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Homosexuelle in Marokko und die Arabellion

Abdellah Taïa über seine Bücher

Abdellah Taïa - Foto: privatSeit 1998 lebt der marokkanische Autor Abdellah Taïa in Paris. 2006 sorgte er für Schlagzeilen in seiner Heimat, als er sich im Magazin Tel Quel als schwul outete. Im vergangenen Jahr erschien sein erster Roman in deutscher Übersetzung. „Der Tag des Königs“ ist ein poetischer Roman über die zärtliche Freundschaft zweier Schüler, die am Willkürregime und am Personenkult des Königs zerbricht. Das Buch thematisiert die bleiernen 1980er Jahre im Marokko Hassans II. Der omnipräsente Monarch hält über das Fernsehen Einzug in die Wohnzimmer des Landes, er wird als Halbgott verehrt, die Armen glauben, er stamme in direkter Linie vom Propheten Mohammed ab. Die jahrelange Repression hat dafür gesorgt, dass eine ganze Generation von jungen Menschen entpolitisiert wurde und ihren kritischen Geist verloren hat. Eindrucksvoll beschreibt Abdellah Taïa das Eindringen des Königs in den Alltag der Menschen. Ein Tabubruch, denn der König wird nicht nur zur Romanperson, sondern auch zum Objekt der Begierde.

Ich frage den Autor nach autobiografischen Elementen in seinen Werken. „Alle Künstler, auch wenn sie es nicht zugeben, haben ihre autobiografische Stimme, sie schreiben über Erfahrungen, die sie gemacht haben. Auch wenn sie das nicht wahrhaben wollen.“ In allem, was er schreibe, so Abdellah Taïa finde sich etwas von ihm, von dem, was er lebe und fühle, seine Ideen, Träume, sein Scheitern, seine Homosexualität. Autobiografisch schreiben bedeute ja nicht, das ganze Leben vom Anfang bis zum Ende zu erzählen, sondern davon auszugehen, was tief in einem stecke.

Der Tag des Königs“ ist eine Anklage gegen das autoritäre Regime Hassans II. Taïa sagt, ohne ein kritisches Bewusstsein könne man nichts Wahrhaftiges, nichts Bleibendes schreiben. Der Roman erzählt von den enormen Klassenunterschieden, von der Kluft zwischen arm und reich, dem Rassismus im Land. „Homosexualität ist nicht das Hauptthema meines Romans“, sagt der Autor, „sie ist präsent, weil sie mit dem Leben, mit Marokko, mit mir zu tun hat. Auch wenn andere das nicht sehen wollen, das ist nicht mein Problem. Sie gehört zur Wirklichkeit und deshalb mache ich sie auch zum Thema.“ In Marokko stehen nicht viele Menschen zu ihrer Homosexualität. Es gebe aber einige Jugendliche, die hervorragende Arbeit machen, wie etwa die mutigen jungen Leute aus Taïas Heimatstadt Salé, die eine Zeitschrift herausgeben, die sie heimlich in Rabat verteilen. Oder Bücher, die die Homosexualität zum zentralen Thema haben, etwa die hervorragenden Romane von Rachid O.

In seinen Romanen gehe es ihm nicht darum die Homophobie zu verurteilen, das mache er in Interviews und Artikeln. Romane seien etwas Komplexeres. Indem er aber die sozialen Brüche in Marokko thematisiere, greife er in gewisser Weise auch die Homophobie an, räumt er dann ein. Auch habe er noch keinen Roman über Homosexualität geschrieben, obwohl sie immer präsent sei und er sie ohne Konflikte beschreibe. Eines Tages werde er auch einen Roman über Homosexualität schreiben.

Mich interessiert, ob „Der Tag des Königs“ in Form und Inhalt ein sehr marokkanischer Roman ist? „Ja, denn meine Stimme, meine Bilder, meine Art zu schreiben kommen von weit her, aus meiner frühestens Jugend, aus Marokko. Da ist meine Familie, meine Mutter, die schreit und mit meinem Vater streitet, da sind meine Schwestern, wir alle haben Hunger und Ungerechtigkeiten erlitten. All das hat mich geprägt, auch meine Beziehungen zu den Menschen in jenem Teil der Welt, der Stadt Salé und dem Armenviertel Hay Salam, aus dem ich stamme, die mich immer beeinflusst haben und mich mein Leben lang nicht loslassen werden. Mein Stil kommt also von diesen Menschen, von ihrer Beziehung zur Erde und zum Himmel Marokkos. Ich bin Teil dieser Menschen, und selbst wenn die nicht homosexuell sind, heißt das nicht, dass ich mich in ihnen nicht wiederkenne.“

All seine Bücher sind in Marokko erhältlich, erzählt Taïa stolz. Er habe das nie für möglich gehalten, dass man eines Tages solche Bücher über Sexualität und voller Sozialkritik in Marokko würde kaufen können. Das sei schon ein kleiner Fortschritt, hin zur Anerkennung der Homosexualität in Marokko. „Auch wenn die Behörden und Regierenden noch nichts tun, um im Land die Homophobie zu bekämpfen, die Einstellung zu Lesben und Schwulen zu verändern und die Homosexualität zu entkriminalisieren, so glaube ich doch, dass Stimmen wie die von Rachid O. oder meine oder die der jungen Leute aus Salé etwas verändern werden und mehr Freiheit für Homosexuelle in Marokko bringen werden.“

Noch immer gebe es keine eingetragene Homosexuellenorganisation in Marokko, das verhinderten die Regierenden, denn sie müssten erst einmal zugeben, dass Homosexualität keine Krankheit und kein Verbrechen ist. An der Staatsspitze stehe eine kulturelle Revolution noch aus. Die herrschende Klasse behaupte, sie halte die Werte des Islam oder das, was sie dafür halte, hoch. Wenn Menschenrechtsprojekte für Homosexuelle stattfinden, dann liefen diese über andere Organisationen, aber dennoch gebe es „all diese Gruppen im Land, die mehr oder weniger heimlich arbeiteten, sozusagen im Untergrund. Aber immerhin, sie existieren.“

Abdellah Taïa hofft, dass der arabische Frühling positive Auswirkungen auf die Situation von Lesben und Schwulen in der arabischen Welt hat. Neues entstehe bereits, etwa all die Zeitschriften, die in arabischer Sprache in Marokko, Jordanien oder Ägypten wie Pilze aus dem Boden sprießen. Das müsse jetzt Wurzeln schlagen. Diese kleinen Fortschritte bedeuten für ihn Hoffnung. „Man darf nicht vergessen, dass der arabische Frühling aus dem Freiheitsdrang der Jugend entstand. Nicht die Islamisten standen am Anfang der Rebellionen. Auch wenn diese jetzt die Wahlen gewinnen, so heißt das aber nicht, dass sie den Wandel herbeigeführt haben. Es waren allein die Jugendlichen, aber die kannten das politische Terrain nicht, hatten keine Erfahrung und waren nicht in Parteien organisiert. Das kommt eben nicht von heute auf morgen.“

Natürlich verfolge man auch in Marokko die Debatten über die Homoehe in Frankreich, und vielleicht beeinflusse die Tatsache, dass in Frankreich die Ehe für alle beschlossen wurde, langfristig auch die Situation in Marokko. „Wir hätten aber nie gedacht, dass diese latente Homophobie in Frankreich noch existiert. Das scheint etwas zu sein, was in der französischen Gesellschaft tief verwurzelt ist.“ Das Ausmaß an Feindlichkeit habe ihn an seine Jugend in Salé erinnert. Letztendlich wurde das Gesetz aber verabschiedet, der Staat schütze Minderheiten und sorge dafür, dass alle die gleichen Rechte haben, allein das zähle. „Warum auch sollten Lesben und Schwule nicht die gleichen Rechte haben wie Heterosexuelle, aus welchem Grund sollte man zwei Menschen, die heiraten wollen, diesen Wunsch verbieten und warum sollte dieser Wunsch anderen Probleme bereiten“, fragt Abdellah Taïa. Was zähle, sei die Liebe der beiden Menschen und die gehe doch erstmal nur die beiden etwas an. Abdellah Taïa, den Namen sollte man sich merken. Man darf auf weitere Romane des Autors gespannt sein.


Klaus Jetz
LSVD-Geschäftsführer



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