Webtalk 09.05.2025
Weltweit geraten die Rechte von Frauen und LSBTIQ* zunehmend ins Visier von repressiven Bewegungen. In Afrika wird der Kampf um Menschenrechte – insbesondere sexuelle und reproduktive Rechte – sowohl vom kolonialen Erbe als auch von aktuellen geopolitischen Umbrüchen geprägt. Der Rückzug der USA aus ihrer Führungsrolle in der finanziellen Förderung von Entwicklungszusammenarbeit und der wachsende Einfluss global agierender, religiös geprägter Interessengruppen auf Anti-LSBTIQ-Gesetzgebungen erschweren die Arbeit von feministischen und LSBTIQ* Menschenrechtsverteidiger*innen zusätzlich. Angesichts dieser vielschichtigen globalen Angriffe auf die Rechte von LSBTIQ ist es entscheidend, solidarisch und mit einer klaren dekolonialen Haltung zu reagieren. Ein Webtalk der Hirschfeld-Eddy-Stiftung in Kooperation mit Amnesty International. Es diskutieren: Stella Nyanzi, (she/her), feministische Aktivistin und Wissenschaftlerin; Uganda/Deutschland, Monalisa Akintole, (she/her), Uganda National Trans Forum; Uganda, Florence F /Khaxas, (she/her), Y‑FEM; Namibia, Omar van Reenen, (they/them), Equal Namibia; Namibia, moderiert von Monty Dhanjal, (none/they), Trainer, Facilitator, Aktivist, Deutschland.
Welche Folgen hat der plötzliche Stopp von USAID für den queeren und feministischen Aktivismus in Namibia und Uganda? Sämtliche Programme zur Unterstützung von LSBTIQ*-Rechten und Geschlechtergerechtigkeit sollen beendet werden, während Anti-Gender-Bewegungen gezielt gefördert werden. Was bedeutet das konkret?
Florence F /Khaxas, Y‑FEM, Namibia:
Für mich als Aktivistin und Menschenrechtsverteidigerin, die am Schnittpunkt von Frauenbewegung und LGBTI-Bewegung arbeitet, stellen sich täglich neue Herausforderungen. Dazu zählt, wie wir uns unter den globalen Veränderungen transformatives feministisches Leadership vorstellen. Also Führungsqualitäten, die auf Liebe, Fürsorge und Solidarität begründet sind. Wir müssen über die Dienstleistungsebene hinausschauen und immer wieder sagen: Wenn eine Person verletzt wird, werden wir alle verletzt. Wenn eine Bewegung verletzt wird, werden wir alle verletzt. Aus meiner intersektionalen Perspektive in Namibia ist es sehr wichtig, wie wir als Land und als Bewegungen lenken und steuern. Es geht beispielsweise um die nationale Ebene und nicht nur um die globale politische Szenerie.
Angriffe auf die Menschenrechte von LSBTI
Florence F /Khaxas, Y‑FEM, Namibia: Das betrifft beispielsweise Desinformationen und Misinformationen und die Rolle von Medien bei deren Verbreitung. Mit Misinformationen der Anti-Gender-Bewegungen wird Angst in der LSBTI-Community und in der gesamten Gesellschaft geschürt. Wir sind Teil der Gesellschaft und wir haben nun einen größeren Stresslevel, was sich verstärkt auf die mentale Gesundheit auswirkt.
Dennoch versuchen wir, weiterhin pro-aktiv emotionale und physische Sicherheit für unsere Communities zu schaffen — Räume zu schaffen, in denen sie zusammenkommen können, um uns ihre Prioritäten mitzuteilen. Grundsätzlich sind die Sichtbarkeit und die Handlungsspielräume zivilgesellschaftlicher Bewegungen aber drastisch geschrumpft. Zudem sind LSBTI-Organisationen aktuell nicht in der Lage, adäquat ihre Communities zu unterstützen. Wir haben nicht die Mittel, um Community-Mitglieder in abgelegenen Gebieten zu erreichen. Es geht um deren Menschenwürde und um Zugang zu Ressourcen, Gesundheitsdiensten und Rechtshilfe.
Davon sind die am meisten marginalisierten Menschen betroffen. Auch über social media bleiben sie für uns unerreichbar. Wenn wir sie aber gar nicht informieren können, was in der Welt passiert, wie sollen wir dann den dominanten Diskurs, das Narrativ ändern? Der strukturelle Diskurs, der LSBTI ruhig stellen will, war schon früher ein Problem, doch dies ist nun verstärkt. Wir haben keine einheitliche Zivilgesellschaft — keine gemeinsame Bewegung, die auch für unsere Anliegen die Stimme erhebt.
Was sind die Kontexte der (neo)-kolonialen Diskriminierung und die Folgen der Kürzungen von Fördergeldern? Welche Bedeutung haben LSBTI für die Stärkung von Menschenrechten, Rechtsstaat und Demokratie?
Omar van Reenen, (they/them), Equal Namibia, Namibia:
Hilfe ist kein Geschenk oder Privileg, sondern eine Verantwortung des Globalen Nordens, um die Schäden zu reparieren, die durch Kolonialismus, Sklaverei, Ressourcenausbeutung und Unterentwicklung verursacht wurden. Deren Folgen schädigten den Globalen Süden. Das Geld der Botschaften und anderer Geber ist somit eine Form der Reparation. Denn wir kämpfen gegen koloniale homophobe Strafgesetze, die aus Frankreich und Großbritannien nach Afrika importiert wurden. Diese Anti-Homosexellen-Gesetze sind also ein Erbe der Kolonialherrschaft. Es ist nun eine Aufgabe des Westens, Organisationen zu unterstützen, die diese Gesetze ändern wollen. Und wer die LSBTI-Community von der lokalen bis zur nationalen Ebene stärkt, stärkt auch Demokratie und Menschenrechte.
Nun müssen wir aber neue Finanzierungsoptionen finden, um selbst nachhaltig arbeiten zu können. Wir müssen neue Wege und Strategien finden, um nicht mehr von Hilfe abhängig zu sein – auch nicht von der EU oder staatlicher Hilfe aus Deutschland oder Frankreich. Denn die Haltung der jeweiligen Regierungen kann sich in einigen Jahren ändern.
Aktive Rolle von LSBTIQ* für Demokratie, Rechtsstaat, Menschenrechte
Omar van Reenen: Wir müssen mit unseren eigenen Regierungen arbeiten, es geht um verantwortungsvolle Regierungsarbeit gegenüber Staatsbürger*innen. Schließlich tragen wir als Zivilgesellschaft dazu bei, die Demokratie in unseren Ländern zu verbessern. Denkbar wäre beispielsweise die Nutzung eines bestimmten Steueranteils, eines bestimmten Prozentsatzes aus dem nationalen Budget für zivilgesellschaftliche Arbeit und Organisationen – es geht um staatsbürgerliche Verantwortung. Denn wir sind nun nicht mehr nur mit einer Anti-Gender-Bewegung, sondern mit Anti-Gender-Staaten konfrontiert.
Konfrontation mit Anti-Gender-Staaten
Omar van Reenen: Der Stop von Fördergeldern durch USAID unterminiert die Arbeit von Menschenrechtsverteidiger*innen und inklusive Entwicklung. So dokumentiert ein aktueller Bericht des The Commonwealth Equality Networks (TCEN), dass über die Hälfte der zivilgesellschaftlichen Organisationen in Afrika aus diesem Netzwerk Fördermittel verloren haben. Besonders betroffen sind mit 48 Prozent vor allem solche, die LSBTI-Menschen direkte Dienstleistungen boten. 38 Prozent der Organisationen, die Community Building förderten und 31 Prozent, die Advocacy leisteten, sind ebenfalls betroffen. Insgesamt 59 Prozent aller zivilgesellschaftlichen Organisationen müssen ihre Angebote reduzieren oder ganz stoppen. Wir LSBTI-Organisationen wissen, wie zerstörerisch der Förderstop ist. In Afrika gingen mindestens 5,3 Millionen US-Dollar verloren, die unter anderem für die HIV-Arbeit und das sozio-ökonomische Empowerment wichtig waren.
Was sind die (neo)-kolonialen Kontexte und welche Folgen haben die Kürzungen von USAID-Fördergeldern in Uganda?
Dr. Stella Nyanzi, (she/her), feministische Aktivistin und Wissenschaftlerin; Uganda/Deutschland
Die Politik der (USAID)-Förderung ist umstritten, denn diese gilt als Neo-Imperalismus, als unafrikanische oder amerikanische Agenda. Im Gegensatz dazu ist hervorzuheben, dass USAID Gesundheitsprogramme insgesamt unterstützt, beispielsweise die HIV-Prävention, anti-retrovirale Programme und das Care-Management in ganz Uganda. Wenn man also nicht nur auf LSBTI-Menschen schaut, sondern den Gesundheitssektor insgesamt in den Blick nimmt, wird klar, wie umfassend dieser von internationalen Geldern abhängig ist. Man kann fragen, wie afrikanisch das ist und was die lokalen Prioritäten sind, denn die Gesundheitsprogramme schaffen finanzielle Abhängigkeiten vom (früheren) kolonialen Herren (Master).
Nachkoloniale Abhängigkeiten und Ausrichtung auf konservative Geber
Dr. Stella Nyanzi: Man kann sagen, die Gebergelder sind eine Form der Reparation bezogen auf den Kolonialismus. Die ugandische Regierung sucht nun neue und konservative Geber und wendet sich zum Beispiel an Russland, das ist „Pro-Familien“ orientiert und will das alte Patriarchat wieder aufbauen. Es ist anti-queer, anti-gender und antidemokratisch, es stellt keine Bedingungen bezüglich der Demokratie. Und es finanzierte teilweise das Organisieren im Vorfeld des Anti-Homosexuellen Gesetzes in Uganda. Zu erwähnen ist auch China: als Geber geht es China nicht um Frauenrechte oder Minderheitenschutz, beispielsweise um queere Menschen, sondern um ökonomische Bedingungen.
Uganda will sein Budget reduzieren, Prioritäten haben anti-demokratische Vorhaben zur Machtabsicherung des Regimes. 2026 finden Wahlen in Uganda statt, es gibt schon jetzt eine ganze Maschinerie, die sicherstellt, wer in den nächsten fünf Jahren Präsident sein wird: Diktator Museveni oder sein Sohn, (Armeechef und Generalleutnant) Muhoozi Kainerugaba, die beide anti-queer, anti-feministisch, anti-demokratisch, kapitalistisch und sehr militant sind.
Konkrete Fragen und Vorschläge für Förderung und Zusammenarbeit
Dr. Stella Nyanzi: Welche Auswirkungen hat das auf unsere Organisationsformen? Daraus ergeben sich Fragen zur lokalen Philanthropie, zu lokalen Süd-Süd-Beziehungen, also welche ugandischen und afrikanischen Quellen gibt es, welche Alternativen? Innovativ ist The Other Foundation. Wie wichtig sind globale Süd-Südpartnerschaften, etwa zwischen Brasilien und Uganda? Wir brauchen Süd-Süd-Kooperationen und Queere Menschen in süd- und ostafrikanischen Regionalorganisationen, also in der SADC und EAC. Zudem brauchen wir reiche Afrikaner, reiche Ugander, die feministische Arbeit unterstützen.
Bezogen auf Deutschland fragen wir, wie Deutsche die eigene Regierung stärker zur Verantwortung ziehen und Rechenschaftspflicht einfordern können, um die Lücke zu füllen, die durch die Streichungen von USAID entstanden ist. Schließlich förderte Deutschland bereits die militärische Arbeit, Verteidigung und Sicherheit in Uganda; wie kann es nun auch für Minderheiten sorgen?
Grundsätzlich müssen wir die Arbeit wieder auf Afrika zentrieren und uns das Narrativ in unseren Ländern wie Uganda und Namibia wieder aneignen. Wir müssen unter Betonung auf unser Menschsein, die Gleichheit aller Menschen in Afrika und den (Pan-)Afrikanismus afrikanische Queers einbeziehen. Wir haben multiple, alternative nicht-binäre Gender, Transgender und spirituelle Gender. Afrikaner*innen können dazu beitragen, diese Gender-Vielfalt anzuerkennen.
Bezogen auf die Geber heißt das: Erkennt unsere Prioritäten als afrikanische Queers an. Bezogen auf die militärische Ausrichtung (in Uganda) müssen wir die Normen höher setzen und nicht als Bettler auftreten, sondern unsere Menschlichkeit neu finden.
Welche Folgen hat der plötzliche Stopp von USAID für den queeren und feministischen Aktivismus in Uganda? Was bedeutet das konkret?
Monalisa Akintole, (she/her), Uganda National Trans Forum; Uganda
Die geringen Fördergelder, die wir als Transgender Community von USAID erhielten, wurden uns plötzlich und chaotisch entzogen. Das war ein Schock und das hat sehr negative Folgen, denn es war Geld, das für die HIV-Arbeit überlebenswichtig ist. Nun pausiert zum Beispiel die Peer-Arbeit. Aber nicht nur wir Trans-Menschen, die seit langer Zeit marginalisiert, ausgeschlossen und nicht als Menschen respektiert werden, sondern auch viele andere strukturell exkludierte Menschen sind betroffen. Das betrifft das Gesundheitspersonal und das Gesundheitssystem. Und es stellen sich Fragen nach Menschenrechten und dem Leadership — den Führungspersonen, denn wir haben nun Gesundheitssysteme, die nicht finanziert werden, da das meiste Geld dafür bislang von den Gebern aus dem Globalen Norden kam.
Schon davor waren wir nicht in Projektplanungen involviert. Seit über zwanzig Jahren reden die Geber über den Aufbau von Kapazitäten und über wirtschaftliches Empowerment. Doch wir haben keine Verhandlungsmacht in Entscheidungsprozessen und Themensetzungen, es geht nicht um die Bedürfnisse der Communities. Es gibt nur Geld, damit wir im immer gleichen Rahmen bleiben. Wir brauchen aber Gelder zur Stärkung der Handlungsmacht von Communities. Die Abhängigkeiten vom Kolonialherren haben sich nicht geändert, obwohl sogar schwarze Menschen in Uganda Organisationen leiten; von Geberkonferenzen bleiben wir dennoch ausgeschlossen. Der (fortgesetzte) Kolonialismus gewährt keinen Raum zum Denken. Das sind die Machtdynamiken. Es macht machtlos, wenn Menschen immer wieder als Bettler auftreten müssen.
Auch die oft auf ein Jahr terminierte Mittelvergabe ist ein Problem. Hinzu kommt der Anspruch, immer die Ergebnisse eines Projekts zu quantifizieren. Worum geht es den Gebern? Sehen sie die Menschen oder nur die Daten? Das enttäuscht mich, denn es sollte doch um soziale Gerechtigkeit gehen. Sehen die Geber uns als Menschen oder als Empfänger der Krümel, damit wir bestimmte Arbeit fortsetzen können, die kapitalistischen Interessen aber erhalten bleiben? Es mangelt an würdevoller Philanthropie. Es geht um Rechenschaftspflicht bei der Gelderverteilung. Wir brauchen neue Vereinbarungen, damit wir alle auf der gleichen Ebene arbeiten. Deshalb müssen wir über Partnerschaften nachdenken.
Wir müssen uns anders organisieren und viel von feministischen Utopien lernen und zwar: Dinge anders zu denken. Wir müssen innehalten und über neue Strategien nachdenken. Wir müssen außerhalb bestehender Strukturen schauen und anders arbeiten; das betrifft die Nachhaltigkeit, das Schaffen von Räumen für junge Leute und das Generationenverhältnis. Wie soll unsere Community in den nächsten 20–30 Jahren aussehen? Wir sollten mit Gesprächen über solche Fragen beginnen, das beinhaltet auch die Auseinandersetzung mit unserer Regierung.
Welche Strategien entwickelst Du angesichts der globalen Strukturveränderungen?
Florence F /Khaxas, Y‑FEM, Namibia: Wir hatten bereits zuvor begonnen, anders zu arbeiten, konkret haben wir die Zusammenarbeit zwischen verschiedenen Bewegungen aufgebaut. Und wir arbeiten mit Schlüsselpersonen, mit denen man nicht notwendigerweise kooperiert. Obwohl unser Fokus auf der Sicherheit und dem Schutz von LSBTI Menschen liegt und dies für uns Priorität hat, erreichen wir nicht alle Menschen. Deshalb hatten wir begonnen, zu Hause mit unseren Müttern, Großmüttern, Pastoren, lokalen Autoritäten das Gespräch zu suchen. Advocacy Arbeit startet zu Hause. Strategisch müssen wir die Bewegung auch durch neue Allianzen stärken und wirkliche Solidarität aufbauen – bewegungsübergreifend und auf dem Kontinent. Transnationales Advocacy beginnt mit Dialogen.
Beim Verhältnis Globaler Süden – Globaler Norden müssen wir die strategischen Dialoge mit Menschenrechtsverteidiger*innen und mit Unterstützer*innen verstärken. Wir müssen zusammenkommen, um zu überlegen, wie wir und unsere Communities geschützt und gehört werden können. Es geht also darum, wie wir uns organisieren. Wir müssen die Solidarität stärken und uns nicht isolieren. Und es geht bei strategischen Fragen auch um das Kürzen von Fördergeldern: Wie können wir sicherstellen, dass die Finanzierung von Menschenrechtsarbeit Priorität hat? Welche Länder stehen auf unserer Seite?
Es geht um den Aufbau der Kapazitäten von Basisaktivist*innen und ‑bewegungen, vor allem von jungen Aktivist*innen, damit sie für sich selbst sprechen können.
Bei Gesprächen mit unseren Pastoren geht es um mächtige kulturelle Normen, die geändert werden müssen, aber von mächtigen patriarchalen Institutionen geprägt werden, die das meiste Geld bekommen.
Ein Ansatz ist in der Kirchenmusik, durch die Lieder werden Liebe und Leiden verbreitet und die Nachricht: Wir sind gar nicht so verschieden, sondern wie alle Menschen. Wir sind solidarisch mit verschiedenen afrikanischen Bewegungen und stellen sicher, dass wir mit einer Stimme sprechen und unsere Regierungen zur Rechenschaft ziehen – etwa auf UN-Ebene.
Die Afrikanische Union ist von der Anti-Gender-Bewegung beeinflußt und durchdrungen. Doch das sollte uns nicht einschüchtern, vielmehr sollten wir unsere Organisationen stärken, damit sie nachhaltig arbeiten können. Wir müssen schauen, wie wir außergewöhnliche Partner — wie den Privatsektor — einbeziehen können, damit auch dieser eine solidarische Haltung zeigt. Auch dafür müssen wir viele Gespräche führen. Für all das brauchen wir langfristige Unterstützung.
Gemeinsame Stärke und Hoffnungen für die Zukunft
Florence F /Khaxas: Wir haben die Lösungen. Wir müssen uns der Vergangenheit bewußt sein — uns muss klar sein, wo wir herkommen. Es geht um koloniale Gewalt, unsere Vorfahr*innen wurden ihrer Kultur und ihres ökonomischen Empowerments beraubt. Um das herauszufinden, müssen wir mit unseren Müttern am Feuer sitzen und ihnen zuhören. Wir müssen uns die Hände halten und uns gegenseitig wärmen. Wir können auf Liebe, Freundlichkeit, Mitmenschlichkeit bauen. Unsere Würde konnte uns niemand rauben. Wir haben eigene Ressourcen und daraus ergeben sich neue Möglichkeiten für die nächste Generation.
Wir indigene Menschen müssen uns von der historischen Gewalt heilen und selbst unsere Probleme lösen. Wir brauchen niemanden, der uns informiert, sondern wir brauchen Menschen, die uns zuhören und im Globalen Norden solidarisch mit uns sind.
Welche Strategie nutzt Du, um Einschränkungen und schrumpfenden Möglichkeiten Widerstand zu leisten?
Omar van Reenen, (they/them), Equal Namibia, Namibia:
Es geht um gegenseitigen Respekt und gemeinsame Erfahrungen, sowohl in regionalen queeren Bewegungen als auch in Globalen Süd-Nord-Partnerschaften. In der Vergangenheit gab es immer die Tendenz, dass der Globale Norden dominierte und Lösungen vorschrieb, die nicht auf unsere lokalen politischen, sozialen und kulturellen Kontexte passten. Der Globale Süden muss eigene Prioritäten setzen und die Führung übernehmen, damit die Partnerschaften effektiver und gleichberechtigter werden. Wir sollten von Anfang an daran beteiligt sein, den Zweck und die Ergebnisse von Förderung festzulegen. Diese Förderung sollte direkt an Basisorganisationen gehen, die an vorderster Front arbeiten.
Resilienz
Omar van Reenen: Resilienz verlangt eine Kombination strategischer, struktureller und basisorientierter Ansätze. Eine Strategie ist die Netzwerkbildung für rasche Antworten – auch in Bedrohungssituationen und unter schwierigen Bedingungen. Nennenswert sind legale Strategien und –teams sowie internationaler rechtlicher Druck. Der Aufbau von Kapazitäten (capacity building) ist ebenfalls sehr wichtig an der Grassroot-Ebene. Als Ko-Leiter von Equal Namibia weiss ich: wir leisten auf lokaler Ebene Widerstand und Lobbyarbeit für unsere Rechte. Wir müssen Herzen und Einstellungen effektiver ändern.
Wenn es um nachhaltige Allianzen geht: Unsere Bewegungen in Afrika und im Globalen Süden können strategische Unterstützung bieten, damit wir nicht isoliert arbeiten, sondern Teil einer größeren Bewegung und größerer Netzwerke sind. In Namibia half uns die Zusammenarbeit zwischen unterschiedlichen Bewegungen, so haben wir intersektionale Solidarität geschaffen. Sie hilft, so dass uns die namibische Bevölkerung ebenfalls unterstützt.
Auch digitale Medien sind wichtig und können uns helfen. Für das digitale Advocacy brauchen wir Datensicherheit und bessere Kapazitäten, unsere Daten zu schützen und uns miteinander sicher zu verbinden.
Unser Vertrauen in Geberorganisationen ist gebrochen, dadurch entstehen zusätzliche Risiken für uns. Die Trump-Verwaltung hat Daten über bestimmte Organisationen und deren Förderung veröffentlicht, auch über die Arbeit für LSBTI. Keine multilaterale Organisation, etwa auf UN-Ebene, hat das kritisiert. Wie sicher sind unsere Daten und unsere Identität? Deshalb habe ich große Vorbehalte, Fördergelder bei westlichen Organisationen zu beantragen.
Equal Namibia hat ein transnationales queeres Jugendnetzwerk für den kulturellen Austausch gegründet. Es nutzt Kunst und Performanz als Widerstandsformen gegen homophobe Gesetze, denn Aktivismus ist nicht nur Protest oder der Weg durch die Rechtsinstanzen, sondern auch queere Freude junger und queerer Menschen, die afrikanische Ballhauskultur zelebrieren – schließlich waren queere Menschen schon immer Teil afrikanischer Kultur. Ein Anliegen von Kunst und Kreativität als Protestform ist die Wiederaneignung von Drag- und Ballhauskultur als Teil des afrikanischen Erbes. Konkret geht es um die kreative Zusammenarbeit (im Rahmen von Drag & Vogue Beyond Borders) und Treffen von Drag Queens aus Namibia, Südafrika und Kenia, anläßlich des diesjährigen Berlin Pride (CSD).
Dr. Rita Schäfer, freiberufliche Afrikawissenschaftlerin
Eine Veranstaltung der Hirschfeld-Eddy-Stiftung in Kooperation mit Amnesty International im Rahmen des Projekts: „Der pinke Faktor. Die Rolle von LSBTIQ* im globalen Streit um Werte, Ressourcen und Vorherrschaft“.