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Ich repräsentiere nicht Afrika“

Dorothy Aken’Ova-Ogidi (Nigeria) über Interessenvertretung im globalen Kontext 

img_4585Vorbemerkung: Im November 2013 war Dorothy Aken’Ova-Ogidi die Hauptrednerin auf dem Fachtag Regenbogenphilanthropie in Berlin. Der folgende Artikel schildert die Ausführungen von Aken’Ova zur Frage der Repräsentanz in der internationalen Arbeit. Sie ist inzwischen wieder in Nigeria, wo sich die Situation rapide verschlechtert: Seit Januar werden im ganzen Land homosexuelle Handlungen verfolgt. Schon ein Kuss ist strafbar, Verhaftungen sind an der Tagesordnung. Sie fordert die internationale Gemeinschaft auf, mit Kampagnen und Öffentlichkeitsarbeit, Druck auf die nigerianische Regierung auszuüben und die Projekte in Nigeria zu unterstützen.


Wer spricht? Wer wird gehört?“ – Für Dorothy Aken´Ova-Ogidi vom International Center for Reproductive Health & Sexual Rights  (Nigeria)  verweist die Fragestellung des Fachtags auf das Problem der Distanz zwischen westlichen Geber- und Hilfsorganisationen und den Menschen vor Ort. Sie plädiert für eine Unterstützung der Basis. Ein klar basisorientierter Ansatz sei der einzige, der der Diversität, der unglaublichen Vielfältigkeit und Unterschiedlichkeit der Regionen und der Menschen des Kontinents Rechnung tragen kann. „Diversity on the continent needs to be taken into account! Diversity in Africa is a big challenge”.  Wenn man diversity ernst nimmt, so Dorothy,  muss man verstehen, dass sie sagen kann: “I am not African“. Sie repräsentiert nicht Afrika, auch nicht den Norden Nigerias, wo sie lebt, denn dazu reicht eine Person bei weitem nicht aus. Es braucht sehr viele Stimmen. Das heißt, dass die Aktiven im globalen Norden viel mehr tun müssen, um sehr viel mehr Stimmen, um so viele Stimmen wie möglich zu hören.

 

Die Lebensumstände vor Ort kennen

So plädiert sie ausdrücklich und immer wieder dafür, „grassroots-activism“ zu suchen und dort Unterstützung zu geben, wo sie direkt wirken kann. Das meiste Geld gehe aber derzeit an große internationale Organisationen, statt an kleine lokale Gruppen. Sie freut sich über die Konferenz und den Titel und führt mitreißend und voller Beispiele aus, wie unterschiedlich die Lage tatsächlich ist. In Nigeria kann es zu Steinigungen von Homosexuellen kommen, im selben Land kann jedoch an anderer Stelle über die Frage der Homo-Ehe diskutiert werden. Wenn sie von den Aktivistinnen und Aktivisten an der Basis spricht, meint sie die Menschen in ihrem Umfeld in einem Dorf, in einer Region. Die sollen angehört und die müssen aufgesucht werden, nicht nur die, die in den Hauptstädten leben. Ein basisorientierter oder grassroots-Ansatz ist nötig, weil er den Kontext der Menschen mit einbezieht, weil er die Lebensumstände kennt. Was am einen Ort funktioniert, kann an einem anderen völlig falsch sein

 

Welche Community?

Aken´Ova-Ogidi sieht eine Verlagerung des Fokus und damit der Förderinteressen auf HIV-Prävention für MSM (Männer, die Sex mit Männer haben). Da werde viel Geld zur Verfügung gestellt, leider werde das nicht immer kontextsensibel und sinnvoll eingesetzt. Sie nennt als Beispiel eine Aufklärungsbroschüre für „peer-education“ unter Jugendlichen, die so explizit sexuelle Bilder zeige, dass sie innerhalb der Zielgruppe als extrem anstößig und untragbar angesehen wurde. Eine Broschüre also, die fern von der Community konzipiert wurde und so kaum ihr Ziel erreichen kann, sondern bloß versteckt wird. Auch die Genderfrage stelle sich immer. Die internationale Unterstützung sei auf  MSM fokussiert, weil sie als Hauptrisikogruppe gelten. Aken´Ova-Ogidi bezweifelt, dass das auch für das südliche Afrika zutrifft. Sie vermutet, dass lesbische Frauen, die durch „corrective rape“ bedroht sind oder heterosexuelle Frauen, die über ihre Ehemänner angesteckt werden, ein ebenso großes HIV-Ansteckungsrisiko haben.

 

Sichere Räume schaffen

Aken´Ova-Ogidi begrüßt ausdrücklich den Fokus der Konferenz und die Fragestellung nach den  „Voices“ (Wer spricht?) und der Repräsentation. Es sei wichtig, der Diversität von Lebenssituationen auch damit Rechnung zu tragen, dass viele verschiedene Menschen eingeladen werden. Das Problem dabei sei mit der zweiten Frage der Konferenz (Wer wird gehört?) angesprochen: Können sich die Betroffenen überhaupt äußern? Zwar gibt es selbstverständlich in jedem Gebiet und in jeder Region Afrikas LGBT-Menschen, also keine Ecke Nigerias z.B., in der es nicht Schwule, Lesben und Transgender gäbe, nur wie soll man die finden? Selbst wenn sie als Aktivistin und Nigerianerin durch das Land reist und herumfragt, ob nicht irgendwo Ansprechpartnerinnen oder kleine Organisationen zu finden wären, antwortet man ihr nicht mit dem Hinweis, dass die örtliche LGBT- Gruppe da und dort ihr Büro hätte, denn so etwas gibt es nicht. Stattdessen beschreiben die Leute ihr vielleicht Einzelne aus dem Dorf oder der Gegend, die vielleicht vom Äußeren her in Frage kommen würden. Und was sagen die Leute selbst, wenn sie welche trifft? Sie wünschen sich ganz fundamentale Dinge und fragen: “Can you create a safe place for us?” (Kannst Du uns einen sicheren Ort schaffen?), „Can you educate the police?“ (Kannst Du die Polizei fortbilden?) oder „Can you talk to our parents so that we can go to school?” (Kannst Du mit unseren Eltern sprechen, damit wir zur Schule gehen dürfen?).

 

Natürlich arbeiten wir mit der Kirche zusammen“

Wie wichtig Bündnisse sind, zeigte sich in den Publikumsfragen. Allianzen sind enorm wichtig, so Dorothy, gerade auch die traditionellen Autoritäten (traditional leaders) müssten so weit wie möglich einbezogen werden. Alle Gruppen, die LGBT gegenüber freundlich gesonnen sind und das sind häufig Frauengruppen und Menschenrechtsgruppen. Die müssen unterstützt werden. Jemand aus dem Publikum fragt, ob die Kirchen nicht angesichts der feindlichen Haltung gemieden werden müssen. Sie verneint ganz klar für Nigeria: „Nigeria ist sehr religiös, dort kann man gar nicht ohne Religion vorgehen. Natürlich arbeiten wir auch mit Kirchen zusammen“. Sie plädiert für die Zusammenarbeit mit denjenigen in der Kirche, die mit sich reden lassen, die freundlich gesonnen sind, dort müssen Allianzen und Koalitionen versucht werden.

Und der internationale Druck, hilft der oder richtet er Schaden an? Aken´Ova-Ogidi verweist auf die ambivalente Situation als Folge internationalen Drucks: Einem Land droht dann der Ausschluss aus der internationalen Gemeinschaft und diese negative Publicity schadet den politischen Führern. Das  nützt den LSBT-Menschen aber zumeist nichts, denn die Ausgrenzung auf internationaler Ebene wird dann den Schwulen und Lesben angelastet und ihre Lebenssituation verschlechtert sich.

Diesen Mechanismus beschreibt sie als „backlash“.

Der beste Weg, um den Menschen vor Ort zu helfen, ist der kenntnisreiche Kontakt zur Basis: Grassroots activism. Und dieser ist nach ihren Ausführungen undenkbar, ohne mit traditionellen Autoritäten zu verhandeln. Sprechen, Zuhören, Kennenlernen oder: Allianzen, Verhandlungen, Kontakte. Und vor allem: Bei allem Reden über Afrika muss die Vielfalt des Kontinents bedacht werden. Dafür sind viel mehr Stimmen nötig. Ihr Schlussappell: Laden Sie nicht mich beim nächsten Mal ein, suchen Sie neue Stimmen!

 

Renate Rampf

Hirschfeld-Eddy-Stiftung

Dokumentation des 5. Fachtags Regenbogenphilanthropie, 21.11.2013, Friedrich-Ebert-Stiftung Berlin

Einladung

Fotos

 

 

 



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