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Starker Verband, starkes Programm, starke Projekte

LSVD beim Verbandstag 2018. Foto: Caro KadatzBericht zum 30. Verbandstag des LSVD, am 21./22.04. in Köln

Mit einem herzlichen Willkommen eröffneten NRW-Landesvorstand Andrea Kretschmer und Bundesvorstand Stefanie Schmidt den 30. Verbandstag in Köln unter dem Motto „Menschenrechte, Vielfalt und Respekt“.

Kölner Oberbürgermeisterin Henriette Reker - Foto: Caro KadatzDie Kölner Oberbürgermeisterin Henriette Reker begrüßte mit einer sehr persönlichen Rede die über 100 anwesenden LSVD-Mitglieder. Sie war bei der ersten gleichgeschlechtlichen Eheschließung in Köln anwesend und war berührt zu sehen, was das diesem Frauenpaar bedeutete. Köln sei zwar eine offene und lebensbejahende Stadt und 2017 gab es auch mit der Rehabilitierung und dem Verfassungsgerichtsurteil zum Dritten Geschlechtseintrag wegweisende Entscheidungen doch treibe sie die Sorge um über zunehmende Ressentiments in vielen Bereichen über Menschen, die vermeintlich anders seien. Wir bräuchten die zivilgesellschaftliche Kraft, um gegen Rechtspopulismus vorzugehen. Daher verwies sie auch auf das geplante 2. Regenbogenparlament am 22. September in Köln vom LSVD-Projekt „Miteinander stärken“, bei dem die Stadt Kooperationspartnerin ist. Nur wenn man auch das Bild von LSBTI in die Gesellschaft bringe, dann wird es zur Normalität. 

Dr. Joachim Stamp. Foto: Caro KadatzAlle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren!“ – das, was selbstverständlich sein sollte, sei längst nicht selbstverständlich, wenn es darum ginge, selbstbestimmt leben und lieben zu können. So begann Dr. Joachim Stamp, der stellvertretende Ministerpräsident und Minister für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Integration des Landes Nordrhein-Westfalen, seine Rede. Er dankte dem LSVD für sein jahrzehntelanges Engagement für die Eheöffnung und Rehabilitierung. Minister Stamp zeigte sich ebenfalls enttäuscht über den neuen Koalitionsvertrag der neuen Bundesregierung, versprach aber über den Bundesrat die Unterstützung von Nordrhein-Westfalen für die Förderung und Stärkung von LSBTI und ihrer Akzeptanz etwa bei der rechtlichen Anerkennung von trans- und intergeschlechtlichen Menschen oder der Modernisierung des Familien- und Abstammungsrechts. „Für uns sind alle Familien gleich viel wert!“, daher war es auch eine politische Entscheidung das LSBTI-Referat in das Familienministerium des Landes zu holen. Er kündigte eine umfassende Kampagne über Werte und die Wertigkeit einer vielfältigen Gesellschaft an, in der die Akzeptanz von LSBTI selbstverständlich vorkomme.

LSVD-Bundesvorstand Axel Hochrein verwies in seinem Bericht zur aktuellen politischen Lage auf die Gleichzeitigkeit von jüngsten rechts- und gesellschaftlichen politischen Erfolgen und der schriller und heftiger gewordenen Anfeindungen. „Wir werden nicht weichen!“, betonte er. Angesichts einer rechtspopulistischen Partei, die die stärkste Oppositionspartei im Bundestag ist, angesichts von autoritären Entwicklungen in Ungarn, Polen, Russland und Türkei – wäre die Ergänzung von Artikel 3 im Grundgesetz um die Merkmale der sexuellen Orientierung und Geschlechtsidentität ein deutliches Signal des politischen Rückhalts. Der 70. Geburtstag der Verfassung 2019 sei ein guter Anlass, den gleichen Schutz für die Rechte von LSBTI abzusichern.

Lesbische Sichtbarkeit stärken – im Verband, in der Gesellschaft und der Politik

Kirsten Plötz. Foto: Caro KadatzDie Historikerin Kirsten Plötz verwies in einem Panel zu lesbischer Sichtbarkeit auf die Notwendigkeit geschlechtsspezifischer Definition von Homophobie, Verfolgung und Repression. Für lesbische Frauen zeigten diese sich in erster Linie die generelle Unterordnung von Frauen sowie der gesetzliche und soziale Rahmen der Ehe. Die Ehe mit einem Mann war die einzig mögliche soziale Absicherung für Frauen. Sie bedeutete zugleich eine rechtlich extrem untergeordnete Rolle und die Unmöglichkeit lesbischen Begehrens und lesbischer Liebe. Scheidungen waren unmöglich, der Entzug des Sorgerechts drohte, der Ehemann konnte den Arbeitsvertrag seiner Ehefrau kündigen oder bestimmen, dass sie in eine andere Stadt zogen. Ehefrauen mussten die „ehelichen Pflichten“ erfüllen, ob sie wollten oder nicht. Ein öffentliches Bild von Lesben war nicht existent, andere Lebensentwürfe als die der Mutter, Haus- und Ehefrau waren lange Zeit undenk- und unlebbar. Viele Lesben haben ihre Wünsche nie verwirklicht, Plötz verwies auf den Schmerz, die Verzweiflung und die Isolation

Die anhaltende gesellschaftliche, politische und wissenschaftliche Abwertung, Ignoranz und Unachtsamkeit, mache es bis heute unmöglich machen, Biographien und Geschichte von lesbischen Frauen ausreichend zu erforschen und sichtbar zu machen. Man könne nicht behaupten, dass es keine Verfolgung von lesbischen Frauen gegeben hätte, da es kaum Forschung oder Erkenntnisse gäbe – man wisse es schlichtweg gar nicht. Wenn einmal geforscht wird, würden sich auch Ergebnisse finden etwa in der Studie des Landes Rheinland-Pfalz über die dortige staatliche Repression von Lesben

Die Auswirkungen lesbischer (Nicht-)Erfahrungen zeigen sich bis in die Gegenwart wie das darauf folgende Gespräch zwischen Kirsten Plötz und den LSVD-Bundesvorständ*innen Ulrike Schmauch, Gabriela Lünsmann und Axel Hochrein zeigte. Unsichtbarkeit mit Machtlosigkeit verknüpft. Mit Beginn der 1970er wurde eine Lesbenbewegung in Deutschland erstmalig wahrgenommen. Gleichwohl engagierten sich Lesben auch in der Frauenbewegung und der Homosexuellenbewegung – mit der Folge, dass sich die lesbischen Frauen aufteilten, die sich überhaupt „anmaßten“ den zugewiesenen Bereich des Privaten zu verlassen und sich als öffentlich-politische Person zu verstehen. Zugleich trafen sie auch auf Frauenverachtung und Männerdominanz in homosexuellen Gremien während sie in der Frauenbewegung ebenfalls zur Minderheit gemacht wurden. So werden Lesben mit ihren Potentialen und Interessen sowie ihren spezifischen Ausgrenzungserfahrungen in Gesellschaft, Politik und Öffentlichkeit noch längst nicht ausreichend wahrgenommen.

Der LSVD hat Anfang des Jahres unter seinen weiblichen Mitgliedern eine Umfrage über ihre Bedürfnisse und Zufriedenheit mit der Verbandsarbeit durchgeführt. Neben der rechtlichen Gleichstellung war lesbische Sichtbarkeit für viele das wichtigste politische Anliegen. Die Sichtbarkeit von Lesben in Politik und Gesellschaft zu verbessern ist daher auch Ziel des neuen LSVD-Projekts „Miteinander stärken – Lesbengruppen vernetzen“. Ein für November 2018 geplantes bundesweites Treffen von Lesben soll den Austausch und die Vernetzung fördern, um Erfahrungen und Bedürfnisse zu verdeutlichen und ihre Interessen wirksam zu vertreten. Es gelte auch die Bedingungen des Erfolgs der Gemeinsamkeit und Ursachen für das Scheitern zu analysieren, um tatsächlich zu Bündnissen auf Augenhöhe zu kommen. Gleichzeitig ist jedoch klar, dass eine Stärkung nicht nur Aufgabe der lesbischen Frauen oder weiblichen LSVD-Mitgliedern sein kann, es ist eine Aufgabe für den gesamten Lesben- und Schwulenverband.

Neues LSVD-Programm für neue Zeiten

Gleichberechtigte Sichtbarkeit, Teilhabe und Repräsentation – das sind auch die Schwerpunkte des ebenfalls auf dem Verbandstag verabschiedeten neuen Programms „Menschenrechte, Vielfalt und Respekt“. Eheöffnung, Rehabilitierung und Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Dritten Geschlechtseintrag — sie waren Meilensteine in der Emanzipation von LSBTI und für den LSVD. Doch die Auseinandersetzung um Gleichwertigkeit, Anerkennung und Akzeptanz ist damit bei Weitem nicht zu Ende. Zudem zeigen die jüngsten Entwicklungen eine weltweite Wiederkehr von autoritären, völkischen und nationalistischen Ausgrenzungsideologien. Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren. Dieses großartige Versprechen der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte muss sich auch für Lesben und Schwule, Bisexuelle, trans- und intergeschlechtliche Menschen erfüllen. Für dieses Ziel arbeitet der LSVD.

Der LSVD versteht sich als Bürgerrechtsverband. Die Menschenrechte und die Grundrechte unserer Verfassung sind der Kompass, die Bürgerrechtspolitik ist unsere Praxis, sie zu verwirklichen. Die Menschen- und Grundrechte materialisieren sich in gleichen Rechten und in gleichen Zugangsmöglichkeiten, also in tatsächlicher Gleichberechtigung. Wir wollen einen gesicherten Rahmen dafür schaffen, dass alle Menschen ihre persönlichen Lebensentwürfe selbstbestimmt entwickeln können – frei von rechtlichen und anderen Benachteiligungen, frei von Anpassungsdruck an überkommene Normen, frei von Anfeindungen und Diskriminierungen. Praktizierte Homophobie und Transfeindlichkeit, jede Form von Diskriminierung und insbesondere Bedrohung durch Gewalt sind ein Angriff auf die Freiheit und den Zusammenhalt der Gesellschaft insgesamt. Eine demokratische Gesellschaft muss für alle das Recht durchsetzen, jederzeit und an jedem Ort ohne Angst verschieden sein zu können.

Der LSVD wirbt für ein Klima, das Vielfalt als Bereicherung erkennt und wertschätzt. Wir wollen keine Sonderrechte, sondern Gleichberechtigung. Wir wollen, dass lesbische, schwule und bisexuelle Lebensweisen und dass Trans- und Intergeschlechtlichkeit als selbstverständlicher Teil gesellschaftlicher Normalität respektiert und anerkannt werden. Das gilt nicht zuletzt für Regenbogenfamilien und insbesondere für die darin aufwachsenden Kinder.

Respekt heißt die Formel für gutes gesellschaftliches Zusammenleben. Verachtung und Unterdrückung von Homosexualität, Bisexualität oder Trans- und Intergeschlechtlichkeit sind kein hinzunehmendes Übel, sondern Ausdruck antidemokratischen Denkens. LSBTI-Feindlichkeit hält sich hartnäckig, sie ist ein gesellschaftszersetzendes Gift. Es gibt aber wirksame Gegenmittel. Sie heißen Engagement, Aufklärung und Dialog. Denn Respekt setzt Wissen vom Anderen und über Verschiedenheit voraus. Deshalb darf es hier keine Tabuzonen geben. – nicht in der Schule, nicht in den Medien, nicht im Sport. Wir meinen: Liebe verdient Respekt. Das gleiche gilt für das selbstbestimmte Leben der eigenen geschlechtlichen Identität. All das sollte selbstverständlich sein, ist es aber leider nicht. Mit beharrlicher Aufklärung, guten Argumenten und kompetentem Auftreten verschaffen wir daher LSBTI Respekt in der Gesellschaft, in Politik und Institutionen. Unsere Stimme wird gehört: im Bundestag und in Landtagen, in Ministerien, vom Bundesverfassungsgericht, in den Medien, bei Parteien, Gewerkschaften und Verbänden.

Wie wir unsere Leitprinzipien konkret umsetzen wollen, zeigen wir in unserem Programm auf zehn Politikfeldern:

  1. Die Gleichstellung im Recht weiter entwickeln
  2. Gesellschaftliche Akzeptanz stärken – Vielfalt wertschätzen
  3. Respekt schaffen in Bildung und Erziehung, Wissenschaft und Kultur
  4. Hass und Hetze entgegentreten
  5. Familie umfassend denken
  6. Vielfalt der Generationen und Lebenslagen im Blick haben
  7. Eine aufgeklärte und solidarische Gesundheitspolitik durchsetzen
  8. Verantwortung für die Vergangenheit wahrnehmen
  9. Gleiche Rechte, Vielfalt und Respekt in Europa befördern
  10. Die Achtung der Menschenrechte weltweit voranbringen

Starker Verband, tolle Arbeit

LSVD-Bundesvorstand 2018. Foto: Caro KadatzDie Mitarbeitenden des LSVD stellten zudem die Projekte Beratungskompetenz zu Regenbogenfamilien, Miteinander stärken und Queer Refugees Deutschland vor. Bei den Wahlen zum Bundesvorstand stellten sich Imke Duplitzer, Benjamin Rottmann und Sandro Wiggerich nicht erneut zur Wahl und wurden mit herzlichem Dank aus dem Gremium verabschiedet. Im Amt bestätigt wurden Günter Dworek, Henny Engels und Stefanie Schmidt. Neu gewählt wurden Timon Delawari, Marion Lüttig und Christian Rudolph. Weiterhin gehören die 2017 für eine zweijährige Amtszeit gewählten Axel Hochrein, Gabriela Lünsmann, Helmut Metzner, Inken Renner, Jenny Renner, Ulrike Schmauch und Uta Schwenke dem LSVD-Bundesvorstand an.

Gedenken an Eddi Stapel

Günter Dworek (LSVD-Bundesvorstand) - Foto: Caro KadatzEddi hat das Leben vieler Menschen geprägt und verändert. Er hatte ein Feuer in sich, das viele gewärmt hat.“ – das Gedenken an den am 03. September 2017 verstorbenen Eddy Stapel, die treibende Kraft bei der Gründung unseres Verbandes, gehörte zu den stillen und doch berührendsten Momenten des Verbandstags.

Mit ihm hat die schwul-lesbische Emanzipationsbewegung, die Bürgerrechtspolitik in ganz Deutschland eine prägende Persönlichkeit verloren, die unendlich viel für unsere Demokratie geleistet hat.

Eduard Stapel hat starke Fundamente gelegt. Gerade in diese Zeiten, in denen homophobe und generell menschenfeindliche Kräfte wieder lautstärker werden, sind Deine Fundamente uns Basis und Auftrag zugleich, nicht nachzulassen im Kampf für Demokratie, Vielfalt und Respekt.

 

Markus Ulrich
LSVD-Pressesprecher

 

Fotos: Caro Kadatz

 



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