Vorkämpfer der homosexuellen Emanzipationsbewegung
Karl Heinrich Ulrichs legte vor 150 Jahren auf dem Deutschen Juristentag den Grundstein für die homosexuelle Emanzipation. Anlässlich dieses Jubiläums haben wir uns an Gerhard Hoffmann und Dirk Siegfried gewandt, die Initiatoren der Umbenennung der Einemstraße in die Karl-Heinrich-Ulrichs-Straße in Berlin.
1 . Warum ist das Engagement von Karl Heinrich Ulrichs so wichtig für die Geschichte?
Am 29. August 2017 jährt sich zum 150. Mal der erste öffentliche Auftritt eines homosexuellen Mannes weltweit. Karl Heinrich Ulrichs, der Vorkämpfer und Urvater unserer Bewegung, forderte am 29. August 1867 auf dem Deutschen Juristentag in München die Abschaffung antihomosexueller Gesetze.
»Der Juristentag wolle es für eine dringende Forderung der gesetzgeberischen Gerechtigkeit erklären, …daß angeborene Liebe zu Personen männlichen Geschlechts nur unter denselben Voraussetzungen zu strafen sei, unter welchen Liebe zu Personen des weiblichen Geschlechts gestraft wird.«
Schon während seiner Rede wird Ulrichs mehrmals unterbrochen. Und er muss sie schließlich wegen des großen Tumultes abbrechen.
Trotzdem resümiert Ulrichs dieses Ereignis positiv, da er mit seinem Auftritt die bleierne Norm des Schweigens gebrochen hat: »Es ist endlich einmal, offen und laut Zeugnis abgelegt worden für der urnischen [also der homosexuellen] Liebe zertretenes Recht.« (Karl Heinrich Ulrichs, Gladius furens)
Sein sexualpolitisches Engagement ist für unsere Geschichte so wichtig, weil Karl Heinrich Ulrichs exemplarisch vorgelebt hat, was die Aufgaben unserer Emanzipations-Bewegung beschreibt.
Er veröffentlichte als erster eine »moderne Theorie der Homosexualität« (Volkmar Sigusch). — Seine »Forschungen über das Räthsel der mannmännlichen Liebe« umfassen 12 Schriften, die er zwischen 1864 und 1879 veröffentlichte.
Als erster verwandte er den Begriff »mannmännliche Liebe«, für eine Liebe, die lange Zeit keinen Namen kannte. Und er war der erste, der die staatliche und soziale Anerkennung und die Öffnung der Ehe für Homosexuelle forderte.
1862 begann er zunächst innerhalb seiner Familie sein Coming-out. Und 1865 rief er die Homosexuellen zu einem öffentlichen Coming-out auf,denn: »Nur dann erobern wir uns in der menschlichen Gesellschaft Boden unter den Füßen, sonst niemals.«
Erst 100 Jahre später machte die moderne Schwulenbewegung, das öffentliche Coming-out zu ihrem Credo.
Weitere Informationen unter www.karl-heinrich-ulrichs.eu
2. Während am Christopher Street Day weltweit der Stonewall-Aufstand gefeiert wird, erfährt Ulrichs „Aufstand“ bislang wenig Aufmerksamkeit. Wie lässt sich das ändern?
Wir hoffen, dass schon die Straßenumbenennung der Einemstraße in Karl-Heinrich-Ulrichs-Straße dazu beigetragen hat, den Mut und das Wirken von Karl Heinrich Ulrichs bekannter zu machen. Wir wünschen uns noch mehr Sichtbarkeit im öffentlichen Raum, z.B. durch eine Gedenktafel am ja noch stehenden Wohnhaus von Ulrichs in der Marienstraße 23 in Berlin-Mitte.
Wichtig sind uns aber vor allem die Inhalte seiner wegweisenden und immer noch aktuellen Arbeit. Wir wünschen uns, dass diese z.B. durch Ausstellungen, Performances, Lesungen und ähnliche Veranstaltungen vielen Menschen nähergebracht werden können.
Solche Veranstaltungen könnten z.B. in der Karl-Heinrich-Ulrichs-Straße oder auch im Rathaus Schöneberg stattfinden. Es ist immer noch eine große Freude, seine sprachlich brillanten, lustvollen und argumentativ bestechenden Texte zu lesen.
Wir sind optimistisch, dass der Kontakt mit seinem Werk das Bedürfnis danach wecken wird, mehr über ihn zu wissen.
3. Was muss sich ändern, um LGBT-Geschichte ins Bewusstsein der Menschen zu rücken?
Das Wissen um LGBT-Geschichte, z.B. homosexuelle Emanzipationsgeschichte, muss aus seinem Nischendasein heraus. Dies ist nicht nur eine Frage der Fairness, sondern auch wichtig für die Selbstvergewisserung einer Gesellschaft. Das Wissen um diese Emanzipation kann alle Menschen ermutigen, ein selbstbewusstes und selbstbestimmtes Leben zu führen.
Es geht auch hier nicht (nur) um Jahreszahlen, sondern um Inhalte, die bis heute relevant sind. Deswegen muss das Wissen um diese Geschichte im allgemeinen Schulunterricht vermittelt werden.
Wichtig ist aber auch eine Bezugnahme in aktuellen Debatten. So hat z.B. schon Ulrichs überzeugend argumentiert, dass der Schutz Minderjähriger vor sexuellen Übergriffen nicht dazu benutzt werden darf, Homosexuelle zu diffamieren und zur diskriminieren, sondern Minderjährige generell vor sexuellen Übergriffen geschützt werden müssen.
Bis heute kennen wir diesen Missbrauch des Schutzes Minderjähriger zur Diffamierung und Diskriminierung Homosexueller, z.B. aktuell im Wahlprogramm der AfD. Es können also auch aktuelle Debatten im Wissen um die Emanzipationsgeschichte geführt werden – mit Gewinn für die Debatten und für das geschichtliche Bewusstsein.
Das Interview führte Felix Modrach vom Lesben- und Schwulenverband Berlin-Brandenburg.
Foto: Symbolische Straßenumbenennung auf dem CSD Berlin am 25.6.2011. © Axel Hildebrand.