Kategorien
Hirschfeld-Eddy-Stiftung Projekte Veranstaltungen

LSBTI in Äquatorialguinea
Die Romanautorin und Aktivistin Trifonia Melibea Obono

Copyright: Trifonia Melibea Obono

Zwei Jahrhunderte lang war Äquatorialguinea, das kleine Land zwischen Kamerun und Gabun am Golf von Guinea, eine spanische Kolonie und Quelle iberischen Reichtums. 1968 entließ General Franco das Land in die Unabhängigkeit. Seither kannte es erst zwei Präsidenten, die einem Clan entstammen: Francisco Macías Nguema und dessen Neffe Teodoro Obiang Nguema.

Das Land, ungefähr so groß wie Brandenburg mit rund 1,5 Millionen Einwohner*innen, ist keineswegs arm, denn seit Anfang der 1990er Jahre ist es ein wichtiger Erdöl-Produzent. Doch wie so oft ist der Reichtum falsch verteilt. 70 Prozent der Bevölkerung leben in bitterer Armut. 2019 stand das Land an 145. Stelle im Human Development Index der Vereinten Nationen.

Copyright: Trifonia Melibea Obono

Über ihr Land und ihre Arbeit spreche ich mit der Journalistin, Politikwissenschaftlerin, LSBTI-Aktivistin und Autorin Trifonia Melibea Obono, Jahrgang 1982, der laut Sabine Peschel von der Deutschen Welle „in einschlägigen Kreisen aktuell angesagtesten Schriftstellerin des Landes“. Melibea spricht und schreibt in spanischer Sprache und publiziert in Spanien, wo sie auch viel Zeit an Universitäten verbringt. Zudem begibt sie sich auch immer wieder auf Lese- und Vortragsreisen in die USA oder nach Europa. Einige ihrer Romane erschienen in den USA, in deutscher Sprache erschien nur eine Übersetzung, 2021 der Roman „Wem gehören die Bindendee“ im Wiener Löcker Verlag.

Ich berichte ihr von unserer Arbeit hier in Deutschland, komme bald auf das Themenspektrum LSBTI-Feindlichkeit, Verfolgungsgeschichte, Gedenken und Gedenkpolitik sowie Lehren aus der Geschichte zu sprechen. „Auch wenn Hitler schon lange tot ist, hier lebt der Faschismus weiter“, sprudelt es aus ihr heraus. „Der Franquismus, der Faschismus ist hier noch immer virulent. Die Gesetze, die Normen, das Denken der Leute, alles ist noch da.“

Franquistisch-koloniale Hinterlassenschaften

Und tatsächlich: Auf der rechtlichen Ebene zieht das Regime noch immer die Paragrafen aus der Franco-Zeit heran, um Homosexualität zu verfolgen, etwa die Ley de Vagos y Maleantes (so was wie ein Landstreicher- und Ganovengesetz) aus 1954 oder entsprechende Paragrafen aus der spanischen Militärgerichtsbarkeit. Diese franquistische Hinterlassenschaft hat in der ehemaligen spanischen Kolonie überlebt. Genauso die Einstellungen der Mehrheitsgesellschaft in Bezug auf LSBTI. Melibea schickt mir den Link zu einem langen Artikel, den sie am 10. Juli in der spanischen Tageszeitung El País veröffentlicht hat: „Ser homosexual en Guinea Ecuatorial: cuando el hijo no está fuera estudiando, sino en una terapia de conversión“ („Schwul sein in Äquatorialguinea: Wenn der Sohn nicht im Ausland studiert, sondern eine Konversionstherapie durchläuft“).

Sie schreibt darin, dass Homosexualität in ihrem Land als Hexenwerk oder Krankheit angesehen wird, dass Schwule und Lesben von bösen Geistern besessen seien. Die „Schande“ versuche die Familie durch „Heilung“ zu bekämpfen, durch „Therapien“, geheime Praktiken, die auf Bantu- oder christlich-katholischen Glauben zurückgehen. Mit verheerenden Folgen für die meist jugendlichen Opfer. Es komme zu sexueller Gewalt, Vergewaltigung, erzwungenen Schwangerschaften; Drogen, starke Halluzigene kämen zum Einsatz, oftmals mit Todesfolge. All das passiere im Verborgenen. Eltern vertrauten den haltlosen Versprechen von religiös motivierten Quacksalbern und geben sie in deren Hände.

Menschenhandel und Zwangsprostitution

Die Homosexuellen- und Transfeindlichkeit sowie die Leichtgläubigkeit und Unwissenheit der Familien nutze eine Mafia von Menschenhändlern schamlos aus. Durch Täuschung, Geschenke, Versprechen erlangten sie das Vertrauen der Menschen. Nach und nach gerieten die jugendlichen Opfer in wirtschaftliche und moralische Abhängigkeit von ihren Peinigern. Zudem überließen viele Familien bereitwillig ihre nicht der sexuellen und geschlechtlichen Norm entsprechenden Kinder der Zwangsprostitution, denn „sie wissen, dass dies die einzige Arbeit ist, die die Gesellschaft und die Behörden für sie vorgesehen haben“.

Somos Parte del Mundo“

2016 organisiert der Diplomat Luis Melgar die erste LSBTI-Kulturwoche in Äquatorialguinea, die die Gründung der Organisation „Somos Parte del Mundo“ („Wir sind Teil der Welt“) zur Folge hatte. Melibea leitet seither die nicht registrierte Organisation, die über eine informative Webseite verfügt und versucht über diesen Menschenhandel aufzuklären und ihm entgegenzuwirken. „Somos Parte del Mundo“ hat einen umfangreichen Bericht vorgelegt: „Homofobia de Estado. Encuesta sobre Trata de Personas con Fines de Explotación Sexual y Laboral en la República de Guinea Ecuatorial : el Caso de Minorías Sexuales“ („Staatliche Homophobie. Umfrage über Menschenhandel um Zwecke der sexuellen Ausbeutung und der Ausbeutung durch Arbeit in der Republik Äquatorialguinea: Der Fall der sexuellen Minderheiten“). 305 LSBTI-Personen wurden befragt, davon berichten 20 Prozent von Gewalterfahrungen im Zusammenhang mit Konversionstherapien durch Priester und Pastoren. Rund die Hälfte der Befragten war in Schulen und Internaten der römisch-katholischen Kirche untergebracht. Die meisten wurden dort geoutet, was für viele wiederum sexuelle Übergriffe durch Mitschüler*innen, Lehrer*innen oder die Schulleitung zur Folge hatte.

Sexsklaverei und Zwangsprostitution

Viele der Opfer trauen sich nicht, gegen die Täter auszusagen, was sie auch mit der privilegierten, einflussreichen Rolle der Kirchen im Obiang-Regime, eine weitere franquistische Hinterlassenschaft, begründen. Ähnlich verhalte es sich mit den Streit- und Sicherheitskräften, die das Obiang-Regime stützen. Auch hier erlitten schwule junge Männer Gewalt und würden „Therapien“ unterzogen. Junge Trans*-Personen würden von hochrangigen Militärs und Polizeikräften in die Reichenviertel von Malabo verschleppt, wo sie zwangsprostituiert würden. „40 Prozent der Befragten gaben an, dass auf dem Prostitutionsmarkt die Nachfrage nach Minderjährigen – heterosexuellen wie LSBTI – auf die Oberschicht zurückzuführen ist.“ Das heißt, die drei Säulen des Obiang-Regimes – übrigens die gleichen wie die des Franco-Regimes (Kirche, Militär, Großgrundbesitz bzw. wirtschaftliche Elite) – sind in Konversionstherapien und Sexsklaverei von Minderjährigen verstrickt. Es verwundert nicht, das 75 Prozent der Befragten nie Anzeige erstattet haben, da sie kein Vertrauen in die Justiz des Landes haben. Die wenigen, die Anzeige erstatteten, erhielten zur Antwort, als Schwuler hätten sie jegliche Art von Misshandlung verdient oder es handele sich um familiäre Angelegenheiten.

Einstellungen verändern durch Romane

Melibea ist nicht sehr zuversichtlich, was die Zukunft des Landes angeht. Eine Transition stehe bevor, allerdings nicht zur Demokratie, sondern die Machtübergabe an die nächste Generation. „Somos Parte del Mundo“ arbeite weiter daran, dass junge LSBTI in Äquatorialguinea ein Selbstwertgefühl entwickeln und als freie Menschen in einer freien Gesellschaft leben können. Die Mitmenschen sollten sie als das kennenlernen, was sie sind, sexuelle Minderheiten, und akzeptieren, was sie tun, als Künstler*innen, Autor*innen, Arbeiter*innen oder Lehrer*innen. Sie habe sich immer wieder anhören müssen, warum sie schreibe, warum sie ihre Zeit damit verplempere, Unsinn zu schreiben, über Dinge, die sie aus Spanien mitgebracht habe. Die Lösung dafür könne nur lauten, langfristig die Einstellungen zu und den Diskurs über LSBTI im Land zu verändern.

Aktivismus und Kunst

Deshalb schreibe sie Romane, deshalb engagiere sie sich als Aktivistin bei „Somos Parte del Mundo“. Ihr schweben Projekte vor, die LSBTI-Aktivismus und Kunst verbinden. Ihr Roman „La Bastarda“ ist eine Coming-of-Age-Geschichte, deren Protagonistin, die junge Okomo, sich auf die Suche nach ihrem Vater begibt, den sie nie kennengelernt hat. Sie verliebt sich in eine andere Frau und fordert die patriarchalen Traditionen ihres Volkes heraus. Ihr letztes Buch mit dem Titel „Yo no quería ser Madre“ („Ich wollte nicht Mutter sein”) porträtiert 30 lesbische oder bisexuelle Frauen aus Äquatorialguinea, die durch Vergewaltigung und erzwungener Schwangerschaft „geheilt*“ werden sollten.

Melibea lässt diese Frauen zu Wort kommen, lässt sie von ihrem Leidensweg und dem Umgang damit berichten. Sie schafft starke Charaktere wie Okomo und bricht so das Tabu, über Sexualität und Homosexualität zu reden. Sie setzt sich für das Recht von Frauen und LSBTI auf ihre eigne Sexualität und Geschlechtsidentität ein. Melibeas Literatur ist nicht nur ätzende Sozialkritik, sondern auch eine starke Waffe für Veränderungen.

Klaus Jetz, Hirschfeld-Eddy-Stiftung

*Der Begriff „corrective rape“, deutsch „korrigierende Vergewaltigung“, beschreibt ein Hassverbrechen, bei dem lesbische Frauen und andere weibliche Personen aufgrund ihrer angenommenen homo- oder bisexuellen Orientierung oder ihrer Trans- oder nicht-binären Geschlechtsidentität vergewaltigt werden. Die Taten sollen Heterosexualität und Geschlechtskonformität mit Gewalt erzwingen.

Hintergrundinfos und Links:

Ein Beitrag im Rahmen des ProjektsDo no harm – Risiken für LSBTI in der internationalen Projektarbeit minimieren“ der Hirschfeld-Eddy-Stiftung. Alle Beiträge im Rahmen des Projekts sind im Blog unter dem Tag „DNH-2022“ zu finden.

BMJ
HES



Teile diesen Beitrag: