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Wie gehen wir in unserem Gesundheitssystem mit vulnerablen gesellschaftlichen Gruppen um?

v.l.n.r. Gabriela Lünsmann, LSVD Bundesvorstand, Dr. Heiner Garg, Minister für Soziales, Gesundheit, Familie und Senioren des Landes Schleswig-Holstein (FDP), Dr. Carsten Leffmann, Geschäftsführer der Ärztekammer Schleswig-Holstein. © Hans WiedlLSVD-Bundesvorstand Gabriela Lünsmann auf dem Eröffnungspodium “Alt, schwul, arm, Chroniker – wie gehen wir in unserem Gesundheitssystem mit vulnerablen gesellschaftlichen Gruppen um?” des Kongresses “Vernetzte Gesundheit” am 16./ 17.01 in Kiel

Sehr geehrter Herr Minister Dr. Garg,
sehr geehrte Damen und Herren,

ich freue mich, hier heute anlässlich der Eröffnung der Tagung „Vernetzte Gesundheit“ in meiner Funktion als Bundesvorstand des LSVD, des Lesben- und Schwulenverbands in Deutschland das Wort an Sie zu richten.

Das Verhältnis von lesbischen Frauen, schwulen Männern und trans* und intergeschlechtlichen Menschen zur Medizin ist historisch betrachtet schwierig und geprägt durch Pathologisierung. Erst 1990 hat die Weltgesundheitsorganisation WHO beschlossen, Homosexualität nicht mehr als psychische Krankheit zu definieren.

Doch wie sieht es mit der lesbischen, schwulen, bi‑, trans* und intersexuellen Gesundheit heute aus?

Lesben, Schwule, bisexuelle, trans*- und intergeschlechtlichen Menschen erfahren in der Gesellschaft zunehmend Akzeptanz und rechtliche Gleichstellung.

Ihre gesundheitlichen Anliegen werden bisher jedoch kaum wahrgenommen und thematisiert. In unserem Gesundheitssystem finden sie keine besondere Berücksichtigung.

Wir behandeln alle gleich!” ist da oft der Tenor. Es stellt sich jedoch die Frage:

  • Reicht es aus, einfach alle gleich zu behandeln?
  • Sind die Angebote im Gesundheitsbereich wirklich für alle gleich gut nutzbar?
  • Welche Folgen hat es, wenn das medizinische Fachpersonal wenig über Lebenslagen, gesundheitsbezogene Bedürfnisse und spezifische Krankheitsrisiken von Lesben, Schwulen, bisexuellen, trans*- und intergeschlechtlichen Menschen weiß?
  • Was bedeutet es für deren Gesundheit und deren Krankheitsprävention, wenn es nur relativ wenig wissenschaftliche Studien zu ihrem Gesundheitsverhalten und ihren Krankheitsrisiken gibt?
  • Welche Auswirkungen haben Diskriminierungs- und Marginalisierungserfahrungen auf die psychische und physische Gesundheit?

Alle Menschen, die eine Ärztin* oder einen Psychotherapeut*in aufsuchen, erhoffen sich fachkompetente Hilfe und Unterstützung in ihrer gesundheitlichen Situation. Sie möchten mit ihren Anliegen ernst genommen und als Menschen respektvoll behandelt werden – so auch auch Lesben, Schwule, bisexuelle, trans*- und intergeschlechtlichen Menschen.

Eine gute Gesundheitsversorgung erfordert Fachwissen und Fachkompetenz im Umgang mit den verschiedenen Lebensrealitäten und Lebensweisen. Nicht immer ist dieses Fachwissen vorhanden, wenn es zum Beispiel um die Prävention von sexuell übertragbaren Erkrankungen zwischen Frauen oder auch z.B. den Einsatz der HPV-Impfung zur Krebsprävention bei Männern geht. Hierüber haben die wenigsten Ärzt*innen im Medizinstudium etwas gelernt und auch in Fachbüchern findet sich kaum etwas. Auch wünschen sich viele lesbische Frauen* Kinder und berichten von großen Schwierigkeiten, fachkompetente ärztliche Begleitung in dieser Situation zu finden. Teilweise fahren sie über hunderte von Kilometern, um eine unterstützende Gynäkolog*in aufzusuchen.

Ähnliche Schilderungen gibt es von auch von Lesben, Schwulen, bisexuellen, trans*- und intergeschlechtlichen Menschen, die psychotherapeutische Behandlung zum Beispiel wegen Depressionen oder Suchterkrankungen suchen. Einige machen die Erfahrung, dass ihre psychischen Probleme auf ihre Lebensweise zurückgeführt werden – so, als seien sie deshalb depressiv erkrankt oder suchtbetroffen, weil sie nicht-heterosexuell leben. Das ist nicht nur fachlich falsch, sondern verschließt auch den Zugang zu etlichen Stärken und Ressourcen, die Menschen mitbringen und benötigen, um mit psychischen Erkrankungen zu leben.

Die häufigste Form von Diskriminierung geschieht aber zumeist nicht mit Absicht:

Viele Menschen in Gesundheitsberufen sind selbst heterosexuell und gehen ganz selbstverständlich davon aus, dass alle ihre Patient*innen ebenfalls heterosexuell leben. Für nicht-heterosexuelle Menschen ist es dann immer wieder eine große Herausforderung, sich mit der Situation konfrontiert zu sehen, dass ihnen eine heterosexuelle Lebensweise unterstellt wird. Sie müssen dann entscheiden, ob sie diesen Irrtum korrigieren oder ihn hinnehmen. In jedem Fall ist das Signal, dass ihre Lebensweise eben nicht selbstverständlich, sondern anders ist. Diese Erfahrung hat häufig die problematische Folge, dass Einrichtungen des Gesundheitssystems eher gemieden werden und z.B. Präventionsangebote nicht in erforderlichen Maß wahrgenommen werden.

Dies zeigt auch die vorgestellte Patientinnenbiographie!

Im schlimmsten Fall kommt es aber auch immer noch zu offenen Diskriminierungen: Beispielhaft sind hier die Stigmatisierungserfahrungen von Menschen mit HIV zu nennen und die Psychopathologisierung von Transidentität durch am Bedarf vorbeigehende Richtlinien der medizinischen Behandlung und den schwierigen Zugang zu Leistungen der Gesetzlichen Krankenversicherung.

Intergeschlechtliche Menschen schließlich sind bis heute am offensichtlichsten Verletzungen ihres Rechts auf körperliche Unversehrtheit und Selbstbestimmung ausgesetzt. Dies betrifft vor allem irreversible Eingriffe ohne medizinische Notwendigkeit und ohne die vorherige freie und informierte Einwilligung der intergeschlechtlichen Person selbst.

Diskriminierung in der Gesundheitsversorgung ist deshalb besonders fatal, weil sich Menschen, die auf gesundheitliche Hilfe angewiesen sind, in einer besonders verletzlichen Situation befinden.

Dass Diskriminierungserfahrungen eine gesundheitliche Belastung darstellen und Diskriminierungen den Zugang zum gesundheitlichen Versorgungssystem erschweren, wurde bereits in verschiedenen internationalen – leider aber nicht nationalen — Studien gezeigt. So ist es bezeichnend, dass der aktuelle Gesundheitsbericht des Robert Koch Instituts auf 500 Seiten mit keinem Wort auf die Bedeutung der sexuellen Orientierung und geschlechtlichen Identität in der Gesundheitsversorgung eingeht.

Dabei beschreibt schon die Ottawa Charta der WHO zur Gesundheitsförderung aus dem Jahr 1986 — vor über 30 Jahren -, dass Gesundheitsförderung auf Chancengleichheit auf dem Gebiet der Gesundheit gerichtet sein muss und darauf zielen soll, gleiche Möglichkeiten und Voraussetzungen zu schaffen, damit alle Menschen zur Stärkung ihrer Gesundheit befähigt werden.

Hierfür bedarf es auch regional einer wirklich inklusiven Gesundheitsversorgung, welche die besonderen Bedarfe von Lesben, Schwulen, bisexuellen, trans*- und intergeschlechtlichen Menschen wahrnimmt und die in der Gesundheitsversorgung tätigen Menschen befähigt, diesen Bedarfen respektvoll und auf Augenhöhe zu begegnen.

Dann können sich auch die Ressourcen und Potenziale von Lesben, Schwulen, bisexuellen, trans*- und intergeschlechtlichen Menschen entfalten, die mit einem Leben „gegen den Mainstream“ und jenseits der Mehrheitsgesellschaft sehr oft verbunden sind und die bisher viel zu wenig Berücksichtigung finden – sowohl individuell als auch gesellschaftlich.

Vielen Dank!

(Es gilt das gesprochene Wort)



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