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Homo-Propaganda“ und „Ausländische Agenten“ in St. Petersburg

Besuch_St.Petersburg3Das russische Verbot von „Propaganda von Homosexualität” hat auch viele Lesben und Schwule in Deutschland in den vergangenen Monaten empört. Der entsprechende Gesetzentwurf wurde im Januar 2013 vom russischen Parlament mit 338 Ja-Stimmen bei einer Gegenstimme und einer Enthaltung in erster Lesung angenommen. In St. Petersburg hat der Gouverneur ein entsprechendes Gesetz bereits im März 2012 unterzeichnet. Jede Sichtbarkeit von Homosexualität soll unter dem Vorwand des Jugendschutzes aus dem öffentlichen Raum verbannt werden.

Als ich im Februar 2013 die Anfrage von Gulya Sultanova vom lesbisch-schwulen Filmfestival „Side by Side“ erhielt, für eine Vortrag über Aufklärungsarbeit nach St. Petersburg zu reisen, zögerte ich einen Moment. Einerseits wusste ich um die Notwendigkeit der Unterstützung. Andererseits verspürte ich kein großes Interesse auf Konflikte mit dem russischen Regime auf russischen Boden. Trotzdem sagte ich schließlich zu.

Meine Familie war wenig begeistert. Und als dann auch noch die russischen Razzien bei Konrad-Adenauer-Stiftung und Friedrich-Ebert-Stiftung über den Bildschirm flimmerten, fing auch noch mein Freund an seine Bedenken zu äußern. Leider Besuch_St_Petersburgstand nun auch „Side by Side“ verstärkt unter Beobachtung der Staatsanwaltschaft.

Am Nachmittag des 24. April 2013 landete mein Flugzeug in St. Petersburg. Empfangen wurde ich von Tatiana Shmankevich. Eine junge, herzliche Frau mit meinem Namen und dem „Side by Side“-Logo in Regenbogenfarben auf einem Zettel. Ich hingegen hatte mich vorab selbst zensiert – keine Flyer und Broschüren mit schwulen oder lesbischen Küssen in meinem Gepäck. Alle Notizen für die Veranstaltung auf handgeschriebenen Moderationskarten. Keine Taschenkontrolle sollte mir Probleme bereiten können. War ich etwa überängstlich?

Gulya Sultanova und Manny de Guerre waren nicht mit zum Flughafen gekommen. Sie mussten der Staatsanwaltschaft kurzfristig Unterlagen vorbeibringen. Die Überprüfung des Filmfestivals durch die Staatsanwaltschaft hatte am 21. März begonnen, als eine sechs Mann starke mobile Einsatzgruppe in das Büro von „Side by Side“ hineingeplatzt war. Die Gruppe bestand aus Angehörigen des Justizministeriums, der Staatsanwaltschaft und der Polizei. Ihre Forderungen wurden auf einem dreiseitigen Papier mitgeteilt, sie reichten von Punkt A bis Punkt Z. Nachdem „Side by Side“ die entsprechenden Dokumente beigebracht hatte, erschienen am 23. April erneut Mitarbeiter der Staatsanwaltschaft im Büro der Organisation, jetzt mit einer neuen Liste – dieses Mal sechs Seiten lang. Nun forderte man alle Filme an, die seit 2008 gezeigt wurden, alle Dokumente, das gesamte gedruckte Material. Die Frist für die Bereitstellung des Materials wurde äußerst knapp bemessen – auf den nächsten Tag, den 24. April.

Besuch_St_Petersburg2Am Abend des 24. April traf ich dann doch noch Gulya und Manny, zwei ebenso herzliche Frauen wie Tatiana. Mit betroffenem Blick wollte ich viel wissen über die Situation in Russland und insbesondere St. Petersburg. Nüchtern und optimistisch berichten beide von ihrer Arbeit. Keine Spur von Verbitterung und zugleich sachlich und differenziert. Sie berichteten mir von dem Erstarken der Zivilgesellschaft und dem gewachsenen Selbstbewusstsein der LSBT-Community. Die staatlichen Unterdrückungsversuche beschrieben sie als eine Reaktion darauf. Ich erfuhr zudem von der problematischen Rolle der orthodoxen Kirchen und deren zunehmende Dominanz in gesellschaftlichen Fragen. Natürlich tauschten wir uns auch über Deutschland aus. Und wie sich herausstellte, haben wir viele gemeinsame Bekannte. An dem Abend wurde sodann auch noch viel gelacht.

Am nächsten Tag lernte ich vor und nach unserer Abendveranstaltung mehrere junge Frauen kennen, die das Filmfestival ehrenamtlich unterstützen. Trotz der tiefen Verwurzlung homosexuellenfeindlicher Vorbehalte in der Gesellschaft und den Familien, blickte ich stets in ehrlich lächelnde Gesichter. Die Berliner Probleme schienen mir auf einmal so klein und so manche Streitigkeiten umso lächerlicher.

Am Abend kamen fast 100, meist junge, Menschen zu der Veranstaltung im Co-Working Place „Sona dejstwija“ – einer Art Großraumbüro in einer Fabriketage, mit Schaukeln und anderen für ein Büro ungewöhnlichen Einrichtungsgegenständen. Dass hier Kreative und Intellektuelle am Werk sind, war nicht zu übersehen. Um nicht mit dem Gesetz in Konflikt zu geraten, war die Veranstaltung erst ab 18 Jahre freigegeben. Wir schauten uns den Film „Sascha“ an, eine Geschichte über das Coming-out und Liebesleid eines jungen Schwulen mit montenegrinischen Wurzeln in einer deutsche Großstadt — in Deutschland freigegeben ab 12 Jahre.

Die Filmvorführung mit anschließender Podiumsdiskussion fand im Rahmen der „Deutschen Woche“ von Deutschem Konsulat, Goethe Institut und Deutsch-russischen Handelskammer statt. Bei der Diskussion mit Publikum wurde insbesondere die Rolle der Religionsgemeinschaften beleuchtet. Unsere Zusammenarbeit mit der Evangelischen Kirche überraschte weniger stark, im Gegensatz zur Zusammenarbeit mit der Jüdischen Gemeinde zu Berlin, deren Mitglieder inzwischen zum Großteil russische Wurzeln haben. Den Teilnehmenden war grundsätzlich wichtig, zu betonen, dass die Ausgangsbedingungen in Deutschland und Russland stark voneinander abweichen.

Bei der Veranstaltung traf ich auch auf eine frühere Bekannte aus Berlin. Wir lachten darüber, wie vorsichtig ich angereist war. Zugleich bestätigte sie mir, dass auch sie sich zunehmend selbst zensiere.

Am Abend des 26. April war ich schon wieder zurück in Berlin, ohne Probleme. Bei meinen neuen russischen Freundinnen sah es hingegen anders aus. Am 30. April erhielt das Filmfestival eine Vorladung der Staatsanwaltschaft. In der Vorladung wurde auf „Verstöße“ gegen den Paragraphen über „Ausländische Agenten“ verwiesen. Die Organisatorin des Filmfestivals Gulya Sultanova kommentierte dies wie folgt: „Wenn die Richter unvoreingenommen sind und die Möglichkeit haben werden, unsere Motive und Argumente zu hören, dann können sie uns nicht als ‚Agenten‘ bezeichnen. Unsere Tätigkeit hat gemeinnützigen Charakter, wir arbeiten für die Bürger Russlands.“ Das Organisationskomitee des Filmfestivals hält das „Agenten“-Gesetz für gegen die Verfassung gerichtet, für ein Mittel zur Repression von Menschenrechtsorganisationen. Die Verhandlung ist für Ende Mai 2013 angesetzt. Das Filmfestival „Side by Side“ wird sein Recht gerichtlich durchzusetzen versuchen und das Label „Ausländischer Agent“, wenn nötig, in allen gerichtlichen Instanzen anfechten, bis hin zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte.

Jörg Steinert
Geschäftsführer LSVD Berlin-Brandenburg



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