Grußwort der Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Manuela Schwesig anlässlich der Fachtagung „Homosexualität in der Familie – Angehörige kompetent begleiten“ des LSVD am 20. März 2014 in Berlin
(Dokumentation)
Sehr geehrte Frau Henkel,
sehr geehrte Frau Dr. Borggräfe,
sehr geehrte Frau Borchardt,
sehr geehrter Herr Reinhold,
sehr geehrte Abgeordnete des Deutschen Bundestages
meine sehr verehrten Damen und Herren,
wie viele andere auch, habe ich in meinem Freundes- und Bekanntenkreis Menschen, die ihre Homosexualität offen leben, und zwar mit denselben Werten und Wünschen wie Heterosexuelle.
Die einen sind den Bund fürs Leben eingegangen, andere leben lieber allein, wieder andere sind Single, wünschen sich aber vielleicht etwas Festes – oder auch nicht. Genauso wie das unter heterosexuellen Freunden auch ist: alle möglichen Lebensformen und Lebensphasen sind vertreten. Meine Erfahrungen und Eindrücke im Freundeskreis sind ein Grund dafür, dass ich oft einfach fassungslos bin, mit welchen Vorurteilen Homosexuelle heute immer noch zu kämpfen haben.
Natürlich hat sich viel getan in den letzten Jahren – gerade wenn man bedenkt, dass der Paragraph, der sexuelle Handlungen zwischen Männern unter Strafe stellte, erst 1994 ersatzlos gestrichen wurde! Heute
- sind homosexuelle und heterosexuelle Menschen in fast allen Rechtsbereichen gleichgestellt.
- gibt es ganz generell eine größere gesellschaftliche Offenheit und Toleranz.
Rein formal sind wir also auf einem guten Weg. Diskriminierung findet heute seltener statt. Aber es gibt sie trotzdem noch. Sie ist subtiler und läuft unter dem Motto „das wird man doch mal sagen dürfen“. Einige Beispiele in der jüngeren Vergangenheit stehen dafür sinnbildlich.
- Thomas Hitzlsperger hat sich beispielsweise erst nach seinem Karriereende als Profifußballer zu einem Coming-out entschlossen. Er berichtet zwar über ein überwiegend positives Echo. Aber er wurde auf seiner Homepage anonym beschimpft und attackiert. Und ein ehemaliger Mitspieler der Nationalmannschaft drückte sein nachträgliches Unbehagen darüber aus, mit Herrn Hitzlsperger jahrelang die Kabine geteilt haben zu müssen.
- In Baden-Württemberg gibt es aktuell eine echte Debatte darüber, ob eine Veränderung im Lehrplan im Hinblick auf Sexualkunde dazu führen könnte, dass man Jugendliche zu Homosexuellen erzieht.
- Und ein bekannter deutscher Publizist erhält für seine These, Homosexualität sei „ein Fehler der Natur“ zehntausende Zustimmungsbekundungen in sozialen Netzwerken.
Da schlummert also noch ein Bodensatz an Ressentiments, an Vorurteilen. Sie alle spüren das sicherlich auch in Ihrer täglichen Arbeit: es gibt nach wie vor ein Klima der Unbehagens.
Ich erinnere mich an einen Mann in einer Fernsehsendung im letzten Jahr, der seit Jahrzehnten mit seinem Partner zusammenlebt und mittlerweile zwei Kinder adoptiert hat. Er berichtete von seinen Eltern und wie sie sein Coming-out aufgenommen haben. Sie waren verunsichert, aber nicht bestürzt. Natürlich haben sie es irgendwie geahnt. Und nach einem kurzen Schütteln haben sie natürlich jedes Verständnis der Welt gezeigt. Warum auch nicht?
Aber sie mussten sich erklären, sich Fragen stellen lassen. Vor allem von Dritten. Diese Familie wurde durch die Erfahrung zusammengeschweißt, und der Sohn war unheimlich stolz auf seine Eltern.
So selbstverständlich ist das aber nicht überall, nicht alle Familien finden ohne weiteres einen Weg, mit Vorurteilen umzugehen. Anders sein als andere, ist immer etwas schwierig. Und das gilt natürlich auch für die sexuelle Identität.
Der Umgang mit Homosexualität in Familien hat deshalb — bei aller Offenheit, die es mittlerweile gibt — nach wie vor nicht immer etwas Selbstverständliches. Oft brauchen Angehörige doch professionellen Rat und Unterstützung.
Sie alle leisten diese Hilfe und Unterstützung. Sie helfen Menschen, damit umzugehen, dass ein Familienmitglied ein bisschen anders ist. Sie helfen Menschen, selbstbewusst dazu zu stehen.
Sie sind damit Wegbereiter für mehr Offenheit und Vielfalt in unserer Gesellschaft, für mehr Respekt und Anerkennung gegenüber einer bunten Gesellschaft. Vielen Dank für dieses Engagement!
Ich freue mich sehr, heute hier zu sein, denn der Kampf gegen Diskriminierung homosexueller Menschen und Gleichberechtigung und Gleichstellung homosexueller Lebensweisen liegt mehr sehr am Herzen! Vielen Dank für die heutige Einladung!
Wie Sie sicherlich wissen, hat die Gleichstellung homosexueller Lebensweisen bei den Koalitionsverhandlungen in der AG Familie, die ich für die SPD geleitet habe, eine zentrale Rolle gespielt. Es ist ja auch kein Geheimnis, dass es auch mal gekracht hat.
Für mich war das aber ein ganz entscheidender Punkt: Meine Partei will in den nächsten vier Jahren für mehr Toleranz streiten und Diskriminierungen aller Art beseitigen. Das habe ich für die SPD in den Verhandlungen deutlich gemacht.
Klar ist natürlich auch, dass man zu Kompromissen bereit sein muss, wenn man mit einer anderen Partei regiert. Im Koalitionsvertrag ist trotzdem vereinbart, dass wir darauf hinwirken wollen bestehende Diskriminierungen in allen gesellschaftlichen Bereichen zu beenden.
Einen ersten Schritt sind wir auch schon gegangen. In der letzten Woche haben wir im Bundeskabinett den Gesetzesentwurf zur Sukzessivadoption durch Lebenspartner beschlossen. Damit haben wir eine rechtliche Regelung dafür geschaffen, dass Schwule und Lesben ein von ihrem eingetragenen Lebenspartner adoptiertes Kind ebenfalls adoptieren können. Im Ergebnis kommt die Regelung somit einer gemeinschaftlichen Adoption gleich.
Zur Verbesserung der gesellschaftlichen Toleranz und Akzeptanz gegenüber Regenbogenfamilien soll auch der bestehende „Nationale Aktionsplan der Bundesrepublik Deutschland zur Bekämpfung von Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und darauf bezogene Intoleranz“ um das Thema Homo- und Transphobie erweitert werden.
Mir ist wichtig, dass wir sowohl auf der rechtlichen Ebene wie auch auf der kulturellen Ebene, also beim Kampf gegen Vorurteile, in den nächsten Jahren weiter kommen.
Eine tolerante und weltoffene Gesellschaft entsteht ja nicht per Verordnung und der formalen Gleichstellung im Gesetzesblatt. Sondern sie entsteht durch den aktiven Abbau von Vorurteilen, durch das Erlernen eines selbstbewussten Umgang mit dem vermeintlich „anders sein“. Sie entsteht durch das Miteinander von Menschen, das Sie alle ganz konkret gestalten. Und Sie alle wissen aus Ihrer Arbeit, dass ein Coming-out im Familien- oder Bekanntenkreis vielleicht doch heimliche Fragen an die persönliche Toleranz stellt und die von Nachbarn, Kollegen, Freunden.
Wie die Eltern des schwulen Familienvaters in der Talkshow, die ich vorhin erwähnt habe, müssen viele Eltern urplötzlich ihre Kinder in Schutz nehmen und erklären wie das jetzt mit den Enkelindern gehen soll. In diesem Moment ist zu spüren, dass es bei weitem noch keinen unverkrampften Umgang mit Homosexualität gibt. Das gilt oft vor allem für das Zwischenmenschliche von Menschen, die sich eigentlich nahe stehen.
Dabei trifft die Angehörigen keine Schuld, sie sind nicht auf einmal intolerant, wenn sie unsicher sind und nach Halt suchen. Oftmals geht es gar nicht um den Fakt an sich – Homosexualität. Fragen und Zweifel drehen sich um die Reaktion der anderen, den richtigen und betont normalen Umgang mit dem neuen Freund oder der neuen Freundin eines geliebten Menschen.
- Ich will gern in einem Land leben, in dem das nicht mehr nötig ist.
- Ich will gern in einem Land leben, in dem sich niemand mehr für die sexuelle Orientierung von Kindern oder Enkelkindern rechtfertigen muss.
Dazu leistet das bundesweite Modellprojekt „Homosexualität und Familie“, das der Familien und Sozialverein des Lesben- und Schwulenverbands Deutschland e.V. (LSVD) und das Bundesfamilienministerium gemeinsam ins Leben gerufen haben, einen wichtigen Beitrag.
Das neu entstandene „Handbuch für familienbezogenes Fachpersonal“ liegt heute auch hier aus. Ich habe vorhin einen kurzen Blick hineinwerfen können und möchte mich bei allen bedanken, die an der Erarbeitung beteiligt waren. Es ist ein richtiges Nachschlagewerk mit Informationen zu den Lebensumständen und Lebensrealitäten der Familienangehörigen homosexueller Menschen, aber auch zu gängigen Stereotypen über Homosexualität entstanden.
Das ist ein unglaublich wichtiger Beitrag für die Beratungsarbeit vor Ort und wird helfen viele engagierte Menschen weiter zu schulen. Was macht denn eine Sozialarbeiterin, wenn ein Vater eines homosexuellen Kindes vor ihr sitzt, der mit der Homosexualität des Kindes nicht zurechtkommt, sich vielleicht gar etwas antun will? Hier brauchen die Berater selbst Beratung, um richtig und angemessen reagieren zu können.
Ich finde auch, dass gerade in Schulen solche Kompetenzen wichtig sind, weil Lehrerinnen und Lehrer oftmals sowohl die Diskriminierung im Klassenraum erleben als auch die Fragen, die Eltern haben, beantworten müssen.
Vor Ort, ganz konkret in der Arbeit mit Menschen lassen sich jedenfalls Ressentiments, Vorurteile und Diskriminierung am wirksamsten bekämpfen. Und das ist nicht weniger wichtig als politische Hartnäckigkeit, was die rechtliche Ebene betrifft!
Überall dort wo Menschen wegen ihrer sexuellen Orientierung benachteiligt, angefeindet, schief angeschaut oder gar angegriffen werden, besteht Handlungsbedarf – für die Zivilgesellschaft insgesamt, die Soziale Arbeit und für die Politik.
- Ich will mit meiner Politik dazu beitragen ein modernes und tolerantes Land zu schaffen. Ich möchte Menschen unterstützen, Vorurteilen zu begegnen und sie abzubauen.
- Der Weg in eine bunte, vielfältige, offene und diskriminierungsfreie Gesellschaft ist steinig. Wir können in nur gemeinsam gehen.
- Wir werden nur gemeinsam ein weltoffenes Land, in dem sich niemand für seine sexuelle Orientierung oder den unsicheren Umgang damit schämen muss.
Daran werde ich als Bundesfamilienministerin in den nächsten vier Jahren arbeiten, und dabei will ich an Ihrer Seite stehen!
(Es gilt das gesprochene Wort)
Homosexualität in der Familie — LSVD-Handbuch für familienbezogenes Fachpersonal
Regenbogenkompetenz als Bedingung einer gelingenden sozialen Arbeit. Eva Henkel zur Eröffnung des Fachtags „Homosexualität in der Familie – Angehörige kompetent beraten“ am 20.3.2014 in Berlin
Projekt “Homosexualität und Familie”
Programm des Fachtags: Homosexualität und Familie — Angehörige kompetent begleiten