Impuls von Sarah Kohrt, Hirschfeld-Eddy-Stiftung beim Kirchentag in Hannover 2025
“Celebrating Pride and diversity — Together against racism, anti-queerness and populism” war der Titel der englischsprachigen Veranstaltung in der Neustädter Hof- und Stadtkirche St. Johannis beim Deutschen Evangelischen Kirchentag in Hannover. Die Veranstaltung fand im Rahmen des Zentrums Regenbogen und Geschlechterwelten statt. Im Rahmen der Veranstaltung wurde des Imams Muhsin Hendricks, Executive Director Al-Ghrubaah Foundation, Capetown/South Africa gedacht, der als Panelist geladen war und im Februar 2025 nahe seines Wohnorts einem Hassverbrechen zum Opfer fiel.
Moderation: Dr. Kerstin Söderblom, university chaplain, Mainz, Podiumsgäste: Oliver Jähnke, European Forum of LGBTIQ+ Christian Groups, Göteborg/Sweden; Sarah Kohrt, Hirschfeld-Eddy-Stiftung; Priscilla Schwendimann, Reverend, Zürich/Switzerland; Amadeo Devin Udampoh-Sumilat, Program Manager Gender and Sexuality NGO Tjapoeng Lembayung, Nusantara/Indonesia. Progammleitung: Eva Burgdorf, Hamburg
Wir veröffentlichen hier den Impulsbeitrag von Sarah Kohrt, Hirschfeld-Eddy-Stiftung:
Herzlichen Dank für die Einladung! Der Pinke Faktor –die Rolle von LSBTIQ* im Globalen Streit um Werte, Ressourcen und Vorherrschaft — so heißt das Projekt, das ich bei der Hirschfeld-Eddy-Stiftung leite. Es zeigt die aktive Rolle von queeren Menschen in multilateralen Institutionen wie der UN. Wir entlarven und benennen die Instrumentalisierung von LSBTIQ* zum Zwecke der Abschaffung von Menschenrechten, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit.
Denn LSBTIQ* werden genutzt, um die Entwicklungszusammenarbeit insgesamt lächerlich zu machen (USA), um kritische NGOs an der Arbeit zu hindern (Russland), um von wirtschaftlichen Krisen abzulenken und Sündenböcke für politisches Versagen zu finden (Uganda, Ghana).
Wie kann man mutig gegen diese Tendenzen vorgehen? Dazu sind viele Studien verfasst worden. Studien, die leider oft schon im Titel leider die perfiden Begriffe der Destroyer/Disrupter nutzen.
Man liest immer wieder, dass es jetzt besonders wichtig sei, Bündnisse zu bilden und Institutionen zu schützen. Das ist völlig richtig. Und deshalb:
Diese beiden Punkte (Bündnisse bilden und Institutionen schützen) möchte ich hier einmal genauer ansehen. Und zwar mit drei Fragen
- Mit wem können wir in Bündnissen zusammenarbeiten?
- Woran erkennt man die Institutionen, die geschützt werden müssen?
- Was heißt das für unsere internationale Arbeit?
1) Bündnisse bilden: Wozu müssen wir bereit sein?
Wir können Bündnisse eingehen mit allen, die davon ausgehen, dass wir dazugehören. Wir als Queers, wir als Eingewanderte, wir als religiöse Menschen, wir als People of Color und Schwarze Menschen. Dieses Wir betrifft alle.
Wir müssen bereit sein, Diversität auch als Meinungsvielfalt anzuerkennen. Denn Diversität ist Fakt, keine Qualität, Vielfalt umfasst auch das, was uns nicht passt und das, was wir nicht selber sind.
Wir müssen bereit sein über unterschiedliche Sprachen hinweg zusammenzuarbeiten, akademische und nicht-akademische, muttersprachliche und zweit- oder drittsprachliche, auch Ausdrucksweisen anzuerkennen, die nicht der eigenen entsprechen.
Wir müssen bereit sein, uns auch mit denen zu verbünden, die anders sind als wir selbst. Die einen anderen Glauben haben, eine andere Herkunft, ein anderes Leben, eine andere Auffassung von Heimat, Familie, Geschlechtern oder Gerechtigkeit.
Wir brauchen überparteiliche Bündnisse. Wir brauchen Bündnisse über eigene Interessen hinaus. Schwule Männer, die sich für das Recht auf Schwangerschaftsabbruch aussprechen, Trans*personen, die sich für Lesben einsetzen, Weiße, die gegen Rassismus auf die Straße gehen, reiche Erben, die den Sozialstaat verteidigen, Kinderlose, die Elterngeld fordern.
Wir sollten in ökumenischen Bündnissen und über die Konfessionen und Religionen hinweg zusammenarbeiten. Wie das gehen kann, zeigt das Global Interfaith Network in Südafrika. Religiöse und Atheisten sollten zusammenarbeiten.
Ein Bündnis braucht ein positives Ziel. Es kann groß oder klein sein, aber es muss da sein. Es muss klar sein, dass es um eine Annäherung an das Ziel geht, um eine Verbesserung in die Richtung, aber dass es nicht 100% erreicht werden kann.
Wir haben gemeinsame Ziele: Die Universalität und Unteilbarkeit der Menschenrechte anerkennen und durchsetzen.
In einem stark polarisierten Klima braucht es persönliche Begegnungen. Nur die helfen Vorbehalte zu überwinden. Egal ob rassistische oder homophobe oder andere Vorbehalte. Zuhören und Fragen stellen verfeinert sich in persönlichen Begegnungen.
2) Welche Institutionen sollten und müssen wir verteidigen?
Der Aufruf lautet: wir sollen die Institutionen verteidigen. Aber woran erkennt man die Institutionen die schützenswert sind?
Sicherlich nicht daran, dass sie keine Fehler machen. Sicherlich nicht daran, dass es keine Diskriminierung gibt. Sondern daran, dass sie zwei Prinzipen folgen:
Diese sind
• Erstens: Das Recht anders zu sein.
• Zweitens: Das Recht dazu zu gehören.
Das Recht anders zu sein ist der Kern der menschenrechtsbasierten Demokratie. Es ist das Recht auf Individualität im Sinne einer Abweichung von der Mehrheit.
Das zweite Prinzip — Das Recht dazu zu gehören — betrifft alle Menschenrechte insgesamt. Zum Beispiel:
Das Recht zu denen zu gehören, die eine Familie gründen können (war Schwulen, Lesben und Trans* lange unmöglich). Das Recht zu denen zu gehören, die in die Schule gehen können (wird in vielen Ländern Frauen verboten und/oder Trans*). Das Recht zu wählen und gewählt zu werden (war Frauen lange verboten, wurde Schwarzen verweigert).
Für den Themenbereich LSBTIQ* haben die Yogyakarta Prinzipien all das erläutert.
Ohne das Recht anders zu sein und zugleich dazu zu gehören, läuft alles auf Homogenität und Ausschluss zu.
3) Was heißt das für unsere internationale Arbeit?
Zuallererst heißt das: Do no harm. Richte keinen Schaden an.
Dabei ist die einfachste Regel: die Expertise liegt vor Ort, in den Communities. Was vor Ort gebraucht wird, ist am besten vor Ort zu erfahren.
Der Wunsch nach Emanzipation kommt aus allen Ländern der Welt. Es ist falsch und gefährlich zu behaupten, dass der Kampf um die Menschenrechte von LSBTIQ* und für Frauenrechte Teil einer neokolonialen Agenda sein.
Wie Ymania Brown, Geschäftsführerin von TGEU und stolze trans fa’afafine Frau aus Samoa sagt: „Nur ihr in Europa seid gerade erst aufgewacht und habt erkannt, dass es mehr als zwei Geschlechter gibt. Wir leben seit 2000 Jahren friedlich mit mehr als zwei Geschlechtern und jedes Land hat einen Namen für Menschen wie mich.“
Wir müssen intersektional denken, das heißt auch zu verstehen, dass Armut eine ständige Bedrohung für queere Aktivist*innen im Globalen Süden ist. Und dass die Forderung, Entwicklungshilfe für Länder zu streichen, weil sie Queers verfolgen mit größter Vorsicht behandelt werden müssen. Denn sonst werden gerade die, die man schützen möchte zu Sündenböcken und noch stärker bedroht.
Organisationen, die Gelder erhalten dürfen sich nicht an der Verfolgung von queeren Menschen beteiligen und sie auch nicht gutheißen. Keine Gewalt lautet der Minimalkonsens.
Wir brauchen eine Neuausrichtung der internationalen Zusammenarbeit: Sie sollte dekolonial, kooperativ und flexibel sein. Das fordern unsere Projektpartner. Wir brauchen transnationale solidarischen Allianzen. Dazu bieten kirchliche Strukturen tolle Chancen.
Sarah Kohrt, LSBTIQ*-Plattform Menschenrechte, Hirschfeld-Eddy-Stiftung, Berlin
Ein Beitrag der Hirschfeld-Eddy-Stiftung im Rahmen des Projekts: „Der pinke Faktor. Die Rolle von LSBTIQ* im globalen Streit um Werte, Ressourcen und Vorherrschaft“
Ein Nachruf auf Imam Muhsin Hendricks findet sich hier: https://blog.lsvd.de/muhsin-hendricks-ermordet/