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Verleihung des Rosa Courage Preises

Dankesrede von Manfred Bruns

© Caro Kadatz

Sehr geehrte Damen und Herren!

1.     Ich bin kein Einzelkämpfer

Als ich die Mitteilung erhielt, dass mir „Gay in May“ den „Rosa Courage Preis“ verleihen will, kam mir spontan der Gedanke, dass ich viele Mitstreiterinnen und Mitstreiter habe, die genauso preiswürdig sind wie ich.

Eine Mitstreiterin haben sie bereits ausgezeichnet, die Tutzinger Rechtsanwältin Maria Sabine Augstein. Der zweite Mitstreiter ist der Berliner Rechtsanwalt Dirk Siegfried. Wir drei haben über viele Jahre hinweg gemeinsam für gleiche Bürgerrechte gekämpft und gelitten.

Unsere Anträge, Klagen und Beschwerden sind immer wieder mit Gerichtsentscheidungen abgeschmettert worden, bei denen ich spontan versucht war, die beteiligten Richter wegen Rechtsbeugung anzuzeigen, darunter auch Nichtannahmebeschlüsse der 1. Kammer des zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts. Aber bisher ist noch kein deutscher Richter wegen Rechtsbeugung belangt worden.

Meine Erfahrung ist: Wenn deutsche Richter die Moral, das Christliche Abendland oder die Ehe verteidigen wollen, geht Justitia in Deckung!

Was uns drei auszeichnet ist, dass wir uns nur vorübergehend haben entmutigen lassen. Wir haben uns immer wieder aufgerafft, weiter gemacht und schließlich auch Richter gefunden, die sich bei ihren Entscheidungen nicht von ihren Vorurteilen, sondern vom Recht haben leiten lassen.

Außer den genannten zwei Juristen gibt es im LSVD, also dem Lesben- und Schwulenverband in Deutschland“, und in den anderen Organisationen und Gruppen der Lesben und Schwulen viele Lesben und Schwule, die mit uns über Jahre hinweg für gleiche Bürgerrechte gekämpft haben. Nennen möchte ich hier ausdrücklich den heutigen Bundestagsabgeordneten Volker Beck und den heutigen Fraktionsmitarbeiter der Grünen Günter Dworek.

Wir drei haben 1989 als erste die Öffnung der Ehe für Lesben und Schwule gefordert, nachdem Dänemark damals als erstes Land die „Registrierte Partnerschaft“ für Lesben und Schwule eingeführt hatte. Die damalige Vorsitzende des Lesbenrings  Jutta Österle-Schwerin, konterte mit einem Papier, dass die Überschrift trug: „Macht die Mottenkiste zu!“. Darüber gab es dann in der Community mehrere Jahre lang heftigen Streit und viele aufgeregte Diskussionsveranstaltungen.

Auch viele andere organisierte und nicht organisierte Lesben und Schwulen haben uns immer wieder unterstützt, wenn wir Aktionen gestartet haben. Erwähnen möchte ich hier nur unsere „Aktion Standesamt“ vor zwanzig Jahren. Wir haben damals die Lesben und Schwulen aufgerufen, am  19.08.1992 die Standesämter zu “stürmen” und dort ihr Aufgebot zu bestellen. Dem Aufruf sind aus dem Stand rund 250 Paare gefolgt, obwohl das mit einem Coming publik verbunden war und man damals noch durchaus mit nachteiligen Reaktionen der Arbeitgeber und der übrigen Umgebung rechnen musste. Ein Teil der Paare hat gegen die Ablehnung des Aufgebots geklagt und ist schließlich 1993 beim Bundesverfassungsgericht gescheitert. Aber die Paare sind  als „Bundesarbeitsgemeinschaft Schwule und Lesbische Paare“ zusammengeblieben und arbeiten seitdem eng mit dem LSVD zusammen.

Ich hätte als Einzelkämpfer wenig bewirken können. Das, was wir erreicht haben, haben wir nur dadurch erreicht, dass uns so viele immer wieder unterstützt haben.

2.     Zu meinen Mitstreiterinnen und  Mitstreitern

Aber das Erstaunlichste ist, dass der Kreis der Personen, der sich kontinuierlich über Jahre hinweg für gleiche Bürgerrechte von Lesben und Schwule eingesetzt hat, sehr klein ist. Das gilt auch für den LSVD. Dort sind nur wenige Lesben und Schwule tatsächlich kontinuierlich aktiv. Der LSVD hat aber durch eine professionelle Öffentlichkeits- und Lobbyarbeit den Eindruck erwecken können, als ob er eine große, mitgliederstarke und einflussreiche Organisation sei.

Die Fundamentalisten bei den Protestanten und Katholiken klagen darüber, dass die Lobbyorganisationen der Lesben und Schwulen inzwischen so mächtig seien, dass sie dagegen nicht mehr ankämen. Ich denke dann immer: Gut dass ihr nicht wisst, wie wenige Leute dieses Geschäft tatsächlich betreiben.

Oder ich erhalte immer wieder Anfragen von Ratsuchenden, die mit „Liebes LSVD-Team“ überschrieben sind. Ich schreibe dann zu rück: „Hier gibt es kein LSVD-Team, hier gibt es nur einen 77-jährigen Pensionär, der mühsam die Stellung hält.“

3.     Unsere Strategie

Wir versuchen unser Ziel, Abbau der Diskriminierung und gleiche Bürgerrechte, auf verschiedenen Wegen zu erreichen.

Ganz wichtig ist die Öffentlichkeitsarbeit. Wir haben uns zum Ziel gesetzt, dass bei allen Meldungen der Medien über Lesben und Schwule immer gleich mitgemeldet werden soll, was der LSVD davon hält. Das gelingt uns zwar nicht immer, aber sehr oft.

Bei unserer Aktion Standesamt 1992 waren 30 % der Bevölkerung für die Öffnung der Ehe für Lesben und Schwule, bei der Verabschiedung des Lebenspartnerschaftsgesetzes 2001 waren es schon 60 %. Heute ist das für die Öffentlichkeit kein Thema mehr. Die meisten machen keinen Unterschied mehr zwischen Ehe und Lebenspartnerschaft und wissen nicht, dass Lebenspartner noch nicht in allen Bereichen dieselben Rechte haben wie Ehegatten.

Ein zweites wichtiges Arbeitsfeld ist die Lobby-Arbeit, also Gespräche mit dem Ministerien, den Parteien und den Abgeordneten. Das Problem ist, dass die für uns relevanten Gesetze nicht nur vom Bundestag, sondern auch von den 16 Landtagen verabschiedet werden und dass es dabei fast ausnahmslos um rechtliche Probleme geht. Zu den Landtagen gehen zwar unsere Landesverbände, aber die Briefe muss ich entwerfen. Auch wünschen die Landesverbände natürlich, dass ein Jurist sie begleitet. Das bin dann wieder ich. Außerdem gelingt es nie, die Gesprächstermine so zu koordinieren, dass sie an einem Tag erledigt werden können. Ich komme mir deshalb manchmal vor wie der „Fliegende Holländer“, immer ruhelos unterwegs.

Bis Hessen sein Landesanpassungsgesetz endlich verabschiedet hatte, musste ich an drei Anhörungen im Hessischen Landtag teilnehmen. Ich zweifle deshalb manchmal am Sinn des Föderalismus, da es in allen 16 Bundesländern praktisch um dieselben Gesetze geht, die sich zwar im Wortlaut, aber nicht im Inhalt unterscheiden. Anderseits hatten wir so die Chance, mal in diesem und mal in jenem Land ein positives Gesetz durchzusetzen und damit eine Bresche in die Ablehnungsfront zu schlagen.

Die Parteien sind übrigens keineswegs so monolithisch für oder gegen uns, wie man meint. In Hamburg und im Saarland hat die CDU die Lebenspartner im Landesrecht gleichgestellt. In NRW und in Baden-Württemberg haben das die homophoben CDU/FDP-Koalitionen verhindert, bis sie endlich abgewählt worden sind. In Sachsen gibt es leider noch immer eine ausgesprochen homophobe CDU/FDP Regierungskoalition. Dort hat man den Eindruck, dass im Landtag fast nur Pietisten sitzen.

Sehr hilfreich sind offen lebende schwule und lesbische Abgeordnete, die sich in ihren Fraktionen für unsere Anliegen einsetzen. Sehr schlimm sind versteckt lebende schwule und lesbische Abgeordnete, die das Bedürfnis haben, aller Welt zu beweisen, dass sie hundertprozentige Heterosexuelle sind.

Ein drittes wichtiges Arbeitsfeld sind die Prozesse. Der LSVD ist ein Antidiskriminierungsverband und sieht es als seine Aufgabe an, benachteiligte Lesben und Schwule zu unterstützen, wenn sie sich gegen ihre Benachteiligungen wehren und ihre Rechte einklagen wollen. Außerdem hoffen wir, auf diese Weise positive Urteile der Gerichte erstreiten zu können, mit der wir dann unsere Forderungen an die Politik untermauern können.

Dazu stelle ich auf unserer Webseite Mustertexte bereit, die die Betroffenen abkopieren können. Das klappt sehr gut. Aber die Betroffen erhalten natürlich auf ihre Anträge und Klagen eine Antwort und  melden sich dann bei mir mit der Frage: „Was soll ich denn jetzt schreiben?“ Das hat in letzten Jahren einen immer größeren Umfang angenommen. Zurzeit begleite ich unter anderem mehrere hundert Verfahren bei den Finanzämtern und den Finanzgerichten, weil sich Schäuble und die die CDU/CSU hartnäckig weigern, Lebenspartner im Einkommensteuerrecht mit Ehegatten gleichzustellen. Aber der Aufwand lohnt sich. Die Steuerverwaltungen haben jetzt eingelenkt und stellen Lebenspartner im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes vorläufig mit Ehegatten gleich.

4.     Zu meiner Person

Damit komme ich zu der Frage: Warum mache ich das alles? Warum verbringe ich meine letzten Lebensjahre nicht zusammen mit meinem Mann auf den Kanarischen Inseln und auf Kreuzfahrten und komme nur noch zum Wäschewechseln nach Haus?

Das hängt mit meinem Lebenslauf zusammen. Ich bin 1934 geboren worden, habe also meine Kindheit und meine Jugend in einer Zeit verbracht, in der Homosexualität kriminell und asozial war. Ich habe zwar schon als Kind gespürt, dass ich anders war als die anderen. Aber ich konnte das nicht benennen. Es gab keinerlei Sexualaufklärung. Homosexuelle waren verkommene Leute, die aus Überdruss an dem Normalen abartige und kriminelle Dinge taten. Das war für mich keine Lebensmöglichkeit, zumal da ich in einem katholisch geprägten Elternhaus aufgewachsen bin und das sehr verinnerlicht hatte.

Ich habe deshalb 1961 geheiratet und zwanzig Jahre lang eisern an meiner Ehe festgehalten, weil ich Angst um eine bürgerliche Existenz hatte und Angst davor, dass ich meine Familie verlieren würde, an der ich sehr hänge. Ich hatte mit meiner Frau großes Glück. Wir haben eine sehr gute Ehe geführt und sind auch heute noch in Liebe verbunden.

Anfang der achtziger Jahre ging das dann nicht mehr. Ich hatte Angst, psychisch zusammenzubrechen. Ich habe deshalb angefangen, meine Homosexualität zuzulassen und mich darüber mit meiner Frau und meiner Familie auseinanderzusetzen. Das ist sehr viel besser verlaufen, als ich befürchtet hatte.

Aber als ich 1985 meinen ersten Partner kennenlernte — er war 14 Jahre älter als ich und ist 1992 gestorben — da habe ich immer wieder gedacht: Warum hatten wir nicht die Chance, uns als junge Leute kennenzulernen? Warum gab es, als ich jung war, in meiner Nähe kein schwules Lehrer- oder Pfarrerspaar? Warum diese schrecklichen Umwege?

Und dann wusste ich: Jetzt musst Du etwas tun, damit sich solch unsinnige Lebensläufe nicht immer wiederholen.

Einen weiteren Anstoß gab die AIDS-Katstrophe, die Mitte der achtziger Jahre eine Hysterie auslöste, die man sich heute nicht mehr vorstellen kann. Konservative Ärztefunktionäre und Scharfmacher aus Bayern forderten Reihenuntersuchungen, Zwangstests, Berufsverbote und Internierungslager für Infizierte und weitere Scheußlichkeiten. Ich hatte Angst, dass alles wieder umschlägt und dachte: Du musst wenigstens versuchen, das aufzuhalten.

5.     AIDS

Der Ausgang dieser AIDS-Debatte ist, so meine ich, der erste große Erfolg der Schwulen im vergangenen Jahrhundert. Durch ihren engagierten, intelligenten und solidarischen Einsatz ist es gelungen, in der Bundesrepublik eine tolerante, menschliche und vernünftige AIDS-Politik zu etablieren. Die Schwulen erkannten früh die mit Aids verbundenen Gefahren und reagierten darauf in großer Solidarität. Sie schufen binnen kurzem ein breites Netz von Selbsthilfegruppen. Das führte bei vielen der Aktivisten zum Coming public. Dadurch begannen die Behörden sich daran zu gewöhnen, mit Männern zu verhandeln, die offen als Schwule auftraten.

Ich war an dieser Debatte zusammen mit meinen Freunden von der „Bundesarbeitsgemeinschaft Schwule Juristen“ sehr aktiv beteiligt, zuletzt in der Enquete-Kommis­sion AIDS des Deutschen Bundestages. Dort ist zum ersten Mal nicht mehr über Schwule geredet und verhandelt worden, sondern mit ihnen. Denn drei der externen Sachverständigen, die der Kommission angehörten, waren schwul und eine Sachverständige lesbisch. Obwohl wir in der Minderheit waren, haben wir unsere Vorstellungen in der Kommission weitgehend durchsetzen und dadurch den Kurs der damalige liberalen Gesundheitsministerin Süßmuth wirksam unterstützen können.

6.     Was haben wir erreicht?

Zum Schluss noch einige Bemerkungen zu dem, was wir erreicht haben.

Ich denke, meine Vision, mit der ich angetreten bin, ist Wirklichkeit geworden.

Wir haben einen schwulen Außenmister, schwule regierende Bürgermeister, lesbischen Ministerinnen und Staatsekretärinnen usw. Vermutlich wäre auch ein Bundespräsident mit geschlamperten Verhältnissen ohne unseren Einsatz nicht möglich.

Die Lebenspartner sind fast vollständig mit Ehegatten gleichgestellt. Es fehlt nur noch die Gleichstellung im Einkommensteuerrecht und im Adoptionsrecht. Ich schätze, dass wir diese Punkte bis zur nächsten Bundestagswahl ebenfalls abhaken können. Dann werden wir natürlich geltend machen, warum noch zwei Rechtsinstitute, wenn sie in den Rechtsfolgen völlig übereinstimmen. Das heißt: Wir werden dann die Öffnung der Ehe für Lesben und Schwule fordern, wie das inzwischen in einer Reihe unserer Nachbarländer bereits geschehen ist.

Ob ich das noch erlebe, weiß ich nicht. Aber das ist nicht mehr wichtig. Ich erhalte immer wieder Hochzeitsfotos von schwulen und lesbischen Paaren und Fotos von Regenbogenfamilien mit ihren Kindern. Die stehen in meinem Regal neben meinem Schreibtisch. Ich schaue sie mir oft an und denke, wie schön, dass das heute möglich ist, und wie gut, dass ich zu dieser Wende mit beitragen konnte.

Natürlich habe ich auch darüber nachgedacht, ob ich „Courage“ bewiesen habe und deshalb ihren Preis zurecht bekomme.

Darauf möchte ich mit „Jein“ antworten. Ich habe zwar Einiges riskiert. Mein Chef, der inzwischen verstorbene Generalbundesanwalt Rebman, hat mir einmal eine Strafanzeige angedroht und ein zweites Mal tatsächlich eine Strafanzeige erstattet, natürlich ohne Erfolg. Zwei Justizminister haben in ihrer Eigenschaft als meine Dienstvorgesetzten prüfen lassen, ob gegen mich ein Disziplinarverfahren einzuleiten ist. Eine Justizministerin hat sich über lange Zeit geweigert, mit mir zu reden oder mir die Hand zu geben.

Aber das waren kalkulierte Risiken. Ich wusste, dass mir im Endergebnis nichts passieren konnte. Außerdem war der Leidensdruck bei mir so groß, das ich einfach handeln musste.

Ich habe schon erwähnt, dass ich seit meiner frühesten Jugend immer das Gefühl hatte, nicht dazu zu gehören. Das habe ich dadurch bewältigt, dass ich mir vorgenommen habe: Denen werde ich zeigen, dass ich besser bin als sie.

So habe ich auch auf die vielen Rückschläge und Enttäuschungen reagiert, die wir in den vergangenen Jahren verkraften mussten. Und unser Erfolg beweist: Wir sind tatsächlich besser als unsere homophoben Gegner. Wir sind so erfolgreich, dass wir Probleme haben, Nachwuchs zu finden. Die jungen Lesben und Schwulen fühlen sich nicht mehr diskriminiert und haben keine Lust, sich mit so langweiligem Kram zu befassen. Erst wenn sie sich im Ausland verlieben, kommen sie zu mir und fragen, wie sie ihre Frau oder ihren Mann nach Deutschland holen können.

Ich freue mich sehr über den Preis, den sie mir heute verliehen haben. Ich werde ihn zu den Fotos in meinem Regal stellen. Ich freue mich auch wegen meines 16jährigen Enkelsohns. Der ist ein erfolgreicher Judoka und hat in seinem Zimmer einen ganzen Schrank voll mit  Preisen. Wenn er das nächste Mal kommt, werde auch ich ihm einen Preis zeigen können.

 

Osnabrück, 04. Mai 2012

 



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