Berliner Vereine fordern Rote Karte für Homophobie
Update: Inzwischen gibt es eine Petition an den Türkischen Fußballbund für eine Wiedereinstellung Halil İbrahim Dinçdağs als Schiedsrichter in der Türkei
Im Rahmen seines Projekts „Soccer Sound“ startete der LSVD Berlin-Brandenburg im November 2013 die Kampagne „Rote Karte für Homophobie“. Mittlerweile haben sich 14 Berliner Fußballvereine und der Berliner Fußball-Verband angeschlossen, um gemeinsam für einen Fußball ohne Ausgrenzung und Vorurteile zu werben. Nach Anzeigen in Berliner Fußballzeitungen und Stadionmagazinen, einem Workshop beim Fachtag für Vielfalt im Sport und einer Lesung mit der ehemaligen Bundesligaspielerin Tanja Walther-Ahrens war die Einladung des türkischen Fußballschiedsrichters Halil İbrahim Dinçdağ nach Berlin das bisherige Highlight. Sein Fall sorgte 2009 international für Aufsehen.
In der Türkei dürfen Schiedsrichter keine körperliche Behinderung haben und müssen bei der Armee gewesen sein. Halil Dinçdağ wurde im Oktober 2008 zum Militärdienst eingezogen. Nachdem er sich dort als schwul outete, wurde er in die Militärmedizinische Akademie Gülhane verlegt und schließlich wegen „psychosexueller Störungen“ ausgemustert. Vor seiner Wiedereinsetzung als Schiedsrichter verlangte der Türkische Fußballverband nun Einsicht in die militärischen Unterlagen. Mit Verweis auf den nicht-abgeleisteten Militärdienst und die Ausmusterung aus gesundheitlichen Gründen wurde Dinçdağ kurz darauf suspendiert. Sein Antrag auf Wiederzulassung als Schiedsrichter wurde direkt der Presse zugespielt, so dass sich die Titelseiten der türkischen Zeitungen mit Berichten über einen homosexuellen Schiedsrichter überschlugen und später sogar seinen Namen veröffentlichten. Dinçdağ bezog daraufhin öffentlich Stellung im türkischen Fernsehen. Danach verlor er auch seinen Job als Radiomoderator, er ist bis heute arbeitslos. Der Landkreisverband Trabzon hat ihn inzwischen offiziell aus dem Schiedsrichterwesen ausgeschlossen.
Klage gegen den Türkischen Fußballverband
Nach rund anderthalb Jahren Vorbereitung und einigen Schwierigkeiten mit der Deutschen Botschaft in der Türkei, die zunächst einen Visumantrag ablehnte, begrüßten wir Halil Dinçdağ im April 2014 endlich in Berlin. Neben vielen Interviews für Presse und Fernsehen konnte er auch endlich wieder seiner Lieblingsbeschäftigung nachgehen. Er war Schiedsrichter des ihm zu Ehren organisierten und vom Präsidenten des Berliner Fußball-Verbandes Bernd Schultz eröffneten Freundschaftsspiels zwischen Tennis Borussia und Türkiyemspor. Das Ergebnis des Spiels war beinah nebensächlich, wichtiger war Halils Dinçdağs Strahlen nach dem Spiel, ein unglaublich emotionaler Moment für alle Anwesenden.
Bei unserer Podiumsdiskussion in einem völlig überfüllten Kreuzberger Café zwei Tage später berichteten Daniela Wurbs von den „Football Supporters Europe“ und der Landtagsabgeordnete Hakan Taş über die Fan-Situation und deren Aktivitäten in der Türkei bzw. über die dortige Situation von Lesben, Schwulen und Transgender. Anschließend erzählte Halil Dinçdağ von seiner Leidensgeschichte vom Beginn seiner Militärzeit bis heute, und das Publikum bestürmte ihn mit Fragen. Für viele war das ein berührender und bedrückender Abend. Am Folgetag reiste Dinçdağ dann zum mitorganisierenden Kooperationspartner Roter Stern Leipzig weiter.
Halil Dinçdağ hat den Türkischen Fußballverband aufgrund der Weitergabe des Briefs an die Presse auf Schadensersatz und Schmerzensgeld verklagt. Der schon länger andauernde Prozess sollte eigentlich am 22. April mit der nunmehr 13. Verhandlung sein Ende finden. Dafür flogen auch zwei Vertreter aus Berlin und Leipzig mit Unterstützung des LSVD Berlin-Brandenburg nach Istanbul. Doch wegen der kurzfristigen Neueinsetzung einer Richterin wurde der Prozesstag nach 15 Minuten beendet und auf den 15. Juli vertagt. Es steht zu befürchten, dass nun der gesamte Prozess wieder von vorne beginnen muss und Halil noch viele weitere Monate vor Gericht bevorstehen.
Torsten Siebert & Christian Rudolph Leitung „Soccer Sound“
mit Unterstützung von Olaf Steinmetz