24. Mai 2023 fand im Ausschuss für Menschrechte und humanitäre Hilfe des Deutschen Bundestages eine öffentliche Anhörung zum Thema „LGBTIQ-Rechte weltweit“ statt. Als Sachverständige waren unter anderem Sarah Kohrt von der Hirschfeld-Eddy-Stiftung (HES) und Philipp Braun vom LSVD geladen. Diskutiert wurde die Menschenrechtslage von LSBTIQ weltweit und die Handlungsoptionen der Bundesregierung zum Schutz von LGBTIQ.
Der LSVD wies in Hinblick auf die Klassifizierung von Verfolgerstaaten als vermeintlich „sichere Herkunftsländer“ auf die sich weltweit dramatisch verschlechternde Sicherheitslage von LGBTIQ hin. Um lokale Aktivist*innen zu stärken, plädierte die HES für eine postkolonial informierte Außen- und Entwicklungspolitik nach dem „Do no harm“-Prinzip. Zudem wurde in der Anhörung der zunehmende Einfluss von fundamentalistischen religiösen Akteur*innen auf die Diskriminierung und Verfolgung von LGBTIQ thematisiert, insbesondere in Ostafrika und Osteuropa. Nähere Informationen zum Spannungsfeld zwischen Religionsfreiheit und dem Schutz von LGBTIQ* finden Sie auf der Projektwebseite „We believe in change“.
Das Eingangs- und Abschluss-Statement von Sarah Kohrt, Hirschfeld-Eddy-Stiftung veröffentlichen wir hier (scroll down). Alle Stellungnahmen, der komplette Video-Mitschnitt und die Tagesordnung der Anhörung sind auf der Website des Bundestages hier zu finden.
Video: Zeitmarken
Die Aufzeichnung der öffentlichen Anhörung kann hier abgerufen werden. Dort finden sich auch alle vorab eingereichten schriftlichen Stellungnahmen der acht Sachverständigen.
0‘00:03 Eröffnung durch die Vorsitzende des Menschenrechtsausschusses Renata Alt (FDP)
Eingangsstatements
0’05:13 Marlize Andre, Aktivistin bei Casa Kuà
0’12:50 Philipp Braun, Mitglied des Bundesvorstands des LSVD
0’16:32 Dr. Julia Ehrt, Geschäftsführerin von ILGA World
0’19:50 Fabian Grischkat, queerpolitischer Experte und Aktivist
0’22:54 Sarah Kohrt, Hirschfeld-Eddy-Stiftung
0’25:03 Mikhail Tumasov, Gründer der LGBT-Bewegung Avers und vormaliger Netzwerkdirektor des Russian LGBT Network
0’29:31 Alexander Vogt, Bundesvorsitzender der LSU (Lesben und Schwule in der Union)
Fragerunde 1
0’33:15 Frage Falko Droßmann (SPD) an Kohrt und Andre
0’35:28 Antwort Kohrt
0’38:30 Antwort Andre
0‘40:48 Frage Abraham Knut (CDU/CSU) an Tumasov
0’42:27 Antwort Tumasov
0’46:17 Frage Max Lucks (Bündnis 90/Die Grünen) an Grischkat und Braun
0’48:25 Antwort Grischkat
0’51:31 Antwort Braun
1’02:55 Frage Renata Alt (FDP) an Braun und Kohrt
1’04:57 Antwort Braun
1’08:56 Antwort Kohrt
1’12:58 Frage Kathrin Vogler (DIE LINKE) an Dr. Ehrt und Braun
1’15:20 Antwort Dr. Ehrt
1’19:38 Antwort Braun
Fragerunde 2
1’23:37 Frage Derya Türk-Nachbaur (SPD) an Kohrt
1’25:03 Antwort Kohrt
1’29:00 Antwort Andre
1’33:08 Frage Sabine Weiss (CDU/CSU) an Vogt und Braun
1’35:30 Antwort Vogt
1’39:00 Antwort Braun
1’42:40 Frage Ulle Schauws (Bündnis 90/Die Grünen) an Kohrt
1’44:42 Antwort Kohrt
1’55:50 Peter Heidt (FDP) an Braun und Tumasov
1’57:56 Antwort Braun
2’01:57 Antwort Tumasov
2‘04:15 Frage Vogler (DIE LINKE) an Dr. Ehrt und Tumasov
2’07:11 Antwort Dr. Ehrt
2’10:51 Antwort Tumasov
Abschluss-Statements
2’14:18 Vogt
2’16:36 Tumasov
2’19:19 Kohrt
2’21:45 Grischkat
2‘24:47 Dr. Ehrt
2’28:00 Braun
2‘34:27 Andre
Eingangsstatement von Sarah Kohrt, Hirschfeld-Eddy-Stiftung
Sehr geehrte Frau Vorsitzende, sehr geehrte Ausschussmitglieder, vielen Dank für die Einladung hier sprechen zu dürfen.
Die Hirschfeld-Eddy-Stiftung ist die Menschenrechtsstiftung des LSVD. Sie ist benannt nach Fannyann Eddy, einer lesbischen Aktivistin aus Sierra Leone, Gründerin der „Coalition of African Lesbians“. Und nach Magnus Hirschfeld, Sozialdemokrat, Protagonist der Bewegung zur Entkriminalisierung von Homosexualität und für die Anerkennung geschlechtlicher Zwischenstufen.
Die Menschenrechte wurden immer von Entrechteten erkämpft. Und dieser Kampf kam – dafür stehen Fannyann Eddy und Magnus Hirschfeld — aus der Zivilgesellschaft.
So war es auch mit dem LSBTI-Inklusionskonzept der Bundesregierung. 2012 wurde es von der Yogyakarta-Allianz und anderen gefordert, 2021 vom Kabinett verabschiedet. Die feministischen Leitlinien für Außenpolitik und Entwicklungszusammenarbeit basieren auch auf diesem Konzept.
Die Hirschfeld-Eddy-Stiftung begrüßt diese Leitlinien ausdrücklich. Sie müssen jetzt auf allen Ebenen in politisches Handeln übersetzt werden.
Drei Hauptaspekte zur Umsetzung:
- Es braucht eine enge und kontinuierliche Zusammenarbeit mit der Zivilgesellschaft in Partnerländern.
- eine postkolonial informierte Praxis ist nötig, d.h. eine Auseinandersetzung mit der Kolonial- und Missionsgeschichte.
- Das Konzept muss finanziell unterlegt werden, das ist noch nicht der Fall
Die Umsetzung sollte dem Prinzip folgen: Do no harm – but do something. „Auch unter schwierigsten Bedingungen lässt sich immer etwas tun“.
Konkret fordern wir mehr und bessere Projekte für LSBTIQ und eine Reform der Förderbedingungen.
Und — Bitte lassen Sie sich nicht erzählen, dass ausgerechnet der Kampf um die Menschenrechte von LSBTIQ oder für Frauenrechte Teil einer – unterdrückerischen – westlichen Agenda sei. Nein, die Forderung als gleichwertiger Mensch mit vollen Rechten anerkannt zu werden – unabhängig von der SOGI kommt aus allen Regionen und Ländern der Welt!
Z.B. Indien haben sich örtliche Gruppen über Jahrzehnte dafür eingesetzt, dass das Kolonialstrafrecht abgeschafft wird. 2018 hat der indische Supreme Court das getan.
Z.B. Botswana haben LSBTI-Organisationen, zusammen mit Freund*innen und Angehörigen erfolgreich dafür gearbeitet, die gesellschaftliche Haltung gegenüber LSBTI zu verbessern. Und sie haben durch strategische Prozessführung erst die Erlaubnis zur Registrierung und dann die Entkriminalisierung erreicht.
LSBTI-Rechte sind Menschenrechte. Immer. Angesichts von weltweiter Diskriminierung, Ausgrenzung und Kriminalisierung von Homosexuellen, Bisexuellen, Trans*- und Inter*personen müssen wir gemeinsam wachsam sein und international solidarisch.
Abschluss-Statement von Sarah Kohrt, Hirschfeld-Eddy-Stiftung
Danke, dass Sie sich im Menschenrechtsausschuss dem Thema Menschenrechte von LSBTIQ widmen. Das ist ganz wichtig und wie wir gehört haben nicht nur ein Thema, sondern viele Themen.
Dazu gehört auch das Recht auf Religionsfreiheit von LSBTIQ.
Religion ist für die allermeisten Aktivist*innen, mit denen wir auf dem afrikanischen Kontinent arbeiten eine große Sache und spielt eine große Rolle. In der Regel werden sie allerdings wegen ihrer SOGI aus den Gemeinden verstoßen und an der Ausübung ihrer Religion gehindert. Das führt zu einer Situation von Verlassenheit und Trostlosigkeit. Das Menschenrecht auf Religionsfreiheit wird ihnen auch noch vorenthalten.
Queer sein und religiös sein ist im Alltag unserer Projektpartner*innen eins. Aber viele „religious leaders“ funktionalisieren Religion und setzen sie als Waffe gegen LSBTI ein. Sie hierarchisieren Menschenrechte und konstruieren eine Opposition zwischen ihnen.
Aber: In allen Religionen gibt es auch eine Kultur und Tradition der Wertschätzung und gegenüber anderen und der Offenheit gegenüber der Vielzahl an menschlichen Lebensformen. Auch bei den Katholiken und den Evangelikalen…
In Deutschland wird Humanitäre Hilfe und Entwicklungszusammenarbeit, also internationale Menschenrechtsarbeit in starkem Maße über kirchlich oder religiös gebundene Organisationen durchgeführt. Es braucht eine Strategie des Umgangs damit, dass es Vorbehalte gegenüber LSBTIQ gibt.
Deshalb möchte ich drei Vorschläge machen:
- mit den offenen, liberalen Gemeinden verstärkt zusammenarbeiten
- die Zusammenarbeit mit traditionell orientierten Gemeinden — z.B. aus der römisch-katholischen Kirche muss auf dem Konsens „keine Gewalt“ beruhen. Dem können sie sich nicht verschließen.
- Es muss sicherstellt werden, dass sich kirchliche Träger nicht an der Verfolgung von LSBTI beteiligen.
Ich möchte abschließend Desmond Tutu zitieren, der gesagt hat, er würde lieber in die Hölle gehen als in einen homophoben Himmel.
“I would rather go to hell than to a homophobic heaven.”
Alle Stellungnahmen, der komplette Video-Mitschnitt und die Tagesordnung der Anhörung sind auf der Website des Bundestages hier zu finden.
Alle Publikationen zum Projekt „We believe in change“ Menschenrechte im Spannungsfeld von Religionsfreiheit und Nicht-Diskriminierung der Hirschfeld-Eddy-Stiftung finden sich unter dem Tag WBIC-2023.