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Queere Kämpfe auf Nordzypern

Türkischen Republik Nordzypern überlebte das homophobe Strafrecht bis Anfang 2014#IENicosia2016 — Aktivist*innen berichteten auf der ILGA-Konferenz

An der ILGA Europa-Konferenz in Nikosia nahmen auch einige Aktivist*innen aus Nordzypern teil. Zudem gab es in der UN-Pufferzone ein Gespräch mit vier Vertreter*innen der 2015 gegründeten Organisation Envision Diversity. Sie berichteten ausführlich über die Situation von LSBTI im türkisch besetzten Nordteil der Insel.

Als Zypern 1878 britische Kolonie wurde, bescherte dies der Insel auch das viktorianische Strafrecht. Männliche Homosexualität wurde seither mit Haftstrafen von bis zu sieben Jahren geahndet. In der Türkischen Republik Nordzypern überlebte das homophobe Strafrecht bis Anfang 2014, erst seit knapp drei Jahren ist dort die homosexuelle Liebe nicht mehr strafbar. Dafür hatte neben internationalem Druck auch die Arbeit der 2007 gegründeten Initiative gegen Homophobie HOKI gesorgt, die sich seit 2012 Queer Cyprus nennt.

Queer Cyprus

Erm An von Queer Cyprus berichtet über die Aktivitäten der letzten Jahre. Im Mai 2014 organisierten die Kolleg*innen den LGBTI Pride im Norden Nicosias, während Accept den Pride im Süden der Stadt organisierte. Man arbeitete bei beiden Events zusammen, doch entschied man sich gegen einen gemeinsamen Nicosia Pride. Danach passierte erstmal zwei Jahre nicht viel. Erst im Januar 2016 organisierte Queer Cyprus eine Flaggenaktion, um den Stillstand zu überwinden. An mehreren öffentlichen Gebäuden im Norden Nicosias wurden Regenbogenfahnen angebracht, sie organisierten eine Podiumsdiskussion und machten Pressearbeit. Die Kolleg*innen erhielten viel Zuspruch, unter anderem auch vom Bürgermeister. Letzten Mai dann fand erneut ein Pride statt.

Queer Cyprus lege Wert auf Intersektionalität, so Erm An. Ein queeres Manifesto habe man erarbeitet, das das Selbstverständnis als feministische, antimilitaristische, ökologische, antikapitalistische und auch vegane Organisationen formuliere. Man bekämpfe jede Art von Diskriminierung aufgrund der sexuellen Identität und des Ausdrucks, wende sich gegen militaristische Einstellungen und patriarchale Vorurteile. Noch vor wenigen Jahren galten alle Kriegsdienstverweigerer aus Gewissensgründen als schwul. Im Gegensatz zum Südteil der Insel sei die Homosexuellenfeindlichkeit keineswegs religiös motiviert. Probleme machten vielmehr gewisse akademische Kreise an der Psychologischen oder Medizinischen Fakultät, traditionelle Geschlechterrollen und die mangelnde Sichtbarkeit. So gebe es keine Prominenten, die out seien.

Weit verbreitete LSBTI-Feindlichkeit

Queere NGO: Envision DiversityEnver Ethemer von Envision Diversity bestätigt diese Angaben. Es gebe im Land ein hohes Maß an Exklusion und Marginalisierung vor allem von Transpersonen. Sie würden auf der Straße und von der Familie misshandelt und beleidigt, von der Familie verstoßen, von der Gesellschaft in jeder Hinsicht zurückgelassen, bei der medizinischen Versorgung, von der Gesetzgebung, in Schule und Unterricht. Sie finden keine Jobs, ziehen sich zurück, leben unter miserablen Bedingungen und sehen sich zur Prostitution gezwungen. Selbst in der schwullesbischen Community würden sie ausgegrenzt und misshandelt.

Auch Hazal Yogal vom Cyprus Community Media Centre schildert die weit verbreitete gesellschaftliche LSBTI-Feindlichkeit in Nordzypern. Hinzu komme, dass über die Belange von LSBTI nicht öffentlich diskutiert werde. Dagegen richte sich das seit November 2015 laufende, auf zwei Jahre konzipierte Unspoken Project, das von der EU mit 300.000 Euro gefördert wird. Es ziele auf gesellschaftliche Einstellungsveränderungen, mehr LSBTI-Sichtbarkeit und Inklusion. Als Maßnahmen wurden eine Sensibilisierungskampagne, Workshops mit Medienschaffenden und anderen Berufsgruppen und die Durchführung von Studien und Befragungen definiert. In bislang vier Seminaren habe man bereits 200 teilnehmende Ärzt*innen und Lehrkräfte, Psycholog*innen und Journalist*innen erreicht. Die Ergebnisse einer ersten Befragung zu Diskriminierungserfahrungen von über 1.000 Teilnehmer*innen werden im November 2016, ein zweiter Vergleichsbericht Ende 2017 veröffentlicht. Zeitgleich soll in Nord-Nicosia als Projektabschluss auch eine LSBTI-Konferenz mit internationalen Expert*innen stattfinden.

Projekt unspokenDas Projekt stehe aber auch vor großen Herausforderungen. Auffällig sei, dass vor allem Frauen als Kooperationspartnerinnen gewonnen würden. Zudem gebe es seitens nationalistischer Parteien und Gruppierungen organisierten Widerstand gegen das Projekt. Die Initiator*innen und die EU wollten die türkisch-zypriotische Gesellschaft verändern. Ins gleiche Horn stießen auch Wissenschaftler*innen, die von „social engineering“ sprechen. Hinzu gesellten sich heuchlerische Stimmen gerade der korruptesten Politiker*innen, die in der Öffentlichkeit danach fragten, was wohl mit dem vielen Geld aus Europa geschehe.

Seit 1983 unabhängig, aber nur von der Türkei anerkannt

Die erst seit wenigen Jahren aktiven LSBTI-Organisationen Nordzyperns haben Erfolge errungen und noch einen langen Weg vor sich. Kritische Fragen nach der 1983 erklärten Unabhängigkeit ihres nur vom türkischen Mutterland anerkannten Staates, eines Gebildes, das von mehreren Tausend türkischen Soldaten okkupiert wird, Fragen nach der tatsächlichen politischen Gestaltungfreiheit von Regierung und Gesetzgeber beantworten sie selbstbewusst. Natürlich habe man enge, emotionale Bedingungen an die Türkei. Dennoch verfüge Nordzypern über ein frei gewähltes unabhängiges Parlament und eine eigene Regierung, die auch in LSBTI-Fragen eigene Wege beschreiten könnten. Man werde auch in den kommenden Jahren Fortschritte machen und an den Süden und an europäische Standards anschließen.

Weitere Berichte zur ILGA-Konferenz

 

 

Klaus Jetz
LSVD-Geschäftsführung



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