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Zwischen Bürokratie und dekolonialem Anspruch: Masakhane

Erfahrungen aus 8 Jahren internationaler Projektbegleitung

Einleitung
Im April 2022 ist das Masakhane-Projekt nach 8 Jahren zu Ende gegangen. Es ist bisher das größte vom BMZ geförderte Vorhaben mit Fokus auf Menschenrechte von Lesben, Bisexuelle, Trans und Queers im Globalen Süden (Infos im Factsheet 4 „Masakhane“ der Hirschfeld-Eddy-Stiftung). 

Im November 2022 wurde der Aktionsplan „Queer leben“ von der Bundesregierung verabschiedet, mit zahlreichen Vorhaben zur Stärkung der LSBTIQ-Rechte und Teilhabe auch im internationalen Maßstab. 

Damit sich tatsächlich mehr, auch kleinere LSBTIQ Gruppen zukünftig in diese Arbeit einbringen, braucht es allerdings nach diesen wohlklingenden Ankündigungen auch genau dafür bereitgestellte Finanzen und eine deutliche Entbürokratisierung. Wir beschreiben hier unsere Erfahrungen als Projektbegleiterinnen des Masakhane-Projekts, um anderen an internationaler LSBTIQ-Arbeit Interessierten Einblicke zu geben und auch zum internationalen Engagement zu ermutigen.

Erstmal den Anfang schaffen

Sonja Schelper, filia.die Frauenstiftung,  © Hirschfeld-Eddy-Stiftung

Sonja Schelper (SoS): Die Forderung, auch in der Entwicklungszusammenarbeit spezifische Projekte für LSBTIQ zu fördern, ist schon sehr alt. Allerdings gab es diese so gut wie nicht. Als sich 2013 abzeichnete, dass es für die bisher vernachlässigte Gruppe von LSBTIQ im Globalen Süden eine größere Summe (500.000 €) geben könnte, stellte sich die Frage: Wer ist diesem komplizierten Antragsprozess gewachsen und wer kann die notwendigen Eigenmittel aufbringen?

Der LSVD als anerkannte deutsche Lobbyorganisation war natürlich geeignet, aber eigentlich kein internationaler Förderer und suchte also eine Partnerin. Uta Schwenke (damals im Bundesvorstand des LSVD) und ich, wir kannten und schätzten uns und kamen ins Gespräch, ob filia.die Frauenstiftung (deren Geschäftsführerin ich war) hier zusammenarbeiten könnten. Meine Bedingung war, dass es ein feministisches Projekt mit Fokus auf Lesben* sein müsste. Eigentlich hatte filia bis dahin mit dieser Art von Großprojekten mit öffentlichen Mitteln noch keine Erfahrung. Aber die Chance, mehr als eine halbe Million Euro für unsere Partnerinnen einsetzen zu können, hat enorme Energien bei mir freigesetzt, um die Zustimmung und auch die finanzielle Absicherung zu organisieren. filia hatte bereits in einem kleinen Projekt mit der Coalition of African Lesbians (CAL) kooperiert und konnte auch den Eigenanteil von damals 10% beisteuern. Nach einer langwierigen Antragstellung, unterstützt von Karin Heisecke startete das Masakhane-Projekt endlich im Februar 2014. Unsere Freude und Aufregung waren groß.

Es war ein komplexes Projekt, in dem Grassroot-LBQ-Gruppen in Botswana, Sambia und Simbabwe über die Coalition of African Lesbians gefördert wurden. CAL hatte noch nie selbst Förderungen vergeben, die Umsetzung erforderte daher regelmäßige Kommunikation und Abstimmung mit uns als Projektbegleiterinnen. Die Projektbegleitung wurde von Uta Schwenke und mir mit großem Engagement zumeist ehrenamtlich geleistet, denn es gab nur 4% Verwaltungskosten, unangemessen wenig.

Projektbegleitung – die eigene Rolle klären

Cornelia Sperling, LSVD, FLIP Frauenliebe im Pott e.V. © Hirschfeld-Eddy-Stiftung

Cornelia Sperling (CS): Ich bin ja 2017 beim Antrag für die 2. Projektphase eingestiegen, als die Länder Eswatini, Lesotho und Mosambik dazukamen, und war begeistert über die Zusammenarbeit mit der Coalition of African Lesbians. Von deren politischen Strategien und Einschätzungen über die geopolitischen Auseinandersetzungen zwischen dem Globalen Norden und Globalen Süden inklusive Instrumentalisierung des LGBTIQ-Themas und Pinkwashing habe ich viel gelernt. Schwierig war es für mich, die eigene beschränkte Rolle als Projektbegleiterin zu akzeptieren. Als wir im Juli 2019 während der Projektbetreuungsreise in Johannesburg mit CAL über die Lösung einiger Konflikte im Projekt sprachen, hast du hast mir geholfen zu reflektieren, als ich meine gewohnte Rolle als Projektentwicklerin einnahm und Vorschläge aufgrund meiner Erfahrungen einbringen wollte. Da kann man selbst sehr schnell in eine neokoloniale Haltung verfallen und meinen, man wisse es besser.

Ich habe dann gelernt, als Projektbegleiterin mich darauf zu konzentrieren, den Aktivistinnen* in den sechs Ländern den Rücken freizuhalten für ihre länderspezifische Arbeit. Und dafür war immer wieder ein kreativer Umgang mit den Regelungen des Ministeriums erforderlich. Da hast du, Sonja, in den 8 Jahren im Kontakt mit dem BMZ noch viel mehr Energien reinstecken müssen…

Intermediär sein – ganz schön schwierig

SoS: Im Antrag waren detaillierte Festlegungen gefordert: 3 Jahre im Voraus genau zu bestimmen, wie viele Workshops mit wie vielen Teilnehmenden bei welchen Kosten, wie viele Menschen aus welchen Zielgruppen erreicht werden würden, welche Produkte entstehen sollten – und auch wann.

Die tatsächliche Arbeit sah dann doch ziemlich anders aus: Sich mit den Partnerinnen* in den Ländern zusammenzufinden, Ziele und Schwerpunkte länderspezifisch zu bestimmen, dauerte sehr viel länger als zuvor geschätzt und auch die gewählten Schwerpunkte deckten sich nur teilweise mit dem Antrag. Wir lernten, dass die vielen vom BMZ geforderten Festlegungen uns nun zu arbeitsintensiven Änderungsanträgen zwangen und dass die zeitlichen Verzögerungen Strafzinsen seitens des BMZ nach sich zogen, die wiederum durch gut begründete Anträge auch wieder erlassen werden konnten. Manchmal ja, manchmal nein.

Die Energie, die wir immer wieder einsetzen mussten, um mit ängstlichen und die reale Lebenssituation von LBQ-Aktivistinnen* wenig kennenden Sachbearbeiter*innen zu Vereinbarungen zu kommen, war immens. Da wurde „well-being“ für traumatisierte Aktivistinnen* in Frage gestellt, weil Wellness und Saunabesuche hier ja auch nicht finanziert würden, Taxikosten sollten besonders begründet werden, weil doch öffentliche Verkehrsmittel zu nehmen seien (die es sehr häufig eben nicht gibt). Auch hatten die Gruppen meist keine Räume, um sich zu treffen, mussten also Restaurants/Hotels wählen und dann natürlich für Essen und Getränke zahlen – und das konnte nur über die Projektförderung passieren. So manches Mal war ich erst mit Uta Schwenke und in der 2. Phase dann mit dir, Cornelia, an Punkten, wo wir nach schlaflosen Nächten kurz davor waren, abbrechen zu wollen. Da hat sich aus meiner Sicht bewährt, dass wir zu zweit waren, eine Sparringspartnerin hatten und immer eine, die mehr die Ruhe bewahren konnte und fürs Weitermachen gestimmt hat.

Die Aktivistinnen* vor Ort sind die Expertinnen*

CS: Wir waren auch die Übersetzerinnen der umfangreichen Regelungen des BMZ für die Süd-Aktivistinnen* und mussten einige auch durchsetzen. Sonst wäre Geld gestrichen worden. Damit sind wir Teil des neokolonialen Systems, in dem der Norden bestimmt, was „gut“ für den Süden ist. Manchmal verzweifelte ich an meiner Verstrickung in die deutsche Entwicklungs-Politik. Gleichzeitig erfuhr ich, wie positiv es für die Stärkung der LBQ-Menschenrechtsverteidigerinnen* in den sechs Ländern war, diese finanziellen Ressourcen für ihre Arbeit nutzen zu können. Ich sagte mir: Wir bewegen uns in unlösbaren Widersprüchen. Aber wenn wir nicht aussteigen wollen, müssen wir uns innerhalb dieser Widersprüche positionieren, unsere Rolle selbstkritisch reflektieren und begrenzte Ziele setzen.

Sonja, ich finde, dass wir eine gute Positionierung gefunden haben: Konsequent die Aktivistinnen* vor Ort als die Expertinnen* sehen und danach handeln. Durch unsere monatlichen Zoom-Konferenzen mit den Masakhane-Verantwortlichen waren wir kontinuierlich im Austausch und haben immer mehr über den Kontext der Arbeit im südlichen Afrika verstanden. Wir konnten vertrauensvolle Beziehungen aufbauen, die sich auch in Konflikten als tragfähig erwiesen. Die tollen Ergebnisse der Arbeit im südlichen Afrika (siehe Fact-Sheet 4 „Masakhane“ der Hirschfeld-Eddy-Stiftung) sind auch Ergebnis unserer Lernprozesse, gute Bündnispartnerinnen zu werden!

Sich auch persönlich kennen lernen – Projektbesuche

SoS: Sehr wichtig für diese Positionierung war mir, die Partnerinnen* vor Ort bei Projektbesuchen zu treffen, ihre konkreten Lebensbedingungen und Arbeitsorte zu sehen, an Veranstaltungen teilnehmen zu können und die Kraft und Ernsthaftigkeit zu „spüren.“ Und sie – leider viel zu selten – auch zu uns einzuladen. Dadurch ist das gegenseitige Vertrauen gewachsen und ich war immer wieder sehr beeindruckt davon, dass in den Ländern viel mehr in Bewegung gekommen ist, als sich in ihren Berichten finden ließ.

Was muss sich ändern?

CS: Ja, der direkte Kontakt war auch für mich entscheidend, um Kontext und Bedarfe in den Ländern zu begreifen. Zusätzliche Treffen im Rahmen eines neu initiierten Partnerschaftsprojekts zwischen lesbischen* Basisgruppen in Deutschland und im südlichen Afrika waren da sehr hilfreich. Die Zivilgesellschaften im Süden haben das größte Potential, demokratische Veränderungen zu bewirken! Deshalb finde ich auch das Ziel „Strukturelle und nachhaltige Stärkung der Zivilgesellschaft im Süden“ so wichtig, das jetzt in Papieren der Bundesregierung formuliert ist (LSBTI-Inklusionskonzept für die auswärtige Politik und Entwicklungszusammenarbeit, Feministische Entwicklungszusammenarbeit). Die Realität ist aber noch weit davon entfernt und entspricht in der Regel den wirtschaftlichen Zielen, für deutsche Unternehmen Märkte abzusichern und neu zu erschließen.

Ein Beispiel dafür, wieviel sich in Zukunft ändern muss: Kürzlich scheiterte die zivilgesellschaftliche Einflussnahme auf eine vom BMZ beauftragte Studie mit Empfehlungen zur LGBTI-Politik der BRD im südlichen Afrika, weil das Beratungsunternehmen keine Vorschläge zur wirklichen Partizipation von Süd-Aktivist*innen akzeptierte. Z.B.: Aufträge an Expert*innen vor Ort geben statt Desktop-Recherche in Deutschland oder: Nutzung der Aktivist*innen-Kompetenz bei Interviews gegen ein angemessenes Honorar, was bei 250.000 € Vergütung möglich gewesen wäre. Bereits bei Ausschreibungen und dann bei der Durchführung von Studien, Länderberichten, Evaluierungen etc. muss es selbstverständlich werden, dass die Kompetenz der Aktivist*innen vor Ort einbezogen und honoriert wird. Auch deshalb sind mehr zivilgesellschaftliche internationale Projekte notwendig, um reale Verbindungen zu schaffen und die Lobby für die Zivilgesellschaft im Globalen Süden zu verstärken. Vielleicht können wir dann auch schwierigere „Brocken“ angehen – bei der Durchführung der Studie wurde vom BMZ unter damalige CSU-Leitung politisch eingegriffen und Empfehlungen für ein Land verhindert, in dem Homosexualität kriminalisiert ist, weil das die bilateralen Beziehungen belasten könnte.

SoS: Es kann nicht oft genug wiederholt werden: Wenn wir dekolonial und partnerschaftlich mit LGBTIQ-Gruppen und Akteur*innen aus dem Globalen Süden zusammenarbeiten wollen, dann sind im Globalen Norden ausgearbeitete Projektplanungen und Festlegungen, selbst wenn die Partner*innen vor Ort zugestimmt haben, wenig geeignet.

Die LGBTIQ-Gruppen und Aktivist*innen vor Ort brauchen Räume und finanzielle Mittel, um ihre eigene Agenda und inhaltliche Arbeit (weiter)entwickeln zu können, d.h. sie brauchen auch institutionelle Förderung über mehrere Jahre, die sie flexibel da einsetzen können, wo sie die für sie wichtigsten Einflussmöglichkeiten sehen. So können sie wachsen und als wichtige zivilgesellschaftliche Akteure nachhaltig strukturelle Verbesserungen erreichen. Eine Inklusion von LBGTIQ auf verschiedenen gesellschaftlichen Ebenen kann nur gelingen, wenn es entsprechend viele selbstbewusste Aktivist*innen und Gruppen gibt, die sich da einbringen.

Auch die Zusammenarbeit mit engagierten LSBTIQ Akteuren in Deutschland ist für Vernetzung und gegenseitiges Lernen unbedingt sinnvoll und sollte gestärkt werden. Dafür brauchen wir entschlackte Antragsprozesse und eine deutlich geringere finanzielle Eigenbeteiligung. Wenn die derzeitige Regelung, dass 25% der Mittel als Eigenmittel eingebracht werden müssen, beibehalten wird, führt das direkt zu einem Ausschluss von kleinen LSBTIQ-Gruppen, die aber gerade wegen ihrer Kompetenz und ihres inhaltlichen Engagements gute Partner*innen und Verbündete sein könnten.

Was uns besonders gefreut hat

In der Rückschau hat sich der Einsatz trotz aller Herausforderungen unbedingt gelohnt – sowohl politisch wie auch persönlich: Die Arbeit der LBQ-Aktivistinnen* geht auch nach dem Masakhane-Projektende weiter, es sind vielfältige neue Vernetzungen regional, national und auch international entstanden und es konnten auch neue Finanzquellen erschlossen werden.

Persönlich haben wir in all den politischen Debatten viel über feministische, intersektionale und dekoloniale Strategien dazugelernt und auch neue Freundschaften geschlossen.

Die Lust, uns weiter für die konkrete Ausgestaltung einer feministischen Außenpolitik und Entwicklungszusammenarbeit einzusetzen, ist sogar gewachsen.

Sonja Schelper, filia. die frauenstiftung
Cornelia Sperling, LSVD und FliP e.V.

Anregungen zum Weiterlesen:

  • Julia Schöneberg, Aram Ziai (Hrsg.): Dekolonisierung der Entwicklungszusammenarbeit und Postdevelopment-Alternativen, 2022
  • Sylvia Tamale: Decolonization and Afro-Feminism, 2020
  • Glokal e.V.: Das Märchen von der Augenhöhe – Macht und Solidarität in Nord-Süd-Partnerschaften, 2018
  • ASTRAEA, mama cash: Vibrant Yet Under-Resourced – The state of lesbian, bisexual and queer movements, 2020

Links:

Ein Beitrag im Rahmen des ProjektsDo no harm – Risiken für LSBTI in der internationalen Projektarbeit minimieren“ der Hirschfeld-Eddy-Stiftung. Alle Beiträge im Rahmen des Projekts sind im Blog unter dem Tag „DNH-2022“ zu finden.

BMJ
HES



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