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Schön, stark, sicher

European Lesbian* Conference (c) EL*CDie European Lesbian* Conference in Kiew

Die Medienaufmerksamkeit war enorm. Schon vor meinem Abflug meldete queer.de einen Angriff auf die zweite European Lesbian* Conference (EL*C). Und so war es dann auch: Am Eröffnungsabend, dem 12. April 2019 demonstrierten ukrainische Rechtsnationale im Eingangs-bereich des Konferenzhotels „Tourist“. Eine Scheibe wurden eingeschlagen und Slogans gesprüht wie „LGBT go away“, Tränengas drang ins Hotel. Die Schweizer Botschaft twitterte, dass sie volles Vertrauen in die ukrainischen Sicherheitskräfte hätte, die Sicherheit der European Lesbian* Conference zu gewährleisten. Anders gesagt: Wir beobachten das genau, bitte passt auf. Die westlich orientierten Kräfte werden das sehr ernst nehmen.

Auch am nächsten Morgen wieder Proteste. Direkt vor dem Eingang des Konferenzhotels versuchte eine kleine Gruppe Frauen, offensichtlich aus dem fundamentalistisch-christlichen Spektrum, den Zugang zur Konferenz zu verwehren. Da die meisten Teilnehmer*innen schon angereist waren, hieß das für uns vor allem: Nicht rausgehen. Drinnen bleiben.

Am Eingang und in der Lobby permanent Polizei, vereinzelt Soldaten, vor allen Konferenzräumen schwarzgekleideter Sicherheitsdienst. Selten war ich so beruhigt, Uniformen zu sehen. Frauen aus Russland und Kasachstan, die regelmäßige Übergriffe von Polizei und Sicherheitskräften kennen, konnten nicht glauben, dass die Polizei wirklich zu unserem Schutz da ist.

Lesbische Sichtbarkeit ist ein Sicherheitsrisiko

Lesbische Sichtbarkeit ist ein Sicherheitsrisiko. Das hat sich in der Arbeit der Hirschfeld-Eddy-Stiftung mit Organisationen im globalen Süden immer wieder gezeigt. In Kiew wurde diese Erkenntnis zur ständigen Begleiterin der drei Konferenztage. Ja, wir waren sichtbar, aber das Hotel zu jeder Zeit zu verlassen und etwa mit der trans* Kollegin aus den Niederlanden in die U‑Bahn zu steigen und durch die Straßen zu gehen, die irre tiefen U‑Bahn-Stationen zu bewundern, das war abenteuerlich. Für die Schwarzen Teilnehmer*innen, die trans* Personen und People of Colour galt die ausdrückliche Warnung der Veranstalterinnen, besser nicht allein aus dem Hotel zu gehen, allen wurde von offen getragenen Symbolen abgeraten, die geplante Demo ganz abgesagt. So stand die Sicherheitsfrage täglich im Zentrum der Konferenz.

Sehr amüsant war die massenhafte lesbische Sichtbarkeit im Frühstücksraum des Konferenzhotels, wenige verunsicherte Hotelgäste mischten sich unter hunderte Lesben*, die sich auf Englisch, Russisch, Ukrainisch, Deutsch, Spanisch und in vielen anderen Sprachen unterhielten. Und uns alle schien etwas zu vereinen, bei aller Unterschiedlichkeit. Die jungen Hotelangestellten waren professionell, zuvorkommend, freundlich. Die anderen Gäste guckten amüsiert, genervt, irritiert oder auch weg. Sie konnten sich kurz mal nicht mehr normal fühlen, denn unser massenhaftes Erscheinen ließ sie an den Rand rücken, ja verschwinden.

In den Workshops wird klar, wie groß das Europa der Konferenz ist: die Referentin aus Armenien erklärt erst einmal: „Für alle, die nicht wissen, wo Armenien liegt: zwischen Georgien und Aserbaidschan und der Türkei und dem Iran.“ Und das wussten einige nicht.

Panel Sharing your lesbian skills in other movements (c) EL*CDas regionale und thematische Spektrum der Workshops war breit: von strategischer Prozessführung, Lesbenbars in Kiew, der Arbeit feministischer Gruppen in Kasachstan zu Migration, Behinderung und der Arbeit mit dem EU-Parlament. Anti-Rassismus-Arbeit, Inklusion und die Notwendigkeit einer intersektionalen Praxis durchzogen die Diskussionen. Wie wichtig Allianzen sind, die Zusammenarbeit auch mit anderen Bewegungen, wurde immer wieder klar. Ganz besonders, wenn es gegen eine gut organisierte und finanzierte rechts-religiöse Bewegung weltweit geht, die gegen Frauenrechte und LSBTI gleichermaßen vorgeht.

Die Pizzakette als Zufluchtsort

Am letzten Abend eine Bombendrohung: Bis in die Nacht durften wir nicht ins Hotel. In der Pizzeria in der Nähe, eine Kette, saßen 30, 40 Lesben* stundenlang im Restaurantbereich, aßen Pizza, machten Witze, tranken Bier oder Wasser. Die ukrainischen Organisatorinnen blieben locker, vor der Wahl sind Bombendrohungen häufig, sechs gab es allein an dem Abend. Beeindruckend ruhig hielten sie Kontakt zur Polizei und sagten uns professionell, was zu tun ist. Die globale Pizzakette wird zum subkulturellen Treffpunkt, W‑LAN, Stühle, Essen, Getränke, Musik ist da und viele Stunden Zeit für Gespräche. Eine Pop-up Lesbenbar in Kiew. Die Bombendrohung von Extremisten bewirkt einen Umsatzschub für das Pizza-Franchise, eine Art EL*C‑Flashmob und ein besonders verbindendes Erlebnis unter Lesben* aus verschiedensten Regionen Europas. Diese Solidarität war sicher eines der schönsten Erlebnisse der Konferenz. In diesem Sinne hat das Motto der Konferenz „Bring lesbian* genius to the world“ schon gewirkt.

Lesbian* Genius

Großen Respekt für die ukrainischen Aktivist*innen und die kleine Organisation Insight, die die Konferenz als Partnerin der EL*C vor Ort organisiert hat. Eine Lesbenkonferenz ausgerechnet in der Ukraine, dem größten Land Europas, in dessen Osten kriegerische Auseinandersetzungen stattfinden, dessen Bevölkerung politisch entweder nach Russland oder Richtung EU tendiert? Ist das richtig? Ja, denn gerade die Ukrainer*innen betonten, wie wichtig ihnen die Solidarität aus Europa ist und dass diese Konferenz gerade dort in Kiew stattfand.

Mich hat die Ukraine beeindruckt, ich würde sehr gerne wiederkommen und das größte Land Europas kennenlernen.

Sarah Kohrt
Leitung LGBTI-Plattform Menschenrechte

 



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