Speziell Transfrauen aber auch andere Angehörige der LGBTI-Community sind in Kolumbien alltäglich vielfältiger Diskriminierung und Gewalt ausgesetzt. Darüber berichtete die Stipendiatin des Instituts für Auslandsbeziehungen (ifa), Mauri Balanta Jaramillo, in einem Webtalk mit Klaus Jetz, dem Geschäftsführer des Lesben- und Schwulenverbandes LSVD, an dem rund 50 Personen teilnahmen. Eigentlich hätte sie drei Monate im LSVD-Büro mitgearbeitet, das ist aber wegen der Coronapandemie nicht möglich, weshalb sie sich wöchentlich per Internet mit Jetz austauscht. Die Situation in Kolumbien kennt Balanta Jaramillo aus erster Hand, denn sie ist Bildungsreferentin und Koordinatorin des Kulturzentrums „El chontaduro“ (http://www.casaculturalelchontaduro.com), und sie ist selbst schwarz und queer.
„El Chontaduro“ liegt in Aguablanca, einem Außenbezirk im Osten Calis. Cali ist die drittgrößte Stadt Kolumbiens und beherbergt nach Salvador de Bahia in Brasilien die größte schwarze Community Lateinamerikas. In dem Armenviertel Aguablanca stellen die Afrokolumbianer*innen die Mehrheit. Im Laufe des Konfliktes von Militär, Paramilitär und Guerilla von der pazifischen Küste des Landes vertrieben, ließen sie sich zunächst unter einfachsten Bedingungen dort nieder und sind nun (erneut) rassistischer Diskriminierung und Gewalt ausgesetzt.
Nach Aussage Balanta Jaramillos werden Transpersonen im Schnitt nur 35 Jahre alt, die Zahl tödlicher Übergriffe ist hoch. Allein in diesem Jahr wurden in Kolumbien bereits 30 Transpersonen ermordet. Schlagzeilen machte der Tod von Juliana Giraldo, einer indigenen Transfrau vom Land, die im September von einem Soldaten erschossen wurde. In den letzten 27 Jahren wurden, laut der Internetplattform Colombia Diversa, insgesamt 2.013 Menschen Opfer von Gewalt gegen LGBTI, im Zeitraum von 1993 bis 2018 wurden 1.253 LGBTI umgebracht, viele von ihnen in der Provinz Valle Cauca, zu der auch Cali gehört.
„El Chontaduro“ betreibt Aufklärungs- und Sozialarbeit und fördert das kulturelle Leben des Viertels, gleichzeitig ist es ein Ort des Empowerments: „Das Kulturzentrum hat sich in eine Referenz verwandelt für justicia espacial ebenso wie für politische Emanzipation und den Kampf für die Jugend, Frauen, Diversität und verschiedene Identitäten sowie schwarze Menschen in diesem Teil Calis. Dabei stützen wir uns auf Bildung, Feminismus und Antirassismus“, erzählt Balanta Jaramillo. Sie selbst ist außerdem Teil einer Gruppe, die dort zu Intersektionalität forscht, das heißt, was es bedeutet – wie sie — gleichzeitig schwarz, queer und arm zu sein und so gleich in mehrfacher Hinsicht Ressentiments und Hass von Teilen der kolumbianischen Gesellschaft ausgesetzt zu sein.
Auch Balanta Jaramillo selbst wurde vor drei Jahren an ihrem Arbeitsplatz, einer Bibliothek, Opfer von Gewalt. Als sie danach Anzeige erstattete, wurde weder noch ihr Geschlecht vermerkt, noch dass sie schwarz ist. Insgesamt geben die kolumbianischen Statistiken wenig Aufschluss über rassistische und sexistische Gewalt und die Motive der Täter, kritisiert sie.
Widerstand und außerdem Empowerment für schwarze Menschen und / oder schwule, lesbische, bi‑, trans- oder intergeschlechtliche Personen leisten darüber hinaus landesweit diverse Kollektive. Besonders hebt Balanta Jaramillo dabei neben der Organisation „Somos identidad“ (Wir sind Identität; http://www.somosidentidad.org/), der afrokolumbianischen Jugendzeitschrift Matamba (https://www.flipsnack.com/MatambaRevista/10-edici-n-revista-afro-juvenil-matamba.html) und dem Künstler*innen-Zusammenschluss Colectivo Diverarte (https://www.facebook.com/diver.art.393) die Stiftung Red Comunitaria Trans (https://www.facebook.com/Red-Comunitaria-Trans-255992844505189/) hervor: „Sie hat es sich zur Aufgabe gemacht, die Einheit zwischen Transpersonen zu festigen, die von der Straße, der akademischen Warte und den sozialen Organisationen aus daran arbeiten, ein Gesetz zu schaffen (und durchzusetzen), das Transpersonen juristisch anerkennt“, erklärte sie. Seit 2011 existiere zwar mit dem Ley 1482 ein Antidiskriminierungsgesetz, das jegliche Diskriminierung unter Strafe stelle, die Realität ist jedoch immer noch eine andere.
Nach den Gründen dafür gefragt, verweist die Sozialforscherin auf das Erbe des Kolonialismus. „Der Staat selbst fördert ein traditionelles, heteronormatives Familienmodell mit allen seinen patriarchalen Werten“, erklärt sie. Dabei werde die Familie als Kern der Gesellschaft gesehen. Historische Erfahrungen und andere Modelle, etwa der schwarzen Bevölkerung, würden dagegen ausgeblendet. Einen weiteren wesentlichen Treiber sieht Balanta Jaramillo in der katholischen und apostolischen Kirche, die in den ärmeren Teilen der Bevölkerung immer noch einen großen Einfluss genießen.
Ein weiterer Hörer wollte wissen, ob sich die Situation unter dem konservativen Präsidenten Iván Duque verschlimmert habe. „Für uns, die wir diese historische Unterdrückung erleben, hat sich nicht viel geändert“, lautete die Antwort. „Allerdings zeigen uns die aktuellen Entwicklungen ein Erstarken aller Institutionen, die für Gewalt gegen uns plädieren.“
Inge Wenzl
Inge Wenzl ist Politologin und freie Journalistin u.a. für „neues deutschland“ und „der Freitag“.
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