Eingangsstatement von Sarah Kohrt, LGBTI-Plattform Menschenrechte der Hirschfeld-Eddy-Stiftung beim Evangelischen Kirchentag 2019
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Vielen Dank für die Einladung, ich weiß sie sehr zu schätzen. Es ist ganz erfreulich, dass es seit vielen Jahren ein Regenbogenzentrum bei den Kirchentagen gibt. Das ist – genau wie solche Veranstaltungen wie heute – ein wichtiger Schritt.
Mein Vortrag hat vier Thesen. Die erste stammt aus einem Text, den Tim Kuschnerus, Evangelischer Geschäftsführer der Gemeinsamen Konferenz Kirche und Entwicklung für den LSVD-bLOG geschrieben hat: „Die christlichen Kirchen sind Teil des Problems. Diese Erkenntnis kann aus meiner Sicht nur eine Konsequenz haben: Kirchen, und ich spreche hier vor allem für den Bereich der kirchlichen Entwicklungswerke in Deutschland, müssen dazu beitragen, dass sie Teil der Lösung werden.“
Das ist dann auch die erste These: Die Kirchen müssen Teil der Lösung werden, bislang sind sie Teil des Problems
Ich möchte das erklären anhand einiger Beispiele: Neulich hatte ich Besuch aus Nigeria in meinem Büro in Berlin, wir haben auch über den Kirchentag gesprochen. Er erzählte mir von der anglikanischen Kirche in Nigeria folgendes:
Wer zu eng mit jemandem des gleichen Geschlechts befreundet ist, selbst als Pastor, wird konfrontiert damit, dass dieser Lebensstil nicht ins Land passe, dass er nicht der Tradition entspreche. Höhergestellte kirchliche Würdenträger werden aufmerksam, der Pastor, sei er noch so beliebt und gut wird aller Wahrscheinlichkeit nach entlassen und in der Gemeinde bloßgestellt. Der Bischof hat das in einem vorwurfsvollen und entehrenden Brief getan. Das bedeutet für den Pastor das Ende der Existenz. Wer als einfaches Gemeindemitglied unter Verdacht gerät, erlebt Ausgrenzung, Dämonisierung und mit Gewalt versuchte Austreibung des Dämons.
Ein Beispiel aus Namibia: Frauen, die nicht weiblich genug wirken, die die traditionellen Geschlechterrollen nicht ausfüllen können oder wollen werden in den Gemeinden isoliert, stigmatisiert, und erfahren Gewalt.
Ein anderes Beispiel aus Uganda: Ein Geistlicher öffnet seine Kirche für alle Menschen, auch für solche, die gleichgeschlechtliche Beziehungen haben, deren Geschlechtsausdruck unkonventionell ist und die deshalb stigmatisiert werden. Sie sind in seiner Gemeinde willkommen, werden nicht an die Sicherheitskräfte verraten, nicht denunziert, sondern in einer neuen Familie aufgenommen. Sie genießen das, was ihnen sonst verwehrt war: Schutz und Anerkennung als gläubiger Mensch unter seinesgleichen.
Aber in den meisten Fällen läuft es anders: Gewalt im Namen der Religion, Missionare des Hasses. Der Film „Call me Kuchu“ ist ein Dokumentarfilm über die Situation in Uganda um 2009, 2010. Er zeigt, wie Prediger Homosexuelle dämonisieren und der Gemeinde erklären, das gleichgeschlechtliche Neigungen aus dem Westen kommen. Das wird häufig behauptet. Tatsächlich ist es aber andersrum: Das Verbot von homosexuellen Handlungen kommt aus dem Westen, es ist ein Erbe der britischen Kolonialherrschaft. Und es sind US-amerikanische fundamentalistische Evangelikale, die die Situation in Uganda so extrem aufgeheizt haben. Die zu Gewalt und Hass aufstachelnden Prediger werden systematisch von Missionaren aus Nordamerika unterstützt. Das sind keine Einzelfälle.
Zweite These: Es gibt eine weltweite religiös gestützte Bewegung, die sich für die von ihnen so genannten traditionelle Werte oder Familienwerte einsetzt. Diese Bewegung richtet sich gleichermaßen gegen Frauenrechte und gegen Rechte von LSBTI.
Kapya Kaoma, ein Theologe aus Sambia hat in mehreren Studien seit 2009 gezeigt, dass es in Afrika eine Art Stellvertreterkampf gibt. Er belegt, dass es ein Kulturkampf ist, der für die US-Konservativen im eigenen Land in den 1990er und 2000er Jahren verloren ist und der seit dem Jahr 2000 etwa auf dem afrikanischen Kontinent ausgetragen wird.
Aber in Europa, vor allem Osteuropa, sehen wir ähnliches: Es gibt eine fundamentalistische Bewegung, die aggressiv, militant und systematisch versucht, die rechtlichen und gesellschaftlichen Fortschritte zurückzudrehen. Dazu gehören einige Vertreter_innen, die ihre Weisungen aus dem Vatikan erhalten. Geld spielt eine große Rolle. Das finanzieren sehr finanzstarke Einzelpersonen, Firmen und Stiftungen.
Und dann gibt es auch hier die Bewegungen von fundamentalistischen Evangelikalen. Unter harmlos klingenden Titeln bieten sie Konferenzen und Workshops an: zu Familienwerten, Geschlechterrollen, Recht und Naturrecht/natürlichen Rechtsordnungen. Im EU-Parlament sind fundamentalistische Lobbygruppen vermehrt aktiv. Dieser Kulturkampf wird über Religion ausgetragen. Er trifft die Kirchen von innen und von außen. Das ist auch ein Problem für die weltweite christliche Gemeinschaft.
Die dritte These lautet: Den christlichen Kirchen droht auf internationaler Ebene beim Thema Homosexualität und Frauenrechten eine Spaltung.
Die Konflikte verlaufen beim Thema Geschlecht, Liebe, Sexualität und Familie quer zu den Kirchen und Glaubensrichtungen. Ich meine damit nicht nur die Tatsache, dass die katholische und die evangelische Kirche in Deutschland völlig verschiedene Auffassungen zum Thema Homosexualität haben. Das Problem für uns LSBTI und für die Kirchen ist vielmehr der Streit bzw. die Vermeidung von Auseinandersetzung innerhalb der Kirchen. Die Anglikanische Kirche Afrikas, zum Beispiel lehnt es ab, zum Welttreffen zu kommen. Die Spaltung droht im Westen und zwischen Nord und Süd.
Als die Hirschfeld-Eddy-Stiftung (HES) 2012 verschiedenen Kirchenvertreter, die römisch-katholische, die Altkatholische, die evangelische und den Verband der Evangelischen Freikirchen einlud, schilderten alle ähnliche Probleme: Eine Nord-Süd und Ost-West Spaltung zwischen den Liberalen und den konservativen, sagen wir strengen Gemeinden. Und die strengeren Kirchen haben auch noch ein gutes Argument: Sie sagen: unsere Kirchen sind doch voll. Euch laufen die Gemeindemitglieder davon.
Das heißt: Es gibt die ernsthafte Sorge, dass die Weltkirchen sich an diesen Themen spalten. Und viele haben Angst. Angst, dass der Dialog abbricht. Angst, dass sie keine christliche Entwicklungspolitik mehr machen können. Angst, sich öffentlich gegen die Verfolgung von Lesben und Schwulen zu äußern. Angst, sich gegen die Diskriminierung, Stigmatisierung und Gewalt an Trans* und Inter*personen auszusprechen. Und auch die Sorge, sich mit der Forderung nach Offenheit für gleichgeschlechtliche Liebe in die Dinge anderer einzumischen, neokolonial zu agieren.
Was können wir also tun, was können wir mit und in den Kirchen tun, um die Einheit der Kirchen zu erhalten und trotzdem LSBTI vor Verfolgung, Diskriminierung und Gewalt zu schützen?
Damit komme ich zur These vier: Die Lösung kann nur sein, sich auf den kleinsten gemeinsamen Nenner zu verständigen: Der kleinste gemeinsame Nenner heißt: Keine Gewalt! Liebe Deinen Nächsten. Gewalt steht im Widerspruch zur christlichen Botschaft.
Tim Kuschnerus formulierte denselben Gedanken anlässlich der gemeinsamen Veranstaltung von LSVD/HES und christlichen Kirchen 2012 in Berlin so: „Es geht ja (…) nicht darum, dass sich unsere Partnerkirchen liberale Positionen zu Eigen machen sollen. Es geht darum, den hier vorhandenen Dissens auszuhalten und zu akzeptieren, dass LGBTI unveräußerliche Menschenrechte haben. Jeder Mensch ist ein Ebenbild Gottes. Jedem Menschen wohnt die gleiche unantastbare Würde inne. Eine bestimmte Lebensform oder sexuelle Orientierung abzulehnen darf niemals bedeuten, zu Diskriminierung oder Gewalt gegen Menschen aufzurufen.“
Der LSVD/HES hat mehrere Besuchsreisen für afrikanische Aktivist*innen organisiert. Gespräche mit Politiker*innen und auch der Polizei. Aber besonders diese Gespräche mit den Pastoren und Bischöfen war für die durchweg gläubigen Aktivist*innen so bewegend und besonders, dass sie zu Tränen gerührt waren. Ganz besonders, dass auch katholische Bischöfe mit ihnen gesprochen haben. Im Haus der katholischen Bischofskonferenz in Berlin!
Und die Bischöfe, Pastoren und Mitarbeiter der Bischofskonferenz waren erschüttert über das, was sie hören mussten. Viele von ihnen wussten gar nicht, wieviel Gewalt und Stigmatisierung, welches seelische Leid LSBTI erleiden müssen und dass Kirchenvertreter*innen an der Verfolgung von LSBTI beteiligt sind.
Ein Geistlicher, der für diesen Ansatz steht ist zum Beispiel auch Desmond Tutu. Der südafrikanische Geistliche und Träger des Friedensnobelpreises hat gesagt:
„Egal ob schwarz oder weiß, Fußballer oder Handballer, Frau oder Mann, homo oder hetero, wir sind alle Geschöpfe Gottes.“
Das ist der Auftrag.
Zum Schluss möchte ich noch ein Beispiel aus Namibia erzählen, wie es gehen kann:
Das feministische Women´s Leadership Centre arbeitet seit Jahren sehr erfolgreich mit religious leaders in ländlichen Gebieten Namibias mit dem Ziel, den dortigen Frauen zu vermitteln, dass sie Rechte haben. Der Ausgangspunkt sind nicht die abstrakten Rechte, sondern das Gespräch, der Dialog innerhalb der Gemeinschaften. Aktivistinnen der Frauengruppe leben längere Zeit in und mit den Gemeinschaften, bauen Vertrauen auf und sie suchen das Gespräch. Frauen sprechen erst untereinander und dann werden sie angehört. Diese Arbeit wird in enger Zusammenarbeit mit den anerkannten religious leaders gemacht. Es zeigt sich, dass die traditionellen und die religiösen Oberhäupter unter diesen Umständen sehr positiv und verständnisvoll reagieren. Sie sind bereit, traditionelle Praktiken, die für die Frauen schmerzhaft sind, neu zu betrachten.
Mein Appell: Haben Sie Mut in diesem wichtigen Prozess! Die Kirchen müssen noch viel mehr Teil der Lösung werden! Und jeder*r einzelne kann dazu beitragen. Für mehr Menschlichkeit und für mehr Freiheit, gegen Gewalt und Diskriminierung.
Danke.
Eingangsstatement von Sarah Kohrt, LGBTI-Plattform Menschenrechte der Hirschfeld-Eddy-Stiftung für die Veranstaltung Gleichberechtigung und queere Menschenrechte — Ein weltweiter kirchlicher Lernprozess? am 21. Juni 2019 beim Evangelischen Kirchentag 2019 in Dortmund im Rahmen des Regenbogenzentrums im Gemeindezentrum Dortmund Hörde
Podium mit den Vortragenden:
Moderation: Prof. Dr. Heike Walz, Interkulturelle Theologie Augustana-Hochschule, Neuendettelsau
Verfolgt und entlassen: als schwuler Pfarrer in Riga: Maris Sants, London/Großbritannien
Gender Justice — ein Leitmotiv des Luth. Weltbundes für das 21. Jahrhundert: Astrid Kleist, Pröpstin, Hauptpastorin St. Jacobi und Vizepräsidentin Luth. Weltbund, Hamburg
Frauenrechte und Menschenrechte für Queers — Geschichte einer innigen Beziehung: Sarah Kohrt, Leiterin LGBTI-Plattform für Menschenrechte der Hirschfeld-Eddy-Stiftung, Berlin
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Links:
- Vortrag von Tim Kuschnerus (Evangelischer Geschäftsführer der Gemeinsamen Konferenz Kirche und Entwicklung) auf der Tagung „Religionsgemeinschaften in Afrika. Stärkung und Schutz von LGBTI-Menschenrechtsverteidigern“ am 22.11.2012 im Auswärtigen Amt in Berlin
- LSVD/HES-Besuchsreise von Aktivist*innen aus afrikanischen Ländern 2012
- Kapya Kaoma 2009: Globalizing the Culture Wars: U.S. Conservatives, African Churches, and Homophobia
- Kapya Kaoma 2012: Colonizing African Values – How the U.S. Christian Right Is Transforming Sexual Politics in Africa
- Studie der EPF von 2018 zeigt, wie stark die Gegenbewegung zu Frauenrechten und den Rechten von LSBTIQ* in Europa ist: „Restoring the Natural Order- The religious extremists’ vision to mobilize European societies against human rights on sexuality and reproduction”
- Women´s Leadership Centre Namibia (WLC): Blogartikel und Kommentar