Die Menschenrechtsverletzungen an Homosexuellen nach 1945 in der Bundesrepublik und in der DDR sind bis heute nicht aufgearbeitet. Die Urteile nach § 175 in der NS-Zeit wurden 2002 gesetzlich aufgehoben. Die Aufhebung der menschenrechtswidrigen Urteile nach 1945 steht noch aus. Der Gesetzgeber muss die Opfer der antihomosexuellen Unrechtsgesetzgebung rehabilitieren und entschädigen. Auch in den Landesparlamenten und im Bundesrat ist das ein wichtiges Thema. Hier ist die aktuelle Liste der Initiativen, die in den Landtagen und im Bundesrat diskutiert wurden.
Schlagwort: §175
Aussagen der Parteispitzen, die wir nicht vergessen werden
Gestern eröffnete der LSVD den schwul-lesbischen Bundestagswahlkampf mit der Podiumsdiskussion „Ehe für alle jetzt!“. Die besten Zitate zu den wichtigen Fragen von Moderator Axel Hochrein (LSVD), der im Namen des Bündnisses „Keine halben Sachen!“ eingeladen hatte.
Wie steht es mit der Öffnung der Ehe?
Thomas Oppermann (Erster Parlamentarischer Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion und im Team Steinbrück für die Innen- und Rechtspolitik zuständig)
„In den ersten drei Monaten wird der Gesetzentwurf entwickelt und abgestimmt. Noch vor Ablauf eines Jahres nach der Bundestagswahl wird die Öffnung der Ehe durch Änderung des BGB durchgeführt.“
Öffentliche Anhörung zur Rehabilitierung und Entschädigung im Rechtsausschuss des Bundestags
Statement von Manfred Bruns, Bundesanwalt beim Bundesgerichtshof a.D.
Sehr geehrter Herr Vorsitzender, meine Damen und Herren Abgeordnete!
Meine heutige Stellung- nahme fällt mir schwer, weil ich an der Sache emotional beteiligt bin. Hier wird heute auch über meine Lebenssituation als homosexueller Bürger der Bundesrepublik verhandelt. Ich bin Jahrgang 1934. Schwule Jungen befanden sich in meiner Jugend in einer schwierigen bis ausweglosen Lage, weil die Bundesrepublik die Verfolgung der Homosexuellen bis in die sechziger Jahre des vorigen Jahrhunderts hinein mit demselben Eifer fortgesetzt hat wie die Nationalsozialisten. Der einzige Unterschied zu den Nazis bestand darin, dass die homosexuellen Männer nach der Strafverbüßung nicht mehr in Konzentrationslager verschleppt und dort umgebracht wurden.
Rehabilitierung ist eine politische Frage
Auszug aus der Stellungnahme von Günter Grau zur Anhörung im Rechtsausschuss des Bundestages, 15. Mai 2013
Vorbemerkungen
Die Diskussion um die Zulässigkeit einer Aufhebung der o.g. Urteile – und davon
abhängig um Rehabilitierung und Entschädigung der Verurteilten – wird bereits länger als ein Jahrzehnt geführt. Bestimmt wird sie durch das Gegeneinander-Abwägen rechtswissen- schaftlicher Argumente. Oder mit anderen Worten: Die Frage soll juristisch entschieden werden. Eine Einigung unter den Kontrahenten zeichnet sich bislang nicht ab. Das sollte eigentlich nicht verwundern, denn zu entscheiden ist eine politische Frage. Und politische Fragen haben sich noch nie ausschließlich juristisch beantworten lassen. Insofern
Öffentliche Anhörung zur Rehabilitierung und Entschädigung im Rechtsausschuss des Bundestags, Statement von Ulrich Kessler
Herr Vorsitzender, sehr geehrte Damen und Herren,
zunächst möchte ich nicht verhehlen, dass ich das Anliegen der beiden zur Diskussion stehenden Drucksachen seit geraumer Zeit politisch unterstütze, und zwar durch Mitarbeit bei der Bundesarbeits- gemeinschaft schwuler Juristen und Mitgliedschaft im Lesben- und Schwulenverband in Deutschland. Mein Beruf als Richter bringt es aber auch mit sich, dass ich beim Thema Unabhängigkeit der Justiz durchaus sensibel bin.
Diese Unabhängigkeit der Justiz sehe ich durch die angestrebte gesetzliche Kassation einer eng umgrenzten Gruppe von Urteilen nicht gefährdet. Richterliche Unabhängigkeit bedeutet
Auffällige Kontinuitäten
Christoph Safferling zum Forschungsprojekt über „Die Rosenburg“
respekt!: Herr Prof. Dr. Safferling, Sie gehören zur Unabhängigen Wissenschaftlichen Kommission, die den Umgang des Bundesjustizministeriums (BMJ) mit der NS-Vergangenheit untersucht. Können Sie uns Näheres zu den Fragestellungen und Ihrer Arbeit sagen?
Die Unabhängige Wissenschaftliche Kommission beim Bundesministerium der Justiz zur Aufarbeitung der NS-Vergangenheit beschäftigt sich mit dem BMJ in den 1950er und 1960er Jahren, in den Jahren, in denen das Ministerium in der Rosenburg in Bonn untergebracht war. Es geht also nicht primär um die Tätigkeit von Juristen während der NS-Herrschaft, sondern um den Umgang mit belasteten Juristen und nationalsozialistischer Gesetzgebung in den Gründungsjahren der Bundesrepublik Deutschland.
Das ist zu wenig
Ein Irrtum: In der Bundesrepublik habe es seit ihrer Gründung keine systematischen staatlichen Menschenrechtsverstöße gegeben. Die Repressionen, mit denen die Justiz jahrzehntelang die Homosexuellen verfolgte, verletzten zig-tausendfach die Menschenwürde, sie galten als legal, und sie fanden auch die Billigung der überwältigenden Mehrheit der Bevölkerung. Homosexuelle wurden nicht nur gesellschaftlich geächtet und in die gesellschaftliche Isolation getrieben.
Liebe unter § 175
Zwischen Beichtstuhl und Klappe, Kirche und Karneval
Seit fast 60 Jahren ist Karl-Heinz Scherer schwul, sagt er. Nächstes Jahr wird er 80. Sein schwules Leben begann 1954 im Urlaub an der Mosel, in einem Trierer Weinberg. Wie Schuppen fiel es ihm von den Augen. Nach dem Erlebnis mit einem Mann wusste Karl-Heinz, dass er nur noch schwul leben wird. Damals aber waren homosexuelle Handlungen strafbar. Er kennt die Zeit unter dem § 175.
„Ich komme aus einer sehr katholischen Kölner Familie. In Trier ging ich damals sofort in die Abtei St. Matthias beichten. Der Benediktinerpater sagte mir, das Strafgericht Gottes komme über mich.“ Das war noch harmlos. An eine Beichte im Jahr 1957 im Kölner Dom erinnert er sich, weil er fluchtartig den Beichtstuhl verließ, als der Domkapitular ihm sagte, eigentlich müsse er die Polizei rufen, weil Karl-Heinz „von diesem Laster“ nicht ablasse.
Plädoyer gegen die Scheinargumente
Warum die Rehabilitierung rechtlich geboten ist
Wir kennen nicht die wahren Gründe, warum die CDU/CSU, Teile der SPD und die FDP die Rehabilitierung der nach 1945 verurteilten Männer ablehnen. Die Angst vor Entschädigungsansprüchen kann es nicht sein. Uns sind nur wenige Männer bekannt, die vor 1969 nach § 175 StGB verurteilt worden sind und jetzt eine Entschädigung verlangen könnten. Die meisten scheinen das Verstecken so verinnerlicht zu haben, dass sie es auch jetzt nicht schaffen, sich zu outen.
Die Parteien lehnen die Rehabilitierung mit formalen Erwägungen ab, die nach unserer Auffassung nur vorgeschoben sind.
Aussicht auf ein gutes Jahr
Meine Prognose für 2013: Auch in diesem Jahr müssen wir uns mit abstrusen Behauptungen auseinandersetzen, Mitte des Jahres sind Verbesserungen im rechtlichen Bereich zu erwarten, und im Herbst gibt es die Chance für einen echten Neuanfang.
Abstrus ist zum Beispiel die Argumentation der CDU, nach der die Gleichstellung von Ehe und Eingetragener Lebenspartnerschaft mit dem Grundgesetz nicht vereinbar sei, weil „Artikel 6 die Privilegierung der Ehe zwischen Mann und Frau gebietet.“ Diese „eindeutige Lesart“, so schreibt die Partei unter „Politik von A‑Z“, sei dem „für die richterliche Auslegung maßgeblichen dokumentierten Willen der Verfassungsmütter und ‑väter zu entnehmen.“ Das ist Unsinn