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Das Erbe deutscher Missionare in Debatten um LSBTIQ* in Tansania: ‚Volksgewissen‘ oder ‚Teufelssittlichkeit‘?

Die Bischöfe der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Tansania (kurz auch ELCT) formulierten im Jahr 2010 in der sogenannten Dodoma-Erklärung: “Wir als Tansanier /Afrikaner haben unsere eigenen Werte und Kulturen, die sich im Laufe von Jahren gebildet haben, die unsere Lebensweise bestimmt haben und die nur Ehen zwischen Mann und Frau anerkennen“.

In dieser Erklärung verurteilten die Bischöfe gleichgeschlechtliche Ehen als ‚unafrikanisch‘. Außerdem verstehen sie Homosexualität als Ausdruck einer unmoralischen westlichen Moderne.

Die ELCT ist mit sieben Millionen Mitgliedern die zweitgrößte Lutherische Kirche der Welt. Immer wieder positionieren sich Bischöfe und Pfarrer*innen der ELCT öffentlich gegen die Rechte von LSBTIQ* in Predigten, Reden und Artikeln und tragen damit zu einer Politisierung des Themas in Tansania bei. Gegründet wurde die ELCT vor mehr als 100 Jahren von deutschen protestantischen Missionaren der Bethel‑, Berliner und Leipziger Mission während der deutschen Kolonialzeit. Welche Rolle spielt ihr diskursives Erbe noch heute in Positionierungen dieser Kirche?

Afrikanische Sexualität‘ im missionarischen Verständnis

Sexualität und Geschlechterverhältnisse waren für die Missionare der drei genannten protestantischen Missionswerke von Beginn an wichtige Themen in ihrer Arbeit. Besonders der Begriff der „Sittlichkeit“, der in den Quellen immer wieder auftaucht, spielte für sie als Bewertungsmaßstab der indigenen Verhältnisse eine wichtige Rolle. Ihm lag ein christliches Verständnis von Naturrecht zugrunde, das Sexualität ausschließlich zur Familiengründung und Fortpflanzung innerhalb der monogamen, heterosexuellen Ehe legimitierte. Weitere wichtige Elemente dieser Sittlichkeit waren die Konstruktion von Geschlechterdualität, ‚Triebunterdrückung‘ und Selbstbeherrschung. Die in ihren Missionsgebieten weit verbreitete Polygamie verstanden die Missionare als heidnisch und unvereinbar mit einer christlichen Sittlichkeit. Ihr Ideal war die ‚christliche Ehe’, die monogam, patriarchal, patrilokal, sexuell exklusiv, unauflöslich, freiwillig eingegangen und seit dem späten 19. Jahrhundert auch zunehmend kameradschaftlich sein sollte. Grundsätzlich galt für die Missionare alle Sexualität, die außerhalb der monogamen heterosexuellen Ehe ausgeübt wurde, als ‚Unzucht‘. Insgesamt gingen die Missionare der Berliner, Leipziger und Bethelmission von einer ‚afrikanischen Sexualität‘ aus, die sie als ‚primitiv‘ und ‚sinnlich‘ verstanden. Da Afrikaner*innen im missionarischen Denken die ‚Natur‘ repräsentierten, wurden sie als anfälliger für ‚Unzucht‘ als Europäer*innen angesehen. Europäische Sexualität wurde immer als höherstehend verstanden. Ausgehend von dieser Grundprämisse können aber zwei Denkströmungen unter den Missionaren ausgemacht werden, bei der die ‚afrikanische Kultur‘ jeweils eine unterschiedliche Rolle spielte. 

Volksgewissen‘?

In der ersten Denkströmung wurde die ‚afrikanische Kultur‘, mit der sich die deutschen Missionare konfrontiert sahen (bzw. so, wie sie sie interpretierten), als generell positiv, oder zumindest mit einem guten Kern verstanden, was auch Auswirkungen darauf hatte, wie die Missionare die Sexualität und Geschlechterordnung der indigenen Bevölkerung bewerteten. Der lutherische Pfarrer Ernst Johanssen, der mit Unterbrechungen von 1891–1929 für die Bethelmission im heutigen Tansania und Ruanda tätig war, formulierte dies so: „Mag die Unsittlichkeit auf geschlechtlichem Gebiet noch so gross sein, es gibt doch anerkannte Schranken, allgemein gültige Gesetze“. So gebe es bei den ‚Primitiven‘ in Afrika weder Lustmorde noch die Prostitution und auch die Blutschande sei verpönt, denn: „Das Volksgewissen lehnt sie ab und würde sie verurteilen und zwar aus einem innern Gefühl für das Unnatürliche dieser Zustände.“ Als größte Gefahr für die ursprünglichen guten Sitten wurde von diesen Missionaren die westliche Zivilisation identifiziert. So war Bruno Gutmann, ein einflussreicher und bis heute in der ELCT verehrter Missionar der Leipziger Mission, der Meinung, dass die alten Volkssitten es vermocht hätten, die Natur der Afrikaner*innen auf dem ‚geschlechtlichen Gebiet‘ zu bändigen. Die Begegnung mit der westlichen Zivilisation führe nun ohne das Christentum aber geradewegs in die Katastrophe. Da afrikanische Menschen als leicht beeinflussbar und eher als Kinder denn als Erwachsene angesehen wurden, sahen es die Missionare als ihre Pflicht an, sie vor diesem schädlichen Einfluss zu schützen. Das Christentum verstanden sie als notwendige Voraussetzung für eine ‚bodenständige afrikanische Kultur‘, die sittlich erhöht auch der irreligiösen, anorganischen westlichen Zivilisation trotzen könne. Durch das Christentum könnten sich Werte wie Keuschheit, Gehorsam und ‚sittsame Scham‘, die im afrikanischen ‚Volkstum‘ bereits angelegt seien, nun richtig entfalten. Die guten sexuellen Grundlagen mussten von den Missionaren dazu in die christliche, monogame Ehe überführt werden, wodurch sexuelle Missstände aus der Natur der Afrikaner*innen mitbeseitigt würden. So wurden in diesem Diskursmuster christlich-sittliche Moralvorstellungen von den Missionaren als authentische afrikanische Volkssitten konstruiert – wenn sie von ihnen auch erst von ihrem ‚heidnischen Schmutz‘ befreit werden mussten. Heterosexualität war für diese Missionare dabei so selbstverständlich Teil der afrikanischen Volkssitten, dass sie sie nicht einmal erwähnen mussten. Angesichts ihres geistig-religiösen Hintergrunds kann angenommen werden, dass sie Homosexualität als Teil der identifizierten westlichen Zivilisationsübel ansahen, die das ursprüngliche afrikanische ‚Volksgewissen‘ ablehne und vor der sie die ‚afrikanische Kultur‘ schützen mussten – eine Argumentation, die der heutigen vorherrschenden Position in der ELCT frappierend ähnlich ist.      

Teufelssittlichkeit?‘

Im zweiten identifizierten Diskursmuster wurde die ‚afrikanische Kultur‘ hingegen mit Schamlosigkeit, Unreinheit, Heidentum und überbordender Sexualität gleichgesetzt. Viele Missionare bezogen sich dabei auf die damals weitverbreitete „Hamitentheorie“, nach der Schwarze Menschen von Ham, einem der drei Söhne Noahs, abstammten. Hams Sohn Kaanan wurde, so die Erzählung im Alten Testament, von Noah verflucht ‚Knecht aller Knechte‘ zu sein, als Strafe dafür, dass Ham seinen Vater nackt und betrunken sah. Diese Theorie wurde auch dafür genutzt, um Sklaverei und Kolonialismus zu rechtfertigen. So formulierte etwa Jakob Dannholz von der Leipziger Mission, in seinem Tagebuch im Jahr 1903: „Es liegt ein Fluch über diesem schwarzen Geschlecht und dieser Fluch ist Huren und Unreinigkeit.“ Dannholz sah dabei sexuelle Verfehlungen als Grund für die Verfluchung und niedrige Stellung ‚afrikanischer Völker‘ an. ‚Afrikanische Sexualität‘ erscheint in diesem Diskursmuster insgesamt als sündhaft, schmutzig und teuflisch, da sie vom Heidentum durchdrungen sei:

Das Gesetz der Geister treibt die Heiden in alle Schändlichkeiten hinein, z.B. bei der Jünglings- und Jungfrauenweihe: Mord, Ehebruch, Blutschande und Unreinigkeit schlimmster Art. […] Und deshalb – obwohl die Geister nicht eigentlich Teufel sind im biblischen Sinn – stellt sich der Geisterdienst als Teufelsgesetz und die Befolgung dieses Gesetzes als Teufelssittlichkeit.“

Es ist schwer einzuschätzen, ob mit dieser „Unreinigkeit schlimmster Art“ möglicherweise auch gleichgeschlechtliche sexuelle Praktiken gemeint sein könnten. Zumindest scheint eine Imagination solcher Praktiken durch die Missionare aber möglich. Die Konsequenz dieses Verständnisses von afrikanischer Sexualität als teuflisch und verdorben, war für die Missionare dieser Denkströmung, dass sie komplett durch eine christliche, d.h. pietistisch-erweckungsbewegte Sexualmoral und Kultur ersetzt werden musste. Damit stellten sie sich auch gegen Missionare in ihren eigenen Reihen wie Johanssen und Gutmann. Der christlichen, monogamen Ehe und Familie als „rechter Gottesordnung“ kam dabei eine besondere Rolle zu: Von ihr ausgehend sollte das gesamte zu missionierende Volk erneuert werden. Nur ein kompletter Bruch mit der Vergangenheit führte hier in die gottgewollte (sexuelle) Ordnung. Gegen diese Bewertung von ‚afrikanischer Sexualität‘ als schmutzig und sündhaft wehren sich heute die Bischöfe der ELCT und verorten im Gegenteil die sexuelle Unmoral in ihren westlichen Partnerkirchen, in denen heute gleichgeschlechtliche Ehen erlaubt sind. Deutlich sieht man hier also auch einen Moment der postkolonialen Identitätsbildung – ausgetragen auf dem Rücken von LSBTIQ* in Tansania und auf dem Kontinent.

Es bleibt festzuhalten:

Für beide Denkströmungen unter den Missionaren galt: Das erfolgreiche Einführen christlicher ‚Sittlichkeit‘ und der ‚christlichen Ehe‘ wurde für die deutschen protestantischen Missionare zum Lackmustest für den Erfolg der Mission. In den ostafrikanischen Missionsgebieten bot sich ihnen die Chance, ein konservativ-pietistisches Christentum aufzubauen und in einem Maße Einfluss auf die Gesellschaft zu nehmen, wie es in Europa zu diesem Zeitpunkt schon nicht mehr möglich war.

Charlotte Weber, Universität Münster

Ein Beitrag im Rahmen des ProjektsWe believe in change“: Menschenrechte im Spannungsfeld von Religionsfreiheit und Nicht-Diskriminierung der Hirschfeld-Eddy-Stiftung. Alle Blogbeiträge zum Projekt finden sich unter dem Tag WBIC-2023.

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