Weit verbreitet: Homo- und Transphobie im deutschen Asylsystem
Wer flieht, hat dafür gute Gründe. Dies gilt besonders für Homosexuelle und Transgender aus dem globalen Süden, die in ihren Herkunftsländern häufig diskriminiert werden. Doch auch wenn sie es bis Deutschland geschafft haben, sind sie vor Verfolgung und Ausgrenzung nicht sicher.
Flüchtlingspolitik in Deutschland und Europa war lange von Abschottung und der Komfortzone geprägt, die uns die sogenannte Drittstaatenregelung verschafft hatten. Die aktuelle Diskussion um die Verschärfung des Asylrechts verdeutlicht das ebenso wie die Bilder aus Lampedusa und anderen südeuropäischen Ländern, die monatelang über unsere Bildschirme flimmerten, ohne wirklich in den Parlamenten von Brüssel oder Berlin angekommen zu sein. Unter den Geflüchteten sind auch lesbische, schwule, bisexuelle und transgeschlechtliche (LSBT) Asylsuchende – ihre Lebenssituation in deutschen Aufnahmeeinrichtungen ist mehr als schwierig.
Laut EU-Richtlinie 2011/95/EU ist die Verfolgung aufgrund der sexuellen Orientierung und geschlechtlichen Identität ein anerkannter Asylgrund. Nur kamen diese Menschen lange gar nicht erst bis nach Deutschland. Dank der Dublin-III-Verordnung war Deutschland von einem Ring „sicherer Drittstaaten“ umgeben, eine Richtlinie, die nun teilweise aufgehoben ist.
Menschen aus Syrien müssen in Deutschland ihre Homosexualität und/oder Transgeschlechtlichkeit derzeit nicht zwingend offenlegen, da sie bereits wegen der Flucht aus einer Kriegsregion einer begründeten Gefahr ausgesetzt sind.
Flüchten LSBT aus Angst vor Verfolgung wegen ihrer sexuellen Orientierung beziehungsweise Geschlechtsidentität, müssen sie glaubhaft machen, dass sie wirklich LSBT sind und ihnen in ihrem Heimatland die Gefahr droht, an Leib, Leben oder Freiheit verletzt, strafrechtlich verfolgt oder einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Bestrafung unterworfen zu werden. Die Verfolgungshandlungen müssen so gravierend sein, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen.
Beschimpfungen oder die Vermittlung eines Gefühls des Unerwünschtseins reichen als „Verfolgungshandlungen“ nicht aus. Die Existenz eines Strafparagrafen ist nur dann ein Asylgrund, wenn er noch aktiv angewandt wird. Asylsuchende müssen den Mitarbeitenden des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF) ihre Bedrohung in der Heimat glaubhaft, das heißt für diese nachvollziehbar erklären – und hier beginnt der schmale Grat zwischen subjektiver Wahrnehmung und objektiver Bewertung der Lebenssituation von LSBT.
Schon allein das Sprechen über die eigene Liebe zum gleichen Geschlecht ist für Asylsuchende eine oft unüberwindbare Hürde. Die eigene Verfolgungserfahrung und nicht selten „Hassvergewaltigungen“ sind nur einige der Gründe, weshalb es Geflüchteten schwerfällt, über ihre Identität und über ihre Intimität zu reden. Machen sie aber ihre Homosexualität und die Verfolgung nicht glaubhaft, droht ihnen die Abschiebung.
Es kann sogar auch vorkommen, dass Dolmetscher*innen, die im Auftrag des BAMF arbeiten oder über Länder und Kommunen in den Aufnahmeeinrichtungen beschäftigt werden, homophob sind und aus ihrer Einstellung keinen Hehl machen. Schon mehrmals haben Anwält*innen berichtet, dass Dolmetscher*innen aufgrund ihrer Vorurteile und Ressentiments es unterließen innerhalb eines Interviews, Angaben einer beziehungsweise eines/r Asylsuchenden zu seiner/ihrer Homosexualität korrekt zu übersetzen.
Homophobie und die Verurteilung all jener, die von der Heteronormativität abweichen, sind in dieser frühen Phase des Verfahrens ein großes Problem, da die Sprachmittlung zwischen dem Mitarbeitenden des BAMF und dem Menschen, der sein Recht auf Asyl wahrnehmen möchte, von überragender Bedeutung ist. Nur eine kultursensible und LSBT-inklusive Sprachmittlung kann ein faires Asylverfahren gewährleisten.
Ausgrenzung als Regelfall
Die Menschen müssen bei den Befragungen des Bundesamtes jedoch nicht nur Traumaerfahrungen aus Flucht, Krieg und Verfolgung erneut durchleben, sondern erfahren hier im vermeintlich sicheren Deutschland auch Rassismus, Homo- und Transphobie. So können Ausgrenzungen und Vorurteile nicht nur von Mitarbeitenden der Einrichtungen, Behörden oder Sicherheitsdiensten ausgehen, sondern ebenso von den Menschen, mit denen die Asylsuchenden zusammen untergebracht sind.
So musste Soraya , eine junge Lesbe aus Syrien, in einer niedersächsischen Flüchtlingsunterkunft mit einer erzkonservativen Familie aus ihrer Heimat auf engstem Raum leben. Tagtäglich erlebte sie dieselben homophoben und menschenfeindlichen Einstellungen, vor denen sie aus ihrer Heimat gerade geflohen war. Die Familie verurteilte Homosexualität zutiefst und setzte Soraya einem unvorstellbaren psychischen Druck aus.
Ihre Angst, als Lesbe „entlarvt“ zu werden, wurde nur dadurch noch übertroffen, dass sie als „alleinreisende“ Frau der täglichen Bedrohung seitens der männlichen Mitbewohner entkommen musste. Ein Sicherheitsdienst sei nur bei der Essensausgabe anwesend gewesen, Schutz vor sexualisierter Gewalt habe es genauso wenig gegeben wie Gewaltschutzkonzepte seitens des Betreibers der Einrichtung. Diese Zustände sind in deutschen Einrichtungen eher die Regel als die Ausnahme.
Ähnliches berichtete auch der junge Marokkaner Rashid , der in der Nähe von Braunschweig untergebracht worden war. Seine Mitbewohner bedrohten ihn massiv. „So einer wie du wäre in unserer Heimat gehängt worden“ war nur eine der Anfeindungen, die er über sich ergehen lassen musste. Eine Unterstützung seitens der Mitarbeitenden der Einrichtung gab es erst, als der Lesben- und Schwulenverband Deutschland auf die prekäre Situation des jungen Mannes hinwies.
Um LSBT bei der Unterbringung und Versorgung effektiv zu schützen, bedarf es nicht nur einer Sensibilisierung aller am Asylverfahren beteiligter Stellen, sondern ebenso verbindlicher Gewaltschutzkonzepte und Schutzräume. Der Aufbau von Beratungs- und Unterstützungsangeboten ist dabei ebenso wichtig, wie der selbstverständliche Umgang mit queeren Lebensweisen in Sprach- und Integrationskursen.
Maßnahmen zum Schutz von LSBT im Asylverfahren müssen in die existierenden Aktionspläne gegen Homo- und Transphobie aufgenommen werden. Unsere Gesellschaft und ihre Behörden müssen alle Anstrengungen unternehmen, damit Menschen, die sich hierher geflüchtet haben, sicher sind.
René Mertens
Bund-Länder-Koordination
Nachdruck aus dem Südlink 174 (Dezember 2015): “LGBTIQ. Kämpfe unterm Regenbogen”
Ignoranz und Intoleranz werfen viele Schatten auf den Regenbogen. Zugleich streiten LGBTIQ auf sehr vielfältige Weise für ihre Rechte. Manchmal im Verborgenen, manchmal im Licht der Öffentlichkeit – immer jedoch mit einer gehörigen Portion Mut, Ausdauer und Entschlossenheit. So wie es die Alternative Nobelpreisträgerin Kasha Nabagesera tut. Darüber und über vieles mehr lest ihr im neuen Südlink 174.
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