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Wir sollten jedes Jahr diese Auseinandersetzung suchen – damit wir nicht vergessen, dass wir das nicht vergessen dürfen“

Dokumentation der Rede von Henny Engels (Sprecherin Bündnis für Demokratie und Toleranz am Ort der Vielfalt Marzahn-Hellersdorf und Mitglied im LSVD-Bundesvorstand) auf dem Parkfriedhof Marzahn am 26.1.2019, anlässlich des 74. Jahrestages der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz.

Wir gedenken hier und heute der Opfer der Verbrechen, die das nationalsozialistische Deutschland an Millionen von Menschen beging. Wir gedenken der 6 Millionen ermordeten Jüd*innen, die in den Vernichtungslagern oder bei Massenerschießungen den Tod fanden. Wir gedenken der 500.000 ermordeten Kinder, Frauen und Männer der Sinti und Roma. Wir gedenken ermordeter Gegner*innen des NS-Regimes aus der Arbeiterbewegung, der kommunistischen Partei, der sozialdemokratischen Partei, den christlichen Kirchen, der Jugendbewegung. Wir gedenken der mehr als 300.000 im Rahmen des so genannten Euthanasieprogramms ermordeten Frauen, Kinder und Männer. An ihr Schicksal erinnert die Ausstellung „Töten aus Überzeugung“ ab dem 1. Februar in der Volkshochschule des Bezirks. Wir gedenken der ermordeten Schwulen und Lesben. Wir gedenken der ermordeten und zu Tode gepeinigten Zwangsarbeiter*innen; 1400 von ihnen sind auf diesem Friedhof bestattet. Und wir gedenken der Millionen Männer, Frauen und Kinder, die durch den von Deutschland begonnenen Krieg den Tod fanden.

Wir gedenken aber auch der vielen Überlebenden z.B. der Konzentrationslager, die sich ihr Leben lang mit der Frage quälten: „Warum habe ich überlebt, während meine Mutter, mein Vater, meine Tochter, mein Sohn, meine Schwester, mein Bruder sterben musste?“ Diese Menschen haben überlebt – aber mit einem Trauma weitergelebt, das für uns, die wir hier stehen, wohl kaum vorstellbar ist. Einem Trauma, das bis heute weiterwirkt, weil viele der Überlebenden es – ungewollt und unbewusst – ihren Kindern und Enkelkindern weitergegeben haben.
Der Völkermord des nationalsozialistischen Deutschlands war einzigartig – nie zuvor hatte ein Land die Verfolgung und Vernichtung bestimmter Bevölkerungsgruppen und deren industrielle Ermordung staatlich verordnet. All dies geschah nicht im Verborgenen – Nachbar*innen verschwanden am helllichten Tag, Mitschüler*innen waren plötzlich nicht mehr da. Und die vorbereitenden Maßnahmen zum allmählichen Ausschluss der jüdischen Bevölkerung aus bestimmten Berufen, aus dem öffentlichen Dienst, den Universitäten konnte nur denjenigen verborgen bleiben, die Augen und Ohren fest verschlossen hielten.

Nach der bedingungslosen Kapitulation des Deutschen Reiches und der Befreiung wurde wohl kaum ein Satz so oft gesprochen wie das „Nie wieder“. Der aber stand in einem merkwürdigen Widerspruch zum Umgang mit der eigenen Geschichte. Zumindest in Westdeutschland blieb die Aufarbeitung der Verbrechen halbherzig, stand der Wiederaufbau im Vordergrund, sahen diejenigen, die auf einer ehrlichen Auseinandersetzung mit dem Geschehenen beharrten, sich Angriffen und Beschimpfungen ausgesetzt. In der DDR galt der Antifaschismus als Staatsdoktrin – aber im Gedenken wurden zwischen den verschiedenen Opfergruppen deutliche Unterschiede gemacht. Und, für etliche der Opfergruppen war 1945 längst nicht alles vorbei. Ich erinnere an die auch nach 1945 geltende Strafbarkeit homosexueller Handlungen. Zwar wurden in der DDR seit 1957 entsprechende Handlungen nicht mehr verfolgt; der § 175 behielt aber bis 1988 seine Gültigkeit. In Westdeutschland wurde der § 175 zweimal entschärft, aber erst 1994 wurde er endgültig abgeschafft. Auch Sinti und Roma wurden weiter diskriminiert – und werden es heute noch.
Es ist gut und richtig, dass wir uns heute erinnern – aber wir dürfen nicht beim Erinnern stehen bleiben. Gerade uns Deutsche verpflichtet unsere Geschichte, gegen jede Form gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit aufzustehen und Widerstand zu leisten. Diese Menschenfeindlichkeit beginnt nicht beim tätlichen Angriff auf einen Juden, der mit einer Kippa durch unsere Stadt läuft. Sie beginnt nicht mit dem tätlichen Angriff auf eine Muslima, die mit Kopftuch im Bus sitzt. Sie beginnt nicht mit dem tätlichen Angriff auf Bewohner*innen einer Unterkunft für Asylbewerber*innen. Sie beginnt nicht mit dem tätlichen Angriff auf einen schwarzen Deutschen. Sie beginnt nicht mit tätlichen Angriffen auf Politiker*innen gleich welcher Partei. Sie beginnt bei verunglimpfender Rede, beim Ausschluss aus sozialen Zusammenhängen, bei Diskriminierung, bei Hetzkommentaren und Hassreden.

Das Bündnis für Demokratie und Toleranz am Ort der Vielfalt Marzahn-Hellersdorf stellt sich mit seinen Aktivitäten dieser Verpflichtung. Im vergangenen Jahr haben wir in einer Gedenkwoche anlässlich des 80. Jahrestages der Novemberpogrome Menschen, besonders junge Menschen, aus unserem Bezirk eingeladen, sich mit diesem Kapitel deutscher Geschichte auseinanderzusetzen und der Frage nachzugehen, welche Konsequenzen sich daraus für heute ergeben. Mich hat am meisten die Aussage einer Schülerin beeindruckt, die sagte: „Wir sollten jedes Jahr diese Auseinandersetzung suchen – damit wir nicht vergessen, dass wir das nicht vergessen dürfen“. Als Bündnis treten wir ein für eine bunte, vielfältige Gesellschaft, in der jede und jeder gut und sicher leben kann; gleich woher sie oder er kommt, welche Hautfarbe, Religion oder Weltanschauung, welche geschlechtliche Identität oder sexuelle Orientierung sie oder er hat. So, nur so wird das „Nie wieder“ glaubwürdig. Nur so wird es tatsächlich nie wieder geschehen. Ich lade Sie ein, sich uns anzuschließen.

Wir gedenken hier und heute der Opfer der Verbrechen, die das nationalsozialistische Deutschland an Millionen von Menschen beging. Wir gedenken der 6 Millionen ermordeten Jüd*innen, die in den Vernichtungslagern oder bei Massenerschießungen den Tod fanden. Wir gedenken der 500.000 ermordeten Kinder, Frauen und Männer der Sinti und Roma. Wir gedenken ermordeter Gegner*innen des NS-Regimes aus der Arbeiterbewegung, der kommunistischen Partei, der sozialdemokratischen Partei, den christlichen Kirchen, der Jugendbewegung. Wir gedenken der mehr als 300.000 im Rahmen des so genannten Euthanasieprogramms ermordeten Frauen, Kinder und Männer. An ihr Schicksal erinnert die Ausstellung „Töten aus Überzeugung“ ab dem 1. Februar in der Volkshochschule des Bezirks. Wir gedenken der ermordeten Schwulen und Lesben. Wir gedenken der ermordeten und zu Tode gepeinigten Zwangsarbeiter*innen; 1400 von ihnen sind auf diesem Friedhof bestattet. Und wir gedenken der Millionen Männer, Frauen und Kinder, die durch den von Deutschland begonnenen Krieg den Tod fanden.
Wir gedenken aber auch der vielen Überlebenden z.B. der Konzentrationslager, die sich ihr Leben lang mit der Frage quälten: „Warum habe ich überlebt, während meine Mutter, mein Vater, meine Tochter, mein Sohn, meine Schwester, mein Bruder sterben musste?“ Diese Menschen haben überlebt – aber mit einem Trauma weitergelebt, das für uns, die wir hier stehen, wohl kaum vorstellbar ist. Einem Trauma, das bis heute weiterwirkt, weil viele der Überlebenden es – ungewollt und unbewusst – ihren Kindern und Enkelkindern weitergegeben haben.
Der Völkermord des nationalsozialistischen Deutschlands war einzigartig – nie zuvor hatte ein Land die Verfolgung und Vernichtung bestimmter Bevölkerungsgruppen und deren industrielle Ermordung staatlich verordnet. All dies geschah nicht im Verborgenen – Nachbar*innen verschwanden am helllichten Tag, Mitschüler*innen waren plötzlich nicht mehr da. Und die vorbereitenden Maßnahmen zum allmählichen Ausschluss der jüdischen Bevölkerung aus bestimmten Berufen, aus dem öffentlichen Dienst, den Universitäten konnte nur denjenigen verborgen bleiben, die Augen und Ohren fest verschlossen hielten.

Nach der bedingungslosen Kapitulation des Deutschen Reiches und der Befreiung wurde wohl kaum ein Satz so oft gesprochen wie das „Nie wieder“. Der aber stand in einem merkwürdigen Widerspruch zum Umgang mit der eigenen Geschichte. Zumindest in Westdeutschland blieb die Aufarbeitung der Verbrechen halbherzig, stand der Wiederaufbau im Vordergrund, sahen diejenigen, die auf einer ehrlichen Auseinandersetzung mit dem Geschehenen beharrten, sich Angriffen und Beschimpfungen ausgesetzt. In der DDR galt der Antifaschismus als Staatsdoktrin – aber im Gedenken wurden zwischen den verschiedenen Opfergruppen deutliche Unterschiede gemacht. Und, für etliche der Opfergruppen war 1945 längst nicht alles vorbei. Ich erinnere an die auch nach 1945 geltende Strafbarkeit homosexueller Handlungen. Zwar wurden in der DDR seit 1957 entsprechende Handlungen nicht mehr verfolgt; der § 175 behielt aber bis 1988 seine Gültigkeit. In Westdeutschland wurde der § 175 zweimal entschärft, aber erst 1994 wurde er endgültig abgeschafft. Auch Sinti und Roma wurden weiter diskriminiert – und werden es heute noch.
Es ist gut und richtig, dass wir uns heute erinnern – aber wir dürfen nicht beim Erinnern stehen bleiben. Gerade uns Deutsche verpflichtet unsere Geschichte, gegen jede Form gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit aufzustehen und Widerstand zu leisten. Diese Menschenfeindlichkeit beginnt nicht beim tätlichen Angriff auf einen Juden, der mit einer Kippa durch unsere Stadt läuft. Sie beginnt nicht mit dem tätlichen Angriff auf eine Muslima, die mit Kopftuch im Bus sitzt. Sie beginnt nicht mit dem tätlichen Angriff auf Bewohner*innen einer Unterkunft für Asylbewerber*innen. Sie beginnt nicht mit dem tätlichen Angriff auf einen schwarzen Deutschen. Sie beginnt nicht mit tätlichen Angriffen auf Politiker*innen gleich welcher Partei. Sie beginnt bei verunglimpfender Rede, beim Ausschluss aus sozialen Zusammenhängen, bei Diskriminierung, bei Hetzkommentaren und Hassreden.

Das Bündnis für Demokratie und Toleranz am Ort der Vielfalt Marzahn-Hellersdorf stellt sich mit seinen Aktivitäten dieser Verpflichtung. Im vergangenen Jahr haben wir in einer Gedenkwoche anlässlich des 80. Jahrestages der Novemberpogrome Menschen, besonders junge Menschen, aus unserem Bezirk eingeladen, sich mit diesem Kapitel deutscher Geschichte auseinanderzusetzen und der Frage nachzugehen, welche Konsequenzen sich daraus für heute ergeben. Mich hat am meisten die Aussage einer Schülerin beeindruckt, die sagte: „Wir sollten jedes Jahr diese Auseinandersetzung suchen – damit wir nicht vergessen, dass wir das nicht vergessen dürfen“. Als Bündnis treten wir ein für eine bunte, vielfältige Gesellschaft, in der jede und jeder gut und sicher leben kann; gleich woher sie oder er kommt, welche Hautfarbe, Religion oder Weltanschauung, welche geschlechtliche Identität oder sexuelle Orientierung sie oder er hat. So, nur so wird das „Nie wieder“ glaubwürdig. Nur so wird es tatsächlich nie wieder geschehen. Ich lade Sie ein, sich uns anzuschließen.

Es gilt das gesprochene Wort.



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