Interview mit Agniezska von Lambda Warsaw
Agnieszka, Lambda Warsaw führt die einzige Notunterkunft für LGBT in Polen und Osteuropa. Was hat es mit diesem Projekt auf sich?
Es ist eine Notunterkunft in Warschau für LGBT, die wir seit Februar 2015 führen. Wir möchten die Lebensqualität verbessern, Veränderungen unterstützen und die Situation für obdachlose LGBT in Polen und seinen Nachbarstaaten verbessern. Unsere finanziellen Mittel reichen gegenwärtig bis Juni 2016. Daher benötigen wir dringend Spenden und Funding, damit die Unterkunft weiterhin offen bleiben kann.
Bei uns können bis zu 15 Personen, die sich als LSBT identifizieren, unterkommen (davon drei Notbetten). Wir bieten Unterstützung bei Gewalterfahrungen oder einem großen Gewaltrisiko aufgrund von sexueller Orientierung bzw. Geschlechtsidentität. Das Hostel ist rund um die Uhr geöffnet und ermöglicht eine sichere Unterkunft, eine Grundversorgung an Lebensmittel, psychologische Unterstützung, Beratung durch Sozialarbeiter_innen und Coaching workshops.
Kannst du uns etwas über die Bewohner_innen erzählen?
Seit der Eröffnung haben 51 Personen bei uns Schutz und Unterkunft gefunden. Durchschnittlich bleiben sie zwei bis drei Monate. Der Mehrheit von ihnen hat die Unterkunft einen wirklichen Lebenswandel ermöglicht. Sie sind unabhängig geworden, haben ihre finanzielle Situation verbessert, konnten sparen, haben einen Job und eine Wohnung gefunden oder haben, falls notwendig, eine Behandlung angefangen und eine mentale Krise überwunden.
Zum Beispiel Tomek. Er ist 19 Jahre alt und lebte in einem kleinen Dorf im Süden Polens. Jeder kennt jeden. Zwar arbeitete er als Elektriker in einer Fabrik, aber das Gehalt reichte nicht aus, um in eine eigene Wohnung zu ziehen. Er lebte daher weiter bei seiner Mutter und deren Partner. Eines Tages fand die Mutter heraus, dass er einen Freund hat. Damit begann für Tomek der Alptraum. Seine Mutter sagte, dass er krank wäre und behandelt werden müsse. Sie erniedrigte ihn und outete ihm im Dorf. Er verließ seinen Heimatort und floh nach Warschau. Im Hostel fand er neue Freund_innen und lernte sich selbst zu akzeptieren.
Oder etwa Robert (34 Jahre) und Monika (37 Jahre). Beide lebten in Deutschland und wurden dort an ihrem Arbeitsplatz betrogen. Sie beschlossen nach Polen zurückzukehren. Da sie keinen Cent hatten, kamen sie in einem Heim für obdachlose Frauen unter. Damals hatte Robert noch nicht sein Coming-out als trans*. Sie fanden zwar Arbeit, mussten aber weiterhin in dem Heim leben. Dort war es sehr dreckig, einige der Bewohnerinnen* hatten Alkoholprobleme und traten mitunter sehr aggressiv auf. Sie fühlten sich nicht sicher und fanden zum Glück einen Platz bei uns. Nach zwei Wochen hatte Robert sein Coming-out als trans*. Durch die psychologische Beratung fühlte er sich dazu bereit. Inzwischen haben beide eine Wohnung in einem Warschauer Vorort gefunden.
Wie sieht die allgemeine Situation für LGBT in Polen aus? Hast du ein paar Hintergrundinformationen?
Die Situation ist ernst. Eine Umfrage unter 11.000 LSBT fand er heraus, dass 12% von ihnen physische Gewalt erfahren haben, beinah jede_r Zweite psychischen Missbrauch. 40% der Täter_innen kamen aus dem unmittelbaren Umfeld, also Familie, Freundeskreis, Nachbar_innen. 42% der Befragten schilderten Selbstmordgedanken, insbesondere die Jüngeren unter ihnen. Über 50% der befragten Trans* haben Gewalterfahrungen hinter sich – vor allem in der Familie oder an der Schule / College.
Aufgrund des hohen Gewaltrisikos passiert es häufig, dass LSBT gezwungen sind, ihren Wohnort oder ihren Arbeitsplatz zu verlassen und dann obdachlos werden. Viele sind also von sozialer Ausgrenzung bedroht. Die Unterstützungsstruktur für obdachlose Menschen ist für LGBT kein sicherer Ort. Viele unserer (ehemaligen) Bewohner_innen berichten von Gewalt und Diskriminierung in den herkömmlichen Obdachlosenheimen.
Daher ist unsere Unterkunft so wichtig. Denn das Risiko obdachlos zu werden, ist sehr hoch. Insbesondere wenn du geoutet lebst und sehr jung bist und damit auch abhängig von deinen Eltern.
Wie bekämpft Lambda Warsaw die weitverbreitete Homo- und Transphobie – ich kann mir vorstellen dass es durch die neue Regierung schwieriger wird.
Unsere grundsätzliche Mission ist einen sicheren Ort aufzubauen, in dem eine positive Identität der LSBTQ-Community gefunden werden kann und an dem es unabhängige, professionelle Begleitung in schwierigen und Krisensituationen angeboten wird.
Neben der Unterkunft haben wir ein Informations- und Unterstützungscenter für LGBT im Zentrum von Warschau. Dort bieten wir eine Beratungshotline und anonymes Internetcounseling an, es gibt verschiedene Unterstützungsgruppen sowie psychologische Einzel- und Gruppenberatung. Als Organisation beobachten wir die Situation von LGBT, d.h. wir sammeln Daten zu Diskriminierungserfahrungen. In Zusammenarbeit mit öffentlichen Institutionen (etwa Polizei, Gerichten) versuchen wir die Situation im Lebensumfeld von LGBT zu verbessern. Wir organisieren zudem Veranstaltungen und Workshops zu Antidiskriminierung und Menschenrechtsbildung etwa für lokale NGOs, Behörden, Polizei oder Sozialarbeiter_innen.
Ja, es stimmt, die neue Regierung wurde vor allem von jüngeren, aber auch von den älteren Menschen gewählt. Eine Im Hinblick auf unsere neue Regierung wird es vermutlich schwieriger, etwa hinsichtlich finanzieller Mittel aber auch der Akzeptanz von Homo- und Transphobie in der Regierung selbst. LSBT gelten nicht als Minderheit, die Schutz oder Rechte bedarf.
Spendenkonto:
Hirschfeld-Eddy-Stiftung
Bank für Sozialwirtschaft
IBAN: DE64370205000005010000
BLZ / BIC: 370 205 00 / BFSWDE33XXX
Stichwort: Lambda Warszawa
Spendenaufruf der Hirschfeld-Eddy-Stiftung
Das Interview führte Markus Ulrich (LSVD-Pressesprecher)