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Wir alle sollten einstehen für ein Land, in dem alle Menschen, gleich welcher Herkunft, Hautfarbe. Religion, geschlechtlicher Identität und sexuellen Orientierung, ohne Angst und sicher leben können.“

Rede von Henny Engels (LSVD-Bundesvorstand) beim Romaday am 07.04.2019

Als die Nazis die Kommunisten holten, habe ich geschwiegen; ich war ja kein Kommunist. Als sie die Sozialdemokraten einsperrten, habe ich geschwiegen; ich war ja kein Sozialdemokrat. Als sie die Gewerkschafter holten, habe ich geschwiegen, ich war ja kein Gewerkschafter. Als sie die Katholiken holten, habe ich nicht protestiert: Ich war ja kein Katholik. Als sie mich holten, gab es keinen mehr, der protestieren konnte.“

Dieses Zitat stammt von Martin Niemöller, dem evangelischen Pfarrer, der als Mitglied der Bekennenden Kirche Widerstandskämpfer im nationalsozialistischen Deutschland und von 1938 – 1945 in verschiedenen Konzentrationslagern inhaftiert war. Ich habe es ausgewählt, weil es kurz und prägnant etwas ausdrückt, was auch in unseren Zeiten von enormer Bedeutung ist.

Wir haben uns heute hier versammelt, um der im Nationalsozialismus verfolgten, gequälten und ermordeten Sinti und Roma zu gedenken. Anlass ist der Welt-Roma-Tag, der an die Anfänge der internationalen Roma-Bürgerrechtsbewegung mit dem ersten Welt-Roma-Kongress am 8.April 1971 erinnert. Sinti und Roma nahmen mit diesem Schritt die Vertretung ihrer Interessen selbst in die Hand – dies gilt es immer wieder zu würdigen.

Wir sind aber auch hier, um deutlich zu machen, dass Erinnern allein nicht reicht. Denn auch heute werden so genannte Minderheiten ausgegrenzt, diskriminiert, verfolgt, mit Gewalt bedroht, getötet – und das nicht nur in Ländern weit weg, sondern auch hier, in diesem Land, das eines der reichsten der Welt ist. In einem Land, das stolz ist auf seine Demokratie und Weltoffenheit. Aber, um es salopp zu sagen: „Wir wollen es mit der Offenheit nicht übertreiben“ – das hören wir in den letzten Jahren vermehrt. „Wir wollen nicht zulassen, dass so genannte Dahergelaufene unsere Ruhe stören“ und, was vermutlich für viele noch schlimmer ist, „unseren Wohlstand gefährden“ – das hören wir auch. Den Wohlstand, den wir – will man manchen Zeitgenoss*innen glauben – ganz allein und ohne fremdes Zutun geschaffen haben.

Wie weltvergessen kann eine oder einer sein, die / der das behauptet und vergisst, dass viele Menschen unterschiedlicher Herkunft, Kultur, Religion, Hautfarbe, sexueller Identität dieses Land zu dem gemacht haben, was es heute ist. Damit meine ich nicht nur den Wohlstand, sondern auch und in besonderer Weise die Tatsache, dass wir in einem Land leben, dessen Kultur – sei es die bildende Kunst, das Theater, der Film oder auch schlicht das Essen – bunter und vielfältiger geworden ist durch die, die hinzugekommen sind. Gerade Sinti und Roma haben hier über Jahrhunderte unverwechselbare Beiträge geleistet und tun es heut noch – dafür herzlichen Dank.

Wir stehen hier als Bündnis für die Solidarität mit den Sinti und Roma Europas – und das aus einem schlimmen Grund: Sinti und Roma – seien sie in Deutschland geboren oder aus anderen Ländern zu uns gekommen – sind eine der so genannten Minderheiten, die in besonderer Weise der Ausgrenzung und Diskriminierung ausgesetzt sind.

Wir stehen hier als Bündnis aber auch aus einem guten Grund: Wir haben erkannt, dass es nicht den so genannten Minderheiten überlassen werden darf, für ihre eigene Menschenwürde einzustehen. Das gilt für Sinti und Roma ebenso wie für Lesben, Schwule, bisexuelle, trans- und intergeschlechtliche Menschen . Dabei sollte man natürlich nicht so tun, als ob beide Gruppen nichts miteinander zu tun haben. Denn selbstverständlich gibt es auch lesbische,schwule, bisexuelle, trans- und intergeschlechtliche Sinti und Roma . Wir alle haben erfahren, dass die Menschenwürde so genannter Minderheiten nur dann eine Chance hat, gewahrt zu bleiben, wenn wir füreinander einstehen – und nicht zuerst überprüfen, ob wir selbst zu der gerade angesprochenen Gruppe gehören. Sonst könnte es uns so ergehen wie Martin Niemöller.

Vielleicht haben sie sich gefragt, warum ich von so genannten Minderheiten spreche. Nun, ich glaube, dass die ausgrenzende Rede von Minderheiten einer der Spaltpilze ist, die uns als Gesellschaft schadet. Besonders, weil als Minderheit immer solche Gruppen bezeichnet werden, die scheinbar Probleme machen, in Wirklichkeit aber Probleme haben, die ihnen nicht selten von der so genannten Mehrheitsgesellschaft bereitet werden. Für die Superreichen in unserem Land, die wahrlich nicht die Mehrheit sind, höre ich solche Bezeichnung eher nicht.

Aber: Nicht allein Furcht sollte uns Ansporn sein. Nein! Wir alle sollten einstehen für ein Land, in dem alle Menschen, gleich welcher Herkunft, Hautfarbe. Religion, geschlechtlicher Identität und sexuellen Orientierung, ohne Angst und sicher leben können. Wir stehen gemeinsam ein für ein Land, das vielfältig und bunt ist. Wir leisten damit einen unersetzlichen Dienst, damit dieses Land das wird, was es sein will: Eine wirkliche Demokratie.

 



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