Kategorien
Hirschfeld-Eddy-Stiftung Projekte Veranstaltungen

Shrunk Spaces ist für LSBTI* der bessere Ausdruck“

Der gemeinsame Nenner undemokratischer, minderheitenfeindlicher und nationalistischer Regime ist die Aversion gegen eine kritische und selbstbewusste Zivilgesellschaft. Es wird gehetzt gegen die „Anderen“ und die Repression gegen die Zivilgesellschaft nimmt in autoritären Staaten zu. Beim Forum 3 der Online-Konferenz der Hirschfeld-Eddy-Stiftung diskutieren im Dezember 2020 drei NGO-Vertreterinnen darüber, wie zivilgesellschaftliche Organisationen auf die Einschränkung der Handlungsräume für Partnerorganisationen reagieren können.

Kirsten Maas-Albert

Es sind weniger als zehn Länder der Welt, in denen sich die Zivilgesellschaft frei organisieren kann – Deutschland ist eines davon. Das zeigt die CIVICUS Studie, auf die Kirsten Maas-Albert von der Heinrich-Böll-Stiftung (HBS) beim Forum 3 zu „Shrinking Spaces – Internationale der Homophobie und Trans*feindlichkeit“ einführend hinweist.

In 109 der insgesamt etwa 200 Staaten werden zivilgesellschaftliche Räume zunehmend stark eingeschränkt. Shrinking Spaces, die Einschränkung zivilgesellschaftlicher Handlungsräume durch staatliche Akteur*innen, wird in der internationalen Menschenrechtsarbeit seit einigen Jahren als politisch neues Phänomen beobachtet. Nach einer jahrzehntelangen Entwicklung zu mehr Demokratie und Menschenrechten zeigt sich nun ein entgegengesetzter Trend, ja eine Reaktion auf das Erstarken von Bürgerrechts- und Befreiungsbewegungen: Organisationen, die sich für Frauenrechte, Demokratie, sexuelle und reproduktive Rechte, Menschenrechte von Minderheiten, für die Erhaltung der Umwelt und Landrechte eintreten, haben in besonderer Weise mit staatlichen Repressionen zu tun.

Politisch errungene Freiheiten werden zurückgenommen

Nun war politische Arbeit für Minderheiten und Menschenrechte niemals leicht. Jahrhunderte der Verfolgung mit unzähligen Opfern haben den Kampf um Menschenrechte geprägt. Aber nach dem Ende des Faschismus in Europa, dem Ende des Kalten Krieges und der weltweiten Befreiungsbewegungen schien es über Jahrzehnte kontinuierlich besser zu werden. Das steht nun auf dem Spiel: Nationalismus, Fundamentalismen und religiös verbrämter Hass schaffen in vielen Ländern der Welt ein Klima, das Autokraten an die Macht bringt, die sich damit brüsten, dass sie die Errungenschaften der demokratischen Zivilgesellschaft zurückdrängen und die internationale Vernetzung der Menschenrechtsaktivist*innen gezielt unterbinden wollen – dies übrigens auch in den multilateralen Organisationen wie den Vereinten Nationen. Politisch errungene Freiheiten werden aktiv wieder zurückgenommen – man spricht deshalb auch von „Closing Spaces“.

Katharina Stahlecker

Katharina Stahlecker von VENRO, dem Dachverband entwicklungspolitischer NGOs in Deutschland mit 140 Mitgliedsorganisationen, bestätigt, dass praktisch alle Projekte in den Einsatzländern mit dem Phänomen zu kämpfen haben. Ganz besonders, wenn es um Frauenrechte geht, um Kritik an Regierungen oder Forderungen nach Umverteilung wirtschaftlicher Macht. Die Restriktionen gingen dabei in der Regel von autokratisch regierten Staaten aus. Stahlecker nennt als Beispiele das Blockieren von Finanzflüssen, Visa- und Reisebeschränkungen, digitale Kontrolle und Überwachung. Kirsten Maas-Albert betont, dass Diffamierung und Hassrede eine immer größere Rolle spielen, vor allem, weil sie sich über das Internet so schnell verbreiten lassen. Neu sei auch der Einsatz von Fake News zum Ziel der Diskreditierung und Stigmatisierung von Organisationen, die politisch unliebsame Zwecke verfolgen.

Shrunk Spaces galt für LSBTI* schon immer

Auch bei ILGA World, dem Dachverband von LSBTI*-Organisationen mit über 1600 Mitgliedsorganisationen in 155 Ländern, wird diese Tendenz mit großer Sorge beobachtet.

Für LSBTI*-Organisationen ist die Kriminalisierung das größte Problem, Shrunk Spaces – Räume, die nie wirklich offen waren – ist deshalb das passendere Bild, wenn es um LSBTI*-Rechte geht, stellt Julia Ehrt von ILGA World klar. In 70 Ländern der Welt werden einvernehmliche gleichgeschlechtliche sexuelle Handlungen zwischen Erwachsenen strafrechtlich verfolgt. In zahlreichen Ländern gibt es Gesetze gegen Cross-Dressing. Immer öfter werden Gesetze zur Bewahrung der Sitten oder der nationalen Identität verabschiedet, die direkt auf Lesben, Schwule und Trans* abzielen. Identitäten, Handlungen, Beziehungen, das Aussehen, die Körper – alles ist potenziell der rechtlichen Sanktionierung ausgesetzt. Und das geschieht immer häufiger in Reaktion auf die selbstbewusste Nutzung der erkämpften Rechte und die öffentliche Sichtbarkeit von Lesben, Schwulen und Trans*.

Julia Ehrt

Julia Ehrt zeigt das am Beispiel der Re-kriminalisierung in Russland, anhand des direkt auf Einschränkung der Arbeit von LSBTI*-Organisationen abzielenden sogenannten Anti-Propagandagesetzes. Die Kriminalisierung hat zur Folge, dass Versammlungsfreiheit, Vereinigungsfreiheit und Meinungsfreiheit nicht gewährt werden. Damit wird schon der Alltag zur Herausforderung und die Gründung einer Organisation wird rechtlich unmöglich gemacht.

Kein Geld für Menschenrechte

Die antidemokratische Strategie des russischen Staates hat noch ein weiteres Mittel willkürlicher Repression hervorgebracht: Das „Foreign Agents“-Gesetz, das es sogenannten „ausländischen Agenten“ untersagt aktiv zu werden – und lokale Organisationen in Gefahr bringt, wenn deren Projekte von Förderern aus dem Ausland finanziert werden. Andere Länder wie Indien, aber auch Ungarn haben ähnliche Vorschriften. Auch die Arbeit der Hirschfeld-Eddy-Stiftung ist bereits davon betroffen. Nicaragua hat in Anlehnung an das russische Vorbild ein sogenanntes „Ausländische Agentengesetz“ und weitere restriktive, Willkürgesetze verabschiedet, die es dem Projektpartner der Hirschfeld-Eddy-Stiftung vorerst unmöglich machen, Gelder aus dem Ausland entgegenzunehmen. Projektarbeit wird dadurch massiv behindert, wenn nicht sogar unmöglich gemacht. In denliberalen demokratischen Staaten gibt es dagegen sehr differenzierte Zivilgesellschaften, auch weil diese staatlich gefördert oder steuerbegünstigt arbeiten können und in der Regel  problemlos Fördergelder aus dem Ausland annehmen dürfen, alles Privilegien, die in langen demokratischen Aushandlungsprozessen erkämpft wurden.

Wo die staatliche Macht autoritär regiert, ist die demokratische Zivilgesellschaft meist schwach, die Gruppen sind kurzlebig, und es ist enorm schwierig, Organisationsstrukturen aufzubauen. Deshalb sind gerade diese NGOs auf Unterstützung aus dem Ausland angewiesen. Ob Brot für die Welt, die parteinahen Stiftungen oder auch die Hirschfeld-Eddy-Stiftung, die finanzielle Unterstützung für solche Gruppen ist der Kern der Entwicklungszusammenarbeit, sie alle leisten finanzielle Unterstützung für Gruppen in anderen Ländern.

Autoritäre Regime nutzen die Pandemie als Vorwand

Die Lage hat sich verschärft, darin sind sich die Referent*innen bei der Online-Konferenz der Hirschfeld-Eddy-Stiftung einig. Katharina Stahlecker beschreibt, dass die Corona-Einschränkungen in autoritären Staaten als Vorwand genutzt werden, um demokratisch orientierten Gruppen zu schaden und um generell Spielräume einzuschränken. Es komme vermehrt zu Verhaftungen von Menschenrechtsaktivist*innen unter dem Vorwand, dass sie gegen die Auflagen verstoßen hätten.

Gegenstrategien

Closing Spaces ist ein globales Phänomen, das aber regional und national diskutiert und verstanden werden muss. Maas-Albert von der HBS formuliert es so: Die Gegenstrategie muss immer auf die lokale Situation bezogen sein. Sie muss von den Partnern selbst ausgehen. Das können Safe Spaces (sichere Räume) sein oder auch die Öffentlichkeit.

Auch das Verschleiern des Vereinszwecks durch allgemeine Formulierungen ist eine Gegenstrategie. Julia Ehrt von ILGA World betont, wo LSBTI* strafrechtlich verfolgt oder nicht anerkannt sind, lassen sich so einfache Dinge wie ein Konto, eine Adresse oder gar ein Büro nicht einrichten. Indem eine Organisation den Vereinszweck mit allgemeinen Worten umschreibt, kann sie eine Registrierung der Organisation eher erreichen. So gelang es einer Organisation im südlichen Afrika zu arbeiten, weil sie als Zielsetzung „sexuelle und reproduktive Gesundheit und Rechte für alle“ angaben, ohne Lesben und Schwule direkt zu erwähnen.

Know your opponents“ – Kenne deine Gegenspieler*innen

Alle sind sich einig, dass Gegenstrategien nicht öffentlich, aber ganz gezielt gemeinsam mit staatlichen Geldgeber*innen in Deutschland und Europa diskutiert werden müssen.

Wirkungsvolle Reaktionen auf die Restriktionen sollten ermöglicht werden. Dazu müssen die Förderbedingungen vereinfacht und flexibilisiert werden.

Know your opponents“, sagt Julia Ehrt zur Frage der Strategie. Wir müssen wissen, wer die Gegner*innen sind, wir müssen auch die rechtsextremen und religiös-fundamentalistischen Gruppen kennen. Es darf nicht vergessen werden, dass eine zivilgesellschaftliche Organisationsform allein noch nicht für das Gute steht – man denke etwa an die antidemokratischen, rechtsradikalen und fundamentalistischen Gruppen überall in Europa. Ehrt schlägt als Gegenstrategie vor: Austausch und Vernetzung über die Themen und die Organisationen hinaus. Sie weist auch auf ein schwieriges Problem innerhalb der LSBTI*-Bewegung hin: die internen Kämpfe. „Gegen diese Spaltungstendenzen innerhalb der eigenen Bewegungen müssen wir vorgehen“, so ihr Appell. Diese haben großes destruktives Potenzial und spielen den Fundamentalist*innen und Autoritären in die Hände.

Ehrt äußert auch die Sorge, dass durch die Corona-Epidemie die Partizipation von Menschenrechtsgruppen bei internationalen politischen Prozessen, wie z.B. bei den UN, erschwert werden wird, nachdem sie über Jahre so mühsam erkämpft worden ist. Diese Partizipation müsse erhalten und auch die Finanzierung gesichert werden. Auch wenn dies 2020 nicht möglich war, so darf dies aber keine Lücke hinterlassen.

Es wird ein langer Kampf. Und es ist dringend!

Sarah Kohrt, Hirschfeld-Eddy-Stiftung

Weiterführende Links:

Die Online-Konferenz fand im Rahmen des Projekts „Internationale Menschenrechtsdebatten nach Deutschland vermitteln“ statt. Zur vollständigen Dokumentation der Online-Konferenz geht es hier. Alle Blog-Artikel und Veranstaltungsberichte zum Projekt sind unter dem Tag HR-2020 zu finden. 

BMJV


Teile diesen Beitrag: