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Politiken für LSBTI punkten nicht, Politiken gegen sie schon

ILGA Konferenz Athen 2015 - © ILGA-EuropeEindrücke vom ersten Tag der Ilga Europa-Konferenz

Wo sind unsere Politiker_innen? Und was ist los in Europa? Diesen und anderen Fragen ging ein Panel nach, an dem außer der Geschäftsführerin von ILGA Europe, Evelyne Paradis, und dem slowenischen Wissenschaftler Roman Kuhar auch Randy Berry, der neue US-Sondergesandte für die Menschenrechte von LGBTI teilnahm. Evelyne Paradis hatte sich eine Diskussionsrunde mit europäischen Politiker_innen gewünscht. Doch die blieben aus. Liegt es an den Erfolgen oder an den Rückschlägen wie die Wahlen in Polen oder das anstehende Referendum in Slowenien?

Offensichtlich kann die Politik zurzeit mit LSBTI-Themen nicht punkten. Dabei bleibt noch so viel zu tun, die europäische politische Klasse muss für LSBTI-Themen sensibilisiert werden. Doch offenbar sind sich die Politiker ihrer Rolle nicht bewusst: Gesetzgebung verändert die Gesellschaft. ILGA Europe wird jedenfalls auch künftig daran arbeiten, dass die Politik ihrer Rolle gerecht wird und gesetzgeberische Aktivitäten auch im LSBTI-Bereich entfaltet. Enttäuschend sei deshalb, dass die EU-Kommission für nächstes Jahr zwar eine teure EU-weite Werbekampagne für gleiche Rechte von LSBTI plane, auf rechtlicher Ebene aber keinerlei Vorhaben angekündigt habe. Dabei sei die Ehe für alle, die trans- und intergeschlechtliche Menschen nur am Rande tangiere, nur ein erster Schritt, es gebe in Europa weit mehr Probleme mit Hassverbrechen oder beim Thema LSBTI in Schule und Unterricht.

Roman Kuhar nahm zunächst den von homophoben Traditionalist_innen geprägten Diskurs über die sogenannte „Genderideologie“ auseinander. Diese gebe es nicht, sie sei ein Konstrukt, das dabei helfe, sich als Opfer aufzuführen. Angeblich wolle man Frauen die Weiblichkeit und Männern die Männlichkeit nehmen, eine Situation der Angst werde geschaffen, die von den Medien aufgegriffen und verbreitet werde. Alles werde in einen Topf geworfen, Kinder für homophobe Kampagnen missbraucht. Dahinter steckten meist erzkatholische, vom Vatikan unterstützte Kreise sowie evangelikale und fundamentalistische Familienverbände aus den USA. Sie bedienten die sozialen Medien, seien erfolgreich und machten sich auch in Slowenien breit. Dort stelle man sich bereits jetzt auf eine lange Zeit der Frustration, der Lügen und Sprachlosigkeit ein, sollte das kommende Referendum gegen die Öffnung der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare tatsächlich Erfolg haben. Die Debatten habe man schon 2012 ausufernd geführt.

Die Bedeutung des politicial leadership bei Fragen des gesetzlichen und gesellschaftlichen Wandels hob Randy Berry hervor und verwies auf die Rolle von Obama, Biden, Clinton und Kerry, die sich allesamt nicht nur zuhause für LSBTI-Themen stark gemacht haben. Ihr Engagement stärke ihm bei Reisen in aller Welt den Rücken. In seiner nur sechsmonatigen Amtszeit habe er bereits 23 Länder besucht und überall offen über die Menschenrechte von LSBTI sprechen können. Die Argumentation fundamentalistischer Familienverbände empfinde er als Beleidigung, weil sie LSBTI vom Familienbegriff ausschließen. Dies müsse klipp und klar zurückgewiesen werden.

Strategien gegen die sog. „shrinking spaces“ für NGOs wurden gleich am ersten Konferenztag in einem gut besuchten Workshop entwickelt. In immer mehr Staaten werden Gesetze und Regelungen eingeführt, die darauf abzielen, die Arbeit von zivilgesellschaftlichen Organisationen zu behindern und unmöglich zu machen. Die Gesetze betreffen die finanzielle Unterstützung aus dem Ausland und steuerliche Regelungen für NGOs, Regelungen für das ehrenamtliche Engagement in NGOs, willkürliches Vorgehen bei der politischen Partizipation, bei online-Anhörungen zu Gesetzesvorhaben, die von Massenkonsultationen abgelöst oder bei denen Stellungnahmen von NGOs nicht berücksichtigt werden. Sie betreffen die Versammlungs- und Meinungsfreiheit durch Demonstrationsverbote oder sog. Propagandaverbote, durch Einschränkung des Zugangs zu Medien etc. Andere Gesetze kriminalisieren Menschenrechtsorganisationen, zerstören deren Ansehen, dämonisieren ausländische Geber_innen und einheimische Nehmerorganisationen, die eine „westliche Agenda“ verfolgten, gegen „traditionelle, nationale Werte“ arbeiteten und deshalb zerschlagen werden müssten.

Aktivist_innen und Menschenrechtsverteidiger_innen aus Russland, Litauen, Mazedonien, Ungarn, Armenien und der Türkei berichteten von ihren Erfahrungen mit der willkürlichen Einschränkung ihrer Handlungs- und Bewegungsfreiheit und wie sie auf diese diktatorisch-autoritären Tendenzen in ihren Gesellschaften reagieren. Sie leisten weiterhin die gleiche Arbeit, geben aber ihren Status als NGO auf, womit sie die Risiken der Strafverfolgung zu minimieren versuchen. Sie führen mit Unterstützung aus dem Ausland Prozesse, was wiederum die eigentliche Arbeit beeinträchtigt. Sie verstärken die Zusammenarbeit mit ihren internationalen Partnern, führen Trainings für Sicherheitsmaßnahmen in Büros und bei Auftritten in der Öffentlichkeit durch und bilden noch breitere Allianzen mit anderen zivilgesellschaftlichen Organisationen, die ebenfalls unter Beschuss stehen.

Zudem arbeiten sie mit Organisationen wie Front Line Defenders aus Irland zusammen, die in aller Welt Menschenrechtsverteidiger_innen unterstützen. Allein in 2013/2014 habe man 69 Projekte in 27 Ländern mit einem Volumen von über 160.000 Euro unterstützt, so der Kampagnenchef von Front Line Defenders Adam Shapiro. Darüber hinaus produziere man Radiosendungen und Graphic Novels, um der Bevölkerung der jeweiligen Länder authentische Geschichten von LSBTI-Aktivist_innen zu erzählen und um auf diesem Weg den Negativkampagnen der Behörden wirkungsvoll entgegenzusteuern.

Klaus Jetz
LSVD-Geschäftsführung



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