Kategorien
Hirschfeld-Eddy-Stiftung Veranstaltungen

Nach dem Arabischen Frühling: Risiken und Chancen für LSBTI in Nordafrika

Dokumentation der Rede von Axel Hochrein (Vorstand der Hirschfeld-Eddy-Stiftung) bei der Konferenz “Nach dem Arabischen Frühling: Risiken und Chancen für LSBTI in Nordafrika” am 03. November 2015 Berlin

 

Axel Hochrein (Vorstand Hirschfeld-Eddy-Stiftung)Sehr geehrter Herr Strässer,

My dear friends and activits from Middle East and Northern Africa,

Meine sehr verehrten Damen und Herren,

es freut mich, dass ich im Namen der Hirschfeld-Eddy-Stiftung, der LSBTI-Menschenrechtsstiftung des Lesben- und Schwulenverbandes in Deutschland, zu Beginn der Konferenz das Wort an Sie richten darf und sie hier alle herzlich willkommen heißen darf.

Unsere Stiftung erfährt seit ihrer Gründung im Jahre 2007 die Unterstützung des Auswärtigen Amtes und ist bei verschiedenen Projekten und Veranstaltungen Kooperations-Partner des Hauses, unter anderem auch bei den letzten Informationsreisen von LSBTI-Aktivisten und Aktivistinnen hier nach Berlin. Unser herzliches Willkommen zu dieser Konferenz gilt deshalb besonders unseren Freundinnen und Freunden aus den Ländern Nordafrikas und des Nahen Ostens.

Dass die Hirschfeld-Eddy-Stiftung in ihrer Arbeit ein besonderes Augenmerk auf den globalen Süden und afrikanischen Kontinent legt, hat auch mit unserer Namenspatronin Fannyann Eddy zu tun.

In ihrer von einem langjährigen Bürgerkrieg zerrütteten Heimat gründete Fannyann Eddy 2002 die Sierra Leone Lesbian and Gay Association (SLLGA). Die Organisation bietet soziale und psychologische Unterstützung, setzt sich gegenüber Behörden und Regierung für die Rechte von Lesben und Schwulen ein.

Fannyann Eddy war dabei offen und selbstbewusst als lesbische Frau in einer Homosexuellen feindlich gesinnten Gesellschaft aufgetreten, in der Lesben und Schwule in Angst und Unsichtbarkeit leben. Sie war eine Persönlichkeit mit außerordentlichem Mut und außerordentlicher Integrität, die buchstäblich ihr Leben den Menschenrechten widmete.

Fannyann Eddy wurde selbst Opfer von homophoben Hass und Gewalt. Im September 2004 wurde sie im Büro ihrer Organisation ermordet aufgefunden. Berichten zufolge war sie mehrfach vergewaltigt worden, ihr Gesicht war verstümmelt, das Genick gebrochen. Fannyann Eddy hinterließ ihre Lebensgefährtin Esther und einen neunjährigen Sohn.

Ihr ebenso beispielhaftes wie mutiges Wirken ist für unsere Stiftung Auftrag und Mahnung zugleich. Das, was der Arzt, Wissenschaftler und Bürgerrechtler Magnus Hirschfeld hier in Berlin zu Beginn des letzten Jahrhunderts mit dem Wissenschaftlichen Humanitären Komitee, der weltweite ersten Organisation für die Bürgerrechte von Homosexuellen, begonnen hatte, wurde und wird von Menschen wie Fannyann Eddy in anderen Teilen der Welt weiter befördert:

der Kampf für die Anerkennung der Menschenrechte von homosexuellen, transsexuellen und intersexuellen Menschen.

Die erfreulich enge, gute und sehr konstruktive Zusammenarbeit, die das Auswärtige Amt mit unserer Stiftung und unserem Verband, aber auch mit vielen anderen LSBTI-Organisationen pflegt, zeigt dass sich die deutsche Außenpolitik diesem Kampf für die Menschenrechte verpflichtet fühlt, und zwar dem Kampf für eine unteilbare und umfassende Menschenrechtspolitik unter Einbeziehung der sexuellen Orientierung und Geschlechtsidentität.

Dazu zählen wir auch das beispielhafte Engagement von Christoph Strässer, dem Menschenrechtsbeauftragten der Bundesregierung, der durch sein Amt als deutlich zu vernehmende Stimme im Ausland, aber auch als Abgeordneter des Deutschen Bundestages als Anwalt für die Rechte von LSBTI zu vernehmen ist.

Mit der seiner Selbstverbrennung am 4. Januar 2011 in Ben Arous, hat Mohamed Bouazizi als ultimativen Protest gegen Diktatur, Machtmissbrauch, staatliche Gewaltanwendung und Korruption auch den Funken entzündet der einen Flächenbrand ausgelöst hat und letztlich die ganze arabische Welt verändert hat.

Diese Tat war der unmittelbare Auslöser der Revolution in Tunesien und Beginn des Arabischen Frühlings. Hierfür wurde er vom Europäischen Parlament postum im Jahr 2011 mit dem Sacharow-Preis für geistige Freiheit neben vier weiteren Persönlichkeiten des Arabischen Frühlings ausgezeichnet.

Der Arabische Frühling gilt für manche Geschichtswissenschaftler als historische Zäsur. Allerdings hat der ursprünglich positiv besetzte Begriff und die sich aus ihm heraus erhoffte Verbesserung in Hinblick auf die Menschenrechtslage in den betroffenen Ländern mittlerweile eingetrübt oder ins Gegenteil verkehrt.

Und gerade deshalb ist es richtig und wichtig, dass wir uns 4 Jahre nach dem Beginn des Arabischen Frühlings mit dieser Konferenz fragen, welche Chancen aber auch welche Risiken sich für Lesben, Schwule, Bisexuelle, Transsexuelle und Intersexuelle aus ihm ergeben haben.

Bauern neben Webdesignern, Studierende neben Analphabeten, Frauen neben Männern, Kopten neben Muslimen, Kinder neben Greisen, Heterosexuelle neben Homosexuellen, das waren die Menschen die im Arabischen Frühling Seit an Seit demonstrierten, verkrustete, unmenschliche Regime stürzten mit einem Ziel für alle: für eine bessere Zukunft in demokratischen Staaten, in denen die Menschenrechte geachtet werden.

Und unzweifelhafter Teil dieser universal geltenden und unteilbaren Menschenrechte ist das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit, der Schutz und die Freiheit der sexuellen Orientierung und Geschlechtsidentität.

Viele der Hoffnungen auf Verbesserung der Situation von LSBTI in den Ländern des Arabischen Frühlings haben sich bis heute nicht erfüllt. In einigen Ländern ist nach einer Zeit der leichten Entspannung heute wieder staatliche Verfolgung, gesellschaftliche Ausgrenzung und damit ein Leben im Verborgenen die Tagesordnung.

Von einer Abschaffung der Strafgesetzgebung gegen Homosexuelle, die der unabdingbare erste Schritt auf dem Weg zu einem Leben in Freiheit, Gleichheit und gesellschaftlicher Teilhabe für unsere Freunde und Freundinnen aus Nordafrika und dem Nahen Osten sind, sind viele Länder der Region weiterhin weit entfernt.

Überlagert von anderen Problemen, Krisen und Vorgängen in der Welt, sind diese Forderungen und Erwartungen, die mit dem Arabischen Frühling verbunden waren, wieder aus dem Blickfeld der politisch Handelnden verschwunden oder nach hinten gerückt.

Deutschland und seine Regierung, aber auch die deutsche Zivilgesellschaft dürfen diese Ziele trotz aller anderen Herausforderungen nicht aus den Augen verlieren. Wir müssen auf die neuen Regierungen und auf die gesellschaftlichen Prozesse in diesen Ländern einwirken und die Menschenrechtsverteidiger und ‑Verteidigerinnen in Afrika, im Nahen Osten und weltweit in ihrem Kampf unterstützen. Deutschland muss sich am Export von Menschenrechten und ihrer Einhaltung ebenso interessiert und engagiert zeigen, wie am Export seiner wirtschaftlichen Güter.

Dies können wir am besten, wenn wir denen genau zuhören, die oft unter schwierigsten Bedingungen vor Ort für diese Rechte kämpfen. Deren Mut und deren Engagement uns nicht nur unseren höchsten Respekt abverlangen, sondern deren Expertise uns zeigen kann, wie unsere Unterstützung und Zusammenarbeit aussehen muss, um effektiv zu sein.

Deshalb ist es eine kluge Konferenz-Planung, diesen mutigen Menschen im ersten Panel das Wort zu geben und vor dem Hintergrund ihrer Schilderungen dann im zweiten Panel unsere Möglichkeiten zu diskutieren und Wege der sinnvollen Unterstützung zu analysieren.

In diesem Sinne wünsche ich uns allen eine Konferenz, aus der wir reicher an Erfahrung und gestärkter in dem Wissen herausgehen, wie wir wieder zu den ursprünglichen Zielen des Arabischen Frühlings kommen können und damit unseren Freundinnen und Freunden aus der Region in ihrem wichtigen Kampf für das Menschenrecht der sexuellen Selbstbestimmung unterstützen können.

Es gilt das gesprochene Wort.

Axel Hochrein,

Vorstand der Hirschfeld-Eddy-Stiftung



Teile diesen Beitrag: