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Lesben und Schwule an die Front”

Morus 14, Neukölln

Rollbergviertel, Berlin-Neukölln. Dieser Name und ein Blick auf die Zahlen wecken zumeist ungute Assoziationen. Eine Arbeitslosenrate von weit über 40%, hohe Armut, 30% der Kinder und Jugendlichen schaffen keinen Schulabschluss, viele bildungsferne Familien, ob mit Migrationshintergrund oder nicht. Bewohnerinnen oder Bewohner ziehen sich zurück in ihre Großfamilien oder bleiben lieber gleich ganz Zuhause. Mittendrin: Gilles Duhem, LSVD-Mitglied, Geschäfts- führer vom „Förderverein Gemeinschaftshaus MORUS 14 e.V.“ und bekannt wie ein bunter Hund. Denn trotz aller Schwierigkeiten ist der Kiez auch ein „Dorf“ und, wenn man so will, ist Morus 14 der Dorfplatz. „Mieter kochen für Mieter“, Spielfilmabende und Kulturveranstaltungen, Frauenfrühstücke und vor allem das „Netzwerk Schülerhilfe Rollberg“, – Ziel von Gilles, seinem vor zehn Jahren gegründeten Verein und den rund 150 Ehrenamtlichen ist es, einen Ort für alle zu schaffen. „Über die wohlbekannten Probleme soll nicht länger nur geredet werden, sondern wir müssen sie angehen!“ – so Gilles. Denn Integration und Zusammenhalt ist gelebte Begegnung.

Aus diesem Grund gibt es das „Netzwerk Schülerhilfe Rollberg“. Mittlerweile 92 Freiwillige aus ganz Berlin (29 Männer und 63 Frauen, Altersdurchschnitt: 37 Jahre) kümmern sich um 110 Kinder und Jugendliche. Die Mehrzahl der Mentorinnen und Mentoren haben für gewöhnlich eine Schülerin bzw. Schüler, die oder den sie möglichst über Jahre begleiten. Getroffen wird sich zumeist einmal die Woche für 1,5 Stunden, immer am gleichen Wochentag, vorrangig um gemeinsam und ungestört Hausaufgaben zu machen und sich auf Tests und Klassenarbeiten vorzubereiten. Denn mit Bildung stehen und fallen Zukunftsperspektiven. Doch es geht um mehr. Zu den ausformulierten Spielregeln des Netzwerks gehören Pünktlichkeit, Verbindlichkeit und Konsequenz auf beiden Seiten. Das ist Gilles wichtig: „Ich muss sowohl bei Kindern als auch bei Erwachsenen gegenüber konsequent sein. Unverbindliche Erwachsene bieten Kindern keinen Halt. Die Schülerhelferinnen und ‑helfer sind die „Kapitäne“ ihrer Gruppe. Andererseits überfordern unverbindliche Eltern und Familien unser System und strapazieren die engagierten Ehrenamtlichen zu sehr. Verbindlichkeit ist eine Frage von Respekt und Ehre. Wer sich daran nicht halten kann, muss gehen. Genug Kinder freuen sich über den frei gewordenen Platz.“ Es entstehen vertrauensvolle Bindungen und diese Patenschaften sind fast immer interkulturelle Begegnungen. Neben Hausaufgaben und Lernen sind gemeinsame Unternehmungen ausdrücklich gewünscht. Ob Kino, Tierpark, Theater und Museen, Spaziergänge durch andere Stadtviertel oder Kakao in Cafés, auch dabei geht es um Selbstvertrauen, Neugierde auf das „Fremde“ und Lust an der Begegnung. Sowohl Mentorinnen und Mentoren als auch die Kinder und Jugendlichen bekommen Einblicke in ihnen bisher oftmals unbekannte Alltagswelten. Vorurteile auf beiden Seiten geraten ins Wanken, werden ersetzt durch Menschen. Hinterm Horizont geht es weiter.

Zu dieser Vielzahl an unterschiedlichen Lebensentwürfen gehören natürlich auch Lesben und Schwule. In den Räumen von Morus hängt das LSVD-Plakat „Kai ist schwul, Murat auch!“, die respekt! und die Siegessäule liegen aus. Dass Gilles schwul ist, wissen alle, interessieren tut es die wenigsten. Sein Lebenspartner kommt oft vorbei, begleitet ihn manchmal auf den Radtouren und Ausflüge. Diese Selbstverständlichkeit oder „Banalisierung“ von lesbischen oder schwulen Leben ist ein gutes Heilmittel gegen Homophobie. Bislang arbeiten fünf bis sechs offen lesbisch oder schwul lebende Schülerhelferinnen und ‑helfer im Netzwerk mit. Zuwachs händeringend gewünscht. „Schwule und Lesben an die Front. Wenn Du mit einer lesbischen Frau lesen, schreiben und rechnen gelernt hast, wirst Du nie wieder Lesben und Schwule scheiße finden!“, stellt Gilles klar. Der LSVD Berlin-Brandenburg unterstützt ihn dabei, macht regelmäßig in Newsletter darauf aufmerksam und sucht nach neuen Freiwilligen.

Dieses Engagement von Morus 14 wurde vom Bündnis für Demokratie und Integration sowie von der Bertelsmann-Stiftung ausgezeichnet. Doch wie jede Utopie stehen auch die Projekte von Morus 14 immer kurz vor dem Aus. Regelmäßig werden Insolvenzen in letzter Minute abgewendet. Der Verein bekommt keine öffentlichen Gelder. Gilles ist auf Sponsoren, Spenden, Benefizveranstaltungen und Mitgliedsbeiträge angewiesen. Nur so kann das kostbare „Netzwerk Schülerhilfe Rollberg“ weiter bestehen.

www.morus14.de

Markus Ulrich
LSVD-Pressestelle



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