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Hirschfeld-Eddy-Stiftung Veranstaltungen

Wir fordern keine Minderheitenrechte, sondern einen wirksamen Schutz der Menschenrechte aller – unabhängig von Herkunft, Hautfarbe, Religion, Geschlecht oder eben sexueller Identität.”

Europa-Staatsminister Michael Roth (c) LSVD/ Caro Kadatz

Dokumentation der Rede von Europa-Staatsminister Michael Roth zur Eröffnung der gemeinsam mit der Hirschfeld-Eddy-Stiftung organisierten Konferenz “Time to react – Zivilgesellschaftliche Handlungsspielräume stärken” (01.06.2017, Berlin)

Sehr geehrte Damen und Herren,

wohl kaum ein Thema ist in den vergangenen Jahren in Menschenrechtskreisen so viel diskutiert worden wie der schwindende Raum der Zivilgesellschaft. Das klingt zunächst eher harmlos, fast technisch. Schwindender Raum – dabei denkt man zunächst an NGOs, die sich mit den organisatorischen Widrigkeiten des Alltags herumschlagen: die Kosten für qualifizierte Mitarbeiter steigen, die bezahlbaren Büroräume werden rarer, die Abgabefristen für Projektanträge kürzer, die Formulare werden länger und immer komplizierter.

Tatsächlich verbirgt sich hinter diesem Stichwort aber viel mehr. So viel mehr, dass ich mich manchmal frage, ob wir nicht unsere Wortwahl ändern müssten. Es geht eben nicht nur um organisatorische Widrigkeiten. Es geht um Unterdrückung und Verfolgung, um massive Menschenrechtsverletzungen gegen all jene, die sich für Rechtsstaatlichkeit und Toleranz, für eine lebendige Demokratie und eine vielfältige Gesellschaft einsetzen.

Es geht um Aktivistinnen und Aktivisten, die schikaniert und drangsaliert werden, die inhaftiert oder misshandelt werden.

In vielen Ländern der Welt haben wir in den vergangenen Jahren erlebt, wie durch neue Gesetze die Arbeit der Zivilgesellschaft behindert und erschwert wird. Nichtregierungsorganisationen wird die Annahme von Geldern aus dem Ausland erschwert oder gar verboten. Und das obwohl diese Mittel notwendig sind, um die Arbeit vor Ort überhaupt aufrecht zu halten.

NGOs werden per Gesetz als „ausländische Agenten“ verunglimpft, gar in die Nähe des Hochverrats gerückt – dabei kämpfen diese Organisationen doch für das genaue Gegenteil: Sie wollen ihrem Land nicht schaden. Sie wollen es besser machen und voranbringen.

In viel zu vielen Ländern wird die Meinungs‑, Presse- und Versammlungsfreiheit eingeschränkt, manchmal  mit Verweis auf die öffentliche Ordnung oder die „harmonische Gesellschaft“, manchmal unter bizarren Vorwänden wie dem Jugendschutz.

Auch die Unabhängigkeit der Justiz und das Recht auf einen fairen Gerichtsprozess werden in immer mehr Ländern eingeschränkt. Hinzu kommen Schmäh- und Hetzkampagnen, um Menschen, die couragiert für Menschenrechte eintreten, zu diffamieren und kriminalisieren.

Bisweilen erscheint es wie ein Wettlauf: Einerseits haben wir heute auf der ganzen Welt stärkere, selbstbewusstere und besser vernetzte Zivilgesellschaften als jemals zuvor. Gleichzeitig werden jedoch die Versuche, sie zum Schweigen zu bringen, immer perfider und ausgeklügelter.

Wir beobachten diese Entwicklungen in einer Vielzahl von Autokratien – wir werden heute einige Beispiele dazu hören – aber auch in Demokratien. Ja, selbst in einigen Mitgliedstaaten der EU sehen wir leider entsprechende Tendenzen, die immer wieder gegen unsere gemeinsamen Werte verstoßen. Hier dürfen wir nicht wegschauen! Wir müssen dagegenhalten! Diejenigen, die sich für den Schutz der Menschenrechte einsetzen, brauchen unseren Schutz, unsere Solidarität und unsere Unterstützung für ihre mutige, engagierte Arbeit.

Nachhaltige Stabilität lässt sich nicht erreichen ohne eine freie Zivilgesellschaft und die Achtung der Menschenrechte. Ein freier Dialog mit den verschiedenen Gruppen der Zivilgesellschaft stellt mitnichten ein Risiko für die Sicherheit eines Landes dar. Im Gegenteil: Freie Meinungsäußerung stärkt eine Gesellschaft und macht sie widerstandsfähiger.

All dies gilt für die unterschiedlichsten Repräsentanten der Zivilgesellschaft: Für Umweltaktivistinnen und Umweltaktivisten, für Frauenrechtlerinnen und Frauenrechtler, Künstlerinnen und Künstler, für Akademikerinnen und Akademiker, für Journalistinnen und Journalisten und für Anwältinnen und Anwälte.

Bei einem Thema jedoch spitzt sich die Lage ganz besonders dramatisch zu: LGBTI. Die konkrete Situation von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Trans- und Intersexuellen ist wie ein Seismograph für die allgemeine Menschenrechtslage in einem Land. In Ländern, in denen der Staat Menschen wegen ihrer sexuellen Identität diskriminiert und verfolgt, geht das in aller Regel einher mit einem breiten Angriff auf die Freiheitsrechte der Bürgerinnen und Bürger. Andererseits erleben wir in Staaten, die sich entschieden gegen Diskriminierung von LGBTI einsetzen, regelmäßig auch Fortschritte in der allgemeinen Menschenrechtslage.

Es ist sicher kein Zufall, dass sich gerade beim Thema der LGBTI-Rechte diese Diskussion immer wieder zuspitzt. Die Frage, wen sie oder er liebt, berührt die Persönlichkeit eines Menschen in ganz besonderer Weise. Ein Staat, der sich anmaßt, in diesen elementaren Kern der Privatsphäre seiner Bürger einzugreifen, wird auch sonst keine Grenzen für seinen Zugriff akzeptieren.

Was tut die Bundesregierung ganz konkret, um die Zivilgesellschaft global zu stärken? Wir treten dem schwindenden Raum der Zivilgesellschaft weltweit entgegen und unterstützen bedrängte Menschenrechtsverteidigerinnen und ‑verteidiger durch eine Vielzahl von Projekten.

Im Norden Russlands unterstützen wir beispielsweise den Aufbau eines LGBTI-Netzwerks mit juristischen Schulungen. In der Ukraine fördern wir eine LGBTI-Organisation, die mit kreativen Mitteln in der Öffentlichkeit für Toleranz und Respekt wirbt.

In Nigeria, der Elfenbeinküste, im Baltikum und in Südosteuropa ermöglichen wir Treffen mit LGBTI-Aktivistinnen und Aktivisten in den Räumen unserer Auslandsvertretungen und fördern die lokalen Netzwerke. Bei fragwürdigen Prozessen entsenden wir Beobachter in den Gerichtssaal.

Und natürlich sprechen wir das Thema regelmäßig im Dialog mit anderen Regierungen an. Mal mit deutlichen öffentlichen Worten, die Missstände klar benennen – wie etwa zuletzt angesichts der schockierenden Berichte über schwerste Menschenrechtsverletzungen gegen Homosexuelle in Tschetschenien.

In anderen Fällen suchen wir eher das direkte Gespräch hinter verschlossenen Türen. Wir gehen dabei stets so vor, wie es die besondere Lage erfordert und wir den Betroffenen am besten helfen können. Denn unser oberster Leitsatz ist: Wir wollen denjenigen, die wir vor Menschenrechtsverletzungen schützen wollen, keinen Schaden zufügen.

Opfern von Menschenrechtsverletzungen nachhaltig zu helfen, gelingt nur selten mit dem Lautsprecher, sondern bisweilen eher im vertraulichen Gespräch. Und dafür müssen wir auch mit den ganz besonders schwierigen Partnern reden – mit China, Iran, Saudi-Arabien oder auch der Türkei. Beziehungen abbrechen, Reisen absagen und Belehrungen über die heimischen Medien erteilen – wer glaubt, dass Außenpolitik so funktioniert, der irrt.

Wir stimmen uns dabei eng mit Vertreterinnen und Vertretern der Zivilgesellschaft ab, denn oft können diese viel besser einschätzen, welche Strategie im jeweiligen Land am erfolgversprechendsten ist. Dafür brauchen wir Partner, die beharrlich und mutig an ihrem Thema arbeiten. Hier im Saal sind Vertreterinnen und Vertreter einiger unserer wichtigsten zivilgesellschaftlichen Partner, in Deutschland wie im Ausland. Ihnen danke ich für die gute Zusammenarbeit und für Ihren Rat!

Bei unserem Einsatz für LGBTI-Rechte hören wir immer wieder deutliche Kritik. Habt ihr keine anderen Probleme? Ist der Einsatz für „diese Minderheiten” wirklich sinnvoll, wirklich notwendig? Warum brauchen wir überhaupt Sonderrechte und Privilegien für Minderheiten?

Umso wichtiger, dass wir immer wieder klar machen: Wir fordern keine Minderheitenrechte, sondern einen wirksamen Schutz der Menschenrechte aller – unabhängig von Herkunft, Hautfarbe, Religion, Geschlecht oder eben sexueller Identität. Das ist kein Luxus, sondern die Verwirklichung eines Grundsatzes, auf den wir uns schon vor fast 70 Jahren geeinigt haben: „Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren.“ So lautet Artikel 1 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte von 1948. Vielleicht ist das einer der wichtigsten Sätze, der jemals aufgeschrieben worden ist.

Ein hoher Anspruch – der leider auch heute noch weit von der Realität entfernt ist. Andererseits haben wir durchaus Grund zu Optimismus. In den vergangenen Jahren gab es durchaus auch beeindruckende Fortschritte. Auf allen Kontinenten gibt es ermutigende Entwicklungen – sei es in Südafrika oder Uruguay, in Nepal oder in Montenegro.

So wichtig es ist, Diskriminierung aus den Gesetzestexten zu streichen, noch wichtiger ist, sie aus den Köpfen zu bekommen. Erfreulicherweise steigt in vielen Staaten die Zustimmung in der Öffentlichkeit für LGBTI-Rechte. In den vergangenen Jahren habe ich an Pride Parades in Bukarest und Belgrad teilgenommen, am 8. Juli werde ich in Budapest sein – noch vor wenigen Jahren wären solche Veranstaltungen in diesen Städten undenkbar gewesen.

Und wo stehen wir in Deutschland? Das Auswärtige Amt ist nun nicht unbedingt der Ort, um die deutsche Innenpolitik zu beleuchten.

Aber wir müssen uns auch selbst kritisch befragen und prüfen: Wie steht es bei uns um die Umsetzung von Menschenrechten? Es gehört zu unserem Selbstverständnis als weltoffenes und tolerantes Haus, dass wir uns für mehr Verständnis und Akzeptanz gegenüber Minderheiten jeder Art einsetzen. In Berlin und Bad Hersfeld eben genauso wie in Budapest, Sankt Petersburg oder Timbuktu.

Gleichgeschlechtliche Paare dürfen hierzulande seit 2001 eine eingetragene Lebenspartnerschaft eingehen. Sehr viel hat sich seitdem getan. Immer wieder mussten der Politik von Gerichten Beine gemacht werden. Die Öffnung der Ehe für alle ist nicht möglich. Noch nicht. Leider! Nun verrate ich Ihnen sicher kein Geheimnis: Zwischen den Koalitionsparteien gibt es in dieser Frage unterschiedliche Auffassungen.

Aber die völlige Gleichberechtigung durch die Öffnung der Ehe für alle wird auch in Deutschland sehr bald kommen. Da bin ich mir deshalb so sicher, weil es zwar noch keine politische Mehrheit, dafür aber eine stabile gesellschaftliche Mehrheit gibt.

Wir wollen den Rückenwind nutzen, den wir hier in Deutschland und weltweit spüren, um denjenigen beizustehen, in deren Heimatländern der Gegenwind stärker wird. Sorgen wir gemeinsam dafür, dass der hohe Anspruch der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte weltweit Realität wird. Für alle! Kämpfen wir dafür, dass der Raum der Zivilgesellschaft für ihren mutigen und wichtigen Einsatz nicht weiter schrumpft, sondern dass er wächst. Wie uns dies am besten gelingt, das wollen wir heute mit Ihnen diskutieren.

Vielen Dank!

(Es gilt das gesprochene Wort)

 

Foto: Caro Kadatz / Hirschfeld-Eddy-Stiftung



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