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Umstellung auf Warp-Antrieb“

Laudatio von Renate Rampf zur Verleihung des Augspurg-Heymann-Preises an die Bundesverfassungsrichterin Susanne Baer
30. Juni 2013, Bochum

Prof. Dr. Susanne Baer - Foto: Elke VahleSehr geehrte
Frau Bundesverfassungsrichterin,
sehr geehrte Frau Staatssekretärin,
sehr geehrte Damen und Herren,

kennen Sie das Pelze, die Begine, die Zwei oder die Schokofabrik? Es sind Namen von Frauenorten, von Orten politischer Auseinandersetzung und Symbole lesbischer Selbstbestimmung im Berlin der 80er und 90er Jahre. Mittendrin eine, die schon wegen ihrer Körpergröße auffällt. Die Insiderinnen erzählen mir: „Susanne Baer war immer in Jeans und Karohemden unterwegs“. Mit Karohemd ist sie dann auch in einer Talkshow zu sehen, die lesbische Aktivistin im Fernsehen. „Engagiert und eloquent“ sei sie gewesen und „sehr feministisch“. Für die CSDs schmeißt sie sich in Schale: Sie hat Spaß daran, die Geschlechterverhältnisse zu parodieren. Sie geht in der Gruppe der Freundinnen mit Minirock oder als Drag und wird so kaum erkannt. In die Hauptstadt der Frauenpolitik, in dem gefühlten Mittelpunkt der feministischen Welt, der doch etwas abgeschnitten war vom Rest, bringt Susanne Baer ein intellektuelles Paket aus den USA. Inspiriert von den Begegnungen an der Universität in Michigan, vor allem mit Catherine MacKinnon argumentiert sie für die Erweiterung der Perspektive von Frauen- zu Genderpolitik, für den Blick auf die Regeln der Machtverteilung und immer wieder gegen neue und alte Kategorien. Halina Bendkowski erinnert sich an die gemeinsame Zeit in der Schokofabrik: „Sie war ein Geschenk des Himmels und ihre Impulse haben die geradezu hegemonial agierende Szene ganz neu in Bewegung gebracht.“ Konkret bedeutete das: langwierige Diskussionen über Sexualität und Gewalt, konfliktreiche Begegnungen, Streit um grundsätzliche Fragen. Susanne Baer will Politik und nicht Identität.

Das ist die Zeit, so sagen es manche, „bevor Susanne Baer berühmt wurde“. Das ist auch die Zeit, in der sie eine intellektuell und persönlich weitreichende Entscheidung trifft: Sie entscheidet sich gegen den Abschluss in Politikwissenschaft und für das Staatsexamen in Rechtswissenschaft. Das ist verbunden mit der Analyse, dass die Spannungen zwischen Gleichheit und Differenz, zwischen Anspruch und Wirklichkeit, keinesfalls die Konsequenz erlauben, sich von der Idee des Rechts insgesamt zu verabschieden. Sie steigt nicht aus, sondern ein. Eine zweifache Entscheidung für das Recht, über die wir uns heute sehr freuen können.

Susanne Baer erhält den Augspurg-Heymann-Preis - Foto: Elke VahleNach dem Zweiten Staatsexamen geht es in hohem Tempo weiter: Baer arbeitet wieder mit Catherine MacKinnon, macht 1993 an der University of Michigan Law School, ihren Master. Und sie inspiriert auch die Mentorin. In „Only Words“ (Nur Worte) einem Buch von MacKinnon, das 1993 erscheint, kann man es lesen. MacKinnon dankt Susanne Baer für die „kritische Aufmerksamkeit“, den „Scharfsinn“ und die „Forschungshilfe in höchster Qualität“. Ein Jahr später erscheint das Buch übrigens auch in Deutschland. Übersetzung aus dem Amerikanischen: Susanne Baer.

2002, mit 38 Jahren, wird Susanne Baer Professorin für Öffentliches Recht und Geschlechterstudien an der Juristischen Fakultät der Berliner Humboldt-Universität. Zwei Grundsatzthemen in einem Lehrstuhl, was für eine geniale und avantgardistische Kombination. 2003 wird sie Direktorin des GenderKompetenzzentrums und 2005 Vizepräsidentin der Humboldt-Universität. Und so geht es immer weiter.

Ihre Vita ist atemberaubend. Und ehrlich, sie klingt so, als wären da mindestens zwei an der Arbeit gewesen: Was mit zwei Studienfächern begann zeigt sich jetzt in weitreichender Expertise in zwei großen Fachgebieten. So umfassend ist dann auch ihre Publikationsliste: Sie hat Texte veröffentlicht zu den großen Themen der Rechtswissenschaft, zur Genderforschung und hat immer auch die internationale und interdisziplinäre Perspektive im Blick. Ihre Themen sind Würde, Freiheit und Gleichheit. Sie arbeitet dafür, dass das jede ganz konkret im Alltag erleben kann, als Mehr an Selbstbestimmung unabhängig von Gender, sexueller Orientierung, Herkunft oder Status.

Ich kann nur empfehlen, lesen Sie Susanne Baer.

Susanne Baer erhält den Augspurg-Heymann-Preis - Foto: Elke Vahle

Und dann gibt es ja noch ihre öffentlichen Auftritte, die Vorträge und die Reden. „Kommt vorbei, zum Lernen, Denken und Bewundern!“. Das könnte auf jeder Einladung stehen, egal worum es geht. Ob Susanne Baer zu 60 Jahre Grundgesetz spricht, zu Menschenrechten in der Entwicklungszusammenarbeit oder über das Homosexuellendenkmal, man sollte sich das nicht entgehen lassen. Immer wieder heißt es „Sie ist toll“, „Ich höre ihr gerne zu“. Und eine Frau versucht es so zu erklären, „weil sie ganz normal ist.“ Wir wissen, dass das nicht stimmt, Susanne Baer ist nicht normal, sie ist hervorragend und außergewöhnlich. Aber zugegeben normalerweise gibt es da eine Kluft: Zwischen den Reden einer Professorin für Rechtswissenschaft und der Sprache und Problemen des Alltags. Diese zu überwinden, genau das ist es, was ihr gelingt: die Vermittlung, die das Recht da oben zu einem Recht derer von unten macht.

Susanne Baer hat die bemerkenswerte Fähigkeit, ihren Zuhörerinnen die volle Komplexität der Materie zuzumuten und sie dabei in ein Gespräch zu verwickeln. Sie spricht gewissermaßen immer im Modus dessen, an das sie appelliert: an ein kommunikativ anspruchsvolles Rechtssystem, das die Perspektive der jeweils anderen umfasst, sich gegen Ausgrenzungen aller Art wendet.

Im September 2010 wird Prof. Dr. Susanne Baer eingeladen, auf dem Deutschen Juristentag zu sprechen. Das gilt gemeinhin als Auszeichnung und war sicher auch ein Eignungstest. Susanne Baer hält sich nicht zurück und kritisiert die Passivität des Forums. „Warum setzen Sie ihre juristischen Tugenden nicht mehr für die Gleichberechtigung ein?“ ist ihre Frage an das Kollegium. Sie fordert von den Juristen „Brillanz“, sie fordert die „Kunstfertigkeit der klugen Argumentation“ und den „Mut zur kreativen Lösung“. Und das kann sie auch fordern. Denn sie praktiziert das alltäglich in vollendeter Weise.

Wenige Wochen später, im Herbst 2010 schlagen Bündnis 90/Die Grünen Susanne Baer als Nachfolgerin vor Brun-Otto Bryde im Ersten Senat des Bundesverfassungsgerichts vor. Ihre Qualifikation als Rechtswissenschaftlerin und Professorin ist unumstritten. Aber eine offen lesbische Frau am Verfassungsgericht, geht das? In jeder Phase des Verfahrens wäre es möglich gewesen, ihre sexuelle Orientierung zum Gegenstand einer öffentlichen Debatte zu machen. Sie selbst habe ihre Chance etwa 50:50 eingeschätzt, sagt Susanne Baer.

Aber die Juristin Baer überzeugt. Am 11. November 2010 bestätigt der Wahlausschuss den von Renate Künast gemachten Vorschlag. Es gibt eine kleine Feier, viele Gratulationen und viel Presse: Alle Artikel erwähnen, dass sie lesbisch ist, deutlich und doch in zurückhaltender Weise. Die Financial Times Deutschland nennt sie „Prof. Dr. Ungewöhnlich“.

Heute geht der Preis nicht nur an die engagierte Feministin und die Professorin für öffentliches Recht, sondern auch an die Verfassungsrichterin Baer. In allen drei Welten erhält sie den Augspurg-Heymann-Preis als couragierte lesbische Frau. Unsere Frau am Verfassungsgericht“ schreibt die L‑Mag dazu in einer Überschrift.

Unsere Frau? Wer kann denn sagen, sie sei „eine von uns“? Vielleicht die Grünen, denn die haben sie entdeckt. Vielleicht auch die Hans-Böckler-Stiftung, deren Stipendiatin sie war. Sicherlich auch die Studierenden und das Kollegium an der Humboldt-Universität. Und ihre Kolleginnen von der Universität Michigan. Und nicht zu vergessen ihre Familie und die vier Geschwister, die ihr beigebracht haben, sich durchzusetzen. Und ihre Partnerin.

Und können nicht gerade auch die Frauenbewegung und die feministische Rechtswissenschaft sagen „unsere Frau“? Denn sie haben die Öffnung der juristischen Fakultäten erzwungen, die herrschende Lehre kritisiert und Stück für Stück die Rechtsprechung bereichert. Ohne Frage, es macht stolz, die Richterin Baer mit der eigenen Lebenswelt zu verbinden, gemeinsame Merkmale zu finden. Und das machen besonders gerne die lesbischen Frauen, und Trans*menschen und auch schwule Männer. Denn eines ist klar: Susanne Baer ist die, die für ein Novum auf der Webseite des Bundesverfassungsgerichts gesorgt hat: Dort ist nun unter in der Rubrik „Richter“ als Angabe zum Familienstand „verpartnert“ zu finden. Gut sichtbar über dem Datum des Staatsexamens und ihrer Vita. Das ist einmalig.

Aber wenn nicht die Intellektuelle und Juristin, sondern nur die sexuelle Identität erwähnt wird, ist das Reduzierung. Etwa wenn der SPIEGEL seine Prognose, das Bunderfassungsgericht werde die Rechte von Homosexuellen stärken, mit dem Hinweis belegt, immerhin sitze „im Ersten Senat sogar eine Richterin, die selbst in einer eingetragenen Lebenspartnerschaft lebt“. Das ist die typische Art, Menschen einen Minderheitenstatus zuzuweisen und sie zugleich als befangen zu erklären. Das ist ärgerlich und Unsinn. Lesben, Schwule und Transgender haben bereits viele Veränderungen vor dem Verfassungsgericht erstritten. Es gibt keinen Grund, nun gerade Susanne Baer, die wir als Vordenkerin eines Abschieds von der Kategorie Geschlecht kennen, auf das Lesbisch-Sein einzuschränken.

Einmal im Leben irgendwo die Erste zu sein“, das sei eine besondere Verantwortung, sagt Susanne Baer im Interview. Und auf die Frage, ob sie denn als Feministin die notwendige Unparteilichkeit habe, antwortet die Verfassungsrichterin Susanne Baer ganz cool: Sie habe schließlich das Grundgesetz auf ihrer Seite. Die Zuständigkeit der Richterin Baer liegt übrigens nicht im Familienrecht. Es sind die anderen Themen, mit denen sie uns überraschen wird. Damit sie den Katalog der Grundrechte für die explizieren kann, die es wirklich brauchen, schulden wir ihr auch etwas. Wir, die Zivilgesellschaft, die Juristinnen und die Juristen sind aufgefordert für kluge Anträge zu sorgen. Jährlich gehen etwa 6.000 Verfassungsbeschwerden ein, nur ein Bruchteil davon wird angenommen, viele haben interessante Themen sind aber von schlechter Qualität.

Die Richterin Baer war immer offen lesbisch: In jedem Moment ihrer Karriere, bei jedem Auftritt, an jeder Universität. Sie brauchte kein trotziges „und das ist auch gut so“, kein nachträgliches „war doch nie ein Problem“. Diese Klarheit und die Tatsache, dass sie das Zeug hat, eine Legende zu werden, gibt vielen lesbischen Frauen das Gefühl, bei einer historischen Entwicklung dabei zu sein. Die Chance ohne den Umweg über Selbstverleugnung und Angst als lesbische Frau ins Leben zu treten, gerade auch in das berufliche Leben.

Ihre Ernennung ist für Lesben ein richtiger Schub. Bei Enterprise würden wir sagen, die Umstellung auf Warp-Antrieb. Dass eine Frau, die die praxiserprobte Intellektualität von Bürgerbewegungen und Genderpolitik verkörpert und diese Perspektive ins Bundesverfassungsgericht bringt, an einem Ort arbeitet, dessen Offenheit wir vielleicht nicht einmal für möglich gehalten haben, heißt das nicht auch, dass wir noch vielmehr Möglichkeiten haben die Welt zu verändern? Vielleicht ganz andere als wir uns aktuell vorstellen können?

Verfassungsrichterin zu sein, ist ein Privileg und bedeutet Macht. Und ich bin sicher, sie wird in dieser Position für die arbeiten, die nicht privilegiert sind. Das ist großartig.

Den Preis für couragiertes öffentliches Wirken als lesbische Frau, hat Susanne Baer unbedingt verdient.

Liebe Susanne,
vielen Dank für Dein Engagement und herzlichen Glückwunsch!

-es gilt das gesprochene Wort-

 



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